Konzerterfahrungen in München

  • FEUERWERK, ALPTRAUM UND SEELENDRAMA

    Zu einem von Semyon Bychkov dirigierten Abonnementkonzert der Münchner Philharmoniker in der Philharmonie am Gasteig, 21.4.2018, persönliche Eindrücke

    Die Vorderbühne ist freigeräumt für zwei Flügel und zwei Schlagwerkaufbauten – das Orchesterkonzert beginnt ungewöhnlich ohne Orchesterbeteiligung. Die Schwestern Katia und Marielle Labéque und die Percussionisten Raphaël Séguinier und Gonzalo Grau brennen sofort ein zündendes Leonard Bernstein West Side Story Feuerwerk ab, das den Saal gleich mitzureißen versteht. Die von Irwin Kostal zusammengestellten und arrangierten Tänze und Songs aus dem Musical gehen nicht als Medley direkt ineinander über, die Stücke folgen wie bei einer Suite aufeinander. Die wesentlichen Zugnummern des Werks zwischen rhythmischen Hits und opernhaft ausschwingenden Broadwayschlagern, vom Mambo über Maria bis zu America und Somewhere sind alle darin enthalten. Nach dem Prologue gibt es etwa gleich den Jet Song als Boogie Woogie, und auch den Dance at the Gym hört man rhythmisch neu akzentuiert als Rock Blues. Bei America geben die beiden Percussionisten, in den Bühnenvordergrund tretend, die Entertainer, und bei I Feel Pretty kokettiert einer von ihnen sich zuerst zur einen dann zur anderen setzend mit den beiden Pianistinnen. Als Zugabe gibt es ein Da Capo des America Hauptteils.

    Indirekter Leonard Bernstein-Bezug auch beim zweiten Werk, nach der Umbaupause nun doch auch mit Orchester geboten, Luciano Berios Bernstein zugeeigneter „Sinfonia“ für acht Stimmen und Orchester, die Bychkov ja erst vor ein paar Tagen auch in Dresden dirigiert hat. Vor allem der Stimmeneinsatz dieses Werks, das in den Sätzen 1 und 5 (damit eine Klammer spannend) vielfach Chorfloskeln über Orchestercluster setzt, vermag, ist man nicht darauf eingestellt, wegen seiner Unberechenbarkeit zunächst eher zu schockieren, mutet unheimlich an. Die klanglich vielschichtige Musik, gleichwohl hier im Konzert schillernd farbenreich geboten, hat die Wirkung eines lauten Alptraums, vor allem auch, weil sie nicht wie etwa dafür komponierte Filmmusik in einen Alptraum bewusst steuernd wirkt, sondern zutiefst authentisch. Die kürzeren Sätze 2 und 4 (die Klammer nach innen zu weiter spannend) kontrastieren mit irisierend flächigem, sphärisch wirkendem Chor mit blitzenden Klängen dazu. Eine ganz eigene Welt ist das! Das Zentrum des „Alptraums“ ist die vielschichtige Klang- und Chorcollage des 3. Satzes über den „Fischpredigt“-Satz aus Mahlers Zweiter Symphonie. Die fratzenhaften Schattengestalten, die der Mahler Hörer vielleicht schon ab dem Moll-„Bruder Jakob“ Satz der 1. Symphonie kennt und die bis zum schattenhaften Scherzo der 7. Symphonie und auch in den so gewollt „etwas täppischen“ Passagen der 9. Symphonie immer wieder auftauchen mögen, haben hier das Kommando vollständig übernommen, die Welt als Irrenhaus voller nicht einzuordnender vielschichtigster Klangeindrücke. Das Spannende dabei ist, dass die Musik gleichzeitig ständig überrascht bis schockiert, aber auch suggestiv anziehend wirkt, zumal in dieser perfekt aufgezogenen Konzertaufführung, getragen vor allem auch von den toll disponierten London Voices.

    Die Klangkultur des Orchesters, in den Streichern etwas samtener als beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, in den Bläserfarben ähnlich bunt, kommt bei Sergej Rachmaninows nach einer zweiten längeren Pause gebotenen sehr unter die Haut gehenden „Symphonischen Tänzen“ op. 45 noch deutlicher zur Geltung. Ein großes, gewaltiges Seelendrama in drei Sätzen tut sich da auf, vom unerbittlichen Kampf des ersten über einen wie aus einer versunkenen Welt heraufklingenden Tanz des zweiten bis zum eher rhapsodisch wirkenden mächtigen Traum des Finalsatzes.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • ROMANTIK MIT DUKLEREM GRUNDTON

    Die Dresdner Philharmonie spielte unter der Leitung ihres Chefdirigenten Michael Sanderling Schumann und Bruckner in der Philharmonie am Gasteig, Solistin Alice Sara Ott, 24.4.2018, persönliche Eindrücke

    Die Entdeckung des Konzerts war für mich der Orchesterklang der Dresdner Philharmonie (nicht zu verwechseln mit der Staatskapelle Dresden). Er ist etwas dunkler als ich ihn vor allem von Münchner und Wiener Orchestern gewohnt bin, ganz eigen schattiert dunkel, „wie ein Baum mit viel Harz“. Man spürt, das ist auch eines dieser Orchester mit großer Klangtradition und mit der verantwortungsvoll wahrgenommenen Achtung darauf, diese von Generation zu Generation weiterzutragen. Die Balance zwischen den Instrumentengruppen kommt auch fabelhaft zur Geltung, Chefdirigent Sanderling scheint wie ein Maler mit seinen deutlichen Taktvorgaben die pastellfarbenen Klänge aus dem Klangkörper vor sich zu holen, alles wirkt klangprächtig abgerundet.

    Bei Robert Schumanns Klavierkonzert a-Moll op. 54 besticht vor allem der gemeinsame Atem mit der Solistin Alice Sara Ott. Otts Stärken werden einmal mehr deutlich: Offenes, transparentes Klavierspiel, klare Diktion, kein Verwischen, alles klar nach außen. Es ist kein extrem verinnerlichtes Klavierspiel, aber das Konzertante trumpft auch nicht zu forciert auf. Das ermöglicht eine solide, gut durchlaufende Interpretation des Konzerts, durchaus beherzt, die besonders markanten Passagen, das Hauptthema, der Dialog mit der Klarinette, die Kadenz im 1. Satz, das Figurieren zu den Celli im 2. Satz, das konzertante Dahinlaufen im 3. Satz ansprechend zur Geltung zu bringen, ohne damit sofort eine Jahrhundertinterpretation vorzulegen. Speziell im Dialogischen alles in allem eine wirklich gelungene Interpretation, keine Sternstunde für die Ewigkeit, aber eine anständig solide Konzertwiedergabe des Werks.

    Als Zugabe gibt es die 5. Paganini-Etüde von Franz Liszt, wie ein Schmetterlingsflug durch die Philharmonie gleitend.

    Der in sich gefestigte Dresdner Klangkörper wird nach der Pause von Michael Sanderling bei Anton Bruckners Symphonie Nr. 7 E-Dur wo es geht klangsinnlich bis prachtvoll zum Aufblühen gebracht. Es ist keine Bruckner-Interpretation, die jemand wie mir der vor allem Wiener Aufnahmen kennt (zuletzt in Ö1 gehört im Sommer 2017 mit Herbert Blomstedt und den Wiener Philharmonikern aus Salzburg) als irgendwie exzentrisch auffallen würde. Die Musik entwickelt sich organisch und gerade mit diesem etwas dunkleren Orchestertimbre ganz eigen sinnlich. Im 2. Satz wird hier nicht auf den Beckenschlag verzichtet. Man „sieht“ ihn auch optisch kommen, weil sich der Musiker kurz vor seinem Einsatz deutlich nach vorne bückt, um das Becken aufzunehmen und „anzulegen“. Alles in allem ein Bruckner ganz zum Sich-Hineinfallenlassen in die organischen Verläufe, die Versenkungen und Steigerungen der großen romantischen Musik.

    Und ein Konzert, das Werbung zu machen verstand für die reizvoll angedunkelte Klangkultur dieses Dresdner Orchesters.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Hallo zusammen,

    Ich war auch mal wieder zuhörend im Konzert: Frank-Peter Zimmermann und das BR SO unter Mariss Jansons spielten gestern im Herkulessaal ein Programm, mit dem sie heute Abend live im BR Radio (und im Livestream auf br-so.de auch mit Bildern) und in den kommenden Tagen (u.a. 1.5. Alte Oper, Frankfurt, 4.5. Carnegie Hall, New York) auch noch auf Tournee sind: Rossini, Guillaume Tell-Ouvertüre, Prokofjew op. 19 und Beethoven op. 55. Den Rossini hatte ich erst vor wenigen Wochen am Vierwaldstätter See von einem italienischen Orchester gehört, die spielen das halt mit deutlich mehr Schmunzeln im Gesicht und einer gehörigen Portion Grandezza, aber das BR SO ist natürlich mit Mariss Jansons eine eigene Hausnummer: er muss ganz wenig machen, das Orchester kennt seine Vorstellung und geht mit unglaublicher Präzision und sehr viel Unaufgeregtheit an die Sache heran. Die Soloaufgaben im Cello und Englischhorn waren mustergültig gestaltet.

    Diese beiden Eigenschaften - Präzision und Unaufgeregtheit - zeichnen ja Jansons und seine Zusammenarbeit mit dem BR SO insgesamt aus. Das hat nichts Behäbiges oder Routiniertes, sondern ein dienendes, aber bestimmtes Selbstbewusstsein, das ungemein überzeugend ist.

    Das Solokonzert war für mich wieder einmal der Höhepunkt des Konzertabends: Frank-Peter Zimmermann hatte zwar am Ende des ersten Satzes einige Passagen, wo das zweistimmige Spiel nicht ganz genau saß, aber das passiert halt mal in einem Konzert. Am überzeugendsten gelangen allen Beteiligten gestern die Passagen am Ende des Scherzo-Satzes, die in einer Perfektion geraten sind, die absolut atemberaubend waren. Aber auch die lyrisch-sonnigen Momente im Schlusssatz waren großartig gestaltet. Für den sehr großen Applaus bedankte sich Zimmermann mit einem g-moll-Prélude von Rachmaninoff (nach op. 23,5), auch dies humorvoll-überzeugend präsentiert.

    Die Eroica nach der Pause wurde mit einer riesigen (60 Spieler) Streicherbesetzung geboten, in meinen Ohren viel zu dick für die Balance mit den Holzbläsern. Aber auch wenn das eine ziemlich traditionellere Aufführung war, haben mich die Sätze 2-4 in dieser dicken, großartig ausgespielten Interpretation außerordentlich überzeugt. Vielleicht habe ich einfach den ersten Satz benötigt, um diese Auffassung zu akzeptieren ...

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Am Rande war ja die Frage aufgekommen, was das Tenorhorn eigentlich für ein Instrument ist; ich habe mal nachgesehen (wikipedia): es gehört aufgrund seiner konischen Mensur zur Familie der Horninstrumente (nicht der Trompeteninstrumente = zylindrische Mensur), wird jedoch anders als das (Wald-) Horn mit einem Trompetenmundstück (genauer: Kesselmundstück) gespielt (wie die Tuba-Instrumente).

    Kleine Anmerkung zum Tenorhorn. Es wird vor allem in der böhmischen und mährischen Blasmusik gespielt, ebenso in Österreich und Deutschland. Man denke dabei an Ernst Mosch und Blasorchester , die daher kommen. es hat häufig mit den Flügelhörnern im Wechsel die Melodie zu spielen. Es gibt dazu auch noch das Bariton Horn, das artverwandt ist. Die Tenorhorn-Stimmen sind in Tenorhorn 1, 2 und 3 unterteilt, wobei die beiden unteren Stimmen oftmals nur den Nachschlag zu spielen haben (also im Walzer die 2 und 3-er Zählzeiten).

    Das Tenorhorn wird mit einem Mundstück gespielt, was auch für eine Posaune verwendet wird. Das wurde hier richtig als "Kesselmundstück" bezeichnet, und ist weiter und tiefer in der Mensur als ein Trompeten-Mundstück. Posaunisten können oftmals auch Tenorhorn spielen.

    Es ist in "B" notiert, also einen Ton höher als der Klavierton ist. Die Griffweise ist mit der der Trompete in B gleich (oder auch der Ventil-Posaune in B, als auch der Tuba in Es). In der Blasmusik wechseln in Laienorchestern ältere Trompeter gelegentlich zum Tenorhorn über, weil sie das wegen des größeren Mundstückes im Alter einfacher spielen können nach einer kurzen Umgewöhnungs-Phase.

    Das Bariton Horn wird auch gelegentlich im Jazz verwendet. Bei Duke Ellingtons Einspielung von 1958/59 "Blues in Orbit" in der Aufnahme vom 03.12.1959, "The Swingers get the Blues,too" mit Matthew Gee am Bariton Horn. In der HR-Bigband spielt es hin und wieder der Posaunist Peter Feil.

    Klanglich ist es in der Tat das Gegenstück zum Flügelhorn. Man kann das Verhältnis hier in etwa Posaune - Tenorhorn , Trompete - Flügelhorn ansehen. Dazwischen liegen dann Kornett und Waldhorn.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • WEGE ZUR MEISTERSCHAFT

    Große Klaviermusik in Interpretationen von Studierenden der Hochschule für Musik und Theater München, die Wege zur möglichen Meisterschaft vorstellen: Am 26.4.2018 gab es ab 18 Uhr ein Konzert der Klavierklasse Prof. Yuka Imamine im Kleinen Konzertsaal im Hochschulgebäude in der Arcisstraße, ab 20 Uhr ein Konzert der Klavierklasse Prof. Olaf Dreßler im Kleinen Konzertsaal der Philharmonie am Gasteig – das erste gerade so lang, dass das zweite auch besucht werden konnte.

    Persönliche Eindrücke:

    Die jungen Pianistinnen und Pianisten sind alle am spannend-guten Weg, das hört man durchgehend. Das Virtuose lässt auf den Steinway Flügeln die Muskeln spielen, „gefährlich“ wird es teilweise an Stellen, die gar nicht so „gefährlich“ scheinen. An der Festigung der Interpretationen sowie vor allem auch an der Herausarbeitung poetischer Intensivierung wird sicher konsequent weiter gearbeitet werden. Das zweite Konzert scheint hier „schon etwas fortgeschritten“. Umso mehr bewundert man allgemein, hört man Konzerte wie diese, die als völlig selbstverständlich angenommene absolute Perfektion professioneller Konzerte der E-Musik. Im Stadium solcher Hochschulkonzerte darf noch alles passieren (im ersten passiert mehr als im zweiten), einige sind aber schon ganz nah dran an allerhöchster Meisterschaft.

    Viel Frédéric Chopin, zentrale Werke zum Herzeigen abrufbarer Virtuosität und tief ausgeloteter Poesie: im ersten Konzert die Ballade Nr. 1 g-Moll op. 23 zu Beginn und das Scherzo Nr. 4 F-Dur op. 54 am Ende, im zweiten die Herausforderung der Sonate für Klavier Nr. 2 b-Moll op. 35. Hier gelingt Polina Spirina gerade der berühmte Trauermarsch des 3. Satzes in seiner sofort stark sich entfaltenden Innenspannung und mit dem Mittelteil der wie eine Lichterkette erstrahlt besonders eindringlich, da scheint die Interpretin über sich hinauszuwachsen, ersteht die Musik intensiv ganz aus dem Moment.

    Von Johann Sebastian Bach gibt es im ersten Konzert die Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826 (die durfte der Schreiber dieser Zeilen als Student einst selber spielen, da werden Erinnerungen wach) und im zweiten die Partita Nr. 5 G-Dur BWV 829 – in ihren Wechseln zwischen raschen und dahinträumenden Teilen (die Sarabande in der 5. Partita!) auch ganz eigene Welten öffnend. Es wird jeweils ein klavieristischer Bach geboten, einer, der sich zur Interpretation am Steinway-Konzertflügel mit seinen Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten bekennt, keiner, der allzu spitz Cembaloassoziationen wecken möchte. Ich höre Bach gerne so gespielt.

    Auch Wolfgang Amadeus Mozarts Sonate c-Moll KV 457 kommt, im ersten Konzert geboten, von der Flügel-Seite, nicht vom Spinett her, ein Mozart (zumal bei dieser c-Moll Sonate!) voller Selbstbewusstsein und Präsenz, keiner der Scheu und Zurückhaltung. Einer, der diese Sonate als große Klaviersonate der Musikgeschichte offenbart. Mozart weiß alles, ob es hell oder dunkel ist. So habe ich Mozart sehr gerne mit Friedrich Gulda live gehört, so lässt er sich (1. Satz ohne Expositionswiederholung) hier ganz neu mitleben.

    Von Franz Liszt gibt es im ersten Konzert die so herrlich sich entfaltende große Melodie im virtuosen pianistischen Rauschen der Konzertetüde „Un sospiro“, im zweiten den heftig massiven Brocken der Klaviertranskription der Sinfonischen Dichtung Nr. 5 „Promethee“ zu 4 Händen, ein Werk, das man wohl nicht so häufig in Konzerten hört.

    Erklingt im ersten Konzert Ludwig van Beethovens Sonate op. 81a „Das Lebewohl“ zupackend, wieder, wie Bach und Mozart, nicht verhalten, sondern kräftig und sehr präsent, so führt uns der Pianist vor allem gefestigt durch die sprunghaft-rhapsodische Fantasie op. 77 im zweiten Konzert.

    Ein zu entdeckendes Werk wird für mich César Francks Prélude, fugue et variation op. 18 in der Klaviertranskription von Harold Bauer im zweiten Konzert, vollgriffig, zwischendurch kontrapunktisch und dann einen großen fesselnden klavieristisch reizvollen Bogen spannend.

    Hat schon Xintian Zhu im ersten Konzert mit ihren dieses beschließenden Beiträgen (Beethovens Sonate op. 81a und Chopins Scherzo op. 54) mit souveräner Reife ganz besonders zu überzeugen vermocht, fesselt Christoph Schönfelder, der den zweiten Teil des zweiten Konzerts für sich hat, mit seinem gefestigten, extrem persönlichkeitsstarken Klavierspiel, getragen von kluger wie musikalisch sehr fein ausgeloteter Reife und wie selbstverständlich wirkender Souveränität, das Konzertpublikum ins faszinierend absolut Gegenwärtige. Bachs Partita Nr. 5, Beethovens Fantasie op. 77 und vor allem der mit Prof. Dreßler zusammen gebotene fulminant auftrumpfende 1. Satz (Moderato) des Klavierkonzerts Nr. 2 c-Moll op. 18 von Sergej Rachmaninow vermögen alle restlos zu begeistern, statt üblichem Höflichkeitsapplaus gibt es hier spontanen Jubel.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Posaunenmundstück also, danke für die Info.

    Kein Problem.

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • ARTISTEN AUF DUNKLEN WOLKEN

    Das Rotterdam Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin in der Philharmonie am Gasteig (München), die Solistin war Yuja Wang, 29.4.2018, persönliche Eindrücke

    Joseph Haydns Symphonie Nr. 49 f-moll Hob. I/49 „La Passione“ führt in eine wolkenverhangene klassisch-symphonische Welt, Schicksalsschweres tut sich auf. Das Orchester aus Rotterdam präsentiert sich mit an sich warmem, vollblütigem Klang, der aber straff gespannt wird, bis in kleinste Details durchmodelliert, die verschiedenen Farben der Musik sehr genau herausgearbeitet, also als perfekt aufgezogener Klangkörper, der minutiös geprobte Detailarbeit punktgenau abrufbar macht. Die Brillanz dominiert fast über die Emotionalität der Musik.

    Kühle Brillanz ins Elektrisierende zu verwandeln, dafür ist Yuja Wang genau die Richtige. Sie kann sich da auf diesen punktgenau auf sie eingestellten luxuriös disponierten Klangkörper verlassen, der funkelnde Orchesterfarben blitzen bis knallen lässt. Yuja Wang spielt Sergej Rachmaninows auch schwerblütig-schicksalsgetragenes herbstlich anmutendes Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 g-moll op. 40 atemberaubend souverän, im Virtuosen wie im sich Zurücknehmenden, etwa im wunderschönen zweiten Thema des 1. Satzes. Den 2. Satz beginnt sie wie improvisiert, und als sie dann das Thema spielt (nächstes Jahr kommt sie ja mit Schumanns a-Moll Konzert wieder nach München, vielleicht ist das schon eine „Vorausschau“), erreicht sie auch die obersten hintersten Sitzreihen als würde sie jede, jeden unmittelbar ansprechen. Der ganze 2. Satz ermöglicht ihr diese starke Präsenz, die sie auch ganz werkdienlich zu nutzen versteht. Das Orchester steuert prachtvolle Farben dazu. Magische Minuten im Konzertsaal! Beim 3. Satz, der kaleidoskopartig dahinrauscht und zwischendurch auch zum Stillstand kommt, spielt Yuja Wang weiter unheimlich atemberaubend fulminant, um erneut im Innehalten zusammen mit dem Orchester klangherrliche Verinnerlichung zu evozieren. Der Rest ist volle Power und reißt das Publikum total mit.

    Die beiden Zugaben sind Zugabenklassiker der Künstlerin, Schubert/Liszts Gretchen am Spinnrade macht sie zu einem Sog, dessen Stillstand umso beklemmender wirkt, und den motorischen Finalsatz aus Prokofjews 7. Sonate legt sie einmal mehr so fulminant kraftvoll hin, dass sich der Jubel danach noch spontaner und enthusiastischer entladen muss.

    Sollte nun Peter I. Tschaikowskys Symphonie Nr. 4 f-moll op. 36 nach der Pause zur reinen Orchesterperfektions- und Klangpräsentation degradiert werden, zur wuchtigen Kraftnummer? Alle sind zu sehr Musik, dem vorzubeugen. Zwar wird auch hier (und Gelegenheit gibt es genug in diesem dritten eher schwerblütigen Werk des Konzerts) nicht an Kraftentladung und Herzeigen absolut perfekter Präzision gespart, sie ist die selbstverständliche Grundierung allen Tuns, so aufgezogen hört man Musik wirklich nur selten, aber gerade diese genaue Herausarbeitung aller Schattierungen, dieses gezielte Spannen auf die Punkte, diese extrem penible Verlaufsbögenübersicht erzeugen eine auch wieder faszinierende Plastizität der Interpretation, deren Aura man sich nicht zu entziehen vermag. Wenn da der Reihe nach verschiedene Orchesterstimmen aufklingen, dann tun sie das in einer Deutlichkeit und Klarheit wie sonst selten nur. So wird auch diese doch vielleicht eher tragische Symphonie zu einem bejubelten Triumph im Konzertsaal.

    Hat schon der 3. Satz gezeigt, wie subtil schattiert auch im Pizzicato hier gearbeitet wird, wird das mit der Zugabe noch unterstrichen, handelt es sich hierbei doch um die Pizzicato-Polka von Johann Strauß (Sohn). Für mich als geborener Wiener war die schon etwas zu detailliert modelliert, a bisserl Zufall hätt´ da scho´ passt, aber diese musikalischen Artisten die vorher über all die dunklen Wolken der gebotenen Werke so souverän durchgewandert sind überzeugen natürlich auch hier den das Werk als sein Thema einsetzt es überrascht raunend-schmunzelnd begrüßenden Saal.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • VIER SONATENWELTEN

    Das Konzert der Klavierklasse Prof. Markus Bellheim am 30.4.2018 im Kleinen Konzertsaal Arcisstraße der Hochschule für Musik und Theater München bringt vier große Sonatenwelten und zwei „Zugaben“ - ein weiterer persönlicher Höreindruck.

    Mit Alexander Skrjabins Klaviersonate Nr. 7 op. 64, Wolfgang Amadeus Mozarts Sonate A-Dur KV 331, Robert Schumanns Sonate fis-Moll op. 11 und Ludwig van Beethovens Sonate Es-Dur op. 27/1 kann man sich jenseits des Daumenhaltens fürs gute Gelingen der Darbietungen ob des grandios hohen Niveaus derselben voll und ganz auf diese völlig unterschiedlichen Welten einlassen – auf die sich von formalen Grundkonzepten weg zu völlig freier Gestaltung bekennende Skrjabin Sonate, wie eine gewaltige improvisierte Fantasie, auf die klassisch vollendete Mozart Sonate mit ihren Variationen (das Thema ist dem Schreiber dieser Zeilen seit allerfrühester Fernsehkindheit wohlvertraut, war es doch die Titelmusik zum ORF „Betthupferl“), dem Menuett und dem berühmten Alla turca, auf die so großartig weit ausschwingende hochromantische Schumann Sonate sowie schließlich auf Beethovens im Übergang von Klassik zu Romantik mit ihren Kontrasten zwischen Poesie und Rausch changierende Sonatenwelt.

    Paul Buruiana, der in München schon selbst an der Schola musicae unterrichtet, spielt die Sonaten von Skrjabin und Mozart völlig souverän, robust, wie aus einem Guss, das Mozart-Thema im 1. Satz leicht swingend, er spielt einen vitalen, kraftvollen Mozart, alles andere als einen Spieldosenmozart.

    Kathrin Isabelle Klein, unter anderem Gewinnerin des 3. Preises beim 11. Internationalen Klavierwettbewerb Orléans 2014 und Lehrbeauftragte an der Hochschule Stuttgart, überwältigt mit ihrer hochmusikalischen, die Musik vollendet in die Gegenwart zaubernden Schumann-Interpretation, technisch mitreißend genauso wie ungemein empfindsam. Eine atemberaubend intensive, pianistisch makellose Darbietung tut sich da auf, mit dem Wermutstropfen, den Finalsatz derzeit noch auszusparen.

    So muss Vincent Neeb, der bereits mit 13 Jahren 2012 mit Lang Lang in Berlin konzertieren durfte, auch gemeinsam mit seiner Schwester Sophie auftritt und 2017 den 3. Preis beim Brahms-Klavierwettbewerb Detmold gewann, mit dem poetisch-runden Einsatz der Beethoven-Sonate zunächst einmal aus der von Kathrin Isabelle Klein durch das kräftige Scherzo e Intermezzo ja eigentlich fürs Schumannfinale aufgebauten Energie in diese doch wieder völlig andere Sonatenwelt führen. Wie Buruiana stellt Neeb aber sofort und dann immer weiter wenn die Musik ins Wilde wechselt das Robuste, rauschhaft alles Niederwalzende in den Saal, der ja akustisch an sich schon jedes Mezzoforte in ein Forte verdeutlicht. Neeb präsentiert Beethovens Kontraste durchaus schroff und damit beeindruckend wirkungsvoll deutlich. Das Adagio con espressione des 3. Satzes öffnet eine große, eigene Welt, um dann doch mit dem Allegro vivace energisch rauschhaft weggewischt zu werden, auch beim zweiten Versuch.

    Robust hören sich auch die beiden „Zugaben“ des Konzerts an, Paul Buruianas hartnäckig sprunghafte »Lavapiés« (Iberia, IX) von Isaac Albéniz, durchaus ein veritabler Abräumer für Konzerte, und Vincent Neebs »Feux follets«, die schillernden Irrlichter aus den 12 Études d’exécution transcendante von Franz Liszt.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • DYNAMISCHE KLAVIERSTEIGERUNG

    Ladenschlusskonzert der Klavierklasse Prof. Silke Avenhaus der Musikhochschule München, Gasteig (München), Kleiner Konzertsaal, 4.5.2018, persönliche Eindrücke

    Silke Avenhaus stellt in kurzen einführenden Worten das Programm der nun folgenden Konzertstunde vor. Sie kündigt „eine dynamische Steigerung“ an.

    Für Jean-Philippe Rameau verspricht sie “Cembalopoetik“. Und wirklich, Stefan Fuchs spielt das 8. Stück Tambourin aus der Suite e-Moll RCT 2 (aus:»Pièces de clavessin«, 1724) sowie die Stücke 7 Les Sauvages und 8 L’Enharmonique aus der Suite G-Dur/g-moll RCT 6 (aus: »Nouvelles suites de pièces de clavecin«, 1727) in ihrer reizvollen nachbarocken-vorklassischen Bestimmtheit poetisch einfühlsam, er schattiert etwa die Wiederholungen bestimmter Wendungen etwas leiser. Die drei Stücke fügen sich wie eine Sonatine zusammen, schnell – langsam – wieder schnell.

    Die aus Straubing stammende junge Pianistin Anna Maria Gebhardt, auch als Organistin und Flötistin im Einsatz und bereits bei Jugend musiziert ausgezeichnet, nimmt mit einem weichen, sehr zu Herzen gehenden Klavieranschlag für sich ein, auch sie bringt gleich die Poesie der von ihr gebotenen Musik zur Geltung. Sie spielt die Sätze 3 (Menuetto) und 4 (Presto con fuoco) aus Ludwig van Beethovens Sonate Es-Dur op. 31/3, laut Silke Avenhaus „Beethovens positive Antwort auf die Sturmsonate“ und brilliert danach herzlich mit Frédéric Chopins Etüde cis-Moll op. 10/4 und erst recht mit der pianistisch sehr anspruchsvollen Etüde E-Dur, dem 4. Stück aus Franz Liszts »Grandes études de Paganini« S. 141.

    Silke Avenhaus, die bei allen Beiträgen im Publikum sehr beherzt, ganz intensiv mitfühlend mitgeht, hat Frédéric Chopins nun folgendes Scherzo E-Dur op. 54 als „das leichteste und positivste“ der Scherzi bezeichnet, und sie hat uns auch auf „eine der schönsten Melodien überhaupt im Mittelteil“ aufmerksam gemacht. Hier beweist Milica Dimitrijevic, die auch schon selbst an der Klavierschule Adpianum in München unterrichtet, hohe Reife des Klavierspiels, technisch makellos und das Werk im großen Überblick wie in den Details auch mit eher weichem Anschlag beeindruckend vorstellend.

    Glanzvoller Höhepunkt des Konzerts, dieser „dynamischen Steigerung“, wird dann Anton Arenskys Suite für zwei Klaviere op. 15/1, gespielt erneut von Milica Dimitrijevic und am zweiten Flügel von Dmitry Mayboroda (Klasse Prof. Adrian Oetiker), der bereits an der Bayerischen Staatsoper engagiert ist. Die Musik von Arensky, der Rachmaninow und Scriabin am Moskauer Konservatorium unterrichtet hat, stellt sich hier als etwas leichtgewichtiger als die Rachmaninows vor, und der Hit wird der zweite der drei Sätze, „populär, fast schon Salonmusik“ (Silke Avenhaus), ein griffiger Walzer. Damit räumen die beiden, optimal aufeinander eingespielt, natürlich ab.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • GROSSE HAUSMUSIK IM KLEINEN RAHMEN

    Die Künstlerfamilie Stumphius/Demmel/Raynaud/Wöpke im Lehrinstitut Bencic (München), 5.5.2018, persönliche Eindrücke

    Eine Musikerfamilie die allerhand biographisch vorzuweisen hat: Sopranistin Annegeer Stumphius Solistin der Bayerischen Staatsoper, Peter Wöpke Erster Cellist des Bayerischen Staatsorchesters, sein Sohn Joël Wöpke Erster Cellist im ATTACCA Jugendorchester, Luisa Demmel Violine im Jugendorchester des Bayerischen Staatsorchesters und Sophie Raynaud Korrepetitorin an der Bayerischen Staatsoper.

    Das ermöglicht auch Hausmusik von allererster Qualität in allerbester Qualität in unterschiedlichsten Besetzungen an unterschiedlichsten Orten, und das vollgesteckte Foyer im kleinen Lehrinstitut Bencic erlebt denn auch ein verblüffend umfangreiches und intensives, ja direkt gewaltiges Kammerkonzert vom Feinsten.

    Die drei das Konzert eröffnenden Sätze aus Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2 d-Moll für Violine solo geben schon mal die Richtung vor, zumal Luisa Demmel nicht erst bei den Doppelgriffen der Sarabande tonklar und souverän zu überzeugen vermag – das wird ein Konzert auf allerhöchstem Niveau!

    Annegeer Stumphius weiß bei Georg Friedrich Händels „Süßer Blumen, Ambraflocken“ aus „Neun deutsche Arien“ im Einklang mit Violine, Cello und Klavier mit warmem erfahrenem Soprantimbre und gemeinsamem Atem mit den Instrumenten zu berühren.

    Eine Entdeckung ist der Komponist Jean Barrière, der, so erklärt uns Peter Wöpke, zur Zeit Ludwigs XV. lebte und von dem Vater und Sohn Wöpke die Sonate Nr. 10 für zwei Celli vortragen, wunderschöne Musik, mit Herzblut gespielt, und der 3. Satz ist technisch ganz schön herausfordernd, da überlässt der Vater schon mal dem Sohn zu zeigen was er so draufhat und begnügt sich mit der Begleitung.

    Annegeer Stumphius nennt Henri Duparc den kritischsten Komponist aller Zeiten, er hat viel Komponiertes weggeworfen, was sie schade findet, wie auch gleich „Romance de Mignon“, „La Vague et la Cloche“ und „La Vie Antérieure“, von ihr und Sophie Raynaud in perfekter Übereinstimmung vorgetragen, bestätigt werden muss, auch weil mit der Interpretation die ganze Ausdruckstiefe dieser Lieder ausgelotet wird, hochromantisch leidenschaftlich und das Klavier dazu vollgriffig virtuos.

    Und wer es noch nicht gekannt hat ist ab diesem Konzert ein unbedingter Fan des Klaviertrios Nr. 1 d-Moll op. 49 von Felix Mendelssohn Bartholdy, auch wenn als letzter Programmpunkt vor der Pause nur der 2. Satz (Andante con moto tranquillo) und danach der 1. Satz (Molto allegro ed agitato) gespielt werden, allerdings erstens in superber musikalischer Qualität und zweitens gleich mit der vom Klavier eröffneten Melodie des 2. Satzes einen derartigen Zauber allerschönster denk- und fühlbarer Musik in den Raum strahlend, einmalig schöne Kammermusik, dank der man nur völlig im Bann dieses Zaubers staunen und sich demütig freuen kann, diese Minuten miterleben zu dürfen.

    Ein paar kurze Worte Peter Wöpkes nach der Pause: In der Malerei verschwommene Konturen, in der Musik wechseln Dur und Moll ständig ab - und schon sind wir mitten in der Klang- und Ausdruckswelt von Claude Debussy, mit dessen Cellosonate d-Moll.

    Nicht weit von dieser Welt entfernt und dann doch eine ganz andere öffnend hören wir danach die drei "Shéhérazade" Lieder von Maurice Ravel "Asie", "La Flûte enchantée" und "L’Indifférent" – und von Beitrag zu Beitrag bewundert man immer mehr, mit welcher Souveränität vor allem auch die Pianistin Sophie Raynaud sofort in jede neue Klang- und Ausdruckswelt mitzugehen imstande ist, einen Beitrag nach dem anderen am Klavier höchstprofessionell hinlegend.

    Pohádka für Cello und Klavier, so Joël Wöpke, hat Leoš Janáček aus Märchen herausgeholt, das sei ein Gespräch zwischen Cello und Klavier, und schon sind wir auch hier mittendrin in dieser erzählerisch wieder ganz anders intensiven Kammermusik.

    Den Abschluss dieses umfangreichen, technisch wie musikintensiv enorm hochprofessionellen öffentlichen Familienabends im völlig gebannt lauschenden Lehrinstitut macht wirkungsvoll und mitreißend zugkräftig Astor Piazzolla mit seinem Grand Tango für Cello und Klavier.

    Großer, sehr herzlicher Applaus für alle Mitwirkenden.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • EMPFINDSAME KONZERTREIFE

    Konzert der Klavierklasse Prof. Thomas Böckheler, Großer Konzertsaal Musikhochschule Arcisstraße München, 7.5.2018, persönliche Eindrücke

    Klaviermusik in einem Klassenabend einer Musikhochschule ist keineswegs nur Abrufen einer Standortbestimmung, Hinterfragung eines technischen Standards, Überprüfung eines Status, Erprobung des Auftretens vor Publikum, es ist vor allem auch Musik, empfindsame Musik zumal, die sich als tief empfundene und weiter zu gebende Musik dem Publikum vermitteln möchte. Die Studentinnen und Studenten dieses Konzertabends schaffen das hervorragend. Man vergisst während ihres Vortrags die außermusikalischen Aspekte und kann ganz mit der Musik mitleben.

    Haruka Ebina beginnt Ludwig van Beethovens Sonate A-Dur op. 101 gleich so empfindsam, ganz im Jetzt, das Klavier „spricht“. Beethoven schreibt es ja auch vor: „…und mit der innigsten Empfindung“! Da ist Seele und Poesie ganz selbstverständlich. Den lebhaft marschmäßig vorgeschriebenen 2. Satz nimmt Haruka Ebina noch etwas verhalten, beim nicht zu sehr geschwinden, entschlossenen Finale reißt sie dann aber alle ins fesselnde Geschehen ganz mit.

    Bei Frédéric Chopins Mazurken g-Moll op. 67/2, cis-Moll op. 63/3 und Des-Dur op. 30/3 arbeitet Chuang-Lu Kang das Empfindsame auch sehr schön heraus. Toll, diese Stücke im Konzert so bringen zu können, dass sie nicht Vorspielstücke bleiben, sondern ganz Musik werden.

    Das gilt erst recht für Chopins Scherzo Nr. 4 E-Dur op. 54, erst wenige Tage zuvor in einem anderen Münchner Hochschulkonzert zu hören gewesen, nun also erneut, hier von Peter Méri sehr reif, nahezu verblüffend abgebrüht vorgetragen.

    Eine Entdeckung für mich ist Paul Hindemiths Sonate Nr. 3 (1936), eine große Klaviersonate des 20. Jahrhunderts, markant vor allem mit ihrer Harmonik, „wie Bauhaus Architektur“. Rina Ikeda spielt diese anspruchsvolle, herausfordernde Sonate auch toll, mitreißend, beeindruckend sicher, beseelt und stringent den großen Bogen spannend, incl. der komplexen Fuge im Finale. Das hohe Niveau des Abends wird damit eindrucksvoll unterstrichen.

    Maurice Ravels Valses nobles e sentimentales M. 61, das erste der beiden Werke nach der Pause, erfährt durch Mayuko Obuchi erneut diese wunderbare Empfindsamkeit großer Klaviermusik, sie spielt virtuos genauso beeindruckend, lotet aber gerade das Geheimnisvolle etwa ganz am Ende beim letzten Stück aus, wo die Musik ganz tief in ein Irgendwo abtaucht.

    Ryuzo Seko wiederum schließt mit Robert Schumanns Carnaval op. 9 an das Chopin-Scherzo vor der Pause an – verblüffend reif und abgeklärt führt er uns durch Schumanns Klavierwelttheater, das sich mit dem Préambule öffnet und bis zum abschließenden Marche des »Davidsbündler« contre les Philistins allerlei schillernde Gestalten und Szenerien aufeinanderfolgen lässt. Virtuos genauso wie fein schattiert, ganz zurückgenommen etwa in den innigen Stücken 5 (Eusebius) und 18 (Aveu), überzeugt auch dieser Vortrag restlos.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • SARABANDE, ARIETTA, GLANZSTÜCK UND GALGEN

    Ein umfangreiches Konzert in zwei Teilen der Klavierklasse Prof. Michael Schäfer, Hochschule für Musik und Theater München Arcisstraße, Kleiner Konzertsaal, 8.5.2018, persönliche Eindrücke

    Agata Kim, bereits mehrfache Klavierwettbewerbspreisträgerin, spielt keinen Barockinstrument-Suggerier-Bach, sondern einen Konzertflügel-Bach, der die Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten des offenen Flügels für Johann Sebastian Bachs Partita e-Moll BWV 830 erzmusikalisch auslotet. Jedes der Stücke daraus hat seinen eigenen Charakter, die Toccata, die Allemande, die quirlige Courante, die Air, dann wieder so ein „Zentrum der Welt“ Stück, eine „große Erzählung“ bei der das Universum stehenzubleiben scheint, die Sarabande, und schließlich die Gavotte und die Gigue.

    Einmal mehr wird mit diesem Vortrag der hohe Standard dieser Hochschul-Konzertabende unterstrichen und für den weiteren Verlauf vorgegeben, keineswegs nur technische Perfektion vorzuweisen, sondern dem Publikum die Musik als beseelte Musik mitzugeben. Egal woher die Studentinnen und Studenten kommen, immer steht im Vordergrund, das Wesen der Kompositionen zu Gehör zu bringen, bei aller technischen Hochklassemeisterschaft.

    Ludwig van Beethovens letzte Klaviersonate, die Sonate c-Moll op. 111 mit ihrem so grimmigen 1. Satz (Maestoso – Allegro con brio ed appassionato) und ihrer sich ins Ewige verlierenden Arietta (Adagio molto semplice e cantabile) gelingt Ayako Wada, 1990 in Tsukubain (Japan) geboren, wettbewerbsprämiert unter anderem bei der Chopin International Piano Competition in ASIA, der Piano Teachers National Association Piano Competition und dem Kitamoto Piano Competition, an diesem Abend sensationell. Sehr bestimmt, mit voller Energie und mutig auf Risiko legt sie sich ins Werk, herausgearbeitete Kontraste fein schattiert auskostend, atemberaubend intensiv – und nach dem Furioso des 1. Satzes setzt sie mit warmem, großem Ton zur Arietta an und öffnet damit auch diese Welt mit verblüffender interpretatorischer Reife. Das strahlt eine fast unheimliche Ruhe und dabei aber auch eine immense Innenspannung aus, die die Pianistin bis zum letzten Ton dieser umfangreichen, sich verlierenden Variationskette aufrecht zu erhalten gelingt.

    So ein früher unübertrefflicher Höhepunkt eines ausführlichen Klavierabends – eigentlich benötigte man nach dieser geballten Ladung intensivsten op. 111 Erlebens zumindest eine kurze Pause, aber es geht auf diesem Niveau weiter, beherzt und vielfältig.

    Reizvoll ist die Aufeinanderfolge von vier Impromptu betitelten Stücken verschiedener Komponisten anzuhören. Man kann damit die Weiterentwicklung der Klaviermusik und speziell der kompositorischen Ambitionen der Komponisten zu diesem Titel akustisch mitvollziehen und jeweils für ein paar Minuten ganz und gar in die Ausdruckswelt der Komponisten eintauchen: Franz Schuberts Impromptu As-Dur op. 90/4, Frédéric Chopins Impromptu Ges-Dur op. 51, Alexander Skrjabins massives Impromptu b-Moll op. 12/2 sowie Leonid Sabanejevs (ihn kennt man wohl am wenigsten, ein russischer Musikkritiker, Musikwissenschaftler und Komponist, der 1926 in den Westen emigrierte, er lebte von 1881 bis 1968) auch massives, aber zerklüfteteres Impromptu fis-Moll op. 5/1.

    Yejin Koo spielt diese vier Impromptus genauso selbstbewusst-souverän wie danach auch gleich den ganz schönen Brocken der Variationen über ein Thema von G. F. Händel op. 24 von Johannes Brahms, souverän, ob im Spielerischen, im Wuchtigen oder sich im Ewigen verlierend, kräftiger, aber im Ausufernden gar nicht weit von Beethovens Arietta-Variationen entfernt.

    Nach über eineinhalb Stunden höchstintensiven Klaviervortrags gibt es ca. 20 Minuten Pause, dann geht es mit dem zweiten Teil des Konzertabends weiter, der nicht minder fulminante Höhepunkte bringt, wenn auch der Applaus hier seltsamerweise durchwegs verhaltener, beiläufiger, pflichtgeschuldeter ausfällt als im monumentalen ersten Teil.

    Frédéric Chopins Scherzo Nr. 2 b-Moll op. 31, dieses brillante Glanzstück der Klavierliteratur, wird von Isabella Xu, unter anderem 2017 prämiert bei „Jugend musiziert“, auch kongenial brillant und glanzvoll hingelegt, gleichwohl aber auch mit Seele. Da passt das Modewort „Wow!“ ganz gut.

    Und wieviel Herzblut und Seele steckt auch im Vortrag Xiuyan Cuis der zwei Nocturnes op. 62 (Andante H-Dur und Lento E-Dur) von Chopin, diesen kleinen Romanen in Musik!

    Von Chopin weiter in die impressionistische Zauber- und Traumwelt des Claude Debussy, Die 1993 in Malaga geborene Panistin Esperanza Martín Lopez überzeugt fulminant mit L’isle joyeuse genauso wie Sun Mi Han mit den Images (Livre I) - Reflets dans l’eau, Hommage à Rameau und das energische Mouvement; da ist auch alles da, Technik, Seele, Geheimnis.

    Einer der Prüfsteine schlechthin anspruchsvollster Klavierliteratur rundet den großen Klavierabend ab, Maurice Ravels »Gaspard de la nuit«. Keiichiro Ikebe besticht in den pianistisch unglaublich schweren und wirkungsvollen Außensätzen Ondine und Scarbo mit kühler Brillanz sowohl bei der Wassernixe als auch beim Kobold (der Scarbo ein ungeheuer kraftvolles, fulminantes Finale!), und wie er uns bei Le Gibet am Galgen zappeln lässt, eine unheimliche, extrem angespannte Atmosphäre evozierend, zum Zerreißen gespannt, das bestätigt noch einmal das erfolgreiche Bemühen aller, jeweils ganz und gar die Seele der Musik weiterzugeben.

    Besonders stark bleibt nach diesem Abend Ayako Wadas op. 111 Interpretation eingebrannt, aber das Niveau war durchgehend schwindelerregend hoch.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • GELEBTE MUSIK STATT LEISTUNGSSCHAU

    Der zweite dreier Konzertabende beim Klavierfest der Hochschule für Musik und Theater München im Kleinen Konzertsaal im Gasteig, 15.5.2018, persönliche Eindrücke

    Das erste Konzert (am Vortag) konnte ich leider nicht besuchen, da gab es Klaviermusik zu Münchens aktuellem Kulturschwerpunkt »Faust«, nämlich Franz Liszts »Mephisto-Walzer« Nr. 1 S. 514, Alexander Skrjabins »Vers la flamme« op. 72 und dessen 7. Sonate op. 64, Sergej Prokofjews »Suggestion diabolique« op. 4/4, Robert Schumanns Kreisleriana op. 16 und Franz Liszts »Prometheus« S. 593, die Symphonische Dichtung Nr. 5 (für Klavier zu 4 Händen).

    Volles Haus am zweiten Tag, fast alle 180 Plätze sind in einem Wochentagskonzert um 18 Uhr besetzt, alle Achtung!

    Christoph Schönfelder eröffnet am Steinway Flügel mit Ludwig van Beethovens Fantasie op. 77, schon neulich von ihm an diesem Ort aufgeführt, das Konzert sehr gefestigt und bestimmt. Beethovens rhapsodisch angelegte fast wie eine aufgeschriebene Improvisation wirkende Komposition ersteht diesmal aber insgesamt weniger gegenwärtig, mehr als kalkuliert gebotenes Resultat, als Ergebnis eines Arbeitsprozesses denn als ganz ursprünglich erstehende Musik aus dem Moment.

    Alicia Grünwald (Klasse Prof. Sylvia Hewig-Tröscher) gelingt es danach in Beethovens Sonate f-Moll (»Appassionata«) op. 57 vor allem, das Geheimnisvolle der Musik herauszuarbeiten. Dabei kommt auch die Dramatik großartig zur Geltung, und wie fein sie schattiert ist speziell bemerkenswert. Ihre Interpretation hat Herz und Seele pur, und dass sie gefährdet ist manchmal technisch wegzurutschen macht die Aufführung umso spannender und mitfiebernswerter. Eine »Appassionata« ganz im Jetzt und Hier.

    Orgelhaft bodenfest leuchtend ersteht beeindruckend César Francks Prélude, fugue et variation op. 18, auch ganz gegenwärtig, wie aus dem Augenblick heraus gespielte Musik, vorgetragen von Rahel Paulik (Klasse Prof. Olaf Dreßler).

    Frédéric Chopins 4. Scherzo E-Dur op. 54 hat Milica Dimitrijevic auch schon neulich an diesem Ort gespielt. Erneut gelingt ihr eine souveräne, technisch makellose genauso wie fein abgerundete Wiedergabe und man kann vor allem auch die große Melodie des Mittelteils noch einmal in ihrer ganzen Größe genießen.

    Gefestigt und fast durchgehend souverän (auf jeden Fall auf dem Weg dorthin) präsentiert sich auch Simon Mack (Klasse Prof. Silke Avenhaus) mit Felix Mendelssohn Bartholdys Praeludium und Fuge e-Moll op. 35/1 (was für eine komplexe Klavierfuge!)

    Robert Schumanns Sonate g-Moll op. 22 wird mit Daniel Weiss (Klasse Prof. Markus Bellheim) nach der »Appassionata« zum zweiten absoluten Höhepunkt des Konzerts, denn Weiss spielt unglaublich reif, technisch fulminant und mit unheimlich souveränem Ausdruck.

    Bei Anna Gebhardt wiederum, auch sie war bereits neulich am selben Ort schon zu hören, besticht ihre hochmusikalische Natürlichkeit des Klaviervortrags, nichts wirkt forciert, künstlich einstudiert oder mutwillig abgerufen. Schumanns anspruchsvoll ausführliche Novelette fis-Moll op. 21/8 mit ihren vielen direkt ineinander übergehenden Einzelabschnitten spielt sie sympathisch beherzt und pointiert und immer „völlig natürlich“. Ein Naturtalent sondergleichen!

    Den Abschluss macht königliche Klaviermusik vom Allerbesten - Frédéric Chopins 4. Ballade f-Moll op. 52, gespielt hochpoetisch genauso wie kraftvoll souverän von Hamlet Ambarzumjan (Klasse Prof. Silke Avenhaus), ein ganz tiefes Eintauchen in die Musik und wenn es dann technisch umso furioser losbricht umso beeindruckender, dabei eine großartige Spannungsintensität durchziehend.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • ALLERLEI KLAVIER-ZAUBERWELTEN

    Der dritte Konzertabend beim Klavierfest im Kleinen Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater München im Gasteig, 16.5.2018, persönliche Eindrücke

    Einen breiten Bogen von Rameau bis Boulez mit Klassikern, Hits und eher Unbekanntem aus der reichhaltigen Klavierliteratur spannen die Studentinnen und Studenten diesmal.

    Wieder ist der Saal fast voll, allerdings werden die Reihen nach der Pause etwas gelichtet sein, wohl weil einige Verwandte und Bekannte der Mitwirkenden nur bis nach deren Auftritt bleiben.

    Stefan Fuchs eröffnet das Konzert mit Jean-Philippe Rameaus »L’Enharmonique« und »Les Sauvages« aus der Suite in g-Moll RCT 6 – man hat diese reizvoll pralltrillerdurchsetzten Stücke schon neulich mit ihm an diesem Ort gehört, das erste langsamer, das zweite schnell, beide sehr sicher und musikantisch farbig gespielt.

    Frédéric Chopins Sonate b-Moll op. 35 hat Polina Spirina auch bereits ein paar Tage zuvor hier gespielt, und diesmal fesselt sie vom ersten Ton an total, zieht alle in den Bann dieser großen virtuosen romantischen Klaviersonate, macht sie die Magie des musikalischen Augenblicks von einer Sekunde zur nächsten lebendig, ungemein intensiv, mitreißend, den 1. Satz (Grave. Doppio movimento) mit seinem brillanten Wechsel zwischen sperrigen Griffen und ausschwingender Melodie allerdings ohne Expositionswiederholung, das Scherzo (Presto, ma non troppo) des 2. Satzes sehr sicher und hier genauso wie im großen Marche funèbre (Lento) des 3. Satzes den großen Melodiebogen des Mittelteils herrlich musikalisch auskostend, und schließlich das spukhafte Finale (Presto).

    Der nun folgende Claude Debussy Block strahlt seinen Impressionismus eher geschlossen aus, man blickt akustisch hinter Glasfenster, in eine Geborgenheit, in geschützte Räume. Es erstehen keine hinausleuchtenden akustischen Gemälde, sondern es entfalten sich kontrolliert akustische Blicke in gut gepflegte Häuser. Das trifft auf »L’isle joyeuse« (Die fröhliche Insel) mit Dina Pérazic (Klasse Prof. Sylvia Hewig-Tröscher) genauso zu wie auf Voiles (Schleier/Segel), La danse de Puck (Pucks Tanz), Le vent dans la pleine (Der Wind in der Ebene) und Minstrels (Minnesänger) aus den Préludes – 1er livre mit Fruzsina Lugosi (Klasse Prof. Thomas Böckheler).

    Maurice Ravels Sonatine schafft eine ganz andere Klavier-Zauberwelt her, und Dina Pérazic weiß auch das Geheimnis dieser Musik (1. Modéré, 2. Mouvement de menuet und 3. Animé) zu wahren.

    Pierre Boulez´ 1946 entstandene 12 Notations, großteils extrem kurze Miniaturen zwischen forschen Schlägen und zarten Zurücknahmen, werden vom schon bei „Jugend musiziert“ ausgezeichneten Stephan Axtner (Klasse Prof. Markus Bellheim) mit cool-trotziger Souveränität farben- und facettenreich in den Saal gestellt, als markante kleine Monumente. Statt scheinbarer Willkürlichkeit entfaltet sich hier total spannend ein kleiner Klang- und Ausdruckskosmos sondergleichen. Diese kaum mehr als zehn Minuten geraten zu einem entschiedenen, vehement überzeugenden Statement. Der letzte Akkord klingt aus, bis auch noch die völlige Stille im Raum stehenbleibt. Ein ganz starker Moment im Konzert, dieser Augenblick vor der Pause.

    Sehr rund und vor allem poetisch stark gelingt der auch schon als Komponistin in Erscheinung getretenen Anjulie Chen (Klasse Prof. Thomas Böckheler) die großteils ja auch vollgriffig auftrumpfende Rhapsodie h-Moll op. 79/1 von Johannes Brahms.

    Als pianistisch ergiebiges Salonmusik-Gemälde entpuppt sich Michail Glinkas/Mili Balakirevs »Die Lerche«, gespielt von Ela Cansu Bekgöz (Klasse Anna Buchberger), die auch schon selbst bei „Klavierstunde München“ unterrichtet.

    Spezifisch spannend sperrig hören sich hingegen Ernst Kreneks 5 Klavierstücke op. 39 an, von Robert Daniel (Klasse Andrea Böckheler) auch großartig selbstbewusst hingelegt.

    Ein unwiderstehlicher Hit der großen Klavierliteratur ist Sergei Rachmaninows Elegie op. 3/1 aus den Morceaux de fantaisie. Die aus Weilheim stammende, 1997 geborene Irina Wiesinger (Klasse Anna Buchberger) entfaltet die weit gesponnene, große Melodie mit Seele und Hingabe. Die Generalpause wird zum ganz großen Moment. Zauberwelt große Klaviermusik!

    Ein Nocturno des 1930 geborenen serbischen Komponisten Dejan Despić hört sich an, als hätten Chopin und Debussy zusammen eine Salon-Nachtmusik komponiert. Anastasija Aleksic (Klasse Prof. Markus Bellheim) spielt danach auch noch eine Sonata Lesta des ebenfalls aus Serbien stammenden Komponisten Dušan Radić (1929–2010), ein kurzweilig-kürzeres Werk mit den Satzbezeichnungen Allegro non troppo, Adagietto und Allegretto, neoklassizistisch gehalten, irgendwo zwischen Bartók und Kabalewski, speziell im zweiten Satz dank der wieder großartigen Interpretation voll starker Innenspannung.

    Den Abschluss macht wieder Stefan Fuchs, mit Franz Liszts Klavierfassung von Richard Wagners Isoldens Liebestod – Opernklavierzauber also auch noch, und Stefan Fuchs baut die Steigerung gekonnt auf und lässt den Steinway Flügel auch so richtig im Fortissimo scheppern.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • KEIN EINZIGER TRIVIALER AUGENBLICK

    Kirill Petrenko dirigiert Gustav Mahlers Symphonie Nr. 7 e-Moll im 8. Akademiekonzert des Bayerischen Staatsorchesters im Nationaltheater (München), 28.5.2018, persönliche Eindrücke

    Aus Neugier nehme ich die vom Verein der Freunde und Förderer der Musikalischen Akademie des Bayerischen Staatsorchesters angebotene Konzerteinführung 45 Minuten vor Konzertbeginn im Capriccio-Saal mit. Dort sind nur 130 Besucher zugelassen, und am Einlass ist man sehr genau diese Zahl einzuhalten. Ich hatte Glück, weil drei Fördermitglieder nicht kamen, durfte ich (ziemlich pünktlich eingetroffen) mit zwei anderen Personen gerade noch rein und gleich für den anschließenden Stehplatz „üben“.

    Der Einführende, der sich nicht namentlich vorstellt, hält einen Monolog mit Notizen vor sich die er gelegentlich zur Hand nimmt (vor allem auch für wörtliche Zitate) und mit Mikrophon, ohne Musikbeispiele. Er weiß aber farbig und lebendig und auch pointiert vorzutragen.

    In Kürze das Wesentliche der Ausführungen:

    Zunächst betont er die dem Schlusssatz geschuldete eigene Stellung der Symphonie in Mahlers Gesamtwerk. Den Aufbau vergleicht er mit einer Zwiebel. Die beiden Nachtmusiken entstanden im Sommer 1904, noch während Mahler die 6. Symphonie fertigstellte, der Rest im Sommer 1905. Der Musikkritiker Paul Bekker wird zitiert, der die Symphonien 5 bis 7 als Einheit ansah. Die Symphonie Nr. 7 zeigt eine konsequente Entwicklung, per aspera ad astra. Mahler provozierte mit der Charakterisierung, sie sei „vorwiegend heiteren Charakters“.

    Zu den Sätzen: 1 Ein gewaltiger Trauermarsch, Mahler bringt die Abgründigkeit zum Ausdruck. 2 Die Nacht in ihren Facetten, bis zum Alptraum, es gibt aber schon leichte Aufhellungen. 3 Ein fratzenhaftes Fresko einer Walzer tanzenden Gesellschaft. 4 Laue Sommernacht mit Gitarre und Mandoline. „Die Musik fängt an zu duften.“ Und sie wird deutlich durlastiger. 5 Dauerbefeuerung und Apotheose in C-Dur. Kritiker tun sich bis heute schwer damit. Der Vortragende zitiert dazu unter anderem Adorno, aber auch eine zeitgenössische Kritik, die den Satz eine Verhöhnung von Wagners „Meistersingern“ nannte.

    Hier verweist der Vortragende darauf, dass Mahler seiner 7. Symphonie in Aufführungen durchaus das „Meistersinger“-Vorspiel voranstellte.

    Vier Wochen nach der Uraufführung in Prag 1908, die in die Feierlichkeiten zum 60jährigen Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph II. eingebunden wurde, dirigierte Mahler das Werk auch erstmals in München. Er spielte damals auch mit dem Gedanken, nach München zu ziehen. Zitiert wird aus einem Brief Mahlers mit minutiösen Forderungen für die Proben.

    Gegen Schluss der Einführung die bekannte Anekdote – Mahler musste immer auf die Inspiration warten, im Sommer 1905 vom Sommerdomizil in Maiernigg in die Dolomiten und wieder zurück, bis Ruderschläge am Wörthersee den Impuls für den Beginn brachten. Und zwei Zitate, Schönberg 1909, das Werk als „Klassiker“ einordnend, und Bruno Walter 1947 – „Gustav Mahler kannte keinen trivialen Augenblick.“

    Der Billigststehplatzbereich Galerie Seite links in der Bayerischen Staatsoper von dem aus ich das Konzert danach erleben darf hat zwei Luxuspluspunkte bei Akademiekonzerten für sich: Noble Sitzmöglichkeiten mit Beinfreiheit für alle (sind dann halt reine Hörplätze) und vor allem (wenn man stehen bleibt) eine sensationelle Akustik, denn das Orchester ist ja auf die ganze Bühne verteilt, wodurch man auf diesen Plätzen einen phantastisch differenzierten Stereosound ins Ohr kriegt, links das Schlagwerk, Richtung Mitte Blech und Holz und nach rechts hin die Streicher. Bei einer so komplexen Komposition wie Mahlers 7. Symphonie, wo alle Instrumentengruppen zusammen und individuell in vielfach atemberaubender Weise miteinander verknüpft werden, ermöglichen sich da schon allein klangliche Offenbarungen teilweise im Minutentakt.

    Kirill Petrenko weiß die klanglichen Möglich- und Fähigkeiten des Orchesters bei dem oft ziemlich heftig die Instrumentalisten (zumal das Blech) bis an die Grenzen fordernden Werk voll auszukosten. Die ständigen Schichtwechsel der Musik werden als klanglich ungemein differenzierte Klangmalerei ausgebreitet, die Sprünge Mahlers vom Triumphalen ins Tänzerische, vom Auftrumpfenden ins Mystische, vom Scheinfrieden in wilde Ausbrüche, vom Skurrilen ins Verträumte ziehen in fein ausgeleuchteten Detailfarben vorbei, ohne im Ganzen an dramatischer Geschlossenheit zu verlieren. Steigerungen und Verdichtungen weiß Petrenko enorme Intensität zu geben, da spannt sich das Geschehen extrem an, um sich danach umso offener zu entladen. Selten hört man dieses Werk so wunderschön und dann wieder so verstörend, oft von einer Sekunde zur anderen diese Schichten wechselnd. Die dramatischen Rahmenteile und das mystische Innehalten des 1. Satzes, die so von mir noch nie herausgehörte böhmische Blaskapelle in der ersten Nachtmusik des 2. Satzes, das klanglich unglaublich erlesene Fratzenhafte des 3. Satzes, die ganz eigene Traumidylle der zweiten Nachtmusik des 4. Satzes sowie dieses Hin- und Hergeworfenwerden im Finale zwischen den penetrant immer wieder losjubelnden C-Dur-Bombasmen und einem erstaunlichen Zwischenspiel nach dem anderen, hier so farbig, so vielschichtig aufgerollt, dass sich akustisch aus der Partitur selbst dieses so viel gescholtenen Satzes unglaubliche musikalische Wunder offenbaren.

    Erst neulich konnte man in der Philharmonie am Gasteig dieses Werk mit Mariss Jansons und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hören. (Die am Eigenlabel erschienene CD in dieser Besetzung wurde gar schon 2007 aufgenommen.) Für mich war das eine orchestrale Weltklasseleistung, dem geschätzten und geachteten Chefdirigenten der intuitives Gespür für Mahlers Vielschichtigkeit hat und dem Mahler-erfahrenen Orchester in Hochachtung bis Liebe mit Herz und Seele gegeben auf höchstem Niveau abzurufen. Bei Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester war für mich spürbar, dass dies keine Routine war, kein abgerufenes „Können“. Das Orchester ließ das Publikum an einer „Neuaufnahme“, einer „Neuinterpretation“ teilhaben, die sicher sehr genau bis in Details geprobt wurde, aber nie den großen Zusammenhang verlor. Petrenko konnte auf allerhöchstes technisches und klangliches Niveau bauen und modellierte aus dieser Grundlage heraus eine extrem farbige, psychologisch vielschichtige, das äußerlich sein Wollende nicht entlarvend sondern als opernerschütternden Teil des Ganzen integrierend sowie unglaubliche Schönheiten gerade dieser Musik entlockend extrem bewegende bis atemberaubende Mahler Siebente – ohne einen einzigen trivialen Augenblick.

    Der Jubel der sofort losbrach deutete sehr deutlich Möchtgernkult an.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Lieber Alexander,

    ich bin Dir gestern Abend ins Akademiekonzert des BayStOr gefolgt, habe ebenso die Einführung mitgenommen und danach dann seitlich im Parkett gesessen.

    Für mich war es, glaube ich, die vierte Mahler 7 live (neben einigen CDs und Radio-Erlebnissen), darunter einige ziemlich namhafte Mahler-Dirigenten (Gielen) und ich kann sagen, dass das in meinen Ohren die weitaus schlüssigte Aufführung war, die ich kenne. In allen Sätzen ist eine unglaubliche Tempovielfalt gefragt, es gibt kaum einmal 20 Takte, wo nicht mindestens ein ritardando und a tempo vorgesehen ist. Das heißt, für die Aufführung ist wichtig, dass ein Orchester der für Mahler 7 benötigten Größe (ca. 110 Spieler), sofort weiß, was jetzt kommt. In der gestrigen Aufführung waren nur die ersten 15 Minuten noch etwas durcheinander, hier gab es noch Wackler, bis sich alle Spieler auf das richtige Tempo geeinigt haben. Ab dem letzten Drittel des ersten Satzes bis zum Schluss war dann allerdings eine allgemeine Präzision zwischen allen Spielern und eine emotionale Intensität der Interpretation vorhanden, dass man nur noch staunen konnte.

    Ich könnte eine ganze Orgie an 'das habe ich noch nie so gehört'-Szenen herunterbeten, aber das erspare ich uns. Meines Erachtens habe ich insbesondere den Schlusssatz noch nie so schlüssig, so humorvoll, so verspielt, so überzeugend positiv gehört wie gestern. Unser Faden zum Stück enthält die Frage, ob Mahler ein schlechter Jasager war. In meinen Ohren kann ich nur sagen: nein, er war ein großartiger Ja-Sager, man muss das Ganze nur rüberbringen können und zu dieser 'ich will trotz aller Widrigkeiten im Leben ja'-Sagen Aussage auch stehen können. Absolut sensationell. Wie ich schon nach der Mahler V in gleicher Besetzung geschrieben habe: das war Bewahrung des Feuers statt Anbetung der Asche.

    Das Orchester konnte gestern den großen Jubel des Publikums nicht recht glauben, weil sie vermutlich wissen, wie viel mehr noch in diesem Stück unter Petrenko 'drin' ist. Unglaublich.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • VERLORENHEIT UND WEHMUT

    Bernstein und Rachmaninow mit Antonio Pappano, Kirill Gerstein und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in der Philharmonie im Gasteig, 14.6.2018, persönlicher Höreindruck

    Zum ersten Mal nach 2002 dirigiert Antonio Pappano wieder das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, und er stellt dabei zwei völlig unterschiedliche 2. Symphonien des 20. Jahrhunderts einander gegenüber – die 1949 uraufgeführte, 1965 redigierte von Leonard Bernstein der 1908 uraufgeführten von Sergei Rachmaninow.

    Leonard Bernsteins Symphony No. 2 "The Age of Anxiety" für Klavier und Orchester bezieht ihren Titel auf das gleichnamige Gedicht von W. H. Auden aus dem Jahr 1947. Auden schreibt über vier ziellose Menschen im Großstadtdschungel New York die mehr oder weniger auf Sinnsuche sind, so wie bereits ein bekanntes Gemälde von Edward Hopper aus dem Jahr 1941, das immer wieder (etwa auch im Programmheft zu diesem Konzert) im Zusammenhang mit Gedicht und Symphonie genannt wird, solche verlorenen Menschen in einer Bar zeigt. Der Solist des Konzerts, der damit beim Orchester debütierende Kirill Gerstein, verweist in auf der Homepage des Senders zu hörenden Gesprächen zum Konzert mit BR-Klassik auf die Einflüsse Mahlers und Coplands in Bernsteins Werk, er nennt es einen Kommentar und eine Synthese, aus dem etwas Neues entstanden ist, und Dirigent Pappano betont das Autobiografische, und die Tatsache, dass Bernstein hier in einer Symphonie mit einem Soloklavier arbeitet, heißt für Pappano: „Das Klavier ist Bernstein.“ Mit dem Klavierpart spricht, so Pappano, Bernstein selbst.

    Die zweiteilige etwa vierzigminütige Symphonie enthält in Teil 1 einen Prolog und dann jeweils sieben Variationen über die „Sieben Zeitalter“ (Seven Ages) und die „Sieben Stufen“ (Seven Stages) sowie in Teil 2 ein Klagelied (The Dirge), einen Maskenball (The Masque, jazzig) und einen Epilog (The Epilogue).

    So wie das Werk in der Philharmonie im Gasteig erklingt, wird die Verlorenheit des Einzelnen in der Welt, in die er hineingeboren wurde und in der er sich zurechtfinden muss, werden seine Versuche, die verfügbare Energie kreativ einzusetzen, vielfach wie ein Kampf gegen Windmühlen, sehr eindringlich durch die Musik transportiert. Gerstein, keine Noten aus Papier am Notenpult, sondern ein I-Pod vor sich, das er mit einem Fußpedal bedient, arbeitet die Verlorenheit kühl und klar heraus, es ist eine grimmige, kalte Welt, in der diese Person die sich durch das Klavier preisgibt, ihren Weg sucht, selbst im Trotz eines Aufbäumens nicht eine gewisse Distanz, eine Scheu, ein Angewidertsein von allem ablegen könnend oder wollend. Das glutvoll klangherrlich disponierte Orchester, präzise abgestimmt und auf den Solisten eingestellt, zaubert sensibel, einfühlsam filigran differenzierte bis aufrauschend vollblütige Farben dazu, man hat fast den Eindruck, es will diesem Verlorenen bei allem Unterstreichen des Befindens immer wieder sagen er ist doch, auch wenn es derzeit nicht so aussieht, irgendwie geborgen auf der Welt. Das Ende des Werks gibt sich zunächst tröstlich, dann trotzig.

    Mit der vierhändig gebotenen Zugabe, einem charmanten Schmankerl, stimmen der ob seines beeindruckend psychologisch ausgefeilten Spiels würdig akklamierte Pianist und der Dirigent auf den Komponisten des zweiten Konzertteils ein.

    Sergei Rachmaninows Symphonie Nr. 2 e-Moll op. 27 erscheint mir in ihrer Wehmut wie ein großer symphonischer Abgesang auf die Romantik, in Tschaikowskys Nachfolge. Pappano betont im BR-Gespräch Inspirationen aus Wagners Meistersingern und aus dem Tristan, er meint, das Werk sei „wie eine Wagner-Oper“. Der viersätzige Aufbau schließt durchaus an Modelle der romantischen Symphonik an, ein großer 1. Satz mit langsamer Einleitung, eine Mischung aus Scherzo und Rondo als 2. Satz, ein ausschwingender langsamer Satz an 3. Stelle und ein Finale das ein Kaleidoskop ausbreitet, ausgehend vielleicht von einem Volksfest.

    Unter Pappanos Leitung kann das Orchester hier seine ganze Klangpracht entfalten und auch ordentlich aufdrehen. Herrlich saftig wird die weit ausschwingende Wehmut ausgekostet, und der durchaus offensiv sich anbiedernde herrlich melodische große, „klassikhitwürdige“ Adagio-Satz wird zu einem „Zentrum der Welt“-Satz sondergleichen.

    Besonders herzlicher Applaus für den Dirigenten und das Orchester, das all seine Klangpracht voll ausspielen durfte.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • REIFE ABRUNDUNGEN

    Prüfungskonzert Master Klavier Sunmi Han (Klasse Prof. Michael Schäfer), Hochschule für Musik und Theater München Arcisstraße, Großer Konzertsaal, 18.6.2018, persönliche Eindrücke

    Die 1989 in Soul geborene Pianistin hat schon mit dem Seoul Philharmonic Orchestra und der Nordtschechischen Philharmonie konzertiert, sie ist bereits in der KumHo Art Hall, in der Harris Concert Hall beim Aspen Music Festival und in der Suntory Hall in Tokyo aufgetreten, außerdem gewann sie den Samick Bechstein Klavierwettbewerb, den Eum Ak Chun Chu Wettbewerb, den Eum Yeon Klavierwettbewerb und den Kuk Min Hansei University Klavierwettbewerb in Korea. An der Juillard School studierte sie bei Yoheved Kaplinsky, und nun steht der Master in München an.

    Das Auftreten der Künstlerin wirkt bescheiden, aber sofort wenn sie nach den bewussten Konzentrationssekunden vor dem Steinway Flügel loslegt, beherrscht eine künstlerisch reife Souveränität den Raum. Sunmi Han spielt technisch über jeden Zweifel erhaben und musikalisch enorm facettenreich, die Werke in sich abrundend, jeweils große Bögen spannend, also nicht das Zerklüftete, das Nervöse suchend, sondern ein großes Ganzes erzeugend.

    Robert Schumanns Drei Romanzen op. 28 geben gleich die Möglichkeit, beherzt vollgriffig einzusteigen in die öffentliche Prüfungsstunde, zu der man der Künstlerin alle Daumen hält, es möge ihr alles gut gelingen. Bei der zweiten Romanze ist das Geheimnis der Musik sehr schön herausgearbeitet, man hört das Herausgearbeitete aber nicht mehr, das Geheimnis ist einfach da, ganz beseelt macht es sich breit. Der sprunghafte Ritt der dritten Romanze lässt erkennen, wie fein schattiert die Pianistin zu variieren versteht.

    Alexander Scriabins Acht Etüden op. 42 wirken wie Reverenzen an Chopin. Herausragend die 5. Etüde, große romantische Melodiebögen über vollen Klavierrausch ausbreitend, drei Minuten mitreißendes technisch anspruchsvollstes Klavierspiel. Sunmi Han gelingt eine Etüde nach der anderen auch in sich geschlossen, reif und souverän.

    Claude Debussys Images 1 werfen »Reflects dans l‘eau« (Wasserspiegelungen), eine »Hommage à Rameau« und ein »Mouvement«, eine vielschichtige klavieristische Bewegung, in den Raum. Hier besticht die gestalterische Reife, mit der die Künstlerin (zumal in einer entscheidenden Prüfungssituation wie dieser) zu überzeugen vermag besonders.

    Als Bravourprüfstein schlechthin steht als Abschluss Leopold Godowskys Passacaglia (ohne Fuge) auf dem Programm. Der Basso ostinato überrascht den der das Werk nicht kennt, handelt es sich doch um den Anfang aus Schuberts h-Moll Symphonie. Hier ist die Pianistin klavieristisch ganzheitlich gefordert – mit Stimmungswechseln von vertiefter Zurücknahme bis zu äußerst virtuoser Entfaltung. Aber auch hier lässt sie sich äußerlich keinerlei Nervosität anmerken, ihr souverän abgerundetes, technisch atemberaubend sicheres und musikalisch fein differenziertes Spiel zeugen von einer wohl bereits durch all die Wettbewerbe und bisherigen Auftritte gegebenen Professionalität.

    Für den Außenstehenden wirkte diese einstündige öffentliche Master Prüfung reif und beeindruckend abgerundet. Der Applaus im leider nur spärlich besetzten Großen Konzertsaal fiel so gut er konnte einigermaßen herzlich aus.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

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