Felix Mendelssohn - Klaviertrio Nr. 2 in c-Moll, op. 66
Auf Anregung von Capriccio-Kollegen Braccio möchte ich mich daran machen, mein absolutes Lieblingskammermusikwerk zu besprechen: Mendelssohns Klaviertrio in c-Moll, op. 66.
Das 1845 entstandene Trio steht etwas im Schatten des d-Moll Klaviertrios aus 1839, was allerdings bei der exorbitanten Zahl an Einspielungen heutzutage nicht mehr ins Gewicht fällt. Die Entstehung des Trios ist mit der schweren Erkrankung eines von Mendelssohns Kindern, demeineinhalbjährigen Felix, verknüpft. Zu allem Unglück lagen zu diesem Zeitpunkt auch alle anderen Mitglieder der Familie, inklusive dem Komponisten, mit einer schweren Grippe (oder ähnlichem) im Bett. Schließlich ging alles gut aus, denn sogar der kleine Felix wurde wieder gesund, was damals leider keine Selbstverständlichkeit war. Diese schwierige Zeit spiegelt sich ganz klar im Trio wieder, denn die Stimmung ist überwiegend düster oder gespannt (jedenfalls für Mendelssohns Verhältnisse), weicht aber schließlich frenetischem Jubel, oder besser frenetischem Dank. Mendelssohn, der ja bekanntlich ein sehr religiöser Mensch war, zelebriert in diesem Werk die Errettung seines Kindes. Die Mittel, die er dazu anwendet sind in der Kammermusik zu diesem Zeitpunkt neu, obwohl Beethovens Dankgesang aus op. 132 schon ein gewisses Vorbild sein könnte.
Das Werk gliedert sich, wie üblich, in vier Sätze:
I: Allegro energico e fuoco
II: Andante espressivo
III: Allegro molto quasi Presto
IV: Allegro appassionato
Die Tempoangaben verraten bereits den leidenschaftlichen Charakter des Werks, und zwar in einer Vehemenz, wie sie bei Mendelssohn recht selten ist.
Der erste Satz ist ein Sonatensatz mit einem sehr dramatischen, für Mendelssohn untypischen Thema, das ein wenig an Beethovens Coriolan erinnert. Leider fehlt mir die musikwissenschaftliche Fundierung, Details über diesen herrlichen Satz anführen zu können, aber die kontrapunktische Meisterschaft, gepaart mit dem resoluten Ausdruck, macht auf mich den Eindruck einer von Mendelssohns vollendetsten Schöpfungen. Die Dramatik des ersten Satzes symbolisiert für mich die Ängste und Sorgen jener Wochen, in denen das Werk entstand.
Der zweite Satz kann dem Typus „Lied ohne Worte“ zugeordnet werden, weist aber mMn mehr Tiefe auf als die meisten anderen Schöpfungen Mendelssohns in diesem Genre. Trotzdem ist leider gerade dieser Satz oft der Schwachpunkt bei diversen Interpretationen, da er zu gedankenlos und auf Schönklang getrimmt heruntergespult wird. Ich denke das Andante soll eine Art Bittgebet darstellen, denn er hat einen beschwörenden, eindringlichen Charakter. Das Gesangliche, sozusagen „Stimmliche“, ist jedenfalls hier ausgeprägter als im Andante des ersten Klavietrios.
Der dritte Satz wird oft als „typisches“ Mendelssohn-Scherzo in Begleitheftchen paraphrasiert. Ich frage mich, ob die Verfasser dieser Texte Tomaten auf den Ohren haben? Die Stimmung ist hektisch, angstvoll und drückt insgesamt das aus, was die Angelsachsen unter „anxiety“ verstehen. Der Duktus ist gnadenlos vorauseilend und das Dur-Trio wird vom Bass im Klavier quasi zu Tode gehetzt. Für mich ist dieser Satz jedenfalls bereits ein Vorbote des f-Moll Streichquartetts, wie überhaupt schon dieses Klaviertrio einer anderen Schaffensperiode zuzuordnen ist wie das erste Klaviertrio.
Der vierte Satz ist sicherlich der ungewöhnlichste und beeindruckendste des Werks. Formal ein Rondo integriert er in seiner Mitte einen Choral, der dann erklingt, wenn die Aufregung kaum mehr zu bändigen ist. Der Choral, der Ähnlichkeiten zum Kirchenlied „Vor Deinen Thron tret’ ich hiemit“ aufweist, wird zunächst vom Klavier intoniert, woraufhin die beiden Streicher zögerlich miteinstimmen, um dann mit voller Kraft gemeinsam loszusingen. Es ist genau diese Einbettung eines Chorals mitten in ein Kammermusikwerk, das eine Präzedenz darstellt und von vielen kritisch gesehen wurde – z.B. von Charles Rosen, der Mendelssohn deshalb zum Erfinder des „religiösen Kitsches in der Musik“ erklärte. Ich, jedenfalls, kann von solchem Kitsch gar nicht genug bekommen. Diesem religiös-feierlichen Abschnitt folgt eine Jubelcoda, die ihresgleichen Sucht. Der Jubel wird immer frenetischer, bis Mendelssohn ganz einfach Schluss macht – und zwar mit seiner Lieblingsformel, der fallenden Terz.
Einspielungen gibt es so viele, dass ich nicht auf alle eingehen kann (auch nicht auf alle, die ich selber habe). Einige Positiv-, ein Negativbeispiel und meine ultimative Empfehlung seien hier aber trotzdem genannt:
Positivbeispiele:
Ein absoluter Klassiker und kaum übertroffen. Alleine schon wegen der Einspielung des d-Moll Trios, meine persönliche Referenz, ein Muss. Einziger Wermutstropfen: das Andante ist etwas zu glatt gespielt.
Ungwöhnlich langsam, aber tiefempfunden.
Ähnlich wie das Altenberg Trio, aber einen Tick schneller.
Das russische Solistentrio spielt mit unglaublich schönem Ton und vollendeter Transparenz. Trotzdem leidenschaftlich.
Negativbeispiel:
Ich führe die Einspielung der Wanderer hier nur an, da gerade sie sehr oft gelobt wird. Das halte ich für ärgerlich, denn die Wanderer reduzieren das Werk auf das Virtuose und hetzen durch die Sätze. Das Andante wird völlig hohl und öde. Non, merci!
Die über allem stehende Interpretation und meine dringlichste Kaufempfehlung:
Besser geht es schlichtweg nicht! Wie die Florestans Leidenschaft, Vorwärtsdrang mit Nachdenklichkeit verbinden, ist für mich einmalig (ich habe immerhin 20 Aufnahmen dieses Werks). So schön ausgesungen kenne ich das Andante in keiner anderen Interpretation und so frentisch gejubelt wird sonst nirgends. Das Scherzo und der erste Satz sind ebenso bezwingend.