Heinrich Schütz - ein großer Meister trotz vieler Neuaufnahmen und angeblicher Renaissance völlig vergessen?!

  • Heinrich Schütz - ein großer Meister trotz vieler Neuaufnahmen und angeblicher Renaissance völlig vergessen?!

    Musikhistorisch ist seine Bedeutung unumstritten! Der größte deutsche Komponist vor Bach, aber auch im größeren Kontext einer der bedeutendsten Künstler der deutschen und europäischen Musikgeschichte. Man kann auch nicht sagen, dass man ihn aufnahmetechnisch gänzlich vernachlässigte, man spricht derzeit gar von einer Schütz-Renaissance und erst jüngst wies jemand auf die Gesamtaufnahme vom Carus-Verlag hin, wo auch die Gesamtausgabe seiner Werke erscheint. Dennoch hört ihn der Klassikliebhaber im Vergleich zu anderen (Monteverdi etc.) weniger bzw. gibt er das dann nicht zu. Von meinen Erfahrungen in einschlägigen Foren ausgehend, hält sich auch die Beschäftigung mit Heinrich Schütz in Grenzen. Woran das liegt? An der Verbindung von Wort und Musik, der Strenge, dem forschen Luthertum, der Rezeption, dem fehlenden medialen Hype? Ich habe keine Ahnung; denn mein persönlicher Zugang wurde erleichtert durch die räumliche Nähe meiner Heimat zu Bad Köstritz und meine Forschungen als Historiker zu Heinrich Posthumus Reuß, für den die Exequien geschrieben wurden. Ich bin praktisch die letzten 25 Jahre mit Schütz sozialisiert worden, habe verschiedene Konferenzen besucht und zu seinem historischen Umfeld gearbeitet, seine Werke in Geraer und anderen Kirchen gehört. Für mich bedeutet er selbstverständliches Glück und als Atheist und Freigeist sind die Exequien mein absolutes Lieblingsstück überhaupt, noch vor Bachs großen Werken oder denen Wagners.

  • Dennoch hört ihn der Klassikliebhaber im Vergleich zu anderen (Monteverdi etc.) weniger bzw. gibt er das dann nicht zu.


    Das finde ich zu pauschal. Schütz ist ein Eckpfeiler in der Evangelischen Kirchenmusik, seine Werke werden von Kirchenchören und Kantoreien laufauf, landab gesungen.

    Vom vierstimmigen Kantionalsatz bis zum anspruchsvollen doppelchörigen Werk, vom Choral bis zur vollständigen Passionsvertonung wird man zu ziemlich jeder Kirchenjahreszeit in Schütz' Gesamtwerk fündig. Kein Wunder, dass aus dieser Quelle reich geschöpft wird.

    Und was Klassikforen angeht: Zu Werken oder Themen, die zeitlich vor Bach und Händel angesiedelt sind, gibt es nunmal weniger Interessierte; und unter denen, die da sehr aktiv sind, finden sich eben auch solche, die vor allem an einem einzigen Werk oder einem einzigen Komponisten interessiert sind. Das verzerrt die Wahrnehmung zusätzlich.

    Ein zusätzliches "Problem" ist, dass es nur wenige Werke bei Schütz gibt, die als zusammenhängendes Stück sich so vom Gesamtschaffen herausheben wie etwa die "Exequien". Die frühen Madrigale, die Psalmen, die Symphoniae sacrae, die Geistliche Chormusik, der Schwanengesang sind eben alles Sammlungen von Einzelstücken. Die Passionen sind nicht unbedingt ein Hörgenuss. Vielleicht hat auch nur noch niemand die Musiksprache überzeugend genug wiedergegeben. Dies alles erschwert zum einen die Orientierung, zum anderen bietet es eben keine "Renner" wie eine Monteverdische Marienvesper, wie ein Vivaldisches Gloria,

    Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen meine ich dennoch, dass diejenigen, die überhaupt als Hörer oder Musiker in dieser Zeit unterwegs sind, sich regelmäßig mit Schütz befassen.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Schütz ist meinem Eindruck nach auch international der bekannteste und angesehenste Komponist seiner Generation, jedenfalls wenn man Monteverdi als eine Generation älter rechnet.
    Angesichts der Tatsache, dass das Oeuvre wesentlich aus deutschsprachiger geistlicher Musik besteht und aus der ersten Hälfte des 17. Jhds. außer eben Monteverdi (und wenn man vielleicht die noch älteren Byrd und Dowland zählen will) kaum Musik halbwegs "populär" ist, scheint mir der Bekanntheits und Verehrungsgrad Schütz nachvollziehbar, in protestantischen Gegenden ist er wohl sogar ziemlich hoch.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Mein lieber Yorick, mich überrascht deine Sichtweise gar nicht, denn ich als Spezialist der Alten Musik bin permanent damit konfrontiert. Die Alte Musik ist eine Nische. Über Schuberts D.959 oder Tschaikowskis Klavierkonzerte wird mehr geschrieben als über ganze Komponistenpersönlichkeiten wie Machaut, Dufay oder Gabrieli. Lediglich Bach und Händel sind die größeren Ausnahmen, wobei ich Bach sogar zum Trio der bekanntesten Klassikkomponisten (Bach, Mozart, Beethoven) zähle. Dagegen kann man nichts machen: die Mehrheit bevorzugt die späteren Epochen - fertig. Lamentieren über vergossene Milch... :S

    Wenn man sich vor Augen führt, wann Schütz gelebt hat und wer seine Zeitgenossen sind - nehmen wir einfach diese Auflistung als Richtwert: "https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Barockkomponisten" - , so fallen mir nur Claudio Monteverdi, Giovanni Gabrieli, Gregorio Allegri, John Dowland und Michael Praetorius ein, die dem Anfänger schnell zu Bewußtsein kommen (können). Und es ist nur Monteverdi, der Schütz an Bekanntheit übertrifft; die anderen liegen eher noch darunter.

    Nach Aufnahmen zu urteilen, ist Schütz zusammen mit Dowland und Gabrieli gleich auf; Allegri beschränkt sich auf sein Miserere, Praetorius auf viel Weihnachtsmusik (In dulci jubilo usw.). Nur Monteverdi hat sich zu einem bekannteren Komponist aus der Alten Musik verstärkt etabliert - alle anderen bezeichne ich - ja, ich der Spezialist! - weiterhin als Nische.

    Du fragst nach der Bedeutung? Da nenne ich (rein subjektiv natürlich... ;+) :( Machaut, Dufay, Desprez, Gabrieli, Monteverdi, Schütz, Bach, Händel. Und außen vorgelassen habe ich wirklich vorzügliche Komponisten wie Ockeghem, Tallis, Byrd, Gesualdo, Schein, Charpentier, Legrenzi usw. usf. ... Wo bleibt da die Relation?

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    Schütz hat sich eine gute Position erarbeitet, und das nicht erst seit zwanzig Jahren. Einige seine Werke hatte die Archiv Produktion bereits in den 1950er auf LPs gebannt, später kamen vereinzelte Aufnahmen von anderen Labels hinzu. Inzwischen ist sein Gesamtwerk fast komplett als CD erhältlich, in zum großen Teil vorzüglichen Einspielungen. Herreweghe, Rademann, Gardiner, Suzuki, Kuijken - viele der bekannten HIP-Spezis haben sich des Henricus Saggitarius angenommen. Kein Grund, Trübsal zu blasen.

    Schütz steht direkt in der Reihe hinter Monteverdi, was seine Bekanntheit betrifft. Das ist schon mehr Erfolg, als man erhoffen konnte. Immerhin gehört er in die Phase des Früh- und Hochbarock.


    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd


  • Das finde ich zu pauschal. Schütz ist ein Eckpfeiler in der Evangelischen Kirchenmusik, seine Werke werden von Kirchenchören und Kantoreien laufauf, landab gesungen.

    Diese Beobachtung ist sicher richtig, ich höre ihn ja zum Beispiel morgen in der Katholischen Kirche (sic!!!) Jenas!

    Und was Klassikforen angeht: Zu Werken oder Themen, die zeitlich vor Bach und Händel angesiedelt sind, gibt es nunmal weniger Interessierte; und unter denen, die da sehr aktiv sind, finden sich eben auch solche, die vor allem an einem einzigen Werk oder einem einzigen Komponisten interessiert sind. Das verzerrt die Wahrnehmung zusätzlich.

    Ja, Klassik versteht sich in den enstprechenden Foren also schon hauptverantwortlich als die Zeit von der ersten bis zur zweiten Wiener Schule, mit einzelnen Ausreißern bis zurück zu Bach. Das verstehe ich schon. Nur warum ist das so? Eine Frage der Rezeption, der Hörgewohnheiten, der gewandelten Frömmigkeit/ Spiritualität? Beethovens subjektivistischer Furor liegt uns näher als Schützscher Impetus?

    Ein zusätzliches "Problem" ist, dass es nur wenige Werke bei Schütz gibt, die als zusammenhängendes Stück sich so vom Gesamtschaffen herausheben wie etwa die "Exequien". Die frühen Madrigale, die Psalmen, die Symphoniae sacrae, die Geistliche Chormusik, der Schwanengesang sind eben alles Sammlungen von Einzelstücken. Die Passionen sind nicht unbedingt ein Hörgenuss. Vielleicht hat auch nur noch niemand die Musiksprache überzeugend genug wiedergegeben. Dies alles erschwert zum einen die Orientierung, zum anderen bietet es eben keine "Renner" wie eine Monteverdische Marienvesper, wie ein Vivaldisches Gloria,

    Ein interessanter Gedanke, so habe ich das noch gar nicht gesehen. Der zweite Teil des Absatzes aber weist auch ein wenig auf Fragen der, nennen wir sie mal Klangschönheit? Oder?

  • Schütz ist meinem Eindruck nach auch international der bekannteste und angesehenste Komponist seiner Generation, jedenfalls wenn man Monteverdi als eine Generation älter rechnet.
    Angesichts der Tatsache, dass das Oeuvre wesentlich aus deutschsprachiger geistlicher Musik besteht und aus der ersten Hälfte des 17. Jhds. außer eben Monteverdi (und wenn man vielleicht die noch älteren Byrd und Dowland zählen will) kaum Musik halbwegs "populär" ist, scheint mir der Bekanntheits und Verehrungsgrad Schütz nachvollziehbar, in protestantischen Gegenden ist er wohl sogar ziemlich hoch.


    In der Kirchenpraxis und überhaupt der protestantischen Kirchenmusik, ja; aber eben nicht bei der Masse der Klassikhörer.

    @JD

    Danke, da muss man, glaube ich, kaum etwas hinzufügen. Konzis dargelegt!

  • In der Kirchenpraxis und überhaupt der protestantischen Kirchenmusik, ja; aber eben nicht bei der Masse der Klassikhörer.


    Bei der Masse der Klassikhörer ist auch Monteverdi gar nicht so präsent, wie du das hier ausmalst: man kennt höchstens die Marienvesper, die eine oder die andere Oper, und Schluss. Die Masse kennt nichts von den Madrigalen, von den weiteren geistlichen Werken, usw. Und eine Reihe von bahnbrechenden Genies wird bis heute viel-viel weniger beachtet, wie gerade Schütz.

    Wo gibt es eine Gesamteinspielung der Werke Dufays? Nicht mal ansatzweise! Aber es gibt sogar auch keine Gesamteinspielung der Werke Monteverdis!

    Da ist also Schütz viel besser dran... Dass Schütz "völlig vergessen" wäre ist mächtig übertrieben.

    Da gibt es änliche Genies, die viel mehr vergessen sind.

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Man sollte vielleicht bedenken, daß Schütz in der Vorgeschichte der AM-Bewegung (Jugendbewegung) eine große Rolle spielte, sogar auch als kompositorisches Vorbild für Leute wie Hugo Distler. Das ging nun wiederum Leuten wie Adorno mächtig auf die Nerven. Vielleicht hat Schütz von daher ein etwas zwiespältiges Image, verglichen mit Monteverdi, Byrd, Sweelinck usw. Kann das im Moment aber nicht weiter konkretisieren.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Das ging nun wiederum Leuten wie Adorno mächtig auf die Nerven.

    Hat sich Adorno kritisch über Schütz geäußert? Da würde mich die Argumentation näher interessieren.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Da muß in dem Aufsatz "Zur Kritik des Musikanten" in den Dissonanzen etwas stehen. Ich finde das Buch aber im Moment nicht bei mir. Martin Geck referiert in einem Aufsatz über Schütz, Adorno habe Schütz als "rudimentäre Vorform von Bach" eingestuft, sowie ihmmangels "kompositorischen Formniveaus" authentische Kompositionen abgesprochen (Dissonanzen, S. 73, zit. nach Martin Geck: Eile mich, Gott zu erretten, in: Archiv für Musikwissenschaft, 1999, S. 1ff.). Es dürfte noch mehr dergleichen geben, woran ich mich aber nur vage erinnere.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Da muß in dem Aufsatz "Zur Kritik des Musikanten" in den Dissonanzen etwas stehen.

    Danke, liebe/r zabki! Demnach würde Adornos Ablehnung in das (früher wohl verbreitete) Vorurteil passen, vor J. S. Bach habe es keine wirklich bedeutende Musik gegeben. Aber ich vermute, Adorno hat da etwas differenzierter argumentiert. Werde ich vielleicht demnächst mal überprüfen.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Irgendwo gibt es noch eine Stelle, wo Adorno das Vorwiegen geistlicher Musik bei der Pflege vorbachischer Musik beklagt (das dürfte seinerzeit wesentlich "Schütz" bedeutet haben), und er die stärkere Beachtung weltlicher Musik empfiehlt. Ich fürchte aber, besonders gründliche Argumentation wird nicht zu finden sein.

    Grüße, zabki (= m, das Wort "zabki" ist aber Plural...)

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Die "Kritik des Musikanten" richtet sich meiner Erinnerung nach aber weit mehr gegen die "Bewegung" als gegen (vor-)barocke Musik. Adorno mag ja polemisch und einseitig gewesen sein, aber so dumm, dass er meinte, erst mit Bach habe die Musik so richtig angefangen, kann er unmöglich gewesen sein. Für die 2. Wiener Schule, besonders Webern, war ja die Renaissancepolyphonie (ein, zwei Generationen vor Schütz) durchaus relevant.

    Wie immer kann man auch nicht genug davor warnen zu meinen, polemische Schriften eines Professors hätten auf das breite Publikum einen Einfluss. Tschaikowskys 5. ist keinen Deut weniger populär, obwohl sie das explizite Objekt adornoscher Polemik gewesen ist. Wie Tamás schon schrieb, sind andere Komponisten der Schütz-Zeit noch weniger bekannt oder noch stärker auf Nischen beschränkt (Frescobaldi, Gabrieli u.a.).

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Man sollte vielleicht bedenken, daß Schütz in der Vorgeschichte der AM-Bewegung (Jugendbewegung) eine große Rolle spielte


    Hallo, zabki,

    was bedeutet eigentlich das Kürzel "AM" im Wort AM-Bewegung?

    Danke für Aufklärung!

    Normann

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Hallo, zabki,

    was bedeutet eigentlich das Kürzel "AM" im Wort AM-Bewegung?


    Ich bin zwar nicht zabki, aber ich kann mal versuchen, das zu erklären. AM bedeutet natürlich Alte Musik. In der Rezeptionsgeschichte der Alten Musik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt die AM-Bewegung (Jugendmusikbewegung, Bach-Bewegung, Orgel-Bewegung, Entstehung von Collegia Musica und verschiedenen anderen Einrichtungen) eine wichtige Rolle. Einige Namen, wie Fritz Neumeyer, August Wenzinger tauchen auch später wieder auf. Es gab auch eine Reihe von Institutionen, die sich mit Alter Musik und altem Instrumentarium beschäftigten. Übrig geblieben ist davon meines Wissens nur die Schola Cantorum Basiliensis und ihre Ableger.


    lg vom eifelplatz, Chris.

  • Wie ich schon schrieb, kann ich das Thema im Moment nicht recht weiter vertiefen, ich wollte einen Frage aufwerfen, keine Behauptung aufstellen. Sicher hat Adorno nicht direkt Einfluß aufs große Publikum, auf die Musiker selbst (die ja auch nicht im etabliertesten Teil des Musiklebens verwuzelt waren) aber eventuell doch. Und dann wäre "Adorno" ja auch als Exponent von Richtungen zu verstehen, nicht einfach als Einzelperson mit etwas komischen Anschauungen. - Wann für Adorno die Musik anfing, ist wohl auch nicht in einem Satz zu sagen - ich erinnere mich z.B. an eine Äußerung, daß ihn während des Studiums (Musikwissenschaft) der Hohn gepackt hätte, wenn angeblich expressive Wendungen von Josquin vorgeführt wurden. Ich wollte darauf hinaus, daß eventuell Schütz in den Vorläufern der heutigen Alte-Musik Bewegung vor dem 2.WK eine besonders große Rolle gespielt hat (darum mein Verweis auf Distler etc.), und daß er deshalb nach dem WK etwas ins Hintertreffen geraten sein könnte.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Jetzt habe ich die "Dissonanzen" doch gefunden, und kann die Zitate direkt der Quelle entnehmen:

    "[...] wenn einen Musikwissenschaftler als Musik, und nicht als Weideland zum Dissertieren, Schütz mehr fesselt als Wagner, so bezeugt das zunächst einmal elementare Unkenntnis kompositorischen Formniveaus" (S. 78)

    "Spitta und Riemann hatten noch ein Organ für die unermeßliche qualitative Differenz zwischen Bach und Zeitgenossen wie Telemann oder rudimentären Vorformen wie Schütz". (S. 78f.)

    "Telemann [war] kein Giotto und Schütz kein Piero della Francesca" (S. 79)

    Schütz wird als "Schutzpatron" der Jugendmusikbewegung bezeichnet (S. 94).

    "Spricht Richard Baum von denen, die an etwas ihre Freude hätten 'wie an Bach oder Schütz', so zeugt die Verkoppelung nicht allein von mangelnder kompositorischer Urteilskraft, sondern auch von mangelnder Distanz zm Vergangenen (s. 95).

    Seitenzahlen nach der Ausgabe in den Gsammelten Schriften, Bd. 14.

    (Ich finde ja die Koppelung von Telemann und Schütz auch ganz schön daneben).

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Vielen Dank für diese Zitate! Das hat Kater Murr wohl nicht glauben wollen ... ich übigens auch nicht ... unglaublich, was Adorno da schreibt ...

    Oder ist das Zeitgeist?

  • Lieber zabki, danke für die Zitate! Da ich den Zusammenhang nicht kenne, halte ich mich mit einer Bewertung zurück und habe mir stattdessen das Buch bestellt:

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

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