Konzerte aus der Provinz

  • Konzerte aus der Provinz

    Ich dachte mir, in diesem Thread werde ich von den ab und an von mir besuchten Konzert aus der vorpommerschen Provinz berichten (selten mal von Gastspielen meinerseits woanders).

    Do., 07.11.2013 Konzertkirche Neubrandenburg
    Neubrandenburger Philharmonie
    Dirigentin Romley Pfund
    3. Philharmonisches Konzert
    Gioacchino Rossini: Ouvertüre zur Oper "Die Italienerin in Algier",
    Johann Baptist Vanhal: Kontrabasskonzert D-Dur,
    Giovanni Bottessini: Variationen über die Arie "Nel cor piu non mi sento" aus Paisiellos Oper "La Molinara",
    Dmitri Schostakowitsch: 9. Sinfonie Es-Dur op. 70
    Solist: Michael Karg, Kontrabass

    Vanhals Kontrabasskonzert war für mich eine Premiere (und für meine Begleitung war es das erste Klassische Konzert überhaupt). Mal wieder haben wir den Altersdurchschnitt deutlich gesenkt. Wir saßen in der dritten Reihe vo vorn, aber da vor uns sonst niemand saß, war es quasi die erste Reihe. Das war eine interessante Perspektive, denn gerade beim Solistenkonzert und der Bottessini-Variation konnten wir wirklich jede einzelne Fingerbewegung des Solisten sehen, was mich wirklich fasziniert hat. Überhaupt war Michael Kargs Leistung sehr beeindruckend, er hat perfekt zwischen heftig und sanft variieren können.
    Die Rossini-Overtüre war zwar ungemein klar und sauber gespielt, mir fehlte dahinter aber ein bisschen der Pep, der Drive, alles ein bisschen zu zahm.
    Auf Schostakowitschs 9te hatte ich mich am meisten gefreut und wurde auch nicht enttäuscht, klasse ausbalanciert und emphatisch gespielt, es hat mich richtig weggetragen, so sehr, dass ich eine viertel Stunde vor Schluss in einen regelrechten "Hör-Flow" geraten, dass ich regelrecht aufgeschreckt bin als es plötztlich vorbei war.
    Auch meine begleitung bescheinigte, einen sehr schönen Abend gehabt zu haben und versicherte, gerne wieder einmal ein Klassisches Konzert zu besuchen.
    Was will man also mehr?

    Kleine außermusikalische Beobachtung : der etwas ältere Cellist, der einer der jüngeren Violinistinnen animierende Blicke in Richtung des Kontrabass-Solisten zuwarf, nach dem Motto : 'Na, wär der nicht was für dich?'

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Letzte Woche durfte ich ganz kurzfristig mal wieder ein Konzert besuchen :

    12.06.14, 19.30 Uhr, Konzertkirche Neubrandenburg

    Neubrandenburger Philharmonie

    Benjamin Britten: Simple Symphony
    Jean Sibelius: Violinkonzert d-Moll op. 47
    Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67

    Solistin:
    Azadeh Maghsoodi

    Dirigent:
    Stefan Malzew

    10 Minuten vor Beginn bekam ich die Nachricht, dass eine Karte für mich zurückgelegt worden sei, also habe ich mich flugs auf mein Fahrrad geschwungen und bin hingehetzt. Kam leider mitten in Brittens Simple Symphony an von der ich leider daswegen nur noch die letzten Takte mitbekam.
    Froh war ich aber vor allem, dass ich es rechtzeitig zum Violinkonzert ggeschafft hatte, weil es das Stück war, dass mich am meisten gereizt hat. Ich habe es noch nie live gehört. Es war denn auch ein großes Erlebnis für mich...wenn finnische Alkoholiker Musik schreiben, dann bebt die Seele. Die Solistin hatte zwar ein zwei Unsicherheiten drin, aber ansonsten hat sie mit sehr viel Herzblut gespielt. Das Timing war sehr gut und gerade im zweiten Satz fand ich sie wirklich ganz wunderbar.
    Nach dem Applaus hat sie dann noch eine kleine Weise aus ihrer iranischen Heimat gespielt, was mir auch gut gefallen hat.
    Nach der Pause dann beethoven...sehr kraftvoll, mit kernigem Tempo. Beim Hören wurde mir das erste Mal klar, wie diese Musik damals auf die Leute gewirkt haben muss, die derartiges nicht gewöhnt waren, das Revolutionäre an Beethoven eben.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Gestern mal kein Konzert, sondern Oper, genauer romantisch-komische Oper:

    Martha von Friedrich von Flotow

    im Landestheater Neustrelitz

    Musikalische Leitung Markus Baisch
    Chorleitung Dr. Gotthard Franke
    Dramaturgie Lür Jaenike
    mit Ryszard Kalus| Lena Kutzner| Anna Maistriau| Sebastian Naglatzki| Angelo Raciti| Mario Thomann |
    Opernchor des Landestheaters Neustrelitz, davon solistisch: Lothar Dreyer, Grit Kolpatzik, Markus Kopp, Barbara Legiehn, Hyoung-Jun Lim, Bernd Richert, Verena Schuster | Extrachor des Landestheaters
    Neubrandenburger Philharmonie
    INSZENIERUNG: Thomas M. Meyer
    BÜHNENBILD: Bernd Franke
    KOSTÜME: Renée Günther

    Ganz ehrlich, das wäre jetzt keine Oper gewesen auf deren Besuch ich ausdrücklich bestanden, noch mir gewünscht hätte. Es war eher eine spontane Einladung, die ich dann aber doch nicht ausschlug. Und da saß ich also nun.
    Ob es nun daran lag, dass man die Texte im Großen und Ganzen verstand und deren leicht angestaubte Attitüde mir deswegen so ausgetoßen ist, wer weiß. Vielleicht gibt es ja ein emanzipatorisches Element in dem Stück, vielleicht auch was Revolutionäres für die damalige Zeit, was freilich hinter netter Romantik und Drolligkeit versteckt wird. Mich hat es trotzdem nicht vom Hocker gehauen. Die Inszenierung und Regie hat dann auch keine Experimente gemacht und alles auch genau in dem Muff belassen. Kann man drüber streiten.
    Das Orchester hat großartig gespielt, die Sänger waren toll, hier besonders die Mezzosopranistin Lena Kutzner, die sowohl sängerisch als auch schauspielerisch für mich die herausragenste Gestalt war.
    Letztlich war das auch keine schlechte Musik, aber auf dem Weg nach Hause hatte ich das meiste davon eigentlich schon wieder vergessen und das obwohl es ja doch eindeutig auf Ohrwurmqualitäten getrimmt war. Das ist alles an mir vorbei gegangen.
    Ganz nett.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Amarcord in der St. Georgenkirche zu Eisenach

    Aus dem Thread zu den Konzerten in München hierher verschoben.
    Herzliche Grüße
    AlexanderK, Moderation

    Liebe Capriccio-Freunde, vor wenigen Stunden habe ich in der Georgenkirche zu Eisenach, am Taufstein Johann Sebastian Bachs, ein wunderbares Konzert erlebt. Die Gruppe Amarcord, als Amarcord plus verstärkt durch die Sopranistinnen Angelika Lenter und Susanne Langner, hat Werke gesungen von Johann Sebastian Bach (die Motetten "Lobet den Herrn alle Heiden" und "Jesu, meine Freude") und anderen Komponisten, die allesamt schon vor Johann Sebastian gestorben sind (Johann Christoph Bach +1703, Johann Michael Bach +1694, Heinrich Schütz +1672, Philipp Heinrich Erlebach +1714, Liebholdt +1726 und Johann Hermann Schein +1630). Mit diesem Konzert wurde das Bachfest Eisenach 2018 eröffnet.
    Der Eintritt war frei, denn ein ungenannter Sponsor hatte das Konzert finanziert, verbunden mit der Erwartung, dass die Spenden am Ausgang zur Finanzierung des Bachfestes dienen. Eine vollbesetzte Kirche bis zur dritten Empore, ohne dass Eintritt verlangt wird, das hat man sonst nur am Heiligabend. Und diese Musik war ein Geschenk des Himmels!
    Zwei Werke waren für mich köstliche Neuentdeckungen:
    1. "Da Jakob vollendet hatte" von Johann Hermann Schein mit mystisch anmutenden Sexten, die im Halbton-Abstand hin- und herwogen. Wenn man diese Stichworte (Titel und Komponist) bei Youtube eingibt, werden verschiedene gute Aufnahmen angezeigt.
    2. "Unser Leben währet siebenzig Jahr". Wenn man das eingibt, werden verschiedene Komponisten mit Vertonungen auf diesen Text (Psalm 90) angegeben, man muss sich dann den Johann Michael Bach heraussuchen. Die Aufnahme (Vox luminis 2012) hat wahrscheinlich jemand mit seinem Smartphone hergestellt, man hört Atmen und Hüsteln, doch selbst wenn das wegdenkt, liegen Welten zwischen dieser Interpretation und der heute erlebten kristallklaren Durchsichtigkeit. Da hört man noch die alte, von vielen älteren Menschen geliebte Bibelübersetzung "und wenn's köstlich gewesen ist, so ist's Mühe und Arbeit gewesen". Die Worte "Müh und Arbeit" werden mehrfach eintönig wiederholt, wie eben Arbeit manchmal stumpfsinnig ablaufen kann. Bei dem "denn es fähret schnell dahin" hören wir schnell trippelnde Achtel und bei dem "als flögen wir davon" geht ein Melodiebogen in die Höhe - und aus ist das Werk! Solch einen Schluss habe ich in der Alten Musik noch nie gehört. Ein Vogel fliegt oben zum Fenster hinaus - wie die Seele eines verstorbenen Menschen: der Rest ist Schweigen... So illustratorisch hätte das Johann Sebastian bestimmt nicht gemacht, aber es muss ja nicht immer J.S.B. sein...
    Die heutige Interpretation seiner Motette "Jesu, meine Freude" könnte man als Referenzobjekt für die Ewigkeit nehmen!
    Was ich auch ganz toll fand: Als eine Zugabe gefordert wurde, kam noch eine Komposition aus der großen Bach-Sippe. Man hat sich also verkniffen, irgendeinen modernen erfolgreichen Ohrwurm zu bringen. Der hätte dann vermutlich alle anderen gehörten Werke etwas zurückgesetzt, gleichwohl das Publikum ein sehr qualifiziertes war.
    Unterhaltsam war auch folgende Ansage: KMD Christian Stötzner, Leiter des hiesigen Bachchores und Intendant des Bachfestes, der Amarcord plus bei "Lobet den Herrn alle Heiden" am Continuo begleitete, war selbst einst Thomaner, und drei der Amarcord-Sänger haben Christian Stötzner noch als 1. Präfekten erlebt!
    Wer also die Chance hat, dieses Konzert irgendwo zu hören, sollte unbedingt hingehen! Herzlichst Wolfgang

    Auf dem Wege durch die Welt wirst auch du stets angebellt. Hör nicht hin, geh ruhig weiter, nimm das Lästern still in Kauf; denn dann hören deine Neider schon von selbst zu Kläffen auf! (Krylow)

  • EINTAUCHEN IN RÜCKERT-KLAVIERLIEDWELTEN

    Ein Rückert – Liederabend mit Julian Prégardien (Tenor) und Rudi Spring (Klavier) im Stadttheater Lindau, 29.10.2018, persönliche Eindrücke

    Wen aller hat der in mehr als 40 Sprachen bewandert gewesene Dichter, Sprachgelehrte, Übersetzer und Orientalist Friedrich Rückert, geboren 1788 in Schweinfurt, gestorben 1866 in Neuses, dazu inspiriert, seine Texte zu vertonen?

    Sicher fällt dem Musikinteressierten da sofort der der Welt abhandengekommene Gustav Mahler ein, auch Robert Schumanns Widmung und Franz Schuberts Du bist die Ruh basieren ja auf Rückert-Gedichten.

    Julian Prégardien und Rudi Spring (das Programm wurde 2016 von einem Münchner Veranstalter zum 150. Todesjahr Rückerts initiiert) bieten aber viel mehr als nur diese selbstverständlich auch im Konzert enthaltenen „Hits“.

    Sie fächern ein Kaleidoskop an Rückert-Vertonungen von Zeitgenossen des Dichters bis ins 21. Jahrhundert auf. Wir hören in klug und stimmig zusammengestellten Blöcken Klavierlieder von Robert und Clara Schumann, Franz Schubert, Rudi Spring, Gustav Mahler, Franz Liszt, Josephine Lang, Robert Franz, Hans Pfitzner, Robert Kahn, Bernhard Sekles und Carl Loewe.

    Rudi Spring bietet dazu kurze Komponistenporträts und Werkeinführungen mit all den Aspekten, die den meisten im vollbesetzten, hochgespannt konzentrierten Theater wohl weniger geläufig sind.

    Jedes Lied hat ja seinen eigenen Charakter, seine eigene Atmosphäre, seine eigene Stimmung, ob filigran verhalten, ob kämpferisch deklamierend, ob humoristisch pointiert. Mit dem hellen, herzerwärmend sympathisch für sich einnehmenden Tenor Julian Prégardiens und Rudi Springs hochkonzentriert hochmusikalisch vollendet mit dem Sänger abgestimmter je nach Lied feingliedriger bis vollgriffiger Klaviergestaltung durchleben wir allerlei Liedwelten, die staunen machen, Lust machen sich mehr mit all dem zu befassen und vor allem und zu allererst ganz spontan eins nach dem anderen zu Herzen gehen.

    Gestartet wird mit einen Schumann-Block und da wiederum mit dem „Top Hit“, Robert Schumanns Widmung aus den „Myrthen" op. 25 Nr. 1. Rudi Spring verweist darauf, dass der Liedtitel von Robert Schumann stammt. Aber schon die Nr. 25 daraus Aus den Östlichen Rosen und auch die Nr. 8 Flügel! Flügel! aus „Liebesfrühling" op. 37 wecken einmal mehr die Neugier, sich noch viel öfter und intensiver mit der großen Klavierliedwelt zu befassen, allein schon mit der der Schumann-Familie, denn auch Clara hat ja Klavierlieder komponiert. Wir erfahren, dass damals nur drei ihrer Rückert-Vertonungen gedruckt wurden, das vierte, im Konzert zu hören, musste auf das Jahr 1992 (!) warten, wiederentdeckt zu werden - Die gute Nacht (zum 8. Juni 1841).

    Rückert war, so erklärt Rudi Spring, 1818/19 in Wien. Franz Schubert hat dessen Gedichte wohl aus dem Freundeskreis erhalten. Insgesamt hat Schubert sechs Rückert-Gedichte vertont. Eine musikalische Offenbarung wird der nun folgende zunächst vier Lieder daraus umfassende Franz Schubert Block des Konzerts, die zerbrechliche Intensität von Schuberts Liedkunst derart fesselnd einfangend, dass das ohnedies schon extrem still sich konzentrierende Publikum noch gebannter lauscht – Sei mir gegrüßt op. 20 Nr. 1, Dass sie hier gewesen op. 59 Nr. 2, Greisengesang op. 60 Nr. 1 und (wohl doch manchem im Theater schon bekannt, sei es aus eigenen Gesangsstunden oder vom Hören her) Lachen und Weinen op. 59 Nr. 4.

    Rudi Springs 2016 komponiertes Rückert-Liederbuch, sein wie es der Untertitel charmant charakterisiert Kleiner Tenorzyklus op. 94 D, bringt Ausdruckslieder, rezitativisch, Stimmungen verdeutlichend, kleine große Liedwelten, aber erst, nachdem der Komponist die Texte gelesen hat (Gedichte laut lesen, vortragen - ist das nicht auch schon Musik für sich?) - Was auch in meinem Garten, Wolkengestaltender Lufthauch komm!, Träufle die glühenden Tränen herab, Nicht den Ostwind sollst du fragen und Ein Schmetterling umtanzte meine Kerze wurden zur Vertonung ausgewählt. Schön, dass sich Julian Prégardien hier auch für den Komponisten Rudi Spring so eindringlich einsetzt!

    Franz Schuberts Die Wallfahrt D 778 A, so Rudi Spring, wurde auch erst im 20. Jahrhundert entdeckt. Aus Gustav Mahlers „Kindertotenliedern" hören wir Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen, und das letzte der sechs Schubert/Rückert Lieder die es gibt und hier noch gefehlt hat wird zu einem ganz besonderen Höhepunkt, scheinen die Strophen doch immer intensiver wie Sonnenstrahlen aufzuleuchten - Du bist die Ruh op. 59 Nr. 3.

    Weitere Liedentdeckungen erfreuen bis erschüttern nach der Pause – zunächst Robert Schumanns Jasminenstrauch op. 27 Nr. 4, Franz Liszts oftmals jeweils anders sich gebendes Ich liebe dich und Das Paradies op. 25 Nr. 6 von Josephine Lang (1815-1880), einer aus München stammenden unter anderem von Felix Mendelssohn Bartholdy und Clara Schumann geförderten Komponistin, deren Liedbeitrag einmal mehr unterstreicht, dass es auch jenseits der bekannten Namen noch so unglaublich viel am Kunstliedsektor gibt, was kennenlernenswert ist.

    Drei Rückert-Lieder Mahlers bilden den nächsten Block, Blicke mir nicht in die Lieder, Ich atmet' einen linden Duft und schließlich doch auch das große, ewige Ich bin der Welt abhanden gekommen, mit dem so wunderbar fast bis ins Nichts weiterspielenden Klavier.

    Zum akustischen Hineinschnuppern in die Klavierliedwelten der Generationen nach Rückert werden wir mit dem nun folgenden Block neugierig gemacht auf das Liedschaffen von Robert Franz (1815-1892) mit Wiedersehen op. 51 Nr. 8, Hans Pfitzner (1869-1949) mit Warum sind deine Augen denn so nass? op. 3 Nr. 1, Robert Kahn (1865-1951) mit Obdach der Liebe op. 6 Nr. 5 und Bernhard Sekles (1872-1934) mit der Nr. 11 Begegnung aus dem „Schi-King" op. 15.

    Der letzte Block bringt überraschend echtes Entertainment, und wer bis dahin Carl Loewe (1796-1869) als ernsten Balladenkomponisten abgestempelt hat, wird umso humoristisch-komödiantischer infiziert - aus den Liederkreisen op. 62 hören wir Kind und Mädchen (Heft II, Nr. 5), Hinkende Jamben (Heft I, Nr. 5) und Irrlichter (Heft I, Nr. 6) sowie danach als „Smash Hit“ des Konzerts, ein veritabler Abräumer, Der Papagei, Loewes Ballade op. 111.

    Die erste Zugabe dieses informativen wie umfassend bereichernden und inspirierenden Klavierliedabends ist auch etwas selten Gehörtes, die deutsche Fassung einer Rückert-Vertonung Modest Mussorgskys, Der Wanderer. Und mit der zweiten Zugabe wird der Kreis zum Konzertbeginn geschlossen, mit Robert Schumanns Mein schöner Stern, letzte innige Konzertminuten nach mehr als eineinhalb Stunden Rückert-Textvielfalt in Klavierliedgestaltung, vorgestellt und vorgetragen auf höchstem Niveau.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Verdi 'Messa da Requiem' - Lüneburg, St. Michaelis

    Passend zum Totensonntag gab es in der St. Michaliskirche zu Lüneburg das Requiem von Verdi:

    Sabine Schneider, Sopran
    Julia Henning, Mezzosopran
    Martin Homrich, Tenor
    Daniel Grice, Bass

    Kantorei St. Michaelis
    Hamburger Camerata

    Henning Voss, Dirigent

    By the way - an der Partikularschule des St- Michaelisklosters lernte Johann Sebastian Bach von 1699-1702. Aber das nur nebenbei. ^^

    Die Konzert war bis auf wenige Randplätze ausverkauft. Wir saßen auf diesen Plätzen, hatte aber erstaunlicherweise einen sehr guten Blick auf die Solisten, die nämlich nicht zwischen Chor und Orchester postiert waren, sondern an einem der Pfeiler relativ frei im Raum. Das hatte wohl Auswirkungen auf die Akustik. Fast alle kamen recht spröde rüber und hatten Schwierigkeiten, sich in den Orchester- und Chorwogen zu behaupten. Einzig die eingesprungene Julia Henning überzeugte mich dabei nicht nur vokal, sondern v.a. auch von der Intensität ihres Gesanges her. Aber letztlich kann und möchte ich die anderen aufgrund der problematischen Aufstellung nicht beurteilen. Es wird seinen Grund haben, warum sie da standen, wo sie standen. Inwieweit es noch Raum auf dem Podium gegeben hätte, konnten wir von unseren Plätzen aus nicht sehen.

    Überrascht war ich von Chor und Orchester, vom hohen Niveau beider. Es ist nicht gerecht und auch durchaus arrogant, aber ich habe eben das Verdi Requiem in tollen Aufführungen in Hamburg, Venedig und Berlin erlebt. Und natürlich habe ich das, ob ich will oder nicht, im Hinterkopf, wenn es denn heißt: nun in Lüneburg, nun in der Provinz. Das ist gemein, das ist nicht fair, aber es ist halt in mir drin.

    Dabei habe ich immer wieder tolle Konzerte und Aufführungen gerade dort, in der Provinz, erlebt. Und genau das passierte heute auch wieder. Natürlich war das Dirigat objektiv nicht messbar an den erlebten, die Hamburger Camerata ist keine Berliner Staatskapelle, der Chor nicht vergleichbar mit dem aus dem Hamburger 'Michel'. Aber eigentlich geht es darum ja auch überhaupt nicht, auch wenn ich meinen Kopf immer wieder zunächst von diesen Vergleichen freimachen muss. Diese Aufführung war toll, weil alle Beteiligten ihr Bestes gegeben haben, weil sie mit Herzblut dabei waren, weil für sie diese Aufführung etwas Besonderes darstellte, gerade, was den Chor und den Dirigenten anging. Natürlich habe ich, verdorben auch durch CD-Einspielungen, die und die Stelle intensiver gehört, ergreifender, dramatischer, besser ausgespielt usw. So what. Hier gelten, hier müssen andere Maßstäbe gelten (was ich hoffentlich endlich auch mal in meinem Hinterkopf kapiere ;) ). Hier geht es nicht um Referenzaufführungen, hier geht es um Leidenschaft und Liebe zur Sache. Und das war da, bei allen Beteiligten und es kam vor allem auch rüber. Mich hat das Konzert sehr getroffen, sehr berührt und darum geht es ja schließlich.

    Und so verließen wir die Kirche. Berührt, getroffen, begeistert, versetzt in eine andere Welt. Vielleicht auch deshalb, weil sich dort Menschen trafen, die anderen Menschen mit aller Hingabe, mit all ihrem Wollen und Können ehrlich etwas erzählt haben. Und dafür bin ich sehr, sehr dankbar.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • So., 6. Oktober 2019: BRATISLAVA/PRESZBURG (Philharmonie): Antonín Dvořák, Stabat Mater

    Normalerweise schreib ich hier nur über Opern, aber das muss jetzt sein: Dvořáks Stabat Mater find ich ganz toll und jedenfalls besser als Rusalka und VIEL besser als die meisten Opern überhaupt.

    Die Qualität hat mir auch super gefallen, bei zwei Sängern (Gerhild Romberger und Peter Mikuláš, der heute super in Form war) frag ich mich schon, wieso sie so selten in Wien zu hören sind. Vida Miknevičiūtė und Maximilian Schmitt haben mir auch gut gefallen, ebenso das Orchester unter Juraj Valčuha und der Chor, aber mehr kann ich nicht sagen, da ich das Stück zuvor überhaupt nicht kannte. Insgesamt eines meiner besten heurigen Musikerlebnisse (wie auch der Christian-Gerhaher-Liederabend im Wiener Konzerthaus am 2. Oktober).

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • LPO / Jurowski / Rana: Prokofijew / Schostakowitsch (Dortmund, 13.12.2019)

    Wer heute in Stuttgart und morgen in Frankfurt noch nichts vorhat, sollte unbedingt das London Philharmonic Orchestra unter Vladimir Jurowski und mit Beatrice Rana anhören. Ein unglaubliches Konzert! Insbesondere die Interpretation von Schostakowitschs Sinfonie # 11 (Das Jahr 1905) hat mich gestern abend im Konzerthaus Dortmund völlig aus den Schuhen gehauen. Jurowski hat sich vor Beginn der Sinfonie, die den zweiten Teil des Programmes bildete, ungewöhnlicherweise mit einem recht langen persönlichen Statement an das Publikum adressiert und darin - neben einer "Triggerwarnung" für Zartbesaitete - insbesondere Schostakowitschs pessimistischen Blick auf den Gegenstand seines Werkes (die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1905 im russichen Zarenreich) wie auch von Aufständen insgesamt hervorgehoben.

    Ich habe selten eine Sinfonie so verwoben und durchdacht dirigiert erlebt. Infernalisch und doch stets kontrolliert. Eine titanenhafte Leistung der musikalischen Leitung, begleitet von einer abenteuerlich konzentrierten Orchesterleistung. Einfach Wahnsinn. Eines der besten Konzerte, die ich je gehört habe.

    Leider ging die tolle Beatrice Rana, die den ersten Teil des Abends mit Prokofijews Klavierkonzert # 3 gestaltete, im Nachhinein fast unter. Vor allem ihre Interpretation dieses Werkes war ebenfalls eine Meisterleistung; allerdings taten ihr die Londoner nicht immer gut und waren teilweise etwas übersteuert. In Stuttgart interpretiert sie heute wohl Tschaikowski, in Frankfurt morgen dann wieder Prokofijew.

    Wer kann, sollte sich diese Konzerte nicht entgehen lassen! :clap:


    PS: Kann jemand diesen Thread nicht mal in Konzerttelegramm 2019/20 umbenennen? Wir haben einen einigermaßen funktionierenden entsprechenden Opernthread; bei der überschaubaren Zahl an Konzertberichten hier ist imho nicht vonnöten diese nach Aufführungsort getrennt zu listen...

    ...auf Pfaden, die kein Sünder findet...

  • Schuberts Winterreise - Mertingen 09.02.2020

    Mertingen ist eine 4000 Einwohner-Gemeinde südlich von Donauwörth in Bayerisch-Schwaben.
    Es ist der Geburtsort des Bassisten Peter Lika, was dem dort ansässigen Kulturkreis den Impuls gab, um eine Konzertreihe auf die Wege zu bringen, die regelmäßig sowohl bekannte als auch junge Solisten einlädt.
    Die Konzerte finden in der Aula der dortigen Grundschule statt. Der vorhandene Bösendorfer ist nicht unbedingt das beste Instrument der Welt, aber die Akustik ist überraschend gut. Alle Feinheiten des Gesangs kommen sehr gut herüber, auch zum Sänger selbst, der beispielsweise hauchdünne pianissimi wagen kann.

    Gestern war trotz angekündigter Sabine die Aula für Schuberts Winterreise voll - und erfreulicherweise waren im sprichwörtlichen silbernen Meer viele dunklere Inseln bemerkbar.

    Baßbariton Jochen Kupfer hat sich mit dem Text der Winterreise gründlich auseinandergesetzt. Bekanntlich weicht der Text in Schuberts Handschrift an mehreren Stellen von Müllers Text ab. In einigen Fällen ist es klar ein Flüchtigkeitsfehler Schuberts ("hab lang und fest sie angeschaut" in Die Nebensonnen), anderswo ist es klar eine bewußte Änderung ("es schlafen die Menschen in Ihren Betten" in Im Dorfe - Müller: Die Menschen schnarchen in ihren Betten). In einigen Fällen ist es nicht so klar. Dort entscheidet sich Kupfer teilweise für Müller: Erstarrung - Mein Herz ist wie erfroren (Schubert: erstorben), Der Wegweiser - Weiser stehen auf den Straßen (Schubert: Wegen), teiweise für Schubert: Irrlicht - Unsre Freuden, unsre Leiden (Müller: Wehen).

    Auch über den musikalischen Text hat sich Kupfer Gedanken gemacht. Die üblichen Ausgaben für mittlere bzw. tiefe Stimme transponieren die Lieder so, daß sie für den jeweiligen Sänger in die Komfortzone kommen. Sie sitzen einfach gut in der Stimme. Dabei sind nicht nur die Tonartenverhältnisse zwischen den Liedern zerstört, der Charakter der Aussage ändert sich. In der Originalfassung (für hohe Stimme) sind die Lieder bei weitem nicht alle bequem für den Tenor. Und Schubert als Kenner der Stimme machte es nicht ohne Absicht. Kupfer singt nicht einfach die Ausgabe für tiefe Stimme; einige Lieder transponiert er zum Beispiel um einen Ton statt um eine Terz. Dies nicht, damit sie bei ihm besser sitzen, denn er muß hohe Noten mit Kopfstimme bewältigen und der Passaggio wird herausgefordert, aber es ist Teil seiner künstlerischen Aussage. Die Stimmgebung ist bei ihm Mittel des Ausdrucks. In Rast z.B. wird "der Rücken fühlte keine Last" mit einen anderen Stimmischung als "fühlst in der Still' erst deinen Wurm" gesungen. Das gleiche erfolgt in Die Post ("mein Herz, mein Herz" wird Ende der Strophe 4 anders gesungen als Ende der Strophe 2) und im allgemeinen in allen strophischen Wiederholungen. Man merkt hier, wie ein Opernsänger den Zyklus nicht "opernhaft" singt, sondern alle seinen stimmlichen Mittel bewußt einsetzt, um den Ausdruck zu gestalten. Dazu ist seine Aussprache klar - mit schönen klaren r - und die Phrasierung differenziert. Auch hier diktiert nicht der Atem die Länge der musikalischen Sätze, sondern der musikalische Ausdruck (der nicht immer mit der Prosodie gleich ist).

    Dies ist keine Winterreise der Extreme, auch keine manieristische Winterreise, sondern eine Winterreise mit vielen Schattierungen, die Bilder entstehen läßt. Der Lindenbaum erzählt von der Verführung des Todes, der Leiermann ist eine geistliche Erscheinung, vielleicht eine Fata Morgana (deshalb bleibt sein Teller immer leer, deshalb reagiert er nicht auf die Umwelt - hier zum Beispiel ergreifend das staccato auf "immer leer").

    Diese Bilder werden auch von Marcelo Amaral am Klavier erzeugt. Die Vorspiele und die Nachspiele sind Teil der Erzählung; gewisse musikalische Zellen geistern zwischen den Liedern herum. Die Phrasierung am Klavier ist auch eine erzählerische, keine rein strukturelle. Das Großartige dabei war, daß alle Feinheiten der Interpretation vom Sänger und vom Pianisten nicht als Darstellung eines Konzeptes herüberkamen, sondern wie aus Text und Musik entwachsen klangen.

    Ich habe mehrere Winterreisen live erlebt (meine allererste war mit Fischer-Dieskau und Brendel). Diese war eine der stärksten.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Hallo zusammen,

    im Rahmen der Konzertreihe Stadt.Land.Klassik! spielte die "Neue Philharmonie MV" gestern in meiner Heimatstadt Demmin.
    https://www.stadt-land-klassik.de/
    Das Programm unter der Leitung von Andreas Schulz:
    Rossini - Overtüre "Der Barbier von Sevilla"
    Schubert - Sinfonie Nr. 7 h-Moll
    von Weber - Klarinettenkonzert Nr. 2 Es-Dur, op.74
    van Beethoven - Sinfonie Nr. 1 C-Dur, op .21

    Besonders gespannt war ich auf das Klarinettenkonzert. Der Solist Ruben Staub begeisterte mit seinem einfühlsamen, virtuosen Spiel nicht nur mich. Der tosende Beifall nach seiner zweiten Zugabe wurde vom Moderator mit Bedauern (es war ziemlich kalt in der Kirche) zugunsten des nachfolgenden Programms unterbrochen. Der junge Künstler ist Absolvent der Hochschule für Musik Detmold und studiert seit 2017 an der Hochschule für Musik "Hans Eisler".

    Der Dirigent Andreas Schulz war mir vom Vorjahresprogramm noch in guter Erinnerung. Sein sehr feinsinniges Dirigat leitete das junge Orchester genauso überzeugend durch die fröhliche Overtüre des Barbiers wie durch den düster, bedrohlichen Beginn der "Unvollendeten".

    Das von Andreas Schulz ins Leben gerufene Projekt "Stadt. Land. Klassik!", ist ein grossartiger Beitrag klassische Musik einem breitem Publikum erlebbar zu machen.

    Liebe Grüße
    Maggie

    Wenn Einer kümmt un tau mi seggt, Ick mak dat allen Minschen recht, Dann segg ick: Leiwe Fründ, mit Gunst, O, liehr'n S' mi de swere Kunst. - Fritz Reuter

  • Edward Elgars „The Apostles“ in Aachen (07.03.2020)

    Typischerweise verbindet der deutsche Musikliebhaber mit dem Namen Edward Elgar unmittelbar dessen ersten „Pomp and Circumstance“-Marsch, in dessen Trio jene berühmte Melodie auftaucht, von der Elgar selbst meinte, es sei eine, die „die Leute umhauen“ werde. „Land of Hope and Glory“ lautet der später dieser Melodie hinzugefügte, mehr als nur nationalistisch umwehte Text von Arthur C. Benson, den auch viele „Last-Night-of-the-Proms”-erprobte Klassikhörer in Deutschland enthusiasmiert mitsingen können, wenn sich die die Notwendigkeit ergibt. Dass der Komponist Edward Elgar eine nicht unerhebliche Menge weiterer (und völlig anders gearteter) Vokalmusik hinterlassen hat, ist indes bei Weitem nicht so bekannt. Seit einigen Jahren erlebt zwar sein Oratorium „The Dream of Gerontius“, das 1900 uraufgeführt wurde, in deutschen Kirchen und Konzertsälen eine vorsichtige Renaissance. Die beiden vergleichbaren chorsymphonischen Großkompositionen, „The Apostles“ (1903) und „The Kingdom“ (1906), die Elgar im Anschluss an den „Gerontius“ komponiert hat, werden indes ausgesprochen selten aufgeführt. Sein Opus 49, das Oratorium „The Apostles“, erlebte nun, 117 Jahre nach seiner Erstaufführung in Birmingham, seine Premiere in Aachen.
    Der Aachener Bachverein und sein Leiter Georg Hage hatten zu diesem Ereignis in den Krönungssaal des Aachener Rathauses geladen. Es war nicht das erste Mal, dass sich Hage und der Aachener Bachverein dem Werk Elgars widmeten. Bereits 2016 hat man „The Dream of Gerontius“ und 2018 dann „The Kingdom” aufgeführt. Auch „The Apostles“ zur Aufführung zu bringen, war vor diesem Hintergrund folgerichtig, ja eigentlich geradezu zwingend notwendig. Um es vorab zu sagen: Diese Entscheidung war eine durchweg richtige.

    Es ist an diesem Abend im Aachener Rathaus – und das schreibe ich ohne einen Anflug von Schmeichelei – ohne Zweifel deutlich geworden, dass Hage und „sein“ Aachener Ensemble mittlerweile so etwas wie Spezialisten für das chorsymphonische Werk des Meisters aus Worcester geworden sind. Chorseits blieb da für den Hörer kaum ein Wunsch offen. Die Sängerinnen und Sänger des Aachener Bachvereins und des hinzugetretenen Kammerensembles BachVokal waren bestens präpariert und formten die umfangreichen Choranteile des Werkes mit der ganzen zur Verfügung stehenden Palette an Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten. Ob das nun die Mystik der ersten Takte des Prologs war („The Spirit of the Lord is upon me“), die Andersweltlichkeit des Engelschors („Alleluia“), die die Festigkeit im Glauben repräsentierende Konventionalität des Zwischenfinales („Turn you to the stronghold, ye prisoners of hope“) oder die schlicht unfassbar spannungsvollen Steigerungen in „Proclaim unto them that dwell on earth“ und dann noch einmal im Finale des Werkes, das vollends von einem göttlichen Rauschen durchflutet schien: alles gelang auf das Überzeugendste. Und das in den bekanntermaßen nicht idealen akustischen Verhältnissen des Krönungssaals, über die man sich an dieser Stelle sicher weidlich ergehen könnte, auch in Bezug auf deren Einfluss auf die Präsenz manch einer solistischen Passage. Aber warum Erbsen zählen? Am Ende ist zweifelsohne zu konstatieren, dass dies– und das ist es, was im Gedächtnis bleibt – eine Leistung war, wie sie auch einem jeden professionellen Chorensemble gut zu Gesicht gestanden hätte.

    Eine ausgesprochen glückliche Hand hat Georg Hage auch bei der Besetzung der sechs Solisten bewiesen. Dass alle Erfahrungen mit dem musikalischen Idiom Elgars mitbrachten, führte zu einer ausgesprochen erfreulichen klanglichen, aber auch interpretatorischen Homogenität des Sextetts. Tatsächlich lässt sich hier keine Leistung gegen eine andere absetzen, da alle Solistinnen und Solisten auf gleichmäßig hohem Niveau sangen.

    Nathalie de Montmollin gefiel aufgrund ihrer durchweg sicheren und bewegenden Gestaltung der Sopranpartie. Neben großer stimmlicher Strahl- und Durchschlagskraft war sie auch spielend in der Lage, die sehr zurückgenommenen, ja zarten Passagen ihrer Partie (ich denke beispielsweise an den Beginn „The voice of thy watchman!“) vorbildlich zu gestalten. Leider sorgte an einigen Stellen die – im Krönungssaal nicht zu umgehende – Positionierung der Solistinnen und Solisten hinter dem Orchester dafür, dass dem ein oder anderen Piano im Zuschauerbereich die wünschenswerte klangliche Präsenz verwehrt blieb.

    Mit einem ähnlichen Problem hatte ab und an Mezzosopranistin Marion Eckstein zu kämpfen, der (unter anderem) die Gestaltung der herausgehobenen Rolle der Maria Magdalena oblag. Diese gelang ihr ausgesprochen überzeugend. Ihre Fähigkeit zur packenden, ja emphatischen und hochdramatischen Darstellung erlaubte ihr einen durchweg erschütternden Entwurf dieser komplexen, zwischen Verzweiflung, Reue und Hoffnung oszillierenden Figur. Allerdings ergab sich aus dem herrlich dunklen Timbre und der Tessitur dieser Partie bisweilen auch das Problem, dass Passagen des Abschnittes „Im Turm von Magdala“ kurzfristig hinter dem Orchesterklang verschwanden. Leichter hatten es da die Herren, deren Partien insgesamt vorteilhafter gesetzt sind.

    Thomas Laske gestaltete mit elegant geführtem, aber in allen Lagen auch kraftvollen Bariton einen durchweg von seiner Göttlichkeit überzeugten und in dieser ruhenden Jesus. Dieser Jesus kennt keinen Zweifel an seiner Herkunft, seiner Aufgabe und seinem Ziel. Kein Wunder also, dass Elgar die letzten Worte („Eli, eli, lama sabachthani?“) zu Beginn des Abschnitts „Golgatha“ rein orchestral gesetzt hat. Laske folgte Elgars Anlage der Partie gleichsam ideal, sei es während der Bergpredigt, sei es in den der Himmelfahrt vorausgehenden letzten Worte Jesu an seine Apostel („I am with you always, even unto the end of the world.“).

    Die Partie des Petrus, die Elgar später in „The Kingdom“ ins Zentrum des Geschehens rückte, ist in „The Apostles“ überschaubar, sodass Bariton Ronan Collett – man muss sagen: leider – nur wenig Raum hatte, um mit seiner ebenfalls ausgesprochen für sich einnehmenden, kernigen Baritonstimme sowie seinen gestalterischen Fähigkeiten zu glänzen. An den Stellen, an den Petrus aus dem Tutti der Apostel heraustritt, beispielsweise in der Verleugnungsszene („In the Palace of the High Priest“), wurde deutlich, wie spannend es wäre, einmal Colletts Darstellung des Petrus in „The Kingdom“ zu erleben.

    Auch die Tenorpartie ist in „The Apostles“ eher überschaubar. Markus Schäfer fiel neben der Rolle des Johannes auch die Gestaltung einer Reihe von Szenen einleitenden oder die Handlung vorantreibenden Rezitativen zu, die von ihm durchweg höchst expressiv modelliert wurden („And it came to pass“).

    Ähnlich herausgehoben wie die Rolle der Maria Magdalena ist die des Judas, deren Interpretation an diesem Abend Reimund Nolte oblag. Es ist eine der komplexesten Figuren, die bei Elgar auftauchen. Das Bild, das Elgar von Judas zeichnet ist nicht das eines durch und durch verdorbenen Mannes, sondern eines solchen, der zweifelt und auf der Grundlage dieses Zweifels eine fatale Fehlentscheidung trifft, eine Fehlentscheidung, die ihn schlussendlich in den Selbstmord führt. Nolte, dessen dunkler Bass bestens zur Rolle passte, lotete die Abgründe dieser Figur nuancenreich und vor allem glaubwürdig und ohne jede Überzeichnung aus. Vor dem inneren Auge des Publikums gewann so die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit des biblischen Urverräters („My hope is like dust that is blown away with the wind“) eine herausragende Plastizität.

    Getragen wurde die Aufführung von dem hervorragend aufgestellten Sinfonieorchester Aachen. Es ist ja kein Geheimnis, dass dieser Klangkörper in der Klangwelt des spätromantischen Repertoires vollkommen zu Hause ist und sich entsprechend mit großer Selbstverständlichkeit durch die Musik der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bewegt. Was an diesem Abend jedoch neben der ungeheuren gestalterischen Kompetenz der Musikerinnen und Musiker aus Aachen herausstach, war, dass auch der spezielle Tonfall der Elgar’schen Musik, der oft als „typisch englisch“ beschrieben wird, ganz natürlich getroffen wurde. Dies gelingt nicht-englischen Orchestern nicht oft und schon gar nicht immer. Insofern fügte sich auch dieser Umstand nahtlos in den rundum positiven Eindruck, den das Konzert beim Rezensenten hinterlassen hat.

    Schließlich war es aber auch insbesondere Georg Hages Dirigat, das dafür sorgte, dass die Aachener Erstaufführung von „The Apostles“ dem Rezensenten noch lange in bester Erinnerung bleiben wird. Eine Reihe von Gründen liegt ganz offensichtlich auf der Hand. Hage hat sich in Elgars Klangwelt- und Klangsprache so intensiv eingearbeitet, dass da gestalterisch schlicht alles stimmt. Mit großer stilistischer Sicherheit – gerade auch in Bezug auf die vielen heiklen Übergänge des Werkes – führte Hage alle Ausführenden durch die weitgespannte Nuancen- und Farbenvielfalt dieser Partitur, die nicht selten wie Klang gewordene Historienmalerei wirkt. Es gibt nun Interpreten, die sich von dem Detailreichtum des Werkes dazu verleiten lassen, dessen tableauartige Struktur durchweg mit breitem Pinsel und eher getragenem Duktus anzugehen und diese so heillos überzubetonen, dass der dramatische Atem des Werkes, den es durchaus hat, gänzlich erstickt wird. An diesem Abend konnte das Publikum jedoch einen anderen Ansatz erleben. Georg Hage legte bei seiner Interpretation den Fokus auf die Erarbeitung einer sinnfälligen Gesamtbildes, auf die Herstellung der Balance zwischen der stringent darzustellenden dramatischen Handlungsebene des Werkes und jenen sich immer wieder aus dem musikalischen Fluss breit und mit einer gewissen Statik emporhebenden monumentalen Momenten und Passagen, in der sich der Komponist Elgar sich auf der Ebene der Musik in der Tat einer Überwältigungsästhetik bedient, wie sie Historienmalerei eben auszeichnet. Das entscheidende Stichwort hier ist und bleibt aber „Balance“. Wird diese nicht gehalten, dann mutiert das Werk schnell zu einem scheintoten Koloss. Es ist abschließend zu konstatieren, dass Georg Hage diesen Ansatz an diesem Abend in Aachen beispielhaft umsetzen konnte, sodass „The Apostles“ seine volle Wirkung, seine Kraft und seinen Zauber vollends entfalten konnte. Ein intensiveres Plädoyer für das Chorwerk Elgars kann es eigentlich nicht geben.

    :wink: Agravain

  • „Hauskonzert“ Lupe Larzabal und Aris Argiris – Bonn, 20. Juli

    Die Bonner (plus Umgebung) werden mich jetzt - nicht ganz unberechtigt - prügeln. Bonn ist natürlich (!) nicht Provinz. Aber ich wollte jetzt kein neues Thema eröffnen und einen besseren Platz für meinen Beitrag habe ich nicht gefunden (an Mods und Ads: bitte verschieben, wenn es einen thematisch sinnvolleren Platz gibt).

    Corona verbreitet nicht nur Angst und Schrecken, das Virus weckt auch Kreativität. Und ich spreche jetzt nicht von jenen Veranstaltern, die unter Ausnutzung aller legalen Nischen agieren; ich spreche auch nicht von jenen Konzertsälen oder Opernhäusern, die trotz aller Einschränkungen ihrem Publikum ein zumindest abgespecktes Programm bieten (und ich habe letzte Woche in München im Gärtnerplatrztheater eine wirklich sehens- wie hörenswerte Aufführung von Carl Orffs „Die Kluge“ erlebt, in der einige der besten Sänger des Hauses mitgewirkt haben). Ich spreche von jenen SängerInnen, die unter Nutzung der technischen Möglichkeiten ihr Können und ihre Fähigkeiten einem potentiell breiten Hörer- und Seherkreis präsentieren.
    Stefan Tanzer aus dem Volksopernchor und unter anderem bei den „Amici del Belcanto“ auch immer wieder solistisch zu erleben, hat Duette mit KollegInnen selbst über Staatsgrenzen hinaus gesungen (oder auch mit sich selbst im Duett) und in Facebook veröffentlicht. Ein paar dieser Videos hat auch der täglich erscheinende Online Merker (https://onlinemerker.com/) veröffentlicht. Ein vor allem in Deutschland nicht unbekannter Solist ist der in Griechenland geborene und in Bonn lebende Bariton Aris Argiris, der (wenn Corona es hoffentlich nicht verhindert) im November in der Volksoper in der konzertanten Serie von „Die Macht des Schicksals“ als Don Carlos zu erleben sein wird (diese Aufführungsserie ist vor allem deshalb interessant, weil - wenn schon in Deutsch - die legendäre Übersetzung von Franz Werfel gespielt werden soll). Nach einigen Gesprächen mit KollegInnen, Journalisten oder Musikwissenschaftlern und Einblicken in sein Rollenstudium hat er jetzt via Facebook und Youtube zu einem moderierten Hauskonzert ins AGORA artist studio in Bonn eingeladen. Eine Handvoll Gäste konnte diesem Konzert vor Ort beiwohnen; die Mehrheit der Interessenten folgten wie auch der Schreiber dieser Zeilen dem Auftritt im Netz.
    Jetzt ist die Klangqualität eines PC oder eines Laptop natürlich nicht mit der Qualität einer (auch nur mittelmäßigen) Stereoanlage vergleichbar und noch weniger mit dem Hörerlebnis in einem Konzertsaal oder Opernhaus. Was Aris Argiris an diesem Abend den Zusehern aber bot, war ein absolut hörenswerter Querschnitt durch seine musikalischen Interessen – Lied wie Oper. Die klanglichen Probleme nahm der Hörer da (sehr subjektiv gesehen) notgedrungen in Kauf.
    Eröffnet wurde dieses Hauskonzert von der argentinischen Altistin Lupe Larzabal mit je einem Lied von Mozart und Brahms. Aris Argis begann seinen Teil des Konzertes mit drei Liedern von Franz Schubert, gefolgt von Ravels „Don Quichotte“. Mit Ravel setzte dann auch Lupe Larzabal fort und beendete ihren durchaus hörenswerten Auftritt mit drei Liedern von Manuel de Falla.
    Ein Opernsänger wäre aber keiner, würde er bei so einem Konzert nicht seiner eigentlichen Profession frönen und nach der Qualität des Liedsängers Argiris auch die Kompetenz und Bandbreite des Opernsängers zumindest teilweise beweisen. Teilweise deshalb, weil er nur einen kleinen Ausschnitt seines Repertoires an diesem Abend präsentieren konnte. Wie gerne hätte ich etwa seinen Wotan gehört (den er erfolgreich in Chemnitz gesungen hat), aber sowohl die Arie aus Mozarts „Nozze di Figaro“ wie auch aus Verdis „Don Carlo“ machten Lust, den Sänger in diesen Opern komplett zu hören (und nicht zuletzt der Posa steigert die Erwartung auf die „Macht“ in der Volksoper und seinen Rigoletto am Gärtnerplatztheater werde ich mir vermutlich nochmals anhören). Den von einem sagenhaften Spitzenton gekrönten Abschluss bildete eine Szene aus Lortzings „Wildschütz“.
    Ein aufmerksamer Begleiter am Klavier war Peter Bortfeldt, der sich unter anderem mit einem Satz einer Beethoven Sonate, wie könnte es in diesem Jahr in Bonn auch anders sein, aber auch mit Musik aus Frankreich als Solist präsentieren konnte.

  • Die Bonner (plus Umgebung) werden mich jetzt - nicht ganz unberechtigt - prügeln.


    Naja, mit der Klassifizierung lebte sichs hier schon zu Regierungszeiten, wird also gnädig aufgenommen... ^^

    Daher nur ergänzend: Lupe Larzabal ist die Ehefrau von Aris Argiris. Und ihrerseits hierorts durchaus bekannt als Solistin, Lehrerin und Chorleiterin - besonders für südamerikanische Musikprojekte.

  • ''sommerliche Orgelkonzerte'' =>

    <= nie waren sie so wertvoll wie dies' Jahr, mir jedenfalls ...

    die traditionellen Mittwochskonzerte (an der hist. Regerorgel) in der Stadtkirche von Meiningen entfallen leider ersatzlos :S

    glücklicherweise statt finden die sommerlichen Orgelreihen in der Dreifaltigkeitskirche in Erlangen
    https://www.regioactive.de/konzert/sommer…7-29-f075SYGjH4

    sowie in der Kreuzkirche in Suhl http://www.kirchengemeinde-suhl.de/was-wir-machen…ler-orgelsommer
    und im Dom zu Fulda https://www.kultursommer-hessen.de/orgelsommer.html

    ER beginnt morgen, FD u. Suhl sind teilweise schon gewesen - aber man verliert schnell den Überblick hier in der Pampa :huh:

    FD/Dom bei Interesse einfach hinfahren und reingehen: dort dürfte no danger sein, dass man - coronabedingt - abgewiesen wird
    (dies' jedenfalls mein Eindruck, nachdem ich zum zweiten Konzert da gewesen bin!),
    ER sollte man sich wohl sicherheitshalber für anmelden
    - u. bzgl. Suhl (für ein, zwei Konzerte fahre ich vermutl. hin!) werde ich die Tage beim dortigen Kantor mal per mail anfragen ...

    :wink:

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • Mischa und Lily Maisky, Hitzacker 04.08.2021

    - Schubert: Sonate a-moll 'Arpeggione' D 821
    - Bloch: aus 'From Jewish Life'
    - Schostakowitsch: Adagio aus der Ballett-Suite 'The Limpid Stream'
    - Britten: Sonate C-Dur op. 65

    Mischa Maisky, Violoncello
    Lily Maisky, Klavier

    Warum auch immer das Konzert um 21.09 anfangen muss? Als ich die Karten bestellte, dachte ich an einen Termin im September und erst bei Andras Schiff am Sonntag, bei dem 14.02. stand, dämmerte es mir, dass die Sommerlichen Musiktage sicherlich nicht bis zum Februar andauern werden. :D

    Dafür, dass dieses Festival mit seiner 75-jährigen Geschichte eigentlich über ausreichend Erfahrung in der Organisation verfügen sollte, kam mir doch Manches recht amateurhaft vor. Keinerlei Hinweis auf den Eingang zum Veranstaltungsort, digitale Impfausweise wurden nur kurz überflogen, Eintrittskarten gar nicht kontrolliert (die Dame am Eingang schien absolut desinteressiert zu sein), Programmhefte waren vergriffen, wann man wo Masken tragen sollte, schien relativ unklar, das Kontaktbüro ist telefonisch während der Musiktage nicht erreichbar, die Platzverteilung im Saal erschloss sich mir überhaupt nicht. Nun ja, alles mehr oder weniger tragbar, aber immerhin handelt es sich um 'Hitzacker', ein durchaus renommiertes Kammermusikfestival.

    Heute also Maisky und Maisky, Vater und Tochter. Es war das zweite Konzert an diesem Abend und ich konnte die herausströmenden Besucher des ersten Konzertes beobachten (dachte ich da doch noch, dass das auch der Eingang wäre - weit gefehlt ^^ ). Generation 70+ zu 99%, beim 2. Konzert genauso. Was wird bloß einmal sein, wenn diese Generation weggestorben ist? Bricht dann eine ganze europäische Kulturtradition weg? Ich bin mir auch nicht sicher, ob die Zuschauer beider Konzerte zusammengenommen den Saal einmal vollständig gefüllt hätten. Und immerhin spielte Mischa Maisky!

    Vor gut dreißig Jahren habe ich ihn einmal live erlebt. Er spielte ein Haydn-Konzert zusammen mit Gerd Albrecht. Damals gefiel es mir überhaupt nicht, ich fand seinen Ton und seine Art des Spielens viel zu romantisch, zu voll, zu satt, fast ein wenig 'klebrig' für einen Haydn. Aber das ist eben schon lange, lange her und ich dachte, ich sollte meinen Eindruck einfach mal überprüfen.

    Hab ich dann auch und siehe, er stimmte immer noch. Jedenfalls beim Schubert, der mich wahnsinnig enttäuscht hat. Maisky hat einen wunderschönen, interessanten Klang, aber er war für mein Empfinden immer einen Tick zu massig, zu breit, zu schwer und v.a. auch zu dominierend. Seine Tochter schien dabei, bis auf wenige Passagen, fast überflüssig zu sein. Eigentlich hätte das auch eine Sonate für Cello solo sein können, so jedenfalls wirkte es über lange Strecken. Von daher rauschte der Schubert ziemlich an mir vorbei.

    Anders dann beim Bloch. Plötzlich waren es eher gleichberechtigte Partner, der Vater nahm sich durchaus zurück, das Klavier schaffte sich einen eigenen Raum. Aber vor allem war Mischa Maisky zu viel eher in seinem Element. Bei dieser Musik so schien es mir, kann er seine große Klasse voll ausspielen. Der volle, schöne Ton, aufgeladen mit einer Empfindsamkeit, einer Emotionalität, die wirklich berührt, die einen fesselt, die aber auch immer kurz davor zu sein scheint, zu viel zu geben. Aber diese Grenze hat er nicht überschritten. Und somit hätte ich den Bloch gerne sofort noch einmal gehört.

    Das ging natürlich nicht, denn es folgte der Schostakowitsch - der aber nicht folgte. Zunächst ohne Begründung, was einen schon ein wenig erstaunte. Stattdessen ging es kommentarlos zum Britten über und damit zum Höhepunkt des Abends. Ich kenne v.a. die wunderbare, sehr raffiniert klingende Aufnahme mit Rostropovich und Britten. Dies hier war nun ganz anders. Einmal mehr der volle, schwere Ton, die im Vergleich zu Britten recht schwere Dialogstimme des Klaviers. Und trotzdem war es beeindruckend, weil beide Solisten endlich miteinander in ein richtiges Gespräch traten. Viel derber zwar, aber mit großer Leidenschaft, großem Gefühl. Das wird nicht meine Lieblingsinterpretation, aber sie riss mit, sie war in diesem Augenblick die richtige.

    Danach eine Zugabe und dann erklärte er (wenn ich es richtig verstanden habe), warum er den Schostakowitsch nicht gespielt hat. Er hätte einfach nicht mehr gekonnt. Keine Frage, das ist völlig ok. Ganz im Gegenteil, ich finde es sehr anständig, so etwas zuzugeben.

    Danach noch eine Zugabe ('Die Lerche' - ist es Glinka, ist es Schostakowitsch - man konnte die Ansage akustisch nicht verstehen) und dann war Schluss. Mit Zugaben dauerte das Konzert 80 Minuten. Die Anfahrt dauerte schon länger, aber wir haben immer noch Corona-Zeiten. Zwei Konzerte an einem Abend, da muss man Abstriche machen, was ich auch völlig ok finde. Wäre allerdings das Weglassen des Schostakowitsch so völlig kommentarlos erfolgt, hätte ich mich schon geärgert.

    Geschluckt habe ich allerdings bei dem Konzert, dass ich eigentlich heute, am Donnerstag, dort hätte haben sollen. Das Auryn-Quartett war angekündigt. Letzten Sonntag drucke ich die Karten aus und sehe plötzlich, dass das Esmé-Quartett spielt. Wegen Erkrankung kann das Auryn-Quartett nicht auftreten. Kann passieren, aber, dass man nicht benachrichtigt wurde, fand ich schon seltsam. Nun also neue Künstler, ein völlig neues Programm und v.a. ein neuer Termin, nämlich 2 Stunden früher, was mich schon in einige Bedrängnis bringen würde. Wir beschlossen also, die Karten zurückzugeben, was aber laut Aufdruck nicht möglich ist. Also Anruf beim Festival, was aber auch nicht möglich ist (s.o.). Also Email, woraufhin am selben Tag (Sonntag) noch ein Rückruf erfolgte. Fand ich schon mal gut. Aussage, sie hätten der Firma, die die Tickets vertreibt, die Erlaubnis zum Storno gegeben. Also Email an betreffende Firma. Bislang nur eine Standartmail als Antwort (wegen Corona...überlastet...keine Zeit...würden sich melden). Nun bin ich mal gespannt, ob die Firma entsprechend der Anweisungen der Festspiele reagiert oder ob ich weiter Ärger habe. Immerhin geht es um 60,-€, die ich nicht so einfach in den Wind schreiben möchte.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Sir András Schiff, Hitzacker, 08.08.2021

    Schubert: Klaviersonate a-moll, D 845
    Schubert: Klaviersonate G-Dur, D 894

    Sir András Schiff, Klavier

    Im Programm wurde zusätzlich noch die Sonate D 850 angekündigt (nicht auf der Website), die dann aber nicht erklang. Aber auch so ging das Konzert mit einer Zugabe und jeweiliger Einführung gut 1,5 Stunden und immerhin war es schon das zweite, dass Schiff an diesem Tag spielte.

    Vielleicht lässt sich sein Spiel dieser doch sehr unterschiedlichen Werke am besten von der Zugabe her erklären. Es gab ein Stück von Bach und das war so ungemein 'normal' gespielt, also völlig unprätentiös, ganz schlicht, voller Liebe, ganz der Musik vertrauend und ihr lauschend. Und ebenso erklangen die beiden Schubert-Sonaten.

    Es gibt einige Pianisten, in deren Ton und Spiel ich mich beim ersten Live-Hören sofort verliebt habe. Schiff gehört definitiv nicht dazu. Weder was den Ton angeht, noch den individuellen Zugriff. Er ist kein Richter, dessen Interpretation ich um vieles spannender finde. Aber er ist dafür jemand, der Schubert mit seiner ganzen Liebe zu ihm spielt. Man spürt immer wieder dies und die große Bewunderung, auch das Erstaunen und das Glück. Beide Sonaten empfand ich nun nicht als Sternstunden der Interpretation (soweit ich das beurteilen kann), aber als einen beglückenden Moment der 'Normalität'. Es berührte, aber verstörte nicht, es bot alles, aber auch nicht mehr.

    Wenn man bei der Callas immer auf den Zehenspitzen vor Erregung steht, so war Schiff eher wie die Tebaldi. Die selben Noten und trotzdem so ganz anders. Keine existenzielle Bedrohung, kein Wandern am Abgrund, dafür aber Bestes auf höchstem Niveau.

    Ich möchte dieses Konzert nicht missen, alleine schon, weil ich einen unglaublich sympathischen Pianisten kennen lernen konnte, weil er mir die Größe Schuberts einmal mehr deutlich machte und weil er die Spannbreite zwischen Freude und Leid in seiner Musik herüberbrachte. Nicht unbedingt die zwischen Glück und Qual, aber das ist dann vielleicht etwas für andere Pianisten.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • "ensemble 1800berlin" in der Alten Brennerei Nettelbeck, 3.9.2022

    Das war mal ein Erlebnis: Beethoven in Arrangements von J.N.Hummel, der als Mozart-Schüler und Beethoven-bekannter quasi autorisiert war, diese Versionen für Klavier und (ad libitum) Flöte, Violine und Cello herzustellen. In der Ankündigung war nur von der 5.Symphonie die Rede, das weitere Programm war eine - für mich sehr positive - Überraschung: die 2.Symphonie, mit der das Konzert auch begann. Und nach einer relativ kurzen Eingewöhnungsphase, die sich vor allem darauf bezog, dass es schon ausgesprochene Pianisten-Arrangements sind, die der Herr Hummel da fabriziert hat, war das eine sehr mitreissende Darbietung. Das steht und fällt natürlich mit dem Pianisten, und der ließ auf seinem Graf-Flügel von 1830 auch keine Wünsche offen: gefühlvoll, mitreißend, mit ungemeiner Spielfreude agierten alle 4 Instrumentalisten, die Streicher auf Darmsaiten und mit kaum Vibrato, auch die Flötistin auf einem Instrument der Zeit.

    Besonders die 2. kam in der Besetzung wunderbar rüber, vom ersten bis zum letzten Satz. In der 5. im Finale haben mir dann doch teilweise die Posaunen gefehlt, da merkt man der Komposition doch an, wie sehr sie vom speziell Beethovenschen Orchestersatz getragen wird. Insgesamt eine großartige Veranstaltung im Rahmen der Klanglandschaft Prignitz, einer ziemlich frischen Konzertreihe hier im ländlichen Nirgendwo zwischen Berlin und Hamburg, für deren Organisation den Musikern Mira Lange und Martin Seemann sowie dem Kulturkombinat Perleberg ich von Herzen dankbar sein kann.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

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