Igor Levit (geb. 1987) - ein zukünftiger Jahrhundertpianist?

  • Ich finde es immer am besten, wenn der Pianist vom Flügel aus das Orchester leitet - natürlich nur, wenn die Werkdimension es zulässt. Das gilt auf jeden Fall für die Mozart-Klavierkonzerte, wo ich das auf beglückende Weise mit Mitsuko Uchida und dem Mahler Chamber Orchestra mehrfach erlebt habe. Aber auch Beethoven kann man so noch ohne Kontrollverlust aufführen, wie Leif Ove Andsnes bei seiner "Beethoven Journey" (auch mit MCO) eindrucksvoll bewiesen hat. Es kann dann keine Unstimmigkeiten zwischen Dirigent und Pianist geben und alle ziehen an einem Strang. Das MCO ist m.E. für diese Aufführungspraxis auf Grund seiner kammermusikalischen Ausrichtung besonders prädestiniert.

    Natürlich ist das bei Brahms nicht mehr möglich...

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Chapeau! Die Aufnahme war mir nicht bekannt. Aber ist das nicht schon grenzwertig?

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • "Vexations"-Noten für Musikerhilfe verkauft

    Igor Levit hat die 840 Notenblätter seiner Aufführung von Eric Saties "Vexations" aus dem vergangenen Mai über das Internet für jeweils 100 Euro verkauft. Innerhalb von zwölf Stunden kam so ein Erlös von 84.000 Euro zusammen, der je zur Hälfte an FREO - Freie Ensembles und Orchester in Deutschland e.V. und den Nothilfefonds der Deutschen Orchesterstiftung geht. Hier äußert er sich im Telefoninterview zu der Aktion, zu seinen Beweggründen und in wohltuender Klarheit zur Realität freiberuflicher Musiker. Nicht ganz klar ist mir, wie es sein kann, dass in einer ersten Versteigerung des kompletten Notensatzes schon einmal 25.000 Euro eingenommen wurden, und dann die Blätter einzeln noch einmal verkauft wurden. Ich kann mir nur vorstellen, dass derjenige, der bei der Versteigerung den Zuschlag bekommen hat, anschließend dem Weiterverkauf für den guten Zweck zugestimmt hat.

  • Bumm, ich hab zwar von der Aktion gehört, aber überlesen, dass die für 100 Euro pro Stück weggegangen sind. Das ist tatsächlich eine eindrucksvolle Summe.

    Wenn ich F10 auf meinem Computer drücke, schweigt er. Wie passend...

  • Ich finde es immer am besten, wenn der Pianist vom Flügel aus das Orchester leitet - natürlich nur, wenn die Werkdimension es zulässt. Das gilt auf jeden Fall für die Mozart-Klavierkonzerte, wo ich das auf beglückende Weise mit Mitsuko Uchida und dem Mahler Chamber Orchestra mehrfach erlebt habe. Aber auch Beethoven kann man so noch ohne Kontrollverlust aufführen, wie Leif Ove Andsnes bei seiner "Beethoven Journey" (auch mit MCO) eindrucksvoll bewiesen hat. Es kann dann keine Unstimmigkeiten zwischen Dirigent und Pianist geben und alle ziehen an einem Strang. Das MCO ist m.E. für diese Aufführungspraxis auf Grund seiner kammermusikalischen Ausrichtung besonders prädestiniert.

    Natürlich ist das bei Brahms nicht mehr möglich...

    "Natürlich ist das bei Brahms nicht mehr möglich"

    Chapeau! Die Aufnahme war mir nicht bekannt. Aber ist das nicht schon grenzwertig?


    Zu diesem off topic fällt mir noch dieses Album ein:

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • CD-Kritik von Edwin in der Wiener Zeitung:

    https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/ku…-Stevenson.html

    Ich höre das Op. 87 auch gerade. Es gibt einige positive Überraschungen, finde ich.


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Ich höre das Op. 87 auch gerade. Es gibt einige positive Überraschungen, finde ich.

    Tolle Message :thumbup:
    Denn meine Löffel zogen sich letztes Jahr konvertierten Audio-String des Video-Strings von Schostis 24 Preludien & Fugen aus Hertha-City vom 27.03.20 (Pandemie-Solo-Konzert) rein. => in meinen Schosti-Stammkader feste eingebunkert, denn Schostis Tastenquäler-Mucke kommt da voll geil rüber.. Op87-Chose hatte Igor Levit ja schon länger am Wickel.. z.B. er spielte Komplett-Zyklus zu Vor-Pandemie-Zeiten auch in Hertha-City ...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Auch die (dritte) CD mit dem 85-minütigen Werk Passacaglia on DSCH (1960-63) von Ronald Stevenson (1928–2015) ist hörenswert und zu empfehlen.


    maticus

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    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
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    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • CD-Kritik von Edwin in der Wiener Zeitung

    Zitat von Edwin Baumgartner

    Und wie kaum ein anderer, spult Levit nicht einfach die Klavierschlachtrösser ab

    Wir reden hier über den Pianisten, der gerade landauf, landab in den Konzertsälen die 32 Beethoven-Sonaten gespielt hat? Und zuvor die Goldberg-Variationen und die Diabelli-Variationen?

    Klar, er spielt Rzewski, er spielt jetzt auch den Stevenson. Und er hat Saties Vexations gemacht. Aber - vorsichtig geschätzt - zumindest zwei Drittel des Repertoires von Levit besteht doch wohl gerade aus den sattsam bekannten Klavierschlachtrössern.

    Wenn wir über Pianistinnen und Pianisten sprechen, die Wege jenseits der üblichen Klavierschlachtrösser gehen, fallen mir Namen wie Jenny Lin, Marc-André Hamelin oder Piers Lane ein.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Levit - ein Pianist für die Schlachtrösser oder für Außenseiterrepertoirer?

    Ich glaube, das ist nicht Schwarz-Weiß.

    Die erste mir bekannte Aufnahme sind die fünf späten Beethoven-Sonaten. Kein Außenseiterrepertoire, aber eben auch nicht "Pathétique, Mondschein, Waldstein, Appassionata".
    Die "fünf späten" haben m. W. fast nur die aufs Medium gebracht, die alle 32 vorgelegt haben. (Koroliov mit 30-32 fällt mir als Gegenbeispiel ein.)

    Dann kamen die Goldbergs, die Diabellis und eben Rzewskis Monumentalwerk.
    Schlachtrösser? Weiß nicht. Rzewski (leider) schon mal gar nicht. Bei Horowitz, Gilels, Richter, Gavrilov, Berezovsky, Argerich, Pogorelich, Zimerman, Yuja Wang und anderen Schlachtross-Verdächtigen bin ich nicht sicher, ob sie die Goldbergs und die Diabellis eingespielt haben.

    Bach, Sechs Partiten? Naa, geh ... Weissenberg ist da eventuell der einzige nicht-Bach-Spezialist, der sie aufgenommen hat.

    Beethoven, alle 32 ... klar, kein unbekanntes Zeug. Aber wer hat wirklich alle 32 vorgelegt? Horowitz nicht, Richter nicht, Argerich nicht e tutti quanti.

    Also mMn doch ein interessanter Weg zwischen "Schlachtross" und "kaum bekannt". Bin gespannt, was noch kommt.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Lieber music lover,

    ich habe die Aussage Edwins ein wenig anders verstanden als Du. Hier nochmal etwas mehr im Kontext:

    Zitat von Edwin Baumgartner

    Und wie kaum ein anderer, spult Levit nicht einfach die Klavierschlachtrösser ab, sondern sucht nach Nischen und Querbeziehungen. Oft denkt er weniger als Virtuose denn als Musikdramaturg.

    Ich denke eher an das "einfach abspulen", was er nicht tue. Denn z. B. finde ich Schostakowitschs Op. 87 mit Eigenheiten gespielt, und nicht "einfach abgespult". (Ob das etwa bei seinem Beethoven-Zyklus auch so ist, kann ich nicht beurteilen, da ich nur die Einzel-CD mit den späten Sonaten habe.) Welcher junge Pianist würde nicht gerne Bach und Beethoven aufnehmen wollen? Und, das Op. 87 wird zwar heute (erfreulicherweise) immer öfter eingespielt, ist aber wohl längst noch nicht als Standardrepertoire zu betrachten. Zudem habe ich Levit live nicht nur mit Beethoven erlebt, sondern auch mit Rzewski, Schostakowitschs Sonaten 1 und 2, welche nun auch recht selten gespielt werden.

    Sicher, es mag unkonventionellere Kollegen und Kolleginnen von Levit geben. Aber dennoch finde ich an Edwins Aussage nichts wirklich beanstandenswert.


    maticus

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    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Die "fünf späten" haben m. W. fast nur die aufs Medium gebracht, die alle 32 vorgelegt haben. (Koroliov mit 30-32 fällt mir als Gegenbeispiel ein.)

    Was ist mit Pollini? Soweit ich weiss, fing er auch mit den späten Sonaten an. Den Zyklus hat er ja erst sehr viel später beendet. Oder irre ich mich?


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
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  • Igor Levit ist ein Pianist, der zu einem großen Teil Standardrepertoire aufführt (Bach, Beethoven, Brahms etc.). Also das, was fast alle anderen auch tun (selbst Lang Lang hat die Goldberg-Variationen eingespielt und vielfach im Konzertsaal aufgeführt). Levit zeichnet aus, dass er sich der Ochsentour von Saties "Vexations" unterzogen hat und Kompositionen wie "The people united will never be defeated" von Rzewski auf seine Programme setzt (ich habe ihn mit diesem Werk live in Hamburg gehört). Aber auch den Rzewski hat er keineswegs "erfunden" - viele andere Pianisten wie zuallererst natürlich Rzewski selbst, aber auch z.B. Marc-André Hamelin, Corey Hamm, Ursula Oppens, Daan Vandewalle, Emanuele Arciuli, Ralph van Raat und (übrigens ganz ausgezeichnet!) Christopher Hinterhuber spielten und spielen dieses Werk auf der Bühne und im Tonstudio. Jetzt widmet Levit sich Schostakowitschs op. 87, aber das haben zahlreiche Pianistinnen und Pianisten vor ihm auch getan. Deshalb ist bei Levit meiner Meinung nach repertoiremäßig alles im Rahmen dessen, was andere auch tun. Viele spielen im Wesentlichen Standardrepertoire, lassen hin und wieder aber auch mal einen Ligeti oder etwas anderes Zeitgenössisches in ihre Programme.

    Sicher, es mag unkonventionellere Kollegen und Kolleginnen von Levit geben.

    Genau das meine ich. Levit ist keineswegs ein Mann, der gegen den Strom schwimmt. Da fallen mir andere ein. Wenn man sich mal überlegt, wie unermüdlich Piers Lane unbekanntes Repertoire beackert und durch seine zahlreichen Aufnahmen und Konzertprogramme für uns hörbar macht! Piers Lane

    Zitat von Edwin Baumgartner

    sucht nach Nischen

    das kann man wahrlich sagen. Eine Jenny Lin macht eine Uraufführung nach der anderen, forscht aber auch ebenso unermüdlich nach vernachlässigtem Repertoire des vergangenen Jahrhunderts. Eusebius könnte uns einen ganzen Abend lang von Pianistinnen und Pianisten erzählen, die er beim "Raritäten der Klaviermusik"-Festival in Husum erlebt hat, immer auf der Suche nach unerschlossenem Repertoire. Verglichen mit diesen Künstlern macht Levit durchaus gelegentlich mal hochinteressante Sachen wie jetzt den Stevenson. Um dann aber weiter seinen Beethoven und seinen Bach zu spielen.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Corey Hamm, Ursula Oppens, Daan Vandewalle, Emanuele Arciuli, Ralph van Raat und (übrigens ganz ausgezeichnet!) Christopher Hinterhuber


    Oh ... ich gestehe ein, nicht einen von diesen Namen zu kennen - und diese mit Levit zu vergleichen, finde ich hochinteressant.

    Levit macht gelegentlich mal hochinteressante Sachen wie jetzt den Stevenson. Um dann wieder weiter seinen Beethoven und seinen Bach zu spielen.


    Tja. Andere Wunderpianisten koppeln Rach 3 hochoriginell mit Prokofieff 2. Oder gestalten einen Konzertabend mit Rachmaninow, Scriabin, Ligeti und Prokofieff und können sich dann sogar ein Etikett wie "setzt sich für Werke des 20. Jhds. ein" aufkleben.

    Ob Levit sagen (oder denken) würde, Bach oder Beethoven wären "seins", sei mal dahingestellt.

    Mir gefällt die Mischung, seine Wurzeln ausgiebig zu erforschen (Bach, Beethoven - und nicht nur die "Reißer" in deren künstlerischem Output) und dennoch das weniger Bekannte zu berücksichtigen. Sehr sympathisch.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Was ist mit Pollini? Soweit ich weiss, fing er auch mit den späten Sonaten an. Den Zyklus hat er ja erst sehr viel später beendet. Oder irre ich mich?

    Nein, Du irrst nicht.

    Gruß
    MB

    :wink:

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