Frage zum "Casting" von SängerInnen

  • Meiner Meinung nach sollte das Nackigsein in der Oper aber nicht zur Gewohnheit werden und komplizierte Stellagen, die auf Kosten des Gesangs gehen, finde ich auch nicht prickelnd. Allerdings ist zu Zweiterem mehr möglich, als sich so vorgestellt wird..


    :wink: :wink:

    Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren (Bert Brecht)

    ACHTUNG, hier spricht Käpt´n Niveau: WIR SINKEN!! :murg: (Postkartenspruch)

  • Physischer und psychischer "Exhibitionismus"

    Hallo zusammen,

    ich hatte mich hier ursprünglich einmal ungefähr zum Gründungszeitpunkt des Forums angemeldet, kann mich aber an meine Log-In-Daten nicht mehr erinnern. Außerdem war ich ohnehin weitestgehend „passives“ Mitglied, das sich auf’s Lesen beschränkte. Ungeachtet dessen glaube ich, einige Mitglieder noch von „gesang.de“ zu ‚kennen’ – lange ist’s her…

    Eine Zeitlang übte ich mich dann in völliger Abstinenz. Hintergrund: nach einer mehr als 20-jährigen Tätigkeit als hauptberuflicher Opernsänger habe ich den Beruf an den Nagel gehängt. Mit den Gründen für diese Entscheidung will ich niemanden langweilen; wichtig ist nur, dass sie „aus meinem Herzen“ kam, aber nichtsdestotrotz nicht schmerzfrei war (nicht zuletzt, weil ein bis dahin um den Job herumgestricktes Leben plötzlich seines Zentrums beraubt wurde). Während dieser Zeit hatte ich buchstäblich „keinen Nerv“, mich mit musikalischen, gar sängerischen Themen zu konfrontieren.

    Inzwischen fühle ich mich wieder ziemlich zentriert, auch wenn die Bequemlichkeit des „Ich-weiß, was-ich beruflich-will!“ mit der Aufgabe der Bühnentätigkeit geschwunden ist. Bei allen unbestreitbaren Fallstricken, die die Tätigkeit als Opernsänger mit sich bringt, beinhaltet sie doch die Gnade der unbedingten Zielorientierung – zumindest so lange, wie man dieses Ziel wirklich verfolgen will. Sich danach mit Mitte 40 neu zu positionieren ist dann eine recht große Herausforderung…

    Wieso leite ich meinen Beitrag mit dieser Erläuterung ein?

    Einerseits aus Höflichkeit (eine kurze Vorstellung scheint mir nur angemessen) – vor allem aber möchte ich euch die Einordnung meiner folgenden Stellungnahme damit erleichtern…


    Regisseure werden ja nur allzu gerne gescholten; nach meiner Erfahrung allerdings meistens aus den falschen Gründen! Ob eine Inszenierung nun „modernistisch“, gar provozierend gestaltet ist oder doch eher konventionell, scheint mir häufig gar nicht die zentrale Frage – viel wichtiger ist’s doch, ob die Arbeit handwerklich gelungen ist. Exakt an dieser Stelle allerdings hapert es oft. Auf der anderen Seite aber sind die meisten Regisseure (und ich durfte mit „No-Names“ ebenso arbeiten wie mit bekannten „Größen“) weit davon entfernt, als Sängervergewaltiger aufzutreten – „Nacktheit“ als konzeptionelles Element funktioniert ohnehin nur, wenn der betroffene Sänger diese Forderung ohne allzu große innere Hemmschwelle umsetzen kann. Viel wichtiger als die Bereitschaft zum körperlichen Exhibitionismus ist für die meisten Regisseure die Fähigkeit zur seelischen Transparenz, idealerweise gepaart mit der Begabung, selbst ein Höchstmaß an kreativem Input bereitzustellen. Trotz konzeptioneller Vorarbeit hängen Inszenierende nämlich letztlich doch extrem ab von dem, das ihre Besetzung darstellerisch leisten kann und will; der Nacktheit kommt da im Zweifel nur eine periphere Bedeutung zu.

    Richtig ist allerdings auch, dass man Regisseure als Darsteller mit Nacktheit locken kann. In einer Neuinszenierung des Otello sang ich den Jago. Als es darum ging, dessen „Credo“ szenisch zu arbeiten, war ich mit dem Angedachten nicht nur unzufrieden, sondern es stand in komplettem Gegensatz zu meinen Überzeugungen. Also brachte ich einen Gegenvorschlag, der eher intuitiv entstand: nachdem Jago in seinem Credo einen seiner wenigen „ehrlichen“ Momente hat, sich quasi emotional auszieht, bot ich an, diese Entkleidung auch körperlich zu doppeln, um quasi „unverkleidet“ und kreatürlich nackt dieses Glaubensbekenntnis zu singen. Bedingung: die Unterhose sollte bleiben.

    Warum erzähle ich das? Weil ich manche hier aufgekommenen Unterstellungen mit einem konkreten Beispiel zumindest relativieren möchte. Richtig ist nämlich, dass es keiner großen Überredungskunst bedurfte, meine Idee verwirklichen zu dürfen; tatsächlich finden Regisseure oft Gefallen an „Statements“. Einer Forderung, textilarm aufzutreten, war ich allerdings zu keinem Zeitpunkt ausgesetzt – das ursprüngliche Konzept sah keine Entkleidung vor!

    Dass ich mich nicht komplett entblößen wollte, hatte übrigens pragmatische Gründe: völlig nackte Darstellern werden vom Zuschauer viel zu oft sehr „privat“ wahrgenommen – die Kongruenz von Darsteller und Rolle spaltet sich dabei schlimmstenfalls in ein Nebeneinander auf, und jeder beabsichtigte „Effekt“ verpufft.

    Interessant war allerdings, dass tatsächlich publikumsseitig die Vermutung geäußert wurde, ich sei aufgrund meiner halbwegs präsentablen Physis für diese Rolle ausgewählt worden – eine Unterstellung, die auch in diesem Thread wiederholt so oder ähnlich thematisiert wurde. Korrekt allerdings ist: ich hatte als Ensemblemitglied dieses mittleren deutschen Staatstheaters schlicht den passenden Fachvertrag. Meine Physis spielte bestenfalls für mich eine Rolle: kann und will ich mich selbst so weit exhibitionieren? Dazu kommt, dass der Gesangsvorgang rein technisch kein Schlankmacher sein kann: dem läuft schon der Atmungsprozess zuwider. Letztlich ringen da Scham, Eitelkeit und Ausdrucksbedürfnis miteinander…

    Damit komme ich zum Schluss – und zur Essenz meines Beitrags: wieso wird eigentlich im Zusammenhang mit körperlicher Nacktheit so wenig über die unbedingte Notwendigkeit emotionaler Nacktheit auf der Bühne gesprochen? Niemand kann etwas spielen, das komplett außerhalb seiner selbst liegt; was auch immer dargestellt wird, muss in der eigenen Persönlichkeit gefunden werden. Diese Form des Exhibitionismus (die möglicherweise nicht die Regel, ganz sicher aber das Ideal darstellt) spielt anscheinend nur eine Nebenrolle in dieser Diskussion; stattdessen erwächst dem textilfreien Auftritt in der Publikumswahrnehmung eine Bedeutung, die nach meiner Einschätzung überhöht ist!

  • Meiner Meinung nach sollte das Nackigsein in der Oper aber nicht zur Gewohnheit werden ...


    Das ist individuell zu sehen, je nachdem, mit welchen "Pfunden" Mann/frau wuchern kann :thumbup:

    Viel bedenklicher finde ich, dass (gemäss Thread-Titel) Sänger auch Innen gecastet werden...

    Grüsse von Sotka

  • ich hatte mich hier ursprünglich einmal ungefähr zum Gründungszeitpunkt des Forums angemeldet, kann mich aber an meine Log-In-Daten nicht mehr erinnern. Außerdem war ich ohnehin weitestgehend „passives“ Mitglied, das sich auf’s Lesen beschränkte. Ungeachtet dessen glaube ich, einige Mitglieder noch von „gesang.de“ zu ‚kennen’ – lange ist’s her…


    Hallo Tyler, ach wie schön, ja, lange ist es her, aus Gesang.de ist unsere Gruppe Di-Voce Gesangssolisten entstanden, ist nun 10 Jahre her und in der Tat sind einige aus dem damaligen Forum auch jetzt hier zu finden. :wink:

    viele Grüße von musica

  • Viel bedenklicher finde ich, dass (gemäss Thread-Titel) Sänger auch Innen gecastet werden...

    noch nie was vom inneren Casting gehört?
    das ist, wenn Du Deinen inneren Sänger castest... :hide:

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Bevor ich gleich wegen einer Threadenfremdung unangenehm auffalle: selbstverständlich entsinne ich mich an euch. Ob FairyQueen damals schon Fairy hieß, weiß ich nicht - aber auch an Sie kann mich mich gut erinnern, ebenso wie an Ulrica und einige andere (Severina, Vitellia....). Die Liste ist garantiert unvollständig; das ist der vergleichsweise frühen Stunde geschuldet, keiner bewussten Unhöflichkeit.


    Übrigens eine unterhaltsame sprachliche Beobachtung: hiermit gebe ich zu Protokoll, niemals von innen gecastet worden zu sein :boese: !

  • Das Binnen-i habe ich deswegen geschrieben, weil "Sängerinnen und Sänger" den Titel nur unnötig in die Länge gezogen hätte. Wenn ich nur "Sänger" oder "Sängerinnen" geschrieben hätte, wäre wieder die Frage gekommen, ob meine Frage nur für ein Geschlecht gilt. Deswegen mein "SängerInnen" als Kompromiss.

  • Damit komme ich zum Schluss – und zur Essenz meines Beitrags: wieso wird eigentlich im Zusammenhang mit körperlicher Nacktheit so wenig über die unbedingte Notwendigkeit emotionaler Nacktheit auf der Bühne gesprochen? Niemand kann etwas spielen, das komplett außerhalb seiner selbst liegt; was auch immer dargestellt wird, muss in der eigenen Persönlichkeit gefunden werden. Diese Form des Exhibitionismus (die möglicherweise nicht die Regel, ganz sicher aber das Ideal darstellt) spielt anscheinend nur eine Nebenrolle in dieser Diskussion; stattdessen erwächst dem textilfreien Auftritt in der Publikumswahrnehmung eine Bedeutung, die nach meiner Einschätzung überhöht ist!

    Hallo Tyler,

    deine Essenz hat mir aus der Seele gesprochen, auch wenn ich blutiger Laie in Sachen Operngesang bin.
    Es gibt für mich nichts Schöneres, als wenn ich den Eindruck habe, dass in einem mir zusagenden Inszenierungskonzept ein Sänger auch darstellerisch völlig in seiner Rolle aufgeht. Das ist für mich persönlich mindestens genauso wichtig, wie die rein sängerische Leistung, auch wenn das für viele an ein Sakrileg grenzen mag. Den seelischen Exhibitionismus, der dafür erforderlich ist, bewundere ich zutiefst.
    In diesem Zusammenhang eine Frage: wieweit hat ein Opernsänger Einfluss darauf, welche Rollen er überhaupt in sein Repertoire aufnimmt? Ist es üblich, bei dieser Auswahl schon zu berücksichtigen, ob man sich mit einer bestimmten Rolle identifizieren kann? Was/wieviel davon kann man lernen, was ist "Naturbegabung"? Welchen Raum nimmt die schauspielerische Ausbildung beim Opernsänger ein?
    Es würde mich freuen, wenn du (und andere Profis) noch mehr darüber erzählen würdest.

    VG, stiffelio

  • In diesem Zusammenhang eine Frage: wieweit hat ein Opernsänger Einfluss darauf, welche Rollen er überhaupt in sein Repertoire aufnimmt? Ist es üblich, bei dieser Auswahl schon zu berücksichtigen, ob man sich mit einer bestimmten Rolle identifizieren kann? Was/wieviel davon kann man lernen, was ist "Naturbegabung"? Welchen Raum nimmt die schauspielerische Ausbildung beim Opernsänger ein?
    Es würde mich freuen, wenn du (und andere Profis) noch mehr darüber erzählen würdest.

    VG, stiffelio

    Hallo Stiffelio,


    auf deine Frage nach dem Einfluss der Sängerinnen auf die Rollenauswahl gibt es eine ganze Reihe von denkbaren Antwortmöglichkeiten.

    1.1 Das Ensemblemitglied ohne so genannten Fachvertrag (= lyrischer Sopran, Heldenbariton etc.)

    Theoretisch sind hier die Einflussmöglichkeiten begrenzt: das Leitungsteam kann also beinahe besetzen, wie es möchte. Allerdings wird eine verantwortungsvolle Operndirektion (!) nicht an den Möglichkeiten einer Stimme vorbeibesetzen. Das erfordert selbstverständlich Sachkenntnis ebenso wie eine Spielplangestaltung, die Rücksicht nimmt sowohl auf die im Ensemble versammelten Stimmen als auch auf deren Einsatzdichte. Zuletzt spielt auch der finanzielle Spielraum eines Theaters eine nicht ganz unwichtige Rolle: kann nötigenfalls auf einen Gast zurückgegriffen werden (der selbstverständlich zusätzliche Kosten verursacht!)? Letzteres kann entlastend wirken, im blödesten Fall allerdings auch Chancen verbauen für diejenigen, die sich fest an ein Haus binden.

    1.2 Das Ensemblemitglied mit Fachvertrag

    Theoretisch sind mit einem Fachvertrag klarere Besetzungsdefinitionen verbunden, auch wenn mit dem üblichen Nachsatz "...und angrenzende Partien..." gerne ein wenig Nebel in diese klaren Aussichten gesprüht wird. Die Kriterien hier sind allerdings rein stimmlicher Natur - und können im Einzelfall durchaus auch problematisch sein: nicht alles, das einem bestimmten Fach zugerechnet wird, liegt auch jeder diesem Fach zugeordneten Stimme gleichermaßen gut in der Kehle. So habe ich selbst mich nur mit Mühe (und unter Inkaufnahme sinkender Wertschätzung) von der Pflicht befreien können, den "Faninal" plärren zu müssen. Deshalb kann es helfen, wenn nach Bekanntgabe des neuen Spielplans Rollen besprochen und vertraglich fixiert werden. (Vor dem Hintergrund der geschilderten Problematik bleibt ohnehin der Wert der so genannten "Fächer" diskussionswürdig; nach meiner Erfahrung aber überwiegen letztlich doch die Vorteile.)

    1.3 Besetzung aus dem Ensemble allgemein

    Grundsätzlich sollte sich ein kleineres bis mittleres Opernhaus bei der Spielplangestaltung an den zu Verfügung stehenden Stimmen orientieren - oder entsprechende Wechsel im Ensemble herbeiführen. Fakt ist allerdings, dass solche Überlegungen nur begrenzt eine relevante Rolle spielen. Im Idealfall kann ein Sänger natürlich das Glück haben, eine besonders hohe Wertschätzung zu erfahren - dann wird möglicherweise sogar eine auf die speziellen stimmlichen Anlagen fokussierte Oper angesetzt werden. Dem intensiven Bühnendarsteller wiederum kann es passieren, dass er ein wenig an seinen ureigensten stimmlichen Begabungen vorbei besetzt wird; Oberspielleiter neigen dazu, sich gelegentlich eine für ihre Belange günstige Besetzung zu basteln, die sängerisch vielleicht nicht gleichermaßen überzeugt. Live kann dieses Vorgehen dennoch erfolgreich verlaufen: dann nämlich, wenn dank Präsenz, gar Charisma stimmliche Probleme eines Sängers in den Hintergrund der Wahrnehmung treten. Auf der anderen Seite besteht hier die Gefahr für den Sänger, sich an einer ungünstigen Partie "zu verheben" (und das nicht notwendigerweise immer, weil sie zu dramatisch ist; auch das Gegenteil kann unangenehme Konsequenzen für die Stimme zeitigen.) Insgesamt kann man konstatieren, dass der Einflussnahme des Sängers auf die Besetzung enge Grenzen gesetzt sind. Das gilt aber nicht nur für das Ensemblemitglied - wie ich nachfolgend darstellen möchte.

    2.1 Der Gastsänger allgemein

    Gastiert wird ja nicht nur auf dem "Netrebko / Kaufmann / Gerhaher etc.-Niveau"; es gibt nicht wenige freiberuflich tätige Sänger, die sich nach der Decke strecken müssen - also dankbar sind für jedes Angebot. Das schränkt logischerweise die Wahlfreiheit nicht wenig ein, gilt es doch, die Existenz zu sichern. Da zwischen einem seriös zu verantwortenden Engagement und einem schädlichen zu unterscheiden ist problematisch, "Die Freiheit nehm' ich mir!" mithin ein sehr theoretischer Ansatz. Etwas leichter hat es da der gastierende Sänger, der gleichzeitig in einem festen Ensemble arbeitet. Sein Problem: bekommt er Urlaub? Außerdem könnte auch er versucht sein, um des Gastieren willens zu gastieren, denn (fast) kein Engagement währt ewig. Ansonsten gelten ähnliche "Regeln" wie die im ersten Teil benannten: wie hoch ist die Kompetenz der Engagierenden - und was genau suchen sie? Natürlich ist ein Sänger im Idealfall ein gleichermaßen charismatischer Darsteller wie souveräner Musiker - und dazu noch gesegnet mit einem technisch gut geführten, wohlklingenden Instrument. De facto allerdings werden doch häufig auch leitungsseitig Kompromisse eingegangen - und sei es nur, weil kein klarer Konsens hergestellt wurde.

    2.2 Der "Starsänger"

    Endlich, so könnte man meinen, sind wir im schmalen Bereich der Wahlfreiheit angekommen - aber weit gefehlt. Ist der unbekanntere Sänger nämlich noch nicht nachhaltig schubladisiert, so droht seinem berühmten Kollegen die Kategorisierung. Wer Wagner singt, wird auch vor allem für Wagner gebucht! Dass es Ausnahmen von dieser Regel gibt, ist nicht zuletzt der Kassenwirkung mancher Sänger geschuldet - und der Bereitschaft mancher Verantwortlichen, gelegentlich doch über den Tellerrand hinauszublicken. Trotzdem ergeben sich auch auf dieser Ebene unangenehme Probleme: stimmliche Entwicklungen werden antizipiert, Verträge Jahre im Voraus abgeschlossen, ohne dass es Gewissheiten geben kann über die zukünftige Leistungsfähigkeit. Abgesehen davon geht es auch bei "Stars" letztlich um die berufliche Existenz; das von Gesangslehrern gerne empfohlene "Nein" kann sich nicht einmal eine Berühmtheit auf Dauer leisten. Im Idealfall ist ein Star so gefragt, dass er sich aus den Angeboten die Rosinen herauspicken kann. Dabei tut er gut daran, Karriereentwicklung, stimmliche Belastungsfähigkeit, privaten Freiraum und künstlerische Verbindungen gegeneinander abzuwägen. Viel Spaß!


    Meine Erläuterungen reißen letztlich die Probleme nur an, ohne echte Antworten geben zu können; im Positiven wie im Negativen gibt es in allen geschilderten Situationen Ausreißer. Vielleicht aber habe ich eine Ahnung vermittelt über den Einfluss des Sängers auf seine Besetzung. Dass ein Sänger gefragt wird, ob er sich mit einer Rolle "identifizieren" kann, scheint mir doch eher die Ausnahme - zumal ich "Identifikation" auch für etwas hoch gegriffen halte. Astrid Varnay hat den Prozess der szenischen Rollenanverwandlung ungefähr so beschrieben: probend wird "gefühlt", aufführend "gespielt"; eine professionelle Distanz ist unerlässlich. Die steht der von mir selbst geforderten seelischen Nacktheit keinesfalls im Wege - es gilt, diese in ein vorstellungsverträgliches Format zu überführen, das das Publikum bewegt, nicht (mehr) den Sänger!

    Nach meiner Erfahrung ist die Überzeugungskraft einer Darstellung von zwei Faktoren abhängig: einerseits dem handwerklichen Können, andererseits der persönlichen Begabung. Natürlich sind Menschen im Vorteil, die auf der Bühne zur Extrovertiertheit neigen (nicht wenige davon sind privat in weitaus geringerem Maße Rampensäue). Auf der anderen Seite bedarf es auch grundlegender Kenntnisse über die Darstellung (simples Beispiel: der Laie spielt den Betrunkenen sinnlos schwankend, der Profi weiß um die Anstrengung des Betrunkenen, eben nicht völlig kontrollfrei zu torkeln - und stellt ihn entsprechend dar). Wie der Einzelne das Handwerkszeug erlernt, ist für den Zuschauer am Ende gleichgültig. An Hochschulen gibt es natürlich Kurse zum Thema; ich persönlich erachte dennoch die Bühne als den besten Lehrmeister - idealerweise ergänzt durch gute Regisseure, die das Augenmerk auf scheinbar Unwichtiges zu lenken imstande sind. Ein begabter Darsteller wird beispielsweise immer geleitet sein wollen von seinen Emotionen - und braucht vielleicht gelegentlich ein rein handwerkliches Korrektiv: was macht das Gefühl mit den Beinen? Wie führe ich meine Hände? Ist "viel Bewegung" immer viel Ausdruck?

  • Bevor ich gleich wegen einer Threadenfremdung unangenehm auffalle: selbstverständlich entsinne ich mich an euch. Ob FairyQueen damals schon Fairy hieß, weiß ich nicht - aber auch an Sie kann mich mich gut erinnern, ebenso wie an Ulrica und einige andere (Severina, Vitellia....). Die Liste ist garantiert unvollständig; das ist der vergleichsweise frühen Stunde geschuldet, keiner bewussten Unhöflichkeit.


    Übrigens eine unterhaltsame sprachliche Beobachtung: hiermit gebe ich zu Protokoll, niemals von innen gecastet worden zu sein :boese: !


    Kannst du mir mal weiterhelfen, unter welchem Namen du in Gesang.de warst? ?( Ist zwar OT, wage aber trotzdem die Frage.... :hide:

    viele Grüße von musica

  • An Hochschulen gibt es natürlich Kurse zum Thema; ich persönlich erachte dennoch die Bühne als den besten Lehrmeister

    interessant, sind Sänger eigentlich verpflichtet, solche Kurse zu belegen? Oder ist das ein freiwilliges Angebot?
    Wenn du von der Bühne als Lehrmeister sprichst - da kann der Sänger sich ja nicht selbst sehen. Braucht er dann nicht immer eine Rückmeldung vom Regisseur oder anderen Zuschauern? Oder funktioniert die Bühne auf irgendeine Weise "von selbst" als Lehrmeister?

    Wenn du an deine eigenen Rollen zurückdenkst - gab es da eine, bei der dich die schauspielerische Darstellung mehr gereizt hat als die stimmliche? Sorry, wenn ich hier ständig etwas auseinander dividiere, was eigentlich zusammen gehört. Mir ist es nur schon mehrmals passiert, dass ich dachte: "wow, das war aber eine tolle Rollengestaltung in dieser Szene" und dann ist mir im nachherein aufgefallen, dass der bewusste Darsteller in dieser Szene gar nicht oder nur ganz wenig gesungen hat.

    VG, stiffelio

  • Ich zäume das Ross mal von hinten auf...

    Das "Durchhalten" einer Rolle auch in Szenen, die tatsächlich oder auch nur scheinbar Anderen "gehören", ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, auch wenn man gelegentlich noch eines Schlechteren belehrt werden kann, wenn man Aufführungen beiwohnt. Hintergrund: 1. Teamwork - der oder die musikalisch Aktiveren benötigen einen (oder mehrere) Partner zur Interaktion; 2. Rollenentwicklung - nicht nur singend (bzw. sprechend) passiert etwas mit dem darzustellenden Charakter (schlichtes Beispiel: ein verborgen Lauschender erfährt Bedeutendes); 3. Rollenkohärenz - ein fortwährendes Ein- und Aussteigen aus der Partie während des Spielens stört nicht nur den Zuschauer empfindlich, sondern verhindert auch nachhaltig eine schlüssige Charakterisierung. Natürlich muss sich ein Sänger in solchen Momenten vor jedem "Overacting" hüten, aber dennoch unbedingt Präsenz zeigen - die Fähigkeit des Zuhörens ist für die Bühne unerlässlich.

    Gab es Rollen, die mich darstellerisch mehr gereizt haben als stimmlich? Ganz sicher! In einer Uraufführung musste ich mich den ganzen Abend an einer kompositionsseitig zu tiefen Tessitura abarbeiten. Das war unbequem, aber beabsichtigt, um dem Charakter keine allzu explizite Chance zur "heldenhaften" Charakterisierung über die Stimme zu geben. Ungeachtet dessen bot die Rolle so viel Futter, so viel Raum zur Interaktion auf der Bühne, dass der beschriebene Nachteil nicht ins Gewicht fiel. Gerne habe ich beispielsweise auch den "Don Sebastiano" in "Tiefland" gespielt, auch wenn ich stimmlich (aus mir letztlich nicht wirklich ersichtlichen Gründen) nur bedingt mit der Partie zurecht kam. Ähnliches kann ich über Giorgio Germont (La traviata) berichten: das Duett mit Violetta zu singen und zu spielen ist großartig - sängerisch stellte diese Rolle für mich immer eine Grenzpartie dar, weil sie den Darsteller im weiteren Verlauf noch konfrontiert mit der unbequemen Abfolge von Arie und nachfolgender Cabaletta. Bis heute allerdings werde ich den Verdacht nicht ganz los, dass hier eine ungünstige Kombination das Hauptproblem darstellte: einerseits liegt die Arie für mein Instrument durchaus nicht bequem. Vor allem aber habe ich sie immer als musikalisch etwas fad empfunden. Das ist ungerecht insofern, als Verdi die spießige Verbohrtheit (oder auch gesellschaftliche Konformität) der Vaterfigur hier in ein durchaus passendes musikalisches Gewand gießt.

    Zu den heutigen Ausbildungsstandards an deutschen Hochschulen kann ich nur bedingt Stellung beziehen, weil ich meine Kenntnisse aus Kollegengesprächen ziehen musste bzw. aus sehr überschaubaren eigenen Erfahrungen, die aus der zweiten Hälfte der 80er-Jahre datieren. Üblich ist wohl nach wie vor eine Art von "Opernschule" in den Ausbildungsinstituten. Dort werden kleine Szenen bis hin zu ganzen Opern bzw. musiktheatralischen Werken szenisch erarbeitet - idealerweise begleitet von Workshops zu verschiedenen grundlegenden Themen. Kenntnis habe ich beispielsweise von einer intensiven Unterrichtseinheit zum Thema "Subtext", bei der ich dem Regisseur und Dozenten aus der Sängerperspektive hätte assistieren sollen, um den Studierenden einen subjektiven Einblick in das Vorgehen zu gewähren. Leider zerschlug sich dieses Projekt, weil Termine kollidierten - schade angesichts der sich schon während der Vorbereitungen abzeichnenden Vielschichtigkeit! (Persönlicher Einwurf: ich selbst halte die Arbeit mit Subtexten für eine der hilfreichsten Methoden, um sich einer Bühnenfigur anzunähern, weil Gesagtes / Gesungenes auf diesem Wege mit Gedachtem bzw. Gefühltem unterfüttert wird.)

    Die Bühne ist natürlich ein Abstraktum - sie kann niemals aktiv lehren. Was sie leistet, ist Bewusstmachung - und sei es anfangs nur im Sinne des Aufzeigens eigener Grenzen. Gleichzeitig zwingt sie zur Interaktion - in Soloszenen zur Interaktion mit einer Situation bzw. einem emotionalen Zustand, der ausgedrückt werden will, im Ensemble zum Spiel mit den Partnern. Letzteres kann allein schon deshalb hilfreich sein, weil man nur so erfahren kann, wie wichtig (und hilfreich) Aktion und Reaktion im Bühnengeschehen sind. Ein quasi autistisch agierender Kollege wird dabei recht schnell als problematische Hypothek erkannt - und sorgt damit im besten Fall für eine bedeutende Selbsterkenntnis. Auch die Notwendigkeit des aktiven Zuhörens (s.o.) kann nur in der praktischen Situation erspürt werden, so sinnvoll jede theoretische Vorbereitung auch sein mag. Weitere zentrale Faktoren sind die Entwicklung eines Gespürs für das Timing von Bühnenabläufen, der souveräne Umgang mit Requisiten und - mit zunehmender Erfahrung - die Fähigkeit, spontan, situativ und improvisierend mit unerwarteten Ereignissen umzugehen. Vor allem aber geht es auch schlicht darum, die Freude am szenisch-darstellerischen Ausdruck zu entwickeln und zu fördern, gefühlte Grenzen auch einmal zu überschreiten und sich selbst und seine Körperlichkeit als kraftvolles Ausdrucksmedium zu begreifen. Das alles ist insofern idealerweise schon vor dem Beginn der professionellen Laufbahn in Grundzügen angelegt, weil Regisseure heute in verstärktem Maße mit den Beiträgen ihrer Darsteller rechnen und arbeiten. Was sich ad hoc erst einmal wie eine Arbeitsverweigerung der Inszenierenden lesen mag, habe ich persönlich als besonders angenehm empfunden, weil es die Möglichkeit birgt, ein besonders persönliches und individuelles Rollenprofil zu entwickeln. Ich will aber ebenso wenig verhehlen, dass ich einige Jahre und nicht wenige Inszenierungen brauchte, um meinen Ausdruckswillen in ein funktionierendes Ausdrucksvermögen zu transformieren; dabei war die Bühne (und nur bedingt die Regie) aus den oben benannten Gründen mein bester Lehrmeister.

    Einmal editiert, zuletzt von Tyler (7. März 2014 um 10:06)

  • Hallo Tyler,

    vielen Dank für deine detailierte Antwort. Besonders interessant waren deine Andeutungen zum "Subtext" - magst du dazu noch mehr erzählen? Oder gibt es dazu schon einen anderen Thread, den ich bisher übersehen habe?

    Das alles ist insofern idealerweise schon vor dem Beginn der professionellen Laufbahn in Grundzügen angelegt, weil Regisseure heute in verstärktem Maße mit den Beiträgen ihrer Darsteller rechnen und arbeiten. Was sich ad hoc erst einmal wie eine Arbeitsverweigerung der Inszenierenden lesen mag, habe ich persönlich als besonders angenehm empfunden, weil es die Möglichkeit birgt, ein besonders persönliches und individuelles Rollenprofil zu entwickeln.


    Mit diesem Absatz hast du mir erneut aus dem Herzn gesprochen. Ich kann wie immer nur von meinem persönlichen, subjektivem Eindruck "von außen" sprechen, aber meine größte Hochachtung hat ein Regisseur dann, wenn er fähig ist, sein Konzept (auch) daran zu orientieren, was seine Akteure mit einbringen können. Das empfinde ich keineswegs als Arbeitsverweigerung, sondern als eine Form von Bescheidenheit (im Gegensatz zu Egozentrik), die in diesem Millieu vermutlich nur schwer gedeiht und doch so wichtig für das Ergebnis ist.

    VG, stiffelio

  • Weil das Thema "Subtext" letztlich doch nicht so recht zum Thema dieses Threads passen will, hier nur eine kurze bzw. verkürzte Darstellung.

    Situation: es klingelt an der Wohnungstür. Tür wird geöffnet; davor steht Frau Meier. Text: "Morgen, Frau Meier!"

    Subtextvariante 1: "Ich dreh' noch durch. Seitdem die im Haus wohnt, geht das übelste Gesindel hier ein und aus!"

    Subtextvariante 2: "Ist das nicht die neue Nachbarin aus dem 3. Stock?"

    Subtextvariante 3: "Wow, die ist ja sooo sexy. Und was sie heute wieder anhat - der reine Wahnsinnn!"

    Subtextvariante 4: "Die Schlampe traut sich was, bei mir zu klingeln!"

    etc.

    Jeder der Gedankengänge hat andere Auswirkungen darauf, wie das simple "Morgen, Frau Meier" gesprochen würde - wobei auch ein Bemühen um größtmögliche Sachlichkeit eine weitere Ausdrucksmöglichkeit in dieser Situation darstellt. In letzter Konsequenz ist es also der Subtext, der dieser schlichten Begrüßung ihre Farbe verleiht.

    Korrekt ist allerdings auch, dass es keine Beliebigkeit geben kann: Äußerungen stehen in Kontexten, die abgeklopft werden müssen. Trotzdem ist es erstaunlich, wie viel "Platz" dennoch bleibt für Interpretation auch bei genauer musikalischer Analyse und Textexegese. Ein simples Beispiel: "E Susanna non vien" (aus dem Rezitativ vor dem 'Dove sono' der Contessa - Le nozze di Figaro): viel Spaß beim Entwickeln von Subtexten für diese 4 Worte.

    Eine andere Variante ist der Entwurf von Vorgeschichten bzw. Lebensläufen überall dort, wo eine solche Vita nicht oder nicht ausreichend im Textbuch niedergelegt ist. Der Begriff "Subtext" mag hier etwas fehlgehen, aber das Vorgehen beschreibt einen vergleichbaren Ansatz: Haltungen werden dadurch entwickelt, Charakterisierung und mithin auch Darstellung erleichtert.

    Ein von mir sehr geschätzter (inzwischen viel zu jung verstorbener) Regisseur beispielsweise nutzte die "Subtext-Methode" scheinbar brachial gerade für intuitionsschwächere bzw. darstellerisch nicht allzu expressive Kollegen, indem er sie gelegentlich mit passenden Subtexten für ihre Figur "vollquatschte", während sie auf der Probe agierten. Was erst einmal irritierend wirken kann, erzielte häufig weitaus mehr Effekt als ein oft doch arg theoretisches Aufdröseln von emotionalen Zuständen.

  • In einem Brief von 1905 an Ernst von Schuch, in dem es um die nahende Uraufführung der Salome geht, schreibt Richard Strauss über Marie Wittich, die die Salome singen soll, allerdings ständig Anstalten macht:


    Zitat

    Frau Wittich hat sich wohl im Sommer einen tüchtigen Bauch hergemästet. Schadet nichts. Stimme, Horatio, Stimme und wieder Stimme, alles andere ist Bauch. Entschuldigen Sie, dass ich so aufgekratzt bin, mich hat die ganze Nacht ein biederer Hotelfloh gebissen.

  • Spätestens dann dürfte dieses Hotel jeglichen Stern aberkannt bekommen haben.....

    Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren (Bert Brecht)

    ACHTUNG, hier spricht Käpt´n Niveau: WIR SINKEN!! :murg: (Postkartenspruch)

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