Igor Levit (geb. 1987) - ein zukünftiger Jahrhundertpianist?
Der 1987 geborene russisch-deutsche Pianist Igor Levit scheint sich würdevoll einzuordnen in die kleine Schar sehr junger und hoch begabter Pianisten, zu denen man eine Lise de la Salle, einen Kit Armstrong, eine Yuja Wang und manch andere rechnen darf. Mit Mammutprogrammen von extremer Schwierigkeit hat er auf sich aufmerksam gemacht. Er gilt als zurückhaltend im Wesen, aber dennoch selbstbewusst - im besseren Sinne des Wortes. Offensichtlich zieht es ihn nicht so sehr zu Rachmaninows Elefanten oder Prokofieffs Tigern, sondern gleich zur Trias, nein, zum Quintett der letzten Beethoven-Sonaten. Als neuer Jahrhundertpianist wurde er bereits tituliert. Schade, dass das Jahrhundert noch so lang sein wird ... :wacko:
Dies ist bislang die erste (und meines Wissens einzige) (Doppel-)CD, welche er ganz allein bestritten hat:
Ich habe mir die Scheibe nicht zugelegt, zögere auch sehr, es zu tun. Die Kritiken bei Amazon sind vorwiegend voll des Lobes, eine erst unlängst erschienene Besprechung beim Rondo-Magazin schlägt einen anderen Ton an:
"http://www.rondomagazin.de/kritiken.php?kritiken_id=8494"
Warum habe ich den Thread eröffnet? (Vielleicht auch wegen Yuja Wang, die mich aufgrund des Parallel-Threads zu reizen beginnt ??)
Der wahre Grund ist, dass ich ein wenig ratlos bin und an anderen Meinungen interessiert.
Ich kenne Levit nur vom Rundfunk - und in erster Linie durch zwei Konzertübertragungen (einmal live, heute wohl nicht).
Vor etlichen Monaten zog mich das angekündigte Programm zu diesem offensichtlichen jungen Genie. Vor der Pause der Übertragung standen die zwar mittlerweile nicht mehr unbekannten, aber gewiss nicht zum pianistischen Alltag gehörenden Variationen über das Lied The People United Will Never Be Defeated von Frederic Rzewski - das heißt, eine runde Stunde technisch und musikalisch äußerst anspruchsvoller Musik. Nach der Pause standen Beethovens Diabelli-Variationen auf dem Programm. Soweit ich mich erinnere, hat Levit dieses gnadenlose Programm virtuos, kraftvoll und in jeder Hinsicht homogen bewältigt und mich in nicht geringes Erstaunen versetzt.
Vorhin hörte ich im Hessischen Rundfunk die Aufzeichnung eines nicht ganz so anstrengenden, im Übrigen keineswegs uninteressanten Programms aus London. Im Mittelpunkt standen Beethovens op. 109 - also auch eines der Werke, die er für seine erste Platte eingespielt hat - und zuletzt Prokofieffs berühmte Sonate, Nr. 7, op. 83. Dazwischen spielte der seit Langem in Deutschland ansässige Pianist Liedbearbeitungen nach Schubert.
Was soll man sagen? Ich war ziemlich enttäuscht. Gegen den weichen Klang, den Levit anzustreben scheint, wäre nichts einzuwenden, wenn dies nicht mit mangelnder dynamischer Abstufung einherginge, von manchen meines Erachtens unmotivierten Sforzandi ganz abgesehen. Beethoven werden hier manche Zähne gezogen. Von Gestaltungskraft würde ich nicht sprechen wollen. Das Ergebnis hat mich gelangweilt.
Auch Prokofieff erscheint zu gleichförmig, ohne Biss, im ersten Satz nicht einmal sonderlich virtuos. Das berühmte Precipitato wird schnell genug angegangen, Spannung entsteht nicht wirklich, und am Ende hatte ich angesichts des Blicks in die Noten das Gefühl, dass Levit den Zuhörern das nötige Futter für den begeisterten Applaus liefern wollte, ohne den Text allzu ernst zu nehmen. Gut - ein Unterschied zur Vergewaltigung dieser Sonate durch unseren überlangen Chinesen besteht schon.
Wolfgang