Songs der ArbeiterInnenbewegung und des Widerstands in Jazzinterpretationen
Ergänzend zu Peter Brixius Threaderöffung Lieder der Malochersoll es hier darum gehen, wie diese Lieder von JazzmusikerInnen verarbeitet wurden. Also hier, in diesem Thread, nicht um eigene, selbst komponierte Parteinahmen von JazzmusikerInnen,
Beides gab und gibt es gar nicht so wenig.
Ein erster Höhepunkt bilden die 30er Jahre in den USA. Es war die Hochzeit der US-Gewerkschaftsbewegung. Auf vielen Produkten stand damals, wie heute ein Umweltzertifikat, die Gewerkschaft x garantiert, dass dieses Produkt unter mit ihr ausgehandelten Bedingungen produziert worden ist, Vielerorts ließ sich damals anderes gar nicht verkaufen, wurde boykottiert und bestreikt. Bei einer sehr breiten Umfrage in den USA, 1934, gaben ein Drittel der Befragten an, sie wären für die Einführung des Sozialismus, ein weiteres Drittel stimmte der Antwortmöglichkeit zu, sie würden sich nicht prinzipiell dagegenstellen, sollte man vielleicht versuchen. Beachtenswert auch insofern, als die meisten Historiker der US-Arbeiterbewegung den Höhepunkt an Zustimmung für die ArbeiterInnenbewegung erst für 1938 ansetzen. Das gab Rückenwind für die 'Roosevelt-Linke', die politisch berücksichtigt werden mußte, in einigen Bundesstaaten auch für die Sozialistische Partei oder linkspopulistische Kandidaten. Auch die KP, SWP oder Workers Party gewannen erheblich an Mitgliedern, besonders unter Industriearbeitern und Intellektuellen. Musikalisch war es die Hochzeit der Swing Big Bands. In diesem Klima bildete sich so etwas heraus, was einige Jazzhistoriker die Swing Left genannt haben. Die Big Bands von Benny Goodman, Artie Shaw, der Dorsey Brothers, von Fletcher Henderson, Mary Lou William, Chick Webb, Duke Ellington, Fletcher Henderson, Lil Hardin und viele weitere, weniger bekannte traten viel auf Benefizkonzerten z.B. zur Unterstützung von Streiks, Union-Organising-Kampagnen oder von linken Kandidaten auf. Es wurden dabei nicht selten auch Songs mit Anspielungen, die man auch als Parteinahmen verstehen konnte gespielt und gesungen, manchmal aber auch direkte, selbst geschriebene Parteinamen oder Arrangement aus dem Fundus der US-ArbeiterInnenbewegung. Einen letzten kurzen Höhepunkt hatte das bei der unabhängigen Präsidentschaftkandidatur von Henry Wallace aus der Roosevelt-Linken gegen Truman nach dem Krieg. Die Wahlkampf- und Supportveranstaltungen wurden von der gesamten Swing-Left unterstützt, die da alle ihre Auftritte hatten. Aber einsetzender kalter Krieg ließ die Unterstützung in der US-Bevölerung für di Linke massiv sinken und dies fiel zusammen mit dem Ende der Hochzeit der 'Swing Ära'. Big Bands trugen sich ökonomisch immer schwieriger. Dies wurde verschärft durch den sehr langen Arbeitskampf in der Musikindustrie, als in den USA über ein Jahr keine regulären Plattenaufnahmen bei Majors gemacht werden konnten.
Das Problem jedoch für diesen Zeitraum, solche Vertonungen kamen wohl kaum auf Platte und wurden wohl auch nicht im Radio gespielt. Es muß also nach Notenmaterial von Arrangements im Nachlaß von Musikern oder nach privaten Tonaufzeichnungen und anderen Zeugnissen gesucht werden. Das ist aufwendig und als Forschungsfeld noch nahezu völlig Brachland. Zwar nahm noch 1947 das Mary Lou Williams Orchestra die Vertonung eines Langston Hughes Agitprop-Gedichts/-songs sogar auf Platte auf mit dem Titel "One more "S" for the USA" mit dem Refrain: "The land for the farmers, the plants for the workers and one more "S" for the USA" (- United Soviet States of America), aber das ist ein Rarissima.
Die 50er und 60er Jahre war dann auch für JazzmusikerInnen die Zeit der Bürgerrechtsbewegung gegen den institutionalisierten Rassismus in den USA. Es enstand eine Masse an musikalischen Parteinnahmen vor allem, aber nicht nur von afroamerikanischen MusikerInnen, besonders herausragen sicherlich die von Charles Mingus, Max Roach/Abbie Lincoln, Oscar Brown Jr., Nat Adderley, Duke Ellington und viele dieser werden bis heute weiterhin tradiert, kommen in Neuinterpretationen heraus oder es entstehen bis heute weiterhin Proteststücke in diesem Geist. Aber das wäre ein äußrst umfangreiches eigenes Thema für sich.
Bei weißen Amerikanern ist das die Zeit der Protest-Songs und der Folk-Bewegung. Hier wurden zwar auch Songs der US-ArbeiterInnenbewegung wiederentdeckt und tradiert, besonders von Pete Seeger und Woody Guthrie. Es wurde von dieser Seite auch die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung sehr unterstützt, man singt auch gemeinsam auf den Demos, auch aus dem Bestand der US-Protestsongs, von denen eben viele aus der ArbeiterInnenbewegung stammen, aber Spuren hat das im Jazz meines Wissens nicht hinterlassen.
Die Radikalisierung von Teilen der Bürgerechtsbewegung ab den späten 50ern machen jedoch die meisten afroamerikanischen MusikerInnen des Free Jazz und der Jazzavantgarde mit. Schließlich hinterlassen Vietnamkriegsbewegung, Studentenbewegung, anti-imperialistische Befreiungsbewegungen, Panafrikanismus alle ihre Spuren
im Jazz. Paris ist um 68/69 auch ein Zentrum der Jazzavantgarde. So hält sich z.B die Häfte des Gründerkreises des Chicagoer AACM um die Zeit in Paris auf und es enstehen die vielen Jazz- Festivals in Italien, aus Kreisen der PCI oder der radikalen Linken gegründet, die für auch die meisten US-JazzmusikerInnen des progressiven Jazz in den für sie ökonomisch besonders schwierigen 70ern zur wesentlichen Einnahmequelle werden. So entsteht eine breit geteilte Grundstimmung unter den MusikerInnen des Free Jazz und der Jazzavantgarde, die bis etwa in die frühen 80er anhält, dass Revolutionierung des Jazz, Kulturrevolution und politische und soziale Revolution zusammengehören. Von einigen aus diesen Kreisen wird sie bis heute geteilt und weitergegeben. Es sind jetzt vor allem europäische MusikerInnen der experimentellen Jazzspielarten, die sich im Zuge der größeren Unabhängigkeit gegenüber den us-amerikanischen Vorbildern, sich auch nach musikalischem Material in der Tradition ihrer eigenen Länder umschauen, dass sich jazzmäßig aneignen läßt. Wenn es sich mit der politischen Parteinahme in musikalischer Form verbinden läßt, um so besser. Bei der Neuen Musik-Nähe vieler dieser europäischen MusikerInnen wird man besonders bei Hanns Eisler und dem Brecht vertonenden Kurt Weill fündig. Das hinterläßt nicht nur in eigenen Kompositionen Spuren, sondern von ihren politischen, einstmals in der ArbeiterInnenbewegung verankerten Songs entstehen bis heute zahlreiche "Cover-Versionen" des Jazz. Das schwapt sogar in die USA über, wo Charlie Haden/Carla Bley mit dem Liberation Orchestra, gegründet, um Songs des Widerstands zu spielen, das "Einheitsfronlied" in einer Jazz-Version vertonen. Es bleibt auch nicht auf die USA, Westeuropa, Japan und Argentinien beschränkt. In der CSSR, Polen, Jugoslawien, der DDR und besonders den baltischen Ländern der SU wird Free Jazz als Ausdruck eines antibürokratischen Freiheitswillen verstanden und von vielen ProtagonistInnen als Kritik von Links an den bürokratischen Diktaturen. Auch hier wurden ab und an auch Lieder, die sich antibürokratisch verstehen lassen, aus dem Bestand der ArbeiterInnenbewegung ihrer Länder verarbeitet.
Natürlich waren auch JazzmusikerInnen nicht vor den Irrtümern ihrer Zeit gefeit. So wurde auch hier von vielen die chinesische Kulturrevolution als emanzipatorische Veranstaltung mißverstanden, statt als, jedenfalls dominierend, nur Benutzung der Massen im innerbürokratischen Machtkampf. Ich weiß gar nicht, wie viele Jazz-Elogen auf Mao und die chinesische Kulturrevolution ich habe, aber es sind sehr viele, darunter von Charlie Haden, Max Roach/Archie Shepp. Tiefpunkt in dieser Hinsicht wohl eine Ode auf Stalin von Robert Wyatt, der damals irgendeiner ML-Sekte angehörte, ähnlich wie Cornelius Cardew, der von der Neuen Musik zur Freien Improvisation kam und dann auch mit Free Jazzern zusammenspielte, aber auch Thälmann-Lieder schrieb.
Neben Arbeiterliedern im engeren Sinn wurde man fündig bei Rebel-Songs aus plebeischen Volkstraditionen, die oft auch in der ArbeiterInnenbewegung verbreitet waren oder Liedern aus Partisanenkämpfen, dem spanischen Bürgerkrieg, aus den Kämpfen in Lateinamerika, Liedern der Pariser Kommune, Songs aus dem Befreiungskampf in Südafrika, kritischen Chansons...
Jazzbearbeitungen von Arbeiterliedern wie von Songs solcher 'verbündeter' Bewegungen sollen hier vorgestellt werden können.
Aber bitte nicht nur Cover-Einstellungen! Es soll dabei auch die Bearbeitung und vielleicht noch ihr Kontext etwas vorgestellt werden. Mindestens müssen aber die Beteiligten und das Aufnahmejahr genannt werden!
Ich habe so einiges Spannende vorzustellen, werde dies aber nur ab und an machen können. Also ein langsam wachsendes Langzeitunternehmen.
Matthias