da gibt es wohl weder eine einfache Auskunft noch einen kurzen Punkt, der alles erklärt, höchstens mein subjektives Gefühl: der Bruch mit der Operette war à la longue sicher ein schleichender Prozess, der allerdings einen gewaltigen Schub erhielt, als die Nazis die jüdischen Künstler vertrieben und auch vor den besten und beliebtesten kaum Halt machten. Wer blieb, war nicht unbedingt erste Sahne und hat sich zuweilen sogar an Melodien der Exilanten bereichert, jedoch ohne deren Können und Erfahrung in der Verarbeitung. Ähnlich ging es den ausführenden Kümstlern, die mangels internationaler Auftritts- und Vergleichsmöglichkeiten zunehmend im eigenen Milieu eindampften, weil auch das Publikum keinen Vergleich mehr und bald auch ganz andere Sorgen hatte.
Seit längerer Zeit beschäftige ich mich mit dem Thema, aber es köchelte so vor sich hin. Ein Ausgangspunkt war für mich der Aufsatz von Kevin Clarke, der in der Frankfurter Zeitschrift für Musikwissenschaft (Jg 12 (2009), S. 16-95) unter dem Titel "DerWalzer erwacht - die Neger entfliehen" Erich wolfgang Korngaolds Operetten(bearbeitungen) von Eine Nacht in Venedig 1923 bis zur Stummen Serenade 1954
Ausgangspunkt sind die 20er Jahre. Die Operette orientierte sich am Broadway, die amerikanische Tanzmusik (im deutschsprachigen Raum "Jazz" genannt) nahm Einfluss auf das Geschehen. Kalmán machte den Anfang mit der Bajadere und dem Schlager Fräulein, bitte woll'n Sie Shimmy tanzen? (1921), es folgten Künnecke, Benatzky, Straus, Granichstaedten, Spoliansky, Weill und Abraham. Die Bajadere lief umgehend am Broadway (und an weiteren internationalen Spielstätten) wie weitere der erfolgreichen deutschen Operetten.
Die Aneignung der amerikanischen Tanzmusik führte dazu, dass Operetten verjazzt wurden.Erik Charell produzierte u.a. Mikado und Die lustige Witwe verjazzt, Haller brachte eine verjazzte Csardasürstin auf die Bühne. Die Richtungen, die sich entwickelten, waren die Revueoperette als avantgardistische, antirealistische Kitschkunst (Clarke, 21), die Tonfilmoperette, die Kabarettoperette und es bereitete sich die Mischung vor, die als Musical Erfolg haben sollte.
Die konservative Gegenbewegung, der auch Korngaold angehörte, suchte dagegen die Nähe zur Oper (etwa Lehar: Das Land des Lächelns). Lehar sah zwei große Gegner der Wiener Operette: die Revue und die "amerikanische Operette".
In dieses Spannungsfeld geriet Korngold, der sich 1923 der Operette zuwandte, in Gegenstellung zu der Jazz-Operette. Seine erste Arbeit war "Eine Nacht in Venedig". Zu der Neubearbeitung konnte man in der Neuen Freien Presse von Josef Reitler Folgendes lesen:
ZitatEs war höchste Zeit, dass man sich auch in der Operette auf sein besseres Ich besann. Längst war uns klar, dass der Tag wieder kommen müsse, daman wie im Zwange des Selbstverständlichen auf die leichte, geschmackvolle Heiterkeit früherer, besserer Zeiten zurückgreifen werde4, für die uns Johann Strauß ein zwingendes Symbol geworden ist. Wir meinen eine geistige Heiterkeit, die durch die Dekadenz, die beispiellose Geschmacksverirrung und Verwilderung der letzten Jahre immer mehr verschüttet wurde.
(zit. nach Clarke)
Die Kampfstellung gegen die "Negermusik" bedeutete eine Rückbesinnung auf den Walzer, die Strauß-Operette wurde einem krankhaften Internationalismus (wieder Reitler) gegenübergestellt. Der Simplizissimus titelte:
ZitatDer Jazzmusik wird heimgegeigt. Der Walzer erwacht - Die Neger entfliehen.
Als 1933 die Nazis eben diese Kulturpoltik allgemein umsetzen, bedeutet dies die Abkoppelung der deutschen Operettenszene von der internationalen Entwicklung ... und den Todesstoß für die damals noch lebendige Operette. In einem Folgebeitrag werde ich Korngolds Arbeit nach dem Aufsatz von Clarke zu skizzieren versuchen.
Liebe Grüße Peter