Konzerterfahrungen in München

  • DIE ARTISTIK BLEIBT IMMER MUSIK

    Vier Abschluss-Klavierkonzerte hintereinander, Hochschule für Musik und Theater München, Großer Konzertsaal Arcisstraße, 22.6.2018

    Die vier jeweils ca. einstündigen Konzerte mit vielfach anspruchsvollst schweren Werken, teilweise bereits in Klassenabenden öffentlich erprobt, zeigen vor allem einmal den immens hohen Standard der Musikhochschulausbildung – technisch brillant und gleichzeitig hochmusikalisch.

    Man hört keine Exzentriker. Geboten werden die Werke als große kompositorische Blöcke, in sich abgerundet. Der Bogen spannt sich von Bach bis Messiaen, also vom Barock bis zum 20. Jahrhundert, wobei der Schwerpunkt auf hochvirtuoser Romantik liegt.

    Den Anfang macht um 16:30 Uhr die 1994 in Henau (China) geborene vor ihrer Zeit in München in Essen ausgebildete Guilin Yang (Klasse Prof. Michael Schäfer) mit ihrem Prüfungskonzert Zertifikat Meisterklasse Klavier, und das geht gleich mit einem echten Kracher los, führt sofort in pianistisch schwindelerregende Höhen, mit Igor Strawinskys Trois Mouvements de Petrouchka (1. »Danse russe«, 2. »Chez Petrouchka« und 3. »La semaine grasse«) – vom russischen Tanz bis zum slawischen Fest wird da eine Holzpuppe aber sowas von lebendig, furios gespielt, atemberaubend!

    Beeindruckend, wie Guilin Yang danach die 12 Etüden op. 10 von Frédéric Chopin nicht als reinen Leistungssport, sondern als große Musik erstehen lässt, im Technischen sowieso souverän, dazu sorgfältig phrasierend und schattierend, jeder Etüde ihren eigenen Charakter gebend, vom C-Dur Portal op.10/1 bis zur berühmten c-Moll-Revolutionsetüde op.10/12.

    Um 18:00 Uhr ist Keiichiro Ikebe (Klasse Prof. Michael Schäfer) dran, mit seinem Prüfungskonzert Master Klavier. Das Abgerundete bei genauer Beachtung alles Empfindsamen und gekonnt herausragender Einbettung punktueller Höhepunkte ins fließende Geschehen kommt bei Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 30 E-Dur op. 109 gleich wieder zum Tragen. Zumal in den gesangvollen Ausbreitungen des 3. Satzes kann man mit dieser Interpretation „ganz drin“ sein im Fließen der Musik.

    In die Virtuosenzeit nach Liszt fühlt man sich mit Ignaz Friedman (1882–1948) versetzt, dessen Thème Varié vollgriffig brillante Variationen bieten. Frédéric Chopins Barcarolle op. 60 hingegen, sich auch ins Brillante steigernde Salonmusik, vermag die Bewegung auf dem Wasser großartig zu imaginieren. Auch bei Ikebe besticht die hohe Musikalität bei wie selbstverständlich wirkender technischer Perfektion.

    Maurice Ravels »Gaspard de la nuit« hat man von ihm gespielt schon neulich in einem Klassenabend gehört. Diese drei Stücke gehören ja zum Schwersten überhaupt, was die Klavierliteratur zu bieten hat. Wie aus einem Guss, in sich abgerundet, atemberaubend souverän, pianistisch auf Hochglanz poliert, ohne die musikimmanente Spannung zu vernachlässigen (unheimlich am Galgen im zweiten Stück durchgehalten!) – so ist man wieder mittendrin, mit der Wassernixe, eben am Galgen und dann mit dem listigen Kobold.

    Den größten „Fanclub“ hat Kathrin Isabelle Klein (Klasse Prof. Markus Bellheim) ab 19:15 Uhr bei ihrem Abschlusskonzert Master Klavier dabei, das ist das bei weitem bestbesuchte Konzert dieses Tages an diesem Ort, und Kathrin Isabelle Klein ist es auch, die das älteste und das jüngste Werk des Tages zueinander spannt. Ich höre Johann Sebastian Bach gerne am Konzertflügel gespielt, die Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten der Partita Nr. 6 e-Moll BWV 830 (1. Toccata, 2. Allemanda, 3. Corrente, 4. Air, 5. Sarabande, 6. Tempo di Gavotta und 7. Gigue) schaffen am Steinway Raum für differenzierte Charakterunterschiede von Stück zu Stück, die auch wieder fein schattiert ausgelotet werden. Und mit der Sarabande baut sich eine ganz eigene Welt auf, da bleibt die Zeit stehen. Es ist keine Frage historischer Aufführungspraxis die sich bei alldem stellt, die Pianistin macht einfach Musik, mit Herz und Seele, und technisch – wie alle – grandios souverän.

    Von Olivier Messiaen gibt es mit ihr aus »Catalogue d’oiseaux« die Nr. 8. L’Alouette Calandrelle mit den beteiligten Vögeln und Insekten Alouette Calandrelle (Kurzzehenlerche), Choeur des Cigales (Chor der Zikaden), Faucon Crécerelle (Turmfalke), Caille (Wachtel), Cochevis huppé (Haubenlerche) und Alouette des champs (Feldlerche), kurzweilige und auch zeitlich kurze Naturkunde am Klavier zwischendurch, eine sehr originelle Abwechslung am vielfach hochvirtuos auftrumpfenden Konzerttag der Hochschule.

    Robert Schumanns weit ausschwingende große romantische Sonate Nr. 1 fis-Moll op. 11 (1. Introduzione. Un poco adagio – Allegro vivace, 2. Aria, 3. Scherzo e Intermezzo. Allegrissimo – Lento und 4. Finale. Allegro un poco maestoso) gelingt der Pianistin (neulich am Klassenabend noch ohne Finale gespielt, jetzt auch dieses kompakt durchziehend) pianistisch genauso wie poetisch beeindruckend reif, auch wie aus einem Guss.

    Den Abschluss macht nach 20:30 Uhr das Prüfungskonzert Master Klavier von Sangwon Lee (Klasse Prof. Adrian Oetiker), und da geht es gleich weiter mit Robert Schumann. Zwischen Poesie, Geheimnis und Klavierrausch ziehen die Stücke der Humoreske op. 20 (1. Einfach, 2. Hastig, 3. Einfach und zart, 4. Sehr lebhaft und 5. Zum Beschluss) vorbei. Wieder besticht der große abgerundete Bogen, der sich da bei pianistisch fast noch fulminanterer Darbietung als sie bisher schon zu hören war spannt, und einige Male meint man aus diesem schillernden romantischen Kaleidoskop das sich Humoreske betitelt einen traurigen Clown zu erblicken.

    Franz Schuberts Klaviersonate Nr. 13 A-Dur D 664 (1. Allegro moderato, 2. Andante und 3. Allegro) lächelt freundlich, es gibt andere Sonaten, die in Abgründe führen, diese hält sich was das betrifft zurück, zumindest in Lees wieder alles fein abrundender, gesanglich rund fließender, erneut sorgfältig schattierender und abtönender und dort wo es abgebracht ist durchaus auch dramatisch zuspitzender Interpretation. Die Exposition im 1. Satz wird wiederholt.

    Das Finale trumpft noch einmal hochvirtuos auf, als fulminanter Walzer(alp)traum, mit Maurice Ravels La Valse, bei dem Sangwon Lee ein pianistisches Feuerwerk sondergleichen abbrennt, das erneut das schwindelerregend hohe Niveau heutigen Spitzenklavierspiels an Hochschulen vor Ohren führt.

    Insgesamt kann man aber nach vier Stunden grandioser pianistischer Meisterschaft konstatieren, dass die technische Perfektion zwar offenbar der kleinste gemeinsame Nenner sein mag, aber immer die musikalische Substanz im Vordergrund stand, man die Werke selbst neu mitleben konnte, keine rein artistischen Höhenflüge. Es mag allgemein etwas an ganz persönlicher Aura jedes einzelnen gefehlt haben, an herausragendem „gewissen Etwas“, andererseits ist es doch ein Qualitätsmerkmal sondergleichen, alle Werke in ihrer Substanz und nicht Selbstdarsteller die sich äußerlich darüber erheben gehört zu haben.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • AUS DEM MOMENT HERAUS

    Konzert der Klavierklasse Prof. Anna Buchberger, Hochschule für Musik und Theater München Arcisstraße, Kleiner Konzertsaal, 25.6.2018, persönliche Eindrücke

    Sergei Rachmaninoffs Elegie aus »morceaux de fantaisie« op. 3/1 finde ich ist eines der beeindruckendsten Klavierstücke des russischen Komponisten, diese eindringliche große, gewichtige Melodie in es-Moll. Die aus Weilheim kommende Irina Wiesinger, die vor ihrer Hochschulzeit bei der Klavierpädagogin Eva Müller studiert und bei „Jugend musiziert“ einen 2. Preis gewonnen hat, spielt sie im etwa zu zwei Drittel vollen Saal beherzt musikantisch, ganz aus dem Augenblick heraus. Auch Claude Debussys Sarabande (im harmonisch offenen Impressionismus) und Toccata (höchst lebendig!), die Nummern 2 und 3 aus der »Suite Pour le Piano«, haben das genau richtig Spontane in ihrer Interpretation, die aus dem Einstudierten und Abzurufenden etwas machen, was wie nur aus diesem Moment kommend erscheint.

    Als Miriam Ruhstorfer, aus Leiblfing kommend und auch als Kirchenmusikerin bekannt, beginnt, Edvard Griegs »An den Frühling« op. 43 aus den lyrischen Stücken zu spielen, meint man, auch diese Melodie bereits zu kennen, in den Kanon wohlvertrauter Musik einordnen zu können, bei der man nicht immer sofort sagen kann, was es ist (außer man ist ein Experte dafür oder hat eine besonders gute Merkfähigkeit). Auch »Es war einmal« op. 71 aus Griegs lyrischen Stücken wird von Miriam Ruhstorfer gespielt, und später im Konzert spielt Nora Schmidt (bei google auch bei Weilheim und „Jugend musiziert“ zu finden) zwei Klavierstücke nach eigenen Liedern von Grieg, »Die Prinzessin« op. 41 und »Des Dichters Herz« op. 52,und alle diese Stücke erzählen auf ihre Art kleine große Klaviergeschichten.

    Sie alle tun es einfach – in die Klavierwelten eintauchen, charakterlich unterschiedliche Klavierstücke lebendig werden lassen, mit technischem Können und mit Herz und Seele.

    Nora Schmidt und Bianca Seufert spielen Wolfgang Amadeus Mozarts Sonate Nr. 16 für Klavier (»Sonata facile«) C-Dur in der Bearbeitung für zwei Klaviere von Edvard Grieg, und da klingen die drei Sätze (Allegro, Andante und Rondo) schon, zumal im Kleinen Konzertsaal, der ohnedies den Klavierklang „frisst“, etwas sehr voll, die Sonate kriegt eine ziemliche Fülligkeit. Griegs Klaviersatz überrascht gleichwohl mit einigen originellen, pointierten „fill ins“.

    Eine Entdeckung sind die Sätze 1 und 2 aus Olli Mustonens (geb. 1967) Sonate »Jehkin livana«, auch vorgestellt von Noras Schmidt: 1 mit einem unheimlich durchgehaltenen langsamen Ostinato aufwartend (fast wie in Ravels Le Gibet), dazu mit grimmigen Motiven wie von Béla Bartók, 2 sprunghaft und verbissen treibend.

    Bereits neulich in einem Hochschulkonzert zu hören war Michail Glinkas/Mili Balakirevs »Die Lerche«, gespielt auch nun wieder von Ela Cansu Bekgöz: Originelle Salonmusik mit virtuosen Girlanden.

    Den Abschluss macht Ela Cansu Bekgöz mit Felix Mendelssohn Bartholdys brillantem Konzertstück Rondo capriccioso op. 14 E-Dur, in dem ja auch die Elfen aus dem Sommernachtstraum mitzutanzen scheinen – konzertreif im wahrsten Sinn des Wortes, immer aus dem Moment heraus, wie nahezu alles bei diesem Konzert.

     

    Zu Hause der Nachklang mit dem ersten und letzten Werk des Konzerts, Rachmaninoff mit Yuja Wang (CD Fantasia, eher kühl gespielt) und Mendelssohn mit Sophie Pacini (CD In Between, als Bekenntnismusik gespielt, empathisch, subjektiv und kontrastiv).

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Hallo zusammen,

    gestern Abend habe ich das letzte Konzert des BR SO im Rahmen des Abo D im Münchner Herkulessaal gehört: Kent Nagano dirigierte ein 'spirituelles' Programm:

    Olivier Messiaens 1960 uraufgeführte (und 1962 bereits unter Pierre Boulez vom Orchester aufgeführte) Chronochromie für großes Orchester.
    Anton Bruckners im Chor achtstimmige e-moll-Messe mit der Hauptrolle für den BR Chor in der Einstudierung von Peter Dijkstra.

    Messiaen gehört für mich zu den (selten gehörten) Lieblingskomponisten des 20 Jahrhunderts, Chronochromie war für mich eine Premiere, die deutsche wikipedia-Seite hat keinen eigenen Eintrag dazu, die französische geht kaum über die Beschreibung der Besetzung und der Anlage hinaus. Ich gehe davon aus, dass auch hier im Forum nicht viele Mitforisten dieses Stück gut aus Livebegegnungen kennen, das für Donaueschingen komponiert worden ist. Messiaen bekam laut Programmheft einige Auflagen für das Auftragswerk (z.B. den Verzicht auf Ondes Martenot), dafür höre ich dem Stück an, dass der Anspruch von 'Avantgarde der späten 1950'er/frühen 1960'er Jahre' aus jedem Knopfloch schimmert. Es gibt deutlich sinnlichere Musik von ihm, vielmehr wirkte vieles im Stück selbstreferenziell und theoretisch. Orchester und Dirigent haben dem sauschweren Stück viel Mühe und Präzision (insbesondere im - wie immer bei Messiaens Orchesterwerken - sehr präsenten Schlagwerk) angedeihen lassen, eine übergroße Begeisterung schien sich aber auch bei den Aufführenden nicht entwickelt zu haben.

    Nach der Pause stand dann der BR-Chor in 53-Besetzung im Zentrum der Aufführung, die 13 Bläser waren auf ihren angestammten Plätzen geblieben, Kent Nagano rückte also mit dem Dirigentenpult weit nach hinten. Die für die Eröffnung der Votivkapelle in Linz geschriebene Messe wird - völlig zurecht - auf der deutschen wikipedia als das heikelste der Vokalwerke angesprochen, ich kann mir kaum vorstellen, wie eine Freilichtaufführung (für die das Stück geschrieben worden ist), der großen Bandbreite an leisen und ganz leisen Passagen gerecht werden sollte. Aus zeitgenössischen Quellen geht hervor, dass insbesondere Kyrie und Gloria die damaligen Hörer erreicht haben, die gestrige Aufführung war durchweg auf sehr hohem Niveau. Die Tempi Naganos waren immer auf der langsamen Seite, in so einer (relativ kleinen) Besetzung ist das Stück dann tatsächlich nur von einem Profichor in so toller Qualität zu stemmen: die Steigerungen waren großartig aufgebaut, der flehentliche Charakter vieler Passagen war hervorragend getroffen. Wie ich aus dem Chor vor Konzertbeginn gehört habe, waren auch dort viele Sänger von der Wirkung des Stückes in der Interpretation Naganos sehr begeistert. Das hat man gehört. Aus meinen bisherigen Begegnungen im Konzert oder auf CD habe ich vor allem die wahnsinnigen Ansprüche an den Chor in Erinnerung, denen nicht alle Sänger gerecht werden können (als beliebiges Beispiel: die Sopran-Passagen beim zweiten Miserere im Agnus Dei; die Kraft so einzuteilen, um diese Stelle nach ca. 40 Minuten pausenlosen Singens noch so darstellen zu können: großartig). In einer derartigen Interpretation steht das Stück in meinen Ohren auf einer Stufe mit meinen absoluten Lieblingsstücken von Bruckner (Urfassung 4., 6., 8. und 9. Symphonie).

    Wer also eine sehr gute Aufführung dieser beiden selten zu hörenden Stücke erleben will, hat heute Abend live auf BR Klassik dazu eine Gelegenheit. Oder natürlich im Herkulessaal direkt.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • AUF DEM WEG IST SIE VIELE

    Elisabeth Kulman und Ensemble mit "La femme c'est moi" im Prinzregententheater München, 12.7.2018

    Elisabeth Kulman, die erfolgreiche Weltklasse-Mezzosopranistin, hat sich seit einigen Jahren dem Opernbetrieb völlig entzogen und beschränkt sich auf Liedkonzerte sowie auf Spezialprojekte und Mitwirkungen in Orchesterkonzerten und konzertanten Opernaufführungen (Anfang 2019 etwa „Die Walküre“ mit Simon Rattle in München) und vor allem auf ihr ureigenes Projekt "La femme c'est moi".

    Dieses erlebte nun im fast ausverkauften Prinzregententheater vor einem hochkonzentriert angespannt lauschenden und auch fasziniert schauenden Publikum seine Erstaufführung in Deutschland.

    Zusammen mit einem erlesenen siebenköpfigen Ensemble bietet sie in diesem Programm ein vielschichtiges Panorama unterschiedlichster Frauentypen, wobei sie vielfach chamäleonartig von einer Rolle in die andere wechselt.

    Elisabeth Kulman nimmt sich alles Wichtige aus dem professionellen Weg bis zu ihrem Ausstieg und baut es in die Performance ein – stimmlich, darstellerisch und im Programmablauf.

    Letzterer zählt diese Komponistennamen auf: Theissing (der Ensembleleiter und Arrangeur), Saint-Saëns, Porter, Bizet, Warren (ein Dean Martin Komponist), Britten, Lloyd Webber, Schubert, Bahler (komponierte für Michael Jackson), Seress, Mozart, Schubert, Richard Strauss, Paul McCartney, Herwig Reiter (Nöstlinger- und Kästner-Vertonungen), Friedrich Hollaender, Wagner, Mozart, Weill, Verdi und Dumont (Piaf).

    Das erscheint wie ein aberwitziges Gemisch, das auf einen etwas zu bunten Crossover Event schließen lässt. Doch weit gefehlt: In den beiden Blöcken vor und nach der Pause entfaltet sich eine kluge wie stimmige, musikalisch inspirative wie unterhaltsame Vielfalt an Blicken auf Aspekte der Liebe und der Politik (allgemein).

    Elisabeth Kulman setzt dabei ihre Stimme, ihr Ausdrucksvermögen, ihre schauspielerischen Möglichkeiten sensationell facettenreich ein, jedem Genre, jedem Charakter angepasst, ob große Opernpartie, ob Chansonette. Oft binnen Sekunden, manchmal auch mit Lichtwechsel unterstrichen, wandelt sich der Charakter, je nachdem was angesagt ist.

    Die Magie großer Kunst stellt sich sofort mit ihrem Auftritt nach der kurzen Einleitung des Ensembles ein, wenn sie die berühmte Arie der Dalila singt – da kriegt man Gänsehaut, da hört man die Stecknadel fallen, da sind alle im Bann der eindringlichen, berührenden (ja durchaus) Rollengestaltung, die da in ein paar Minuten erfolgt.

    Wie sie daraus dazu übergeht, den Hass auf die Männer mit Cole Porters „Kiss me, Kate“ Klassiker weiterzugeben, ist (ja schon) auch gute Show, gleichzeitig aber auch verblüffend „echt“. Elisabeth Kulman schafft es, statt Illusion Wirklichkeit von der Bühne ans Publikum zu vermitteln. Man ist völlig im Bann dieser Gegenwärtigkeit.

    Und wenn sie dann hurtig, manchmal auch verweilend, von einer Person in die andere, manchmal wieder zurück oder wohin auch immer springt bzw. singt, die den Cellisten umschmeichelnde Carmen, Maria Magdalena aus „Jesus Christ Superstar“, sofort darauf Goethes Gretchen am Spinnrade im Schubert Lied, völlig weltentrückt die Pamina, gleich darauf der beruhigende Tod Schuberts mit seinen Worten ans Mädchen, die hier charmant wienerische Marschallin aus dem „Rosenkavalier“, gleich darauf die Aussicht aufs Älterwerden mit den Beatles, sich´s mit köstlich rotzig emanzigen Parolen mit dem Kontrabassisten verscherzend und von diesem rausgeworfen werdend (Zeit für eine Ensembleeinlage und fürs Umziehen zur nächsten Rolle, ja auch dies mitgedacht), zwischen Walküre und Königin der Nacht changierend, Fricka und sogar Escamillo, Chansonette und Seeräuber-Jenny, Eboli, Salome und mit bekannten Worten auch kurz Herodes – man muss das miterlebt haben, um den Facettenreichtum komplett mitvollziehen zu können, es nachzuerzählen bedeutet so viel auslassen zu müssen, was auch noch nennenswert, bemerkenswert, staunenswert wäre.

    Das grandiose Ensemble, Tscho Theissing (Arrangements, Viola, diverse Instrumente), Aliosha Biz (Violine), Franz Bartolomey (Violoncello, ehemals Wiener Philharmoniker), Herbert Mayr (Kontrabass, Wiener Philharmoniker), Gerald Preinfalk (Klarinetten und Saxophone), Maria Reiter (Akkordeon) und Eduard Kutrowatz (Klavier) agiert absolut optimal – die Arrangements sind so gesetzt, dass Elisabeth Kulman genauso wie alle Instrumentalisten unverstärkt singen bzw. spielen können, was dem Abend eine wunderbare Natürlichkeit gibt. Alles ist feinfühlig, sensibel, durchsichtig aber nie mutwillig geglättet eingerichtet, jede opernhafte, jede klezmerische, jede parodistische Nuance haben ihren sinnvollen Platz, und zwischendurch können auch alle zeigen, was für Supermusikanten sie sind. Klug sind wie schon angedeutet auch Pausen für die Solistin eingebaut, mit Instrumentaleinschüben vom Feinsten.

    Elisabeth Kulman nimmt sicht- und hörbar mit diesem Programm alles mit was sie im jahrelangen professionellen Betrieb aufgesaugt hat und gibt alles, aber nicht als Show oder Event, sondern künstlerisch ganzheitlich. Das ist wohl derzeit ihr Weg. Und dabei ist sie nicht eine, sondern eben viele.

    Großer Jubel am Ende, zwei weiter verblüffend intensive Zugaben, virtuos die Schlussfuge „Tutto el Mondo“ aus Verdis Falstaff und beseelt Liszts „Es muss ein Wunderbares sein“.

    Das Publikum verabschiedet alle zusammen mit einer Standing Ovation.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • DIE DEMUT DES MEDIUMS FÜR DIE MUSIK

    Masako Ohtas CD Poetry Album und dessen Livevorstellung im Lehrinstitut Bencic (München), 29.9.2018, persönliche Gedanken

    Das Klavier-Solo-Konzeptalbum zum Thema Liaison der 1960 geborenen japanischen Pianistin Masako Ohta fügt populäre und unbekannte Klavierstücke vom Barock bis zum 20. Jahrhundert zu einem in sich abgerundeten Klang- und Poesiebogen zusammen.

    Masako Ohta, die in Tokyo und Berlin ausgebildet wurde und ihre CD im September und Oktober 2017 im Waldhaus Grandsberg in Deutschland auf einem C. Bechstein Flügel aufgenommen und im Februar 2018 auf dem Label Winter & Winter veröffentlicht hat, gelingt es, ihr Konzept nicht primär als Aufeinanderfolge stilistisch unterschiedlicher Piecen die man musikhistorisch miteinander vergleichen kann (was natürlich auch möglich ist) umzusetzen, sondern vielmehr als eine klangliche und klavierpoetische Reise, die dazu einlädt, den verinnerlichten, beseelten Facetten der Liaisonen die hier angedeutet werden nachzuspüren.

    Man kann die CD bewusst mit den Stücktiteln im Blick hören und dazu die Innigkeit weiter denken, mit der die Komponisten ihre Zuwendung auszudrücken versuchen, man kann sie aber auch einfach als klavierpoetische CD durchlaufen lassen und sich den unterschiedlichen Stimmungen hingeben.

    Masako Ohta spielt wie spontan, wie aus dem Augenblick geboren. Man hört deutlich, wie sie barocke und klassische Musik (Bach, Couperin, Beethoven) aus einem Spinett-Anschlag heraus versteht, wie sie der Romantik (Clara und Robert Schumann, Brahms und Ravel) in den Stücken aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert pianistische Entfaltung ermöglicht und wie sie die spirituellen bis sperrigen Klangkristalle des 20. Jahrhunderts (Kurtág, Pärt, Takemitsu) als kreative Kontrapunkte zur bis dahin gewohnten Musiktradition einsetzt. Sie fügt das aber nicht didaktisch aneinander, sondern hochmusikalisch, wie intuitiv, als würde sie ähnlich Keith Jarrett in seinen berühmten Solokonzerten am Klavier immer ganz Neues aus dem Nichts stilistisch vielfältig und farbenreich schattiert im Augenblick zum Klingen bringen.

    Der 1926 geborene György Kurtág zählt neben György Ligeti und Péter Eötvös zu den bekanntesten ungarischen Komponisten nach 1945. Von ihm spielt Masako Ohta die Hommage a Farkas Ferenc 4 mit dem Untertitel „Liebe im Herzen, bittere Schmerzen...“ sowie eine Hommage à Kurtág Márta.

    Barockes und Vorklassisches ist mit Johann Sebastian Bachs populärem Präludium und Fuge I C-Dur BWV 846, von der Pianistin bewusst schlicht und klar gespielt, und mit François Couperins Rondeau Les Bergeries vertreten. Couperin (1668-1733) war ein berühmter Organist und Hofkomponist Ludwigs XIV.

    Die Wiener Klassik erfährt auch eine bewusst schlichte Würdigung, mit Ludwig van Beethovens Für Elise WoO 59, bei der man ja nicht sicher ist, ob es nicht eine Therese gewesen sein könnte. Wer das Stück selbst am Klavier zu spielen imstande ist, hört vielleicht noch genauer, wie sich die Pianistin hier um Anschlagskultur und bewusste Schlichtheit bemüht.

    Robert Schumanns Protegé Johannes Brahms hat Roberts Frau und spätere Witwe Clara Schumann (1819-1896), selbst Pianistin und Komponistin, ja zumindest sehr verehrt. Masako Ohta verrät mit ihrer Stückauswahl zu diesem „Dreieck“ nobel und dezent allenfalls tiefste ehrliche Empfindungsdimensionen – mit Brahms´ Intermezzo op. 119 No. 1, mit Clara Schumanns entdeckenswerter Romanze op. 11 No. 1 und mit Robert Schumanns No. 2 aus den Sechs Stücken in kanonischer Form op. 56, wie vorgeschrieben „mit innigem Ausdruck“ zusammen mit Mariko Takahashi als die CD kongenial abrundendes Stück gespielt, das einzige drei(!)händige Stück der CD (Liaison!).

    (Auf Clara Schumann als Komponistin macht 2018 übrigens auch die Münchner Pianistin Sophie Pacini aufmerksam, sie spielt auf ihrer im Mai 2018 erschienenen CD „In Between“ unter anderem Clara Schumanns Scherzo No. 2 c-Moll op.14.)

    In wieder ganz andere und doch im Komplex ganz eigen passende, nun impressionistische Klavierwelten führt Maurice Ravels belebte dreisätzige Sonatine (I Modéré, II Mouvement de Menuet und III Animé). Dazu kann man sich etwa Monet Gemälde vorstellen.

    Klangkristalle im offenen Raum, sphärischer mit Arvo Pärts Für Alina (Tempoangabe Ruhig, erhaben, in sich hineinhorchend), sperriger mit Tōru Takemitsus drei Pause Ininterrompue Stücken (1. Slowly, sadly and as if to converse with, 2. Quietly and with a cruel reverberation und 3. A song of love), bringen neben Kurtág das 20. Jahrhundert ein.

    Der 1935 geborene estnische Komponist Arvo Pärt ist in der Fachwelt umstritten – ist seine „weltverlorene Kompositionsweise“ eine raffinierte kommerzielle Masche oder tief spirituell? Masako Ohtas Für Alina Interpretation vermag es, für zweiteres zu plädieren.

    Aus den Klängen des aus Tokyo stammenden Tōru Takemitsu (1930-1996) Spirituelles herauszuholen gelingt der Pianistin genauso bzw. schafft sie es auch hier, den Hörer den Kontext was man gerade hört vergessen zu lassen und ihm die Möglichkeit zu geben, sich ganz in die Musik an sich hineinfallen zu lassen.

    Bescheiden und demütig wirkt die zierliche Künstlerin als sie im Lehrinstitut Bencic auftritt. Sie gibt immer wieder zwischendurch Erläuterungen zu den Komponisten und Werken, einfühlsam und pointiert, auch anekdotisch die Aufmerksamkeit aufs Wesentliche lenkend. Masako Ohta spielt die CD komplett live durch, in genau der Reihenfolge der CD. Die Widmungen, so die Künstlerin, seien manchmal geheimnisvoll. Live wird es noch deutlicher: Masako Ohta spielt spontan und impulsiv, ganz im Jetzt. Dass sie vorgegebene Klavierpartituren abruft, teilweise mit den Noten vor sich, teilweise auswendig, tritt zurück hinter ihre Fähigkeit, alles aus dem Augenblick kommen, jede eigene Klangwelt durch ihre Persönlichkeit völlig neu aufleben zu lassen. Der Mensch ist das Medium, die Musik weiter zu geben, Masako Ohta gibt sich gleichzeitig ganz und löst sich im selben Augenblick auf, lässt allein die vielfältige Musik zu uns sprechen.

    Zu Takemitus Stücken trägt sie vor Beginn das den Komponisten inspiriert habende Gedicht auf Japanisch und Deutsch vor. Kurtág und dessen Frau konnte sie persönlich kennenlernen: „So ein feiner Mensch!“ Das abschließende Schumann-Stück trägt sie hier „nur“ zweihändig vor. Ein tief bewegender, bescheidener genauso wie beseelt ungemein bereichernder Abend.

    Mit der Zugabe bestätigt die Künstlerin ihren Anspruch, beseelte musikalische Energie weiterzugeben statt äußerlich abräumen zu wollen – Johann Sebastian Bachs große Meditation der Sarabande aus der Partita B-Dur.

    Mit Verweisen auf die CD zum Konzertprogramm und auf die nächsten Konzerte verabschiedet sich Masako Ohta so herzlich, wie sich der ganze Abend vermittelte.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • SIE, EWIG REISENDE

    „Wir, ewig Reisende“, ein Konzert im Kleinen Konzertsaal (Gasteig), München, 6.10.2018, persönliche Konzerteindrücke

    Ein paar Tage davor durch die Erwähnung in einem Münchner Klavierabend der Pianistin Masako Ohta darauf aufmerksam gemacht, entschlüsselt sich das recht gut besuchte Konzert rasch als ein intensives Plädoyer für weibliche Kunst – kompositorisch, nachschöpferisch, improvisatorisch (letzteres jeweils Free Space betitelt).

    Free Space 1 stellt die Pianistinnen Serena Chillemi und Masako Ohta mit einer vierhändigen Improvisation am Flügel vor, im Raum Schwingungen aufbauend, auch den Innenraum des Klaviers zur Klangerzeugung nutzend, teilweise rhythmisch akzentuierend.

    Kaja Plessing singt nun zwei Alma Mahler Lieder, Stille Stadt (Richard Dehmel) und Laue Sommernacht (Gustav Falke), am Klavier von Serena Chillemi mitgestaltet. Die Liedsprache erinnert etwas an Hugo Wolf und Richard Strauss, Jugendstil, Wende zum 20. Jahrhundert, hochromantisch gefühlsintensiv.

    Free Space 2 spielt Masako Ohta alleine am Flügel – Klavierklänge wie Wasserperlen, impressionistisch angehaucht. Im Ausklang Stille, bewusst angehalten.

    Eine Stimme aus dem Publikum, Kaja Plessings Stimme, deklamierend: “Noch fürcht Ich…“

    Das ist auch der Titel des nächsten Beitrags, somit die dazu gehörende Texteinleitung. “Noch fürcht Ich…“, 7 Miniatures für Klavier solo op. 8 (1993) von Konstantia Gourzi (geboren 1962), weiter Masako Ohta, bringen punktuelle Musik, nachklingende Momentaufnahmen, flüchtig bis demonstrativ.

    Nun erneut Kaja Plessing aus dem Publikum, Free Space 3: perkussiv, freier Gesang dazu, naturhaft meditativ.

    „Atem der Erde“ für Klavier solo 2016 von Dorothea Hofmann (geb. 1961) komponiert, wird wieder von Serena Chillemi gespielt. Da öffnet sich eine weitere eigene naturhafte Klangwelt, die den Werktitel nahezu plastisch fühlbar macht, in sich harmonisch freitonal, und nach und nach mag sich das Gefühl intensivieren, hier werde das Feuer der Erde entfacht.

    Und das Konzert, insgesamt nicht viel länger als eine Stunde dauernd, erhält immer deutlicher auch Züge einer Weihestunde, einer Messe, obwohl es dann doch wieder zu Konzertkonventionen zurückkehrt.

    „Aber du kommst nie mit dem Abend“ deklamiert Kaja Plessing mit dem Rücken zum Publikum an die Bühnen-Hinterwand, und sie schlägt mit der Hand gegen die Wand dazu. Die beiden Pianistinnen geben punktuelle Einwürfe, schwebender freier Gesang mischt sich ein, die Klänge scheinen einander zu suchen, Emotion ist spürbar, füllt den Raum - Free Space 4, alle drei sind hier auf der Reise.

    Aus den 4 Liedern op. 2 (1899/1900) von Arnold Schönberg singt Kaja Plessing, mitgestaltet von Masako Ohta, nun die Nr. 1 Erwartung (Richard Dehmel) und die Nr. 4 Waldsonne (Johannes Schlaf) – wieder Jugendstil, Fin de Siècle.

    Als Uraufführung ist Dorothea Hofmanns 2012 fertiggestellte Sonate für Klavier vierhändig Odyssee mit den vier Sätzen Calypso, Kirche, Die Sirenen und Nausikaa zu hören, auch Musik, die versucht, aus den Stücktiteln außermusikalische Assoziationsmöglichkeiten zu öffnen, eine keineswegs sich sperrende, abweisende Musik, vielfach motorisch mitreißend, griffig effektvoll, mit Klängen und Klangwirkungen arbeitend, möglicherweise an Rachmaninow, Prokofjew, Milhaud anknüpfend. Die beiden Pianistinnen spielen die Sonate mit sicht- und hörbarem vehementem Engagement.

    Zwei weitere Alma Mahler Lieder runden das Konzert ab, wieder das Duo Plessing/Chillemi – Bei Dir ist es traut (Rainer Maria Rilke) und Ich wandle unter Blumen (Heinrich Heine), noch einmal Jugendstil-Blüten, spätromantisch gefühlstief.

    In den herzlichen Schlussapplaus dieses persönlichkeitsstarken Plädoyers für das selbstbewusste wie selbstverständliche Wirken der Frauen in der Musik wird auch die anwesende Uraufführungskomponistin einbezogen.

    Sie, ewig Reisende. Wir durften mitreisen. Aus den Reiseeindrücken lässt sich allerhand mitnehmen.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • BILDER VON DALI UND BULGARISCHE TROMMELN

    Im Großen Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater München fand am 17.10.2018 bei freiem Eintritt das Preisträgerkonzert zum Harald-Genzmer-Kompositionswettbewerb und Harald-Genzmer-Interpretationswettbewerb 2018 statt, ein etwas mehr als einstündiger Klavierabend mit den Uraufführungen der prämierten Werke sowie Werken für Klavier solo des Namensgebers der Wettbewerbe.

    Persönlicher Eindruck:

    Der deutsche Komponist Harald Genzmer (geboren am 9.2.1909 in Blumenthal, Provinz Hannover, gestorben am 16.12.2007 in München) studierte in Berlin bei Paul Hindemith, der ihn stilistisch stark prägte, wie auch die an diesem Abend zu hörenden Kompositionen vielfach bestätigen. In München wirkte er von 1957 bis 1974 als Kompositionslehrer an der Hochschule für Musik. Die von Sergiu Celibidache geleiteten Münchner Philharmoniker brachten 1986 Genzmers Symphonie Nr. 3 zur Uraufführung. Was zweihändige Klaviermusik betrifft seien hier die Erste Sonate (1938), eine Sonatine, Préludes, eine Suite in C für Klavier (1948) und die Fünfte Sonate für Klavier (1985) genannt. Bei jpc wird zum Konzertzeitpunkt eine 10 CD Werkschau (Thorofon/Bella Musica) um 8,99 Euro angeboten.

    Der 1. Kompositionspreis wurde 2018 von der sich aus Prof. Margarita Höhenrieder, Stefan Conradi, Prof. Dr. Bernd Redmann und Gideon Rosengarten zusammensetzenden Jury nicht vergeben. Den 2. Preis (insgesamt gab es 110 Einsendungen) teilen sich Daniel Hey (Berlin) für »Zwei Klavierstücke nach Bildern von Salvador Dalí« und Oliver Kolb (Darmstadt) für »Vier Bagatellen«. Der 3. Preis wurde Françoise Choveaux (Frankreich) für »Grande Pâture 1970 eau forte sur papier Eugène Leroy« zuerkannt.

    Den Konzertabend eröffnet die von der Jury ob „ihrer besonderen Farbigkeit“ (zitiert jeweils aus der Konzertankündigung der Hochschule) prämierte Nr. 4 »Grande Pâture 1970 eau forte sur papier Eugène Leroy« aus Il Tableaux op. 2/7 der 1953 geborenen Françoise Choveaux, vorgetragen von Yun-An Lee (Klasse Prof. Höhenrieder). Das impressionistisch anmutende kurze harmonisch leicht jazzoid gefärbte Stück bricht gleich am Klavier und ins Klavier auf, lotet den vollen Klaviersound raumfüllend aus. Schon diese prachtvoll erstaunliche Ouvertüre deutet an – hier wird Klaviermusik geboten, die man gerne wieder hören und im Fall der Fähigkeit dazu auch selber spielen will. In den Applaus wird auch die Komponistin einbezogen, auch bei den folgenden Uraufführungen werden die Komponisten am Applaus partizipieren.

    Nach der Begrüßung und Preisverleihung setzen zwei Werke von Harald Genzmer das Konzert fort. Das pianistisch furiose Finale (der 3. Satz) aus der Klaviersonate Nr. 4 (1982), gespielt von Riccardo Gagliardi (3. Preisträger des Interpretationswettbewerbs), gemahnt stilistisch wirklich an Hindemith, vielleicht auch an Rachmaninow, Bartók und Prokofjew. Das archaisch anmutende Adagio (2. Satz) aus der Klaviersonate Nr. 5 (1985) hingegen, gespielt von Hyunjin Lim (zweiter 3. Preisträger beim Interpretationswettbewerb), gibt sich akkordisch groß. Erneut kann man hier an Rachmaninow und an Hindemith denken.

    Für die Jury zeichnen sich Oliver Kolbs (geboren 1963) »Vier Bagatellen« durch „Witz und Esprit und den Charme der unterschiedlichen Anmutungen“ aus – sie sind Improvisation, Scherzo, Altes Foto und Bulgarische Trommeln betitelt und alle sehr kurz. 1 hat auch etwas Impressionistisches, 2 bringt Schumann und Bartók (Begleitfigur!) zusammen, 3 überrascht mit schwelgerischer Salonmusik und 4 lässt wieder an Prokofjew denken. Auch dies sind kleine Stücke, die sich anbieten, gerne wieder gehört und gespielt zu werden. Riccardo Gagliardi macht mit seiner Interpretation so richtig heiß darauf.

    Das Presto-Finale (3. Satz) aus Genzmers 5. Sonate hat etwas Wirbeliges wie das Finale der 2. Chopin Sonate, aber auch markant Klopfendes wie in Balakirews Islamey zu bieten. Hier beeindruckt Kathrin Isabelle Klein (2. Preis Interpretationswettbewerb) mit hochvirtuosem Klavierspiel.

    Der dritte Uraufführungskomponist ist nun der 1988 geborene Daniel Hey. Die Jury überzeugte er „mit ausgeprägtem Eigencharakter und sprechender Atmosphäre, die Sensibilität und Fantasie vom Interpreten fordert“. Wer sich vor Beginn des Vortrags von »Zwei Klavierstücken nach Bildern von Salvador Dalí« (1. „Die Entwöhnung von der Möbelnahrung“ und 2. „Himmelfahrt“) Dali Gemälde vorstellt, erhält sogleich mit dem ersten Stück eine musikalische Entsprechung, er wird in eine verzauberte Kristallwelt, eine ganz eigene klavieristische durchsichtige Klangwelt entführt, im Mittelteil mit starker Verdichtung. Das zweite Stück kommt akkordisch weit ausholend, wieder mit sanft impressionistischem Touch. Yinghua Huang (Klasse Prof. Höhenrieder) hat dafür keine Notenblätter, sondern ein i-Pad vor sich.

    Dem Abschluss macht die Suite C-Dur (1947/48) von Harald Genzmer, vier kurze Sätze,1 (Moderato), 2 (Allegro), 3 (Andante) und 4 (Presto), und die teilen sich die beiden 1. Preisträger des Interpretationswettbewerbs, Magdalena Habus die Sätze 1 und 2 und (ihn hat man ja bereits gehört, nun aber spielt er auswendig) Yinghua Huang die Sätze 3 und 4, der damit den Abräumer des Bravour-Finalsatzes für sich hat.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • HARLEKIN, GRETCHEN UND SONATENBELEBUNGEN

    Margarita Oganesjan stellte im Lehrinstitut Bencic in München Klavierwerke vor, die man nicht so oft in Konzerten hört, 19.10.2018, persönliche Eindrücke

    Die aus Erewan (Armenien) stammende in München lebende Pianistin Margarita Oganesjan studierte ab ihrem 15. Lebensjahr an der Musikhochschule München bei Vadim Suchanov und absolvierte danach die Meisterklasse am Mozarteum Salzburg bei Prof. Alexej Lubimov. 2012 erschien eine Schubert-„Winterreise“ CD mit dem Sänger Michael Kupfer. Intensiv arbeitet sie mit der Geigerin Rebekka Hartmann als Kammermusikduo zusammen (CD "Views from Ararat" 2015). Am 20.10.2018 steht ein Konzert für das Scharwenka Kulturforum bei den Bad Saarower Klavierkonzerten mit selten gespielten Werken von Sibelius, Volkmann, Scharwenka und Draeseke an. Das möchte am Vorabend schon einmal öffentlich vorgestellt und damit konzentriert erprobt werden. Im kleinen Rahmen des Lehrinstituts Bencic bietet sich am Steinway Stutzflügel die ideale Gelegenheit dafür.

    Das Konzert beginnt mit den 13 Klavierstücken op. 76 von Jean Sibelius, leicht fassbare Salonmusik-Albumblätter, Charakterstücke in der Nachfolge von Schumann und Grieg, betitelt unter anderem Carillon, Humoresque, Romanzetta, Arabesque, Elegiaco, Capriccietto und (pointiertes Finale!) Harlequiniade. Margarita Oganesjan spielt die Stücke mit festem Zugriff. Sie erklärt danach, dass sie auf diesen Zyklus durch den Komponisten Wilfried Hiller aufmerksam gemacht wurde. In der Folge liest die Künstlerin jeweils fundierte Einführungen zum Lebenslauf und zu den gespielten Werken der Komponisten vor.

    Robert Volkmann (1815-1883) hebt sie unter den unbekannteren Komponisten als besonders originell hervor. Dessen Klaviersonate c-Moll op. 12 schließt stilistisch an Beethoven und Schubert (Weitläufigkeit im 1. Satz!) an. Man spürt, der Pianistin, die dieses Werk auswendig spielt, ist diese Musik ein wirkliches Herzensanliegen, ihr erneut energischer Zugriff, der aber auch die poetischen Passagen enorm intensiv zur Geltung bringt, ist mit Herz und Seele erfüllt. Die Sonate hat vier Sätze, Moderato cantabile, Prestissimo, Andante, pesante und Attaca: Allegro molto.

    Von Philipp Scharwenka (1847-1917) hören wir nach der Pause das Fantasiestück op. 11 – und das versetzt mich sofort zum höchst erregten Gretchen am Spinnrade Schuberts, atmosphärisch und motivisch anklingend. Mit dieser Assoziation (oder anderen) tauchen wir in eine erneut spannende romantische Klavierwelt ein. Gretchen zeigt sich darin noch einmal, und die Fantasie endet dann aber dunkel, düster.

    Die große Sonata quasi Fantasia op. 6 von Felix Draeseke (1835-1913), erst seit einem Nachdruck aus dem Jahr 1988 wieder ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit gelangt, der 1. Satz mit pianistisch ausschwingender Introduzione und großem Marcia funebre Hauptteil, der 2. Satz ein dahinhuschendes Valse-Scherzo Intermezzo und der 3. Satz ein heroisch großes, virtuos mitreißendes Finale mit nur einem kurzen Innehalten in der Mitte, bestätigt den sehr bestimmten, unbedingten Interpretationsansatz der Pianistin, die mit ihrem vehementen Einsatz für diese selten zu hörenden Werke die Anwesenden restlos zu begeistern vermag.

    Zwei Zugaben runden das Konzert anmutig ab, eine Scarlatti Sonate und das melodisch so wunderbar träumerische Klavierstück op. 118/2 von Johannes Brahms, und beide unterstreichen Margarita Oganesjans beherzt-festen wie gleichwohl beseelten Zugriff, der alle in seinen Bann zieht.

    Zu Hause der Nachklang von CD, noch einmal die klavieristisch so ergiebige Draeseke Sonate, nun mit Claudius Tanski (CD Altarus AIR-CD-930, gekoppelt mit Liszts h-Moll Sonate, veröffentlicht 1992), gespielt auf einem Bösendorfer Flügel – wahrlich eine der großen romantischen Klaviersonaten, die es durchaus verdient, immer wieder aufgeführt oder anderweitig gehört zu werden.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • VOM KONTRABASSJAZZSOLO BIS ZUR ORFFMASCHINE

    "Carmina burana meets Klazz Brothers" im Herkulessaal der Residenz (München), 20.10.2018

    Der "Event" beginnt spektakulär und er wird spektakulär enden. Spektakulär kündigt er sich ja schon an als Konzert mit Solisten, Chor und Orchester sowie mit einem Jazztrio. Unerwartet spektakulär geht es allerdings ca. 40 Minuten vor Konzertbeginn los, weil wegen eines technischen Defekts in der Residenz der Alarm ausgelöst wird und alle das Gebäude für etwa 20 Minuten verlassen müssen. Mit etwas Verspätung kann Dirigent und Moderator Mark Mast dann aber das Publikum willkommen heißen.

    Vor der Pause gibt es Carl Orffs Carmina burana in einer Fassung für zwei Klaviere und Percussion-Ensemble von Wilhelm Killmayer. In diesem Arrangement kommt die urtümliche Wucht des Werks noch deutlicher zur Geltung. Die vergeistigten Abschnitte wirken auch noch archaischer, während das Volkstümliche bei dieser Transparenz umso zünftiger daherkommt. Wo es sich anbietet, betont die Aufführung das Humoristische und Exaltierte auch andeutungsweise szenisch und durchaus plakativ. Die musikalisch schönste Passage, wie eine Insel im wuchtigen, archaischen Umfeld, hat der Sopran mit seinem Arioso "In Trunitas". Es gelingt eine sehr geschlossene, kompakte, effektvolle Aufführung, die im wahrsten Sinn ziemlich auf die Pauke haut. Mit dabei sind Camela Konrad (Sopran), Gustavo Martin-Sanchez (Tenor), Florian Götz (Bariton), der Kinderchor, der Chor und das Percussion-Ensemble der Bayerischen Philharmonie, Yudum Cetiner und Jelena Stojkovic (Klavier) und Jürgen Spitschka (Pauke), und Mark Mast hält alles zusammen.

    Ein "Nebenkonzert" gibt es im 1. Teil in den hintersten Parkett Reihen. Eine Konzertbesucherin (in männlicher Begleitung) hat offenbar eine völlig andere Erwartungshaltung was das Verhalten in Konzerten betrifft als das Umfeld. Sie bewegt sich rege am Platz und unterhält sich ungeniert auch während der Musik mit ihrem Begleiter. Dabei wirkt sie keineswegs wie eine Provokateurin, vielmehr wie eine, die das Ganze offenbar als Event sieht, bei dem sie sich derlei Freiheiten selbstverständlich nehmen kann. Naturgemäß reagiert das Umfeld zischend und mit bösen Blicken. Ein paarmal lockert aber ausgerechnet diese Frau die ganze Saalatmosphäre wirklich positiv auf, weil sie es ist, die als erste Spontanapplaus initiiert, der durchaus gerne aufgenommen wird. Insofern hat ihre Unbedarftheit auch etwas konstruktiv Belebendes. Nur bei einem Bravoruf ihrerseits klappt´s nicht, da wird gleich weiter musiziert. Zum Pausenbeginn wird die Frau von mehreren Seiten verbal angegriffen. Sie reagiert (auch das wirkt keineswegs provokant, sondern aufrichtig) mit einem befremdeten "Was wollt ihr eigentlich?"

    Nach der Pause ist sie nicht mehr da, ihren "Platz" nimmt nun eine Dauerhusterin eine Reihe weiter hinten ein.

    Nun ist das Orchester zum Kammerorchester erweitert, und Mark Mast freut sich besonders, die Gastmitwirkenden zu begrüßen, die Klazz Brothers, ein Jazztrio, das vielfach mit Material aus der E-Musik arbeitet. Mit dieser Erweiterung gestaltet sich der zweite Teil noch mehr als Event, als musikalische Show, auch weil Kilian Forster, der Kontrabassist des Trios, jetzt launig mitmoderiert. Jeweils abwechselnd spielt nur das Jazztrio und gibt es eigens für die Kombination dieses Projekts erstellte Kompositionen und Arrangements von Tobias Forster mit Blickrichtung Schwerpunkt Hommage an Leonard Bernstein zum 100. Geburtstag.

    Es wird aber keineswegs nur Bernsteins gedacht. Das Trio spielt in seinen Blöcken Jazztriofassungen diverser Klassiker. George Gershwins Summertime beginnt hier mit einem Kontrabasssolo und endet beschwingt im Salsarhythmus. Ludwig van Beethovens Ode an die Freude steigert sich vom Melancholischen ins Kraftvolle und endet nach einer Bass-Kadenz. Auch Charlie Chaplins Smile gibt Raum für improvisatorische Vielseitigkeit. Don Machete geht von Khatchaturjans Säbeltanz aus und kommt kubanisch durchpulst daher. Das Trio stellt sich sehr präsent vor, es ist nicht ein Klavierspieler mit zwei Begleitern, hier sind vielmehr alle gleichberechtigt, und sie wissen selbstbewusst aus dem Ausgangsmaterial wirkungsvolle bis zugkräftige Neuschöpfungen zu kreieren.

    Bezüge zu Leonard Bernstein - und zwar bemerkenswerte Nahebezüge - haben die Leader des Konzerts durchaus vorzuweisen. Mark Mast war 1987 und 1988 einer der Dirigierschüler Bernsteins beim Schleswig-Holstein Musikfestival. Bernstein hat für ihn damals die Grenze zwischen Klassik und Jazz aufgehoben. Kilian Forster war zu Weihnachten 1989 als Musiker im legendären Ode an die Freiheit Konzert Bernsteins im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, aber auch in Tanglewood ein halbes Jahr später bei Bernsteins letztem Konzert überhaupt dabei. Und der Komponist und Arrangeur Tobias Forster konnte Bernstein im Umfeld der Aufführung von Mozarts c-Moll Messe in der Basilika Waldsassen kennenlernen und ihm sogar sein damaliges Jugend-Jazztrio vorstellen.

    Das erste Werk, das den Chor, das perkussionsdominierte Orchester und das Jazztrio zusammenbringt, ist das mittelalterliche Gaudete. Hier erhält das Trio im Mittelteil die Möglichkeit, über das Thema zu improvisieren.

    In taberna quando Mambo basiert erstmals mit auf einer Bernstein Vorlage, dem Mambo aus der West Side Story, der aber mehr als mitreißende Grundstimmung vorherrscht denn als dauerhaft erkennbares Zitat. Hier wechselt Bruno Böhmer Camacho, der Pianist des Trios, für sein Solo zu einem Keyboard.

    Bernsteins Tonight Duett aus der West Side Story, auch alle vereinend, überrascht mit dem Vokalpart als Chorsatz.

    Den Abschluss macht Tobias Forsters kräftige Hommage an Orff und Bernstein, nun auch wieder die Gesangssolisten aus dem 1. Teil einbeziehend. Das ist eine spektakuläre Collage, die Orff- und Bernstein-Motive miteinander verschmilzt, incl. das komplette Lied Maria (vom Tenor sehr schön tonrein gesungen) und finalesk wirkungsvoll aufdrehender alle Kräfte voll mobilisierender Orff-Maschine.

    Immerhin 23:15 Uhr ist es geworden als der verdiente Schlussjubel nach diesem ganz speziellen Orff Bernstein Event ansetzt.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • EINTAUCHEN IN DIE POLNISCHE KLAVIERWELT

    „Chopin und die Polen seiner Zeit“, vier Konzerte im Münchner Künstlerhaus, 21.10.2018, persönliche Eindrücke

    Der große Saal im Künstlerhaus am Münchner Lenbachplatz hat eine ganz eigene Aura. Das nicht mehr ganz neue Gold an den Wänden, die Bühne wie ein überdimensionierter Guckkasten, die Gemälde an den Wänden – man wähnt sich in einer zwielichtigen Mischung aus versunkener Kathedrale und schillerndem Varieté. Und steht vor der Bühne ein Bösendorfer Flügel, ein Flügel also mit dunkler abrundendem Klang als beim glänzenden Steinway, verstärkt sich, werden dessen klangliche Möglichkeiten vom ausgespielten Pianolegato bis zum nahezu orchestral ausstrahlenden Fortissimo ausgelotet, der Eindruck einer Atmosphäre zauberisch verlebendigter Muesalik.

    Der in Düsseldorf wirkende Rechtsanwalt Jeremias Mameghani ist nebenbei erfolgreicher Amateurpianist und Kulturaktivist. Er hat die Idee gehabt und sie in München an einem Oktobersonntag in diesem Rahmen umgesetzt – vier Konzerte, auf den Tag verteilt „Chopin und die Polen seiner Zeit“ mit Klaviermusik, Kammermusik und Klavierliedern zu präsentieren.

    Mameghani selbst, auch Moderator aller Konzerte, eröffnet das erste der vier Konzerte um 11 Uhr mit Theodor Leschetitzkys (eigentlich Teodor Leszetycki, er lebte von 1830 bis 1915) Nocturno Nr. 2 op.12 und lässt dabei gleich den Bösendorfer Flügel „aussingen“. Die Pianistin Anna Sutyagina, die im Internet eine Plattform für zeitgenössische Musik leitet, schließt mit weiterer Salonmusik an, Chant d´amour op. 26 Nr. 3 von Zygmunt Stojowski (1870-1946) und Berceuse op. 22 von Juliusz Zarebski (1854-1946), womit zweierlei verdeutlicht wird: Man hat hier auch die Möglichkeit, unbekanntes Repertoire kennenzulernen und es werden nicht nur Kompositionen aus Chopins Zeit vorgestellt, sondern es werden auch die Jahrzehnte danach einbezogen.

    Milena Stefanski (Mezzosopran) und noch einmal Anna Sutyagina bieten nun als gut aufeinander abgestimmtes Liedgestaltungsduo (eine ausdrucksstarke Stimme!) einen polnischen Liederblock, eingerahmt mit dreien der Polnischen Lieder op. 74 von Frédéric Chopin, Piosnka litewska (Litauisches Lied), Leci liscie z drzewa (Polens Grabgesang) sowie Narzeczony (Die Verlobte) und in der Mitte als solche zu entdeckende Liedkomponisten vorstellend, Stanislaw Moniuszko (1819-1872) mit Zlota Rybka (Der Goldfisch) und Miezyslaw Karlowitz (1876-1909) mit Nie placz na demna (Weine nicht über mich) – Geschichten, Empfindungen, großteils Strophenlieder, Chopins Grabgesang auffallend patriotisch.

    Henryk Wieniawskis (1835-1880) Thema und Variationen op. 15 für Violine und Klavier beginnen mit einer Violinkadenz. Das Werk fordert Schmelz, Charme und Bravour und erhält das vor allem durch die fabelhaft tonschön und souverän konzertant aufspielende Minhee Kim. Pianist Alexander Zolotarev darf hier werkgemäß nur begleiten und Überleitungen spielen. Von dieser tollen Geigerin möchte man gerne mehr hören, und die Gelegenheit wird sich noch bieten.

    Das Nocturno op. 46 von Ignacy Dobrzynski (1807-1867), gespielt musikantisch fein von So-Young Kim (Violine) und erneut Mameghani (Klavier), ist romantische Stimmungsmalerei. Das erste Konzert schließt (hat man so wie der Schreiber erst zwei Tage zuvor an anderem Ort in München Klaviersonaten von Volkmann und Draeseke gehört) eine weitere dieser großen eher unbekannten romantischen Klaviersonaten ab, Ignacy Jan Paderewskis (1860-1941) Klaviersonate es-Moll op. 21. Dieses dreisätzige Werk beginnt gleich heroisch, der stolze Pole legt los, die hochvirtuose grimmige Konzertmusik (1. Satz Con Fuoco) reißt mit. Hier kann der Bösendorfer Flügel so richtig vollgriffig ausstrahlen. Mit dem 2. Satz (Andante man non troppo) schüttet der Komponist sein Herz aus, und der grandios aufspielende Pianist Nageeb Gardzini legt damit ein gewichtiges Seelengemälde offen. Das Finale (Allegro vivace) ist ein einziger furioser, energisch selbstbestimmter Sturmlauf. Auch diesen Pianisten merkt man sich gleich, auch er wird ja noch nachlegen an diesem Künstlerhaustag.

    Das zweite Konzert (ab 14 Uhr) setzt direkt dort an, wo das erste geendet hat, mit einem weiteren großen Paderewski-Brocken, der erneut dreisätzigen Violinsonate a-Moll op. 13, einem wahrlich großen, anspruchsvollen Kammermusikwerk. Erneut ist das Duo Kim/Zolotarev am Werk, und diesmal hat der Pianist aber sowas von virtuos und gestalterisch mehr zu tun, eine unglaublich tolle Leistung der beiden ist das. das facettenreiche Spiel fesselt durchgehend, man bewundert, wie die beiden diese allerschwersten Passagen des Werks wie selbstverständlich in herrlichstem Zusammenspiel meistern.

    Die weitschweifige Passacaglia von Leopold Godowsky (1870-1937) benötigt danach selbstverständlich gleich noch einmal den auch dort schon verblüffend souveränen Paderewski-Pianisten Nageeb Gardzini. Dieses riesengroße Klavierwerk, pianistisch schwindelerregende Hürden aufweisend wie in seiner Komplexität auch die Zuhörerschaft ziemlich fordernd, nach wildestem Furioso neu ansetzend und sich in eine monumental auftürmende Fuge verbeißend, basiert auf dem Beginn von Schuberts „Unvollendeter“. Eine ungeheure Herausforderung, für ambitionierte Hochschüler (neulich vom Schreiber schon einmal live gehört in München) und so richtige Klaviertiger aber wohl genau das Richtige.

    Für die 6 Lieder der Märchenprinzessin von Karol Szymanowski (1882-1937), die in eine seltsam abgehobene traumhafte Märchenwelt führen - Samotny księżyc (Der einsame Mond), Słowik (Die Nachtigall), Złote Trzewiczi (Die goldenen Pantoffeln), Taniec (Der Tanz), Pieśń o Fali (Das Lied der Welle) und Uczta (Das Fest) - gibt sich die aus Wien kommende, auch als Pianistin aktive Sopranistin Beata Beck, den expressionistisch-exaltiert schillernden Vocalisen geschuldet die sie zu singen hat, etwas als Femme fatale. Vor allem das letzte dieser Lieder fordert auch die fabelhafte Pianistin Petra Hollaender-Pogàdy klavieristisch voll, und erneut strahlt hier der Bösendorfer Flügel voll aus, trägt ganz stark zum Ganz-und-gar-Versinken in diese musikalische Welt bei.

    Die letzten beiden Programmpunkte des zweiten Konzerts kommen leichtgewichtiger, entspannter daher. Wie Schubert, Brahms oder Dvořák hat auch Moritz Moszkowski (1854-1925) konzertante Tänze vorgelegt, immer gut ankommende Salonmusik, Hausmusik, gehobene Unterhaltungsmusik, die man musikantisch und charmant zum Vortrag bringen kann, was noch einmal das Duo mit der anderen Kim des Konzerts und Mameghani (Violine und Klavier) mit den drei Spanischen Tänzen op. 12 und dann Mameghani und die nun hinzukommende Pianistin Aleksandra Mikulska mit den Polnischen Volkstänzen op. 55 auch beherzt tun. Die Polnischen Volkstänze bieten zunächst zwei Mazurken, danach eine Polonaise (nach Oginski) und zum Schluss einen schmissigen Krakowiak, bei dem Aleksandra Mikulska den Bösendorfer Flügel (da sie die obere Tastenhälfte für sich hat) so richtig klingeln lassen kann. Als Zugabe wiederholen sie freilich nicht diesen Rausschmeißer, sondern die wunderbar melancholische Polonaise, weil´s ja wirklich so schön war.

    Abwechslung bringen ins dritte Konzert (ab 17 Uhr) und ins vierte (ab 20 Uhr) manchmal vor Beginn und manchmal zwischendurch, einmal auch mit der Musik verflochten, von Michael Atzinger wortdeutlich gelesene Auszüge aus „Ein Winter auf Mallorca“ von George Sand, die die Atmosphäre aus der sie geschrieben wurden unmittelbar lebendig werden lassen.

    Mit dem dritten Konzert stellt sich die Pianistin Hisako Kawamura vor, und sie tut es (warum auch nicht) ein bisschen für den Verkaufstisch im Foyer, denn dort liegt auch ihre Neuerscheinung mit den 24 Chopin Preludes op. 28 im reichhaltigen CD Angebot der bereits recht stolzen Diskografie dieser jungen Künstlerin bereit. Live spielt sie die Preludes jedenfalls nicht kühl-analytisch, sondern vital aus dem Augenblick heraus, und vor allem die klanglichen Möglichkeiten des Bösendorfer Flügels in vielfältiger Weise auslotend. Sie scheut sich nicht, „mit Gefühl“ zu spielen, ohne dies aber zu übertreiben, und sie schattiert spannend vielschichtig, bis zum Öffnen plötzlicher spukhafter Abgründe. Beim berühmtesten Stück daraus, dem „Regentropfen“-Preludekorrespondieren das einzige Mal Musik und Text als Verflechtung miteinander, der Sprecher legt seine Stimme über die Musik, die aber nur mosaiksteinhaft angespielt wird. Die Pianistin spielt aber nach dieser Passage das Stück doch komplett aus. Das letzte, fulminante, ungeheuer kraftvoll gespielte Prelude endet mit drei Bass-Schlägen, die hier wie Totenglocken wirken.

    Dass Hisako Kawamura genauso eine grandiose Kammermusikerin ist, beweist sie nach der Pause dieses Konzerts, als sie mit Uli Witteler zusammen die große Cellosonate op. 65 von Chopin und danach noch dessen Introduction et Polonaise brillante op. 3 vorträgt. Nach bereits zwei vielschichtigen Konzerten davor und dem überwältigenden Eindruck die die Preludes hinterlassen haben bedeuten nun diese beiden Werke auch für den noch so aufmerksam sein wollenden Zuhörer schon eine Aufmerksamkeitsherausforderung. Die beiden wühlen sich großartig, in verblüffender Perfektion, durch diese große Kammermusiksonate. Und es tut sich auch eine neue Klangwelt auf, wenn sich zumal in diesem Raum der sonore Celloton mit dem Bösendorfer Klavierton mischt. Wie Blutsverwandte „kommunizieren“ die beiden Instrumente da, klanglich genauso wie interpretatorisch. Das Largo ist wieder so ein „Zentrum der Welt“ Satz, der eine Innehalt-Stimmung erzeugt und einfach „ist“, ohne zu fragen.

    Die Polonaise macht dann den schmissigen, musikantisch mitreißenden Abschluss des dritten Konzerts, charmant, beherzt und souverän virtuos gespielt, einmal mehr. Mit der Zugabe nehme sie die Stimmung wieder etwas zurück und überraschen mit einem melancholisch-schönen Moll-Gesang, der Polonaise élégiaque op. 22/3 des unbekannten aber auch zu entdeckenden Zygmunt Noskowski (1846-1909).

    Der Besuch war beim dritten Konzert am besten, beim vierten ab 20 Uhr erscheinen die Reihen wieder etwas gelichtet. Das ist schade, verpassen die nicht Anwesenden damit doch einen weiteren tollen Höhepunkt des Tages.

    Das Konzert gehört der Pianistin Aleksandra Mikulska, die man im zweiten Konzert schon kurz beim Vierhändigspiel gehört hat. Nun zeigt sie, was für eine künstlerisch starke Persönlichkeit sie ist. Gleich die das Konzert eröffnenden drei Chopin Mazurken Des-Dur op. 30/3, b-Moll op. 24/4 und cis-Moll op. 63/3 entführen in eine neue Traumwelt, tänzerisch, aber verklärt, es wirkt fast als würde die Pianistin die Musik improvisieren, nicht vorgegebenes Notenmaterial wiedergeben. Sie hält eine ganz eigene Balance zwischen Geheimnis und Bodenständigkeit, was auch durch den Bösendorfer Klavierklang verstärkt wird. Diese drei Mazurken, auch die Zusammenstellung an sich, haben einen besonderen Zauber.

    Chopins Scherzo Nr. 2 b-Moll op. 31 spielt Aleksandra Mikulska nicht nur äußerlich brillant, sondern auch erzählerisch intensiv. Technisch kommt das alles so schwindelerregend virtuos daher wie bei Hisako Kawamura im Konzert davor, da geht´s rauf und runter wie nix am Bösendorfer. Auch überwältigt die unglaubliche Kraft, die diese Künstlerinnen durchhalten.

    Das berühmte Andante spianato & Grande Polonaise brillante op. 22 führt zunächst erneut in eine zauberische Traumwelt, die noch einmal ganz stark von der Klangfülle des Klaviers getragen wird. Die virtuose Polonaise offenbart wiederum die souveräne Vollblutmusikantin die diese Künstlerin ist.

    Und noch ein Eintauchen, ein weiteres, nach der letzten Konzertpause dieses Künstlerhaustages, ein Eintauchen in eine andere große Klavierwelt, ähnlich jetzt der Rachmaninows, das ermöglicht sich mit Karol Szymanowskis (1882-1937) Präludien op. 1/1 h-Moll und op. 1/7 c-Moll. Diese Stücke wecken auch hier das Interesse, sich mit der Klaviermusik dieses Komponisten intensiver zu befassen.

    Das letzte große Werk muss schon ein Extraknüller sein, und Aleksandra Mikulska hat ihn parat, eine der großen Klaviersonaten der Musikgeschichte, die hier nicht fehlen darf, Chopins Sonate Nr. 3 h-Moll op. 58. Und es gelingt – aus dem Abrufbaren macht sie ganz im Jetzt gelebte lebendige, spannende, große, geniale Konzertmusik, virtuos, aber auch mit den großen poetischen Bögen darin, zupackend kräftig, ohne Atempause von einem Satz zum nächsten weitergehend, also gleich nach dem vielschichtigen 1. Satz das wirbelig beginnende Scherzo, das wieder total aus dem Augenblick heraus innehaltende große Largo und endlich das atemberaubend souverän hingelegte Finale, das den Bösendorfer Flügel noch einmal zum alles ausfüllenden Klavierorchester macht.

    Mit der Zugabe, Chopins Etüde op. 25/11 a-Moll, unterstreicht die Pianistin ihre virtuose Weltklasse. Die Etüde rundet einen unglaublich vielfältigen musikalischen Polentag im Münchner Künstlerhaus der um 11 Uhr begann und nun um 22 Uhr endet als kräftiges Punktum ab.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Hallo zusammen,

    ich hatte gestern das ausgesprochene Vergnügen, beim BR SO live dabei zu sein, als Igor Levit Beethovens op. 73 spielte und nach der Pause James Gaffigan seine Prokofjew-Kompetenz mit einer mitreißenden Aufführung der 3. Symphonie bewies. Eigentlich war Franz Welser-Möst als Dirigent des Konzertes mit diesem Programm vorgesehen, aber seit einigen Wochen war klar, dass er aus gesundheitlichen Gründen absagen musste (so wie auch Mariss Jansons seine für den November geplante Asien-Tournee und die zugehörigen Münchner Konzerte). An seiner Stelle trat nun der nicht einmal 40-jährige James Gaffigan ans Pult des BR SO und er hat seine Sache sehr gut gemacht.

    Igor Levit ist ein momentan sehr hoch angesehener Beethoven-Interpret, das konnte man auch daran erkennen, dass mal wieder 'Karte gesucht'-Schilder im Eingangsbereich hochgehalten wurden. Das außerordentlich auf Virtuosität gestimmte 5. Klavierkonzert war bei ihm in sehr guten Händen. Meine letzte Konzertbegegnung ist ca. 6 Jahre her, damals spielte Helene Grimaud bei den Münchner Philharmonikern, die damalige Aufführung kommt an die Klasse des gestrigen Abends nicht heran. Nachdem es nunmal ein sehr viel gespieltes Konzert ist, können Aufführungen gerne zu Routine-Veranstaltungen werden. Diese nicht ganz kleine Gefahr hat sich gestern aber nicht eingestellt: sowohl Orchester (in recht dicker 50er Streicherbesetzung) als auch Solist taten alles, den unterschiedlichen Charakteren der Themen und Passagen gerecht zu werden. Toll die Wandlungsfähigkeit, mit der Levit die Übergänge zwischen diesen Stücken herausgearbeitet hat, und die sehr gut gelungene Koordination zwischen Orchester und Dirigent. Das kann man alles sehr viel routiniert-gelangweilter erleben. Levit macht ja in seinen letzten Äußerungen deutschen Medien (z.B. dem SZ-Magazin vor wenigen Wochen) gegenüber kein Geheimnis daraus, dass nicht immer alle Konzerte gleich gut gelingen. Mein Eindruck war, dass er gestern nicht ganz zufrieden war, insbesondere mit Passagen im langsamen Satz und beim Attacca-Übergang in den dritten Satz, aber das ist halt das Live-Risiko. Insbesondere in der zweiten Hälfte des Finales setzte aber entspannte Begeisterung für das gelungene Konzert an allen Positionen ein.

    Nach so viel Hochklassik-Grandiosität gab es viel Jubel und großen Beifall im Publikum. Zum Dank dafür spielte Levit eine Klavierfassung des Valse-Scherzo von Schostakowitsch (nach einer Ballettsuite 'Der Bolzen'). Das war recht langsam gespielt, verschmitzt, die 'Anführungsstriche' dieser möglicherweise niedlich klingenden Musik wurden sehr gut deutlich.

    Nach der Konzertpause war das Podium zur Symphonie c-moll Nr. 3 op. 44 deutlich stärker gefüllt (Streicher nun in 60er Besetzung). Und auch dem Orchester merkte man (vordere Stuhlkante!) an, dass hier keine Routine-Veranstaltung ablief, sondern, dass das Mitreißend-Dunkle, das Unmenschliche dieser wilden Partitur zur Diskussion stand und auch einem Orchester der Klasse des BR SO noch so einiges abverlangt. Gaffigans Zeichengebung gefiel mir noch deutlich besser als beim Beethoven, er riss das Orchester in diesen Taumel mit sich und behielt doch stets die Kontrolle über alles. Die stärksten Momente hatte die Aufführung in der zweiten Hälfte des Ersten Satzes und im Finale, hier blieb vermutlich wirklich wenig Luft nach oben. Auch hier war ich sehr beeindruckt, wie gut die Orchestertransparenz im Raum selbst in den lauten (und davon hat das Stück sehr viele) Passagen war. Natürlich waren die Holzbläser akustisch 'weg', wenn das Blech und das Schlagwerk hinlangen (was in diesem Stück zwingend erforderlich ist). Aber grundsätzlich war das eine sehr überzeugende Aufführung. Heute Abend live auf BR Klassik und auch im Internet zu verfolgen. Ich empfehle es gerne.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Eisenach wurde hiermit - bitte um Verständnis - von München in die Provinz verlegt.

    SEHR ERNSTHAFTE KAMMERMUSIKWERBUNG

    Ein Haus-Kammerkonzert mit Mitgliedern der Münchner Philharmoniker im Lehrinstitut Bencic (München), 26.10.2018

    Zu allen Mitwirkenden dieses sehr gut besuchten Konzerts, das zwei Klavierquartette und ein Streichtrio vorstellt, gibt es auf der Homepage der Münchner Philharmoniker Biografisches zu lesen: Yuriko Nakano (Klavier), Bernhard Metz (Violine), Konstantin Sellheim (Viola) und Herbert Heim (Violoncello) gehören also zu den vielen Orchestermusikern, die „nebenbei“ auch in der Kammermusik auf höchstem Niveau aktiv sind.

    Wolfgang Amadeus Mozarts dreisätziges Klavierquartett Es-Dur KV 493 stellt gleich den spieltechnischen und musikalischen Anspruch vor: genauestes selbstverständliches Aufeinanderhören, reine Intonation und hochkonzentriert intensives, beherztes Musizieren, somit gleich den 1. Satz (Allegro) mit frischem Schwung servierend. Sowohl Exposition als auch Durchführung und Reprise werden wiederholt. Das Larghetto des 2. Satzes entpuppt sich als eines der vielen Mozart-Wunder, genial in seiner Mischung aus inniger Schlichtheit und fein gewobener Kunst. Und das Allegretto-Finale rundet heiter-konzertant ab.

    Konzertant konzentrierte kompakt romantische Kammermusik, stilistisch an Brahms und Antonín Dvořák gemahnend, immer wieder harmonisch reizvoll „kratzig“ und vielfach mit magyarischem Melos durchsetzt, bietet die Serenade für Streichtrio C-Dur op. 10 von Ernst von Dohnányi (1877-1960). Das fünfsätzige kurzweilige Werk beginnt mit einem kurzen Marcia-Satz, dem eine Romanza, ein Scherzo, ein Variationssatz und ein Rondo folgen. Musiziert wird weiter mit großer Ersthaftigkeit. Das Musikantische liegt wenn dann in der Musik selbst, es muss nicht überpointiert werden.

    Das setzt sich nach der Pause konsequent mit Robert Schumanns Klavierquartett Es-Dur op. 47 fort – höchste tonschöne Spielkultur in sorgfältig aufeinander abgestimmtem Zusammenspiel, die Musik mit großer Ernsthaftigkeit präsentierend. Im 1. Satz (Sostenuto assai – Allegro ma non troppo) fallen die Stillstände auf, die damit erzeugt werden, dass die langsame Introduktion an den Nahtstellen vor der Durchführung und vor der Coda wiederkehrt. Und die grimmig-dramatische Durchführung erhält in dieser hochkonzentriert kompakten Aufführung eine spezielle Livespannung. Dem flotten fast flüchtigen Vivace-Scherzo folgt die Offenbarung schlechthin des ganzen Konzerts, das Cello beginnt beim nun folgenden Andante cantabile nämlich eine wunderschöne Melodie zu spielen, die danach die Violine übernimmt, lieblich und innig und von ganz eigenem Zauber. So eine schöne Melodie, so ein schöner langsamer Kammermusiksatz! Das spritzig-konzertante Finale (Vivace) hingegen startet gleich tüchtig aufzeigend mit einem Fugato und reißt danach mit seinem konzertanten Schwung mit.

    Es war ein erhebendes Erlebnis, diese Kammermusikwerke auf solch hohem Niveau live hören zu können. Das Publikum lässt es sich nicht nehmen, lange genug zu applaudieren, um noch eine Zugabe zu erhalten – die kommt noch einmal spritzig-konzertant, aber stilistisch leichter, schwebender, tänzerisch gelöster, auch dafür seriös und damit umso deutlicher werbend: Gabriel Fauré, Klavierquartett Nr. 1 C-Dur op. 15, 2. Satz, Scherzo, mit Pizzicato beginnend.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • FLIEGENDE ELEFANTEN, BRUCKNERERSCHEINUNG, PSYCHOTHRILLER

    „Puzzle, Schemen, Visionen“ im Kleinen Konzertsaal der Philharmonie im Gasteig (München), 27.10.2018, persönliche Eindrücke

    Im Rahmen von „Antennengluehn – Nacht der Neuen Musik“ veranstaltet vom Studio für Neue Musik des Tonkünstler München e.V., ist dieses Samstagnachmittagskonzert mit ausschließlich zeitgenössischer Musik sehr gut besucht. Den ersten Teil bestreitet der Pianist Andreas Skouras, danach stellt das junge Zentaur-Quartett einige Werke vor, und zum Schluss sind Klavier und Streichquartett zusammen im Einsatz.

    Am Beginn stehen vier Stücke aus den Zehn Bagatellen op. 6/A des 1962 in Lindau geborenen Rudi Spring, Nr. 1 Lied, Nr. 10 Taivas on sininen (Finnisches Volkslied), Nr. 3 …And the Elephants are Flying South und Nr. 9 Sotto voce. Andreas Skouras spielt die ersten beiden Stücke ganz aus dem Augenblick heraus, als würde er sie im Moment schaffen, so wie Keith Jarrett improvisiert. So kurz wie pointiert fliegen danach die Elefanten in den Süden, und als extremer Kontrast steht das letzte der vier Stücke irgendwie verloren im Raum.

    Der Walzer (?) op. 43 des 1954 in Wien geborenen Richard Heller setzt bewusst das Fragezeichen an seinen Titel, schließlich sucht er sich mit dieser Komposition.

    Akustische Stimmungsbilder bieten die drei nun folgenden Stücke des aus Augsburg stammenden Volker Nickel aus piano puzzle pieces II. Teil, 1 Ganz dicht die Hufspur des Mondes, 2 Hinter der Fensterscheibe, ganz hoch: das eisige Kanu des Mondes und 3 Düfte prielten durcheinander. Markant ist hier das Ende des zweiten Stücks mit einem richtigen pianistischen Knalleffekt. Ab diesem Beitrag partizipieren die ab nun durchgehend anwesenden Komponistinnen und Komponisten am jeweils herzlichen Applaus.

    Im Trialog von Henrik Ajax, aus Schweden stammender Komponist und Lehrender in München, werden drei Geschichten gleichzeitig erzählt, die Lagen und Charaktere machen sie kenntlich, und es ist wie bei manchen Fugen, man könnte meinen es spielen drei verschiedene Personen, so differenziert fächert der Pianist jede einzelne Geschichte mit seinen beiden Händen auf.

    Von Michael Emanuel Bauer (geboren 1974 in Roding) gibt es Close-up: Bergman, und das rundet die rein pianistischen Beiträge ab, die Andreas Skouras mit grandiosem Engagement allesamt zu lebendigster Musik zu gestalten vermag. Ausgehend von Chopins Prelude a-Moll op. 28/2 und Bergmans Film „Herbstsonate“ legt diese Klavierkomposition ziemlich heftig eine kaputte Psyche offen, mit Clustergewittern und mehreren abrupten, radikalen Stimmungswechseln. Hier ist eine Welt aus den Fugen geraten – ein Werk, das einen ziemlich durchbeutelt.

    Das junge Zentaur-Quartett besticht nicht minder mit seinem Einsatz für zu entdeckende zeitgenössische Musik, sie spielen diese mit allerhöchster Konzentration und Hingabe und reißen schon allein dadurch die gebannt lauschende Zuhörerschaft von Stück zu Stück weiter mit.

    Nikolaus Brass, geboren 1949 in Lindau, baut mit Ohne Titel – Music for String Quartet musikalisch plastisch eine Skulptur zusammen, man kann sich das beim Hören so richtig vorstellen. Da entsteht in mehrfacher Hinsicht ein echtes Kunstwerk.

    Die Bruckner Schemen des 1965 in München geborenen Bernhard Weidner hingegen lassen mit deutlichen und doch nur angedeuteten Anspielungen auch „wirklich“ Anton Bruckner schemenhaft erscheinen.

    Protestian Quartet ist das Streichquartett Nr. 1 der aus Wisconsin stammenden Gloria Coates betitelt. Hier ist der Cellist ein persönlichkeitsstarker Individualist, der sich stur gegen die drei anderen Musizierenden behauptet und nicht nachgibt.

    Den Abschluss machen Johannes X. Schachtners (geboren 1985 in Gräfelfing) Episoden II für Klavierquintett. Da ist das Klavier präpariert, der Pianist hat eine Umbaupause davor genutzt, allerlei an die Saiten zu heften. Schachtner geht hierbei vom Film „Secret Ceremony“ (dt. „Die Frau aus dem Nichts“, Joseph Losey 1968, mit Mia Farrow) aus und stellt veritable kammermusikalische Psychothrillermusik vor.

    Ein Konzert, das sich interpretatorisch großartig engagiert für Werke eingesetzt hat, denen man nun gerne wieder begegnen möchte.

    Zum Nicolas Economou Gedenkkonzert mit Martha Argerich etwas später.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • VON KAMMERMUSIK BIS DISCOROCK

    Zur „Hommage an Nicolas Economou“ im Prinzregententheater (München), 27.10.2018, persönliche Eindrücke

    Zum 25. Todestag des zypriotischen Pianisten, Komponisten und Dirigenten Nicolas Economou, unter anderem Klavierpartner von Martha Argerich und Chick Corea, Filmkomponist für Margarethe von Trotta und Rockopernkomponist, der 1993 mit nur 40 Jahren bei einem Autounfall ums Leben kam, lockten „Martha Argerich + friends“ ins ziemlich vollgesteckte, auf einen ganz besonderen, außergewöhnlichen Event neugierige Prinzregententheater.

    Nach einleitenden Dankesworten von Economous Tochter Semeli und dem Veranstalter Dr. Manfred Frei hatte es die längst am Klavierhocker wartende Martha Argerich eilig, mit Robert Schumann/Franz Liszts Widmung empathisch loszulegen, die programmatisch passend im Programm vorgezogen wurde.

    Dr. Freis ausdrücklicher Aufforderung, danach nicht zu applaudieren, wurde nachgekommen, es ging gleich weiter mit Robert Schumanns Drei Stücken in kanonischer Form op. 56, arrangiert für Klavier, Klarinette und Viola, zart und beseelt gespielt von Martha Argerich, Marek Denemark und Argerichs Tochter Lyda Chen.

    Gerhard Oppitz schloss sich Argerichs empathischem, nicht kühl analytischem Interpretationssatz für dieses Widmungskonzert an, er wühlte sich furios in die schnellen Stücke aus Johannes Brahms´ Fantasien op. 116 Nr. 1 – 7, um in die langsamen umso vertiefter einzutauchen.

    Paul Gulda hingegen bot musikalisch wie vom Auftritt her durchaus auch eine Reverenz an seinen Vater Friedrich, mit dem Economou ja einst beim Münchner Klaviersommer konzertiert hatte - zunächst mit Wolfgang Amadeus Mozarts charmant augenzwinkerndem Rondo a-Moll KV 511, dann dem Publikum deutend, die nun folgenden beiden Stücke seien umgestellt, er spielte zuerst seine eigene balladeske Jazzimprovisation Stony Bridge und wechselte von dieser direkt so wie es sein Vater ja auch zu tun pflegte in Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge D-Dur BWV 850, das Präludium wie am Hamsterrad laufend abspulend, worauf viele schon applaudieren wollten, Gulda sie aber „abstellte“ - er hatte ja noch die Fuge wie ein Bauwerk aufzubauen.

    Lilian Akopova setzte die pianistische Widmungs-Starparade brillant mit Peter I. Tschaikowskys Andante Maestoso und dem Blumenwalzer aus dem „Nußknacker“ fort.

    Besonders gespannt war man auf den 86jährigen Rodion Shchedrin, dessen Beitrag in die Pause führte. Shchedrin erwies sich als charmanter Conferencier genauso wie als gekonnt pointierender Pianist eigener Werke. Seine Humoresque bot er offen schalkhaft an, und auch Im Stile von Albéniz spielte mit dem Schalk, die spanischen Farbtupfer grimmig stockend aneinanderreihend.

    Transparent und farbig eröffnete ein Sextett mit Martha Argerich, Lyda Chen, Marek Denemark, Geza Hosszu-Legocky, Natia Mdinaradze und Dan Sloutskovsky den zweiten Teil mit Sergej Prokofjews Ouvertüre über Hebräische Themen op. 34.

    Geza Hosszu-Legocky und Natia Mdinaradze boten nun Georg Friedrich Händels/Johan Halvorsens Passacaglia, arrangiert für zwei Violinen. Das eingängige Ausgangsthema ist sehr bekannt, ähnlich der berühmten Paganini-Caprice. Auch die beiden begeisterten das Publikum mit ihrer beherzten Interpretation.

    Nun wartete aber alles auf Felix Mendelssohn Bartholdys Trio Nr. 1 d-Moll mit Martha Argerich, Arata Yumi und Dan Sloutskovsky, Martha Argerich also einmal mehr zusammen mit zwei jungen, aufstrebenden Musikanten, die auch die Chance wahrnahmen und zusammen mit der großen Pianistin auf der Bühne sicht- und hörbar mit letztem aber stets hochkonzentriert kontrolliertem Einsatz alles gaben, womit sich eine leidenschaftliche, musikantisch durchgehend mitreißende Aufführung ergab. Der Beginn des 2. Satzes ließ besonders aufhorchen, konnte man da doch Martha Argerich nach der das Konzert eröffnenden Widmung erneut als große Gestalterin kurz solo hören, das Thema ja alleine vorgebend und nach der ersten Ergänzung durch die beiden anderen noch einmal solistisch hervortretend, um sich dann wie gewohnt weiter ins kollegial Kammermusikalische einzufügen. Atemberaubend luftig konzertant zog dann der 3. Satz vorbei, und nach dem letzten Akkord des spritzigen Finalsatzes brandete natürlich sofort ein Jubelsturm los.

    Aber jetzt hatte das Konzert die Kurve zu kratzen zum letzten Programmteil, der auch dem Rockkomponisten Nicolas Economou und der Arbeit seiner Tochter gerecht werden wollte. Diese macht als Santa Semeli and the Monks mit ihrer Band Folkpop bis Discomusik und stellte noch vier Beiträge vor, ab dem zweiten mit Paul Gulda am Flügel als Gastmitwirkendem. Semeli Economous A Fairy´s Tale ist sanfter Folkpop, aber das war nicht mehr das was einige der noch nach dem Mendelssohn restlos begeisterten Besucherinnen und Besucher hören wollten. Im Prinzregententheater bleibt es unausweichlich, dass Künstler auf der Bühne mitbekommen, wenn jemand die Sitzreihen verlässt. Semeli Economou bezog das wohl auf sich und reagierte erstaunt-befremdet, sie forderte die Leute auf, sitzen zu bleiben, was diese aber nicht taten. Ihr nun folgendes It´s Gonna Rain Now ist eine gut gemachte Popballade, aber der Abend dauerte jetzt schon ziemlich lange, es ging auf 23:30 Uhr zu, neben weiter begeistertem Applaus gab es weitere Abgänge, eine Mischung aus „Jetzt ist Partytime“ und „Na das halt auch noch“ beherrschte nun das Prinzregententheater. Semeli Economou verließ jetzt die Bühne und überließ diese Paul Gulda und der Band, die eine Jazzimprovisation starteten, was die innere Spannung im Publikum weiter verschärfte. Abrupter Übergang in Discorockrhythmus, und Semeli war wieder da, als Discomieze, mit einer Mischung aus Disconummer und Rockballade, sich entpuppend als Komposition von Nicolas Economou, betitelt The Clown – eine Widmung und Würdigung, die einerseits verblüffte, andererseits weitere Menschen zum Verlassen des Theaters animierte. Den Abschluss machte Semelis reine Disconummer Where is the Disco in this Town, in der sie sich auch wie ein Rockstar auf der Bühne wälzte, ein in diesem Rahmen eher ungewöhnlicher Auftritt.

    Der Applaus all derer die so lange durchgehalten hatten fiel weiter durchaus begeistert aus, und nun kamen noch einmal alle Mitwirkenden auf die Bühne zum lang anhaltenden anerkennenden Schlussapplaus, der als Martha Argerich vorneweg ins Publikum winkend die Bühne zu verlassen begann hörbar noch herzlicher anschwoll.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • DER NOBLE MUSIKLIEBHABER

    Ein Franz Liszt Recital mit Svein Amund Skara im Kleinen Konzertsaal im Gasteig (München), 4.11.2018, persönliche Eindrücke

    „Spektakuläre Klavierabende“ kündigen die Werbeflyer an, „ein Virtuose, den man sich merken muss“!

    Der Saal ist etwa zu zwei Drittel voll, der Steinway Flügel steht bereit. Heraus kommt ein hochgewachsener nobel wirkender Herr, der Edvard Griegs Glockengeläute op. 54/6 als klavieristisch volltönende Ouvertüre in den Raum wirft. Danach kein Applaus, Stille und Konzentration.

    Der aus Norwegen kommende Pianist (er ist auch Organist) entpuppt sich mit Franz Liszts Sonate h-Moll als ausgezeichnet spielender Musikliebhaber, wissend um alle technischen Details die es zu beachten gilt will man dieses Werk öffentlich wirkungsvoll abliefern, wissend auch um die gefühlsintensiv aufladbaren Passagen, um die Effekte, um die wichtigen Schnittstellen, die kommen „müssen“, ein Pianist quasi, der´s so einigermaßen drauf hat, auswendig, alle Achtung, er ist aber auch einer, bei dem nicht alles sattelfest sitzt, und da beginnt die eigentliche Großtat des Konzerts. Brillant versteht er es, über Konzentrationsaussetzer hinwegzuspielen, zum Kern zurückzukehren, weiterzuspielen, als gehörte alles genau so wie es gespielt wird zum Werk. Skara entwirft eine leicht veränderte Neufassung der Liszt-Sonate mit improvisierten Fragmenten darin. Wer das Werk nicht sehr gut im Ohr hat wird wahrscheinlich gar nicht viel davon bemerken. Wer freilich jeden musikalischen Fortgang innerlich bereits zu antizipieren imstande ist, staunt schmunzelnd, wie geschickt der Pianist die eine oder andere Passage überspielt. Dabei passt er höllisch auf und muss sich nicht einmal so oft zurücknehmen, die schwierigsten Läufe und Zerlegungen genau zu treffen. Es sind vielfach Abschwünge, Zwischendurchpassagen, Nebenläufe, wo er sich im Gestrüpp verheddert. Donnern kann er, Gefühle ausbreiten auch und dann eben auch immer wieder brillant alles überspielen, was nicht so genau gelingt.

    Mutig setzt der Pianist noch vor die Pause die ersten vier der mindestens genauso schwindelerregend schweren Études d'exécution transcendante von Franz Liszt nach, und dabei bestätigt er den fast eulenspiegelig frechen Ansatz: locker drüberdonnern und wo es sich anbietet die Gefühle auskosten, so wird´s schon klappen. Und es klappt wirklich gut, alle Achtung. Preludio, Molto vivace, Paysage und dann die groß sich auftürmende 4. Etüde Mazeppa rauschen am Steinway Flügel tüchtig rauf und runter.

    Nach der Pause geht es in zwei Viererblöcken mit diesen Etüdenungetümen weiter, dazwischen nur kurzes Atemholen im Backstagebereich. Eine sauschwere Etüde nach der anderen gilt bewältigt zu werden. Feux follets, Vision, Eroica, Wilde Jagd - allen turmhohen technischen und musikalischen Herausforderungen stellt sich Svein Amund Skara bewundernswert mutig, selbstbewusst und in gewisser Weise unverfroren. An den größten Interpretationen dieser Werke darf man so ein Konzert nicht messen, das wäre unfair. Die Nr. 9, Ricordanza, gelingt dem Pianisten wirklich innig, sie gibt ja auch Raum zum Schwelgen, fordert weniger Donnerei. Dann noch die letzten drei Riesenberge, Appassionata, Harmonies du Soir und Chasse-neige, letztere wie die Ricordanza sensibel zurückgenommen beginnend, sich dann aber auch ins virtuose Austoben verdichtend.

    Eine enorme Leistung, dieses vom technischen Anspruch her riesig dimensionierte Konzert so achtenswert und ohne ernsthafte Abstürze abzuliefern!

    Das Publikum spendet anerkennenden, herzlichen, wirklich hochverdienten Beifall.

    Die beiden Zugaben runden zum Konzertbeginn ab, mit Edvard Grieg - An den Frühling und, ganz nachdenklich, In ballad vein.

    Im nächsten Münchner Konzert des Pianisten im Juni 2019 wird es übrigens unter anderem Liszts Klavierfassung von Beethoven Symphonie Nr. 5 geben.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • GEHOBENE WELTKLASSE

    Zum Triokonzert Batiashvili - Capuçon – Thibaudet im Herkulessaal der Münchner Residenz, 7.11.2018 (persönliche Eindrücke)

    Das Münchner Opern- und Konzertpublikum hat ja reichlich Auswahl was die sich die Klinke in die Hand gebende Weltklasse betrifft beginnend vom Solistenreigen bis zu den großen Orchestern der Stadt, ganz zu schweigen von den unzähligen tollen Aufführungen und Konzerten „von der 2. Reihe abwärts“ bis zu Events in kleinstem Rahmen, die alle immer bereichernd sein können.

    Nun stand also ein (dann doch nicht ganz ausverkauftes) Kammerkonzert mit aktuell großen Namen, Lisa Batiashvili (Violine), Gautier Capuçon (Violoncello) und Jean-Yves Thibaudet (Klavier) an – das verspricht schon wirklich Außergewöhnliches.

    Dmitri Schostakowitschs einsätziges, rhapsodisch wirkendes Klaviertrio Nr. 1 c-moll op. 8 beginnt elegisch, um aber sehr bald ins aufgeweckt Skurrile zu fallen und im weiteren Fortlauf immer wieder abrupt die Stimmung zu wechseln. Vom ersten Ton an fesselt die Interpretation der drei Ausführenden. Es fesselt der edle kompakte perfekt aufeinander abgestimmte und musikantisch fulminant explodierende Ton, es fesselt der famose Aufbau der Stimmungsbögen, es fesselt das Ausloten der Brüche des Werks. Zwischen Exaltiertheit und Zauber wird man hin- und hergeworfen, mit einer Aufführung an der Stuhlkante, aber stets im Ton edel und klar bleibend, sensationell perfekt ausbalanciert.

    Maurice Ravels viersätziges Klaviertrio a-moll bestätigt die gehobene Weltklasseleistung. Souverän die Klarheit der Interpretation, kongruent die durchgehaltene Spannung, verblüffend perfekt zugespitzte Steigerungen (Schluss 2. Satz, Finale!), was für Entladungen, und dann immer wieder ein noch geheimnisvollerer Zauber, etwa in der Passacaglia des 3. Satzes.

    Nach der Pause zieht Felix Mendelssohn Bartholdys Klaviertrio Nr. 2 c-moll op. 66 alle sofort in seinen faszinierenden Moll-Sog, mitreißend leidenschaftlich und doch gleichzeitig sensationell aufgezogen kontrolliert, wieder perfekt aufeinander abgestimmt, eine dreifache Meisterleistung höchster kompaktester Spielkultur sondergleichen. Die Dur-Abschnitte zwischendurch wirken als umso staunenswertere Oasen. Der Ruhepol des 2. Satzes verströmt sich breit. Atemlos spannend fliegt der 3. Satz dahin, gleichzeitig federleicht und hochdramatisch, und die spielen das supervirtuos, als wäre es nichts. Erneuter unwiderstehlicher Moll-Sog durchs Finale, mit dem erhebenden Choralabschnitt darin, und dann der fulminante Schluss – der Jubel setzt erwartungsgemäß spontan ein und fällt doch eine erhebliche Spur intensiver aus als bei anderen Kammermusikkonzerten.

    Die Zugabe rundet mit dem Komponisten des ersten Werks ab, das Scherzo aus Schostakowitschs 2. Klaviertrio zieht kontrolliert und doch derb, ausgelassen, aufgedreht, auf Hochtouren durch, ein markanter fulminanter Schlusspunkt.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • FRISCHER BEETHOVEN UND HAMELINS ERBE

    Ein Konzert der Klavierklasse Prof. Olaf Dreßler, München, Gasteig, Kleiner Konzertsaal, 9.11.2018, persönliche Eindrücke

    Überraschend gut besucht ist dieses Hochschul-Klavierkonzert. Vier junge Künstlerinnen und Künstler stellen sich am Steinway Flügel mit dem vor, was sie gerade erarbeiten, eine Standortbestimmung, eine Bewährungsprobe vor Publikum.

    Stefan Delanoff spielt Klavier mit lebendigem, sehr präsentem, erdigem, beherztem Zugriff. Das demonstriert er mit Béla Bartóks pointierter Sonatine Sz. 55 (1. Dudelsackpfeifer, 2. Bärentanz und 3. Finale. Allegro vivace), mit den Sätzen 2 (Allegretto; das elegisch Fließende, sehr schön!) und 3 (Rondo. Allegro commodo) aus Ludwig van Beethovens Sonate E-Dur op. 14/1, mit Frédéric Chopins Nocturne cis-Moll op. posthum (was für ein großer Melodiebogen, mit unschuldig-staunend wirkendem Impetus gespielt, man steht vor etwas ganz Großem und zeigt sich demütig) und mit George Gershwins zündenden 3 Preludes (1. Allegro ben ritmato e deciso, 2. Andante con moto und 3. Agitato).

    Eine echte Entdeckung ist Gabriel Faurés Nocturne es-Moll op. 33/1, das erste von Tatjana Harder gespielte Stück. Die Musik ersteht aus einer lichteren Zwischenwelt und taucht in ein neues Geschehen ein. Man wird da richtig reingezogen, schwingt mit im musikalischen Fortlauf. Dafür sorgt einerseits die Komposition selbst, andererseits die völlig andere Persönlichkeit der Pianistin gegenüber dem vorigen Beitrag. Mit ganz viel eigener sich öffnender Seele versteht Tatjana Harder zu spielen, da ist immer so ein gewisses unbeschreibliches Etwas dabei. Die drei Sonaten D-Dur K.435, f-Moll K.466 und G-Dur K.427 von Domenico Scarlatti mit ihrer etwas zurückgenommeneren mittleren Sonate wirken hier wie eine in sich geschlossene dreisätzige Sonatine. Beim 1. Satz aus Ludwig van Beethovens berühmter “Sturm”-Sonate d-Moll op. 31/2 (Largo – Allegro) unterstreicht die junge Pianistin in der die Zeit innehaltenden Rezitativpassage vor der Reprise, bei der sie auch bewusst viel Pedal einsetzt, ihren ganz in die Musik eintauchenden Ansatz. Auch speziell im dunkleren Mittelteil von Franz Schuberts Impromptu As-Dur op. 90/4 (Allegretto) wird dieser deutlich, wobei schon ab dem Scarlatti kleine technische Unkonzentriertheiten, wohl der Auftrittsnervosität geschuldet, doch darauf hindeuten, dass noch etwas Routine fehlt, die aber sicher mit jedem weiteren Auftritt immer stabiler werden wird.

    Nur wenige gehen zur Pause, man muss damit rechnen, sind doch meist in solchen Hochschulkonzerten Verwandte und Bekannte einzelner Mitwirkender im Saal, die nur deren Auftritt abwarten.

    Herrlich jugendlich unbedarft hört sich Ludwig van Beethovens Sonate Es-Dur op. 27/1 (1. Andante, 2. Allegro molto e vivace, 3. Adagio con espressione und 4. Allegro vivace) an, wie sie von Rahel Paulik gespielt wird. Es gibt ja von all diesen Beethoven-Sonaten Tonnen an naiven bis ausgereiften Interpretationen auf Tonträgern, hier erklingt die Fantasie-Sonate op. 27/1 mit ihren teilweise direkten Übergängen wieder einmal mit ganz frischer Spielfreude.

    Der 1998 geborene Johannes Obermeier spielt Klavier wie ein junger Hamelin, technisch supersouverän und das Vollgriffige voll auskostend, und dann aber bei Zurücknahmen das ganz Plötzliche schaffend, diese verblüffenden Schichtwechsel in der Musik mit stupender Selbstverständlichkeit verinnerlicht habend und sie weitergeben könnend. Der kräftige, energische Zugriff, gekoppelt mit der Fähigkeit abrupter Schattierung, bewährt sich sofort fesselnd bei Franz Liszts staunenswerten, zukunftsweisenden Spätwerken »Unstern« S.208, »Bagatelle ohne Tonart« S.216a und »Trübe Wolken« S.199, letztere besonders markant mit ihren fast ins Atonale führenden Motivideen.

    Johannes Obermeiers Eigenkomposition »Odysseus bei den Lotophagen« geht von der Odyssee-Episode aus, in der den Reisenden droht, durch die Lotophagenverführung ihr Ich zu verlieren. Stilistisch schließt Obermeier an Mendelssohn und Liszt an, sein gekonntes Brillieren genauso fulminant einsetzend wie lautmalerisch die verführerische Welt der Lotophagen evozierend.

    Leopold Godowskis Studien über die Etüden op. 10 von Frédéric Chopin gehören ja zum Allerschwersten der Klavierliteratur überhaupt. Ihnen nähern sich technische Ausnahmekönner wie Hamelin und nun eben auch Obermeier aber offenbar auch recht unbeschwert an. Die 5. Studie in Des-Dur nach Nr. 3, für die linke Hand allein, also auf die berühmte „In mir klingt ein Lied“-verschlagerte E-Dur-Etüde, mutet da fast wie eine Aufwärmübung „mit Links“ an für die das Konzert abschließenden beiden dann doch wieder zweihändigen 7. Studie in Ges-Dur nach Nr. 5 in der Umkehrung für die rechte Hand und 8. Studie in Ges-Dur nach Nr. 5 in der Umkehrung für die linke Hand. Pianisten wie Hamelin und Obermeier spielen solche technisch irrwitzig anspruchsvollen Stücke, als wären das die einfachsten und leichtesten Fingerübungen, und sie machen auch noch tolle Musik daraus. Riesenapplaus! Hamelins Erbe scheint gesichert.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • C-MOLL-KLAVIERTRIOWELTEN

    Das Trio d´Accord im Lehrinstitut Bencic (München), 10.11.2018, persönliche Eindrücke

    Zwei der drei Werke dieses sehr gut besuchten Kammermusikabends im kleinen Rahmen konnte man in München drei Tage zuvor im Herkulesaal der Residenz auch hören, dort atemberaubend aufgezogene Weltklasse, hier schon alleine durch den Rahmen bedingt intimer, hausmusikalisch musikantischer, wenngleich genauso selbstverständlich makellos auf Spitzenniveau, interpretatorisch ausgefeilt und intensiv im großen Bogen wie in den Details. Man ist eben in so kleinem Rahmen bei Kammermusik „näher dran“ an den Interpreten wie durchaus auch an den Werken selbst.

    Drei Klaviertrios in c-Moll, der Tonart unter anderem von Mozarts Messe KV 427, Klaviersonate KV 457, Fantasie KV 475 und Klavierkonzert KV 491, Beethovens Klaviersonaten op. 13 (Pathétique) und op. 111 sowie von dessen 5. Symphonie, auch von Brahms´ Symphonie Nr. 1 op. 68: man darf leidenschaftliche Musik in leidenschaftlicher Interpretation erwarten.

    Das in Augsburg 1995 gegründete Trio d´Accord mit Thomas Ilg (Violine), Michael Weiss (Cello) und Beate Renner (Klavier) wirkt souverän aufeinander eingespielt, ohne Überperfektion anzustreben. Die herzhafte Musikantik steht immer im Vordergrund, nicht der Leistungssport. Cellist Michael Weiss gibt zu jedem Werk eine kurze informative Einführung, zur zeitlichen wie teilweise biografischen Einordnung sowie wichtige Details einzelne Sätze betreffend.

    Das Klaviertrio Nr. 3 c-Moll op. 101 von Johannes Brahms, 1886 in der Schweiz entstanden, „aber sehr österreichisch“ (Weiss), wartet im leidenschaftlichen 1. Satz auch mit einem sentimentalen Walzer auf. Ich fühle mich beim Hören dieser Musik in die K&K Welt versetzt, die Welt die Joseph Roth und Roda Roda einfangen, und ein Rittmeister stellt sich auch vor. Im 3. Satz wähne ich mich in der Idylle einer Alpenstube. Und im Finale macht sich der Rittmeister durch die weite wie holprige Landschaft auf.

    Die beiden weiteren Werke des Konzerts hat man nach dem Herkulessaalfurioso noch gut im Ohr, trotzdem lebt man sie völlig neu mit, das ist eben die Ausstrahlung eines unmittelbaren intimen Konzerterlebnisses mit fabelhafter Interpretation.

    Beim Klaviertrio Nr. 1 c-Moll op. 8 von Dmitri Schostakowitsch macht Weiss auf das Leitthema aufmerksam, das gleich zu Beginn gespielt wird, eine chromatische Abwärtsbewegung. Passt man nun beim Hören dieses rhapsodischen einsätzigen Werks genau auf, wie verschieden und dann wieder vertraut dieses Thema wiederkehrt und was noch alles passiert, wann und wo ein zweites Thema vorgestellt wird, eines von ganz eigenem Zauber übrigens, auch wie dieses wiederkehrt, ergibt sich ein ungemein spannender Verlauf dieser selbstbewusst überraschenden Komposition des 17jährigen aus dem Jahr 1923, in diesem Konzert neu originell unmittelbar mitlebbar.

    Felix Mendelssohn Bartholdys großes 1845 komponiertes Klaviertrio Nr. 2 c-Moll op. 66 mit seinem nahezu magischen c-Moll Sog in den Sätzen 1 und 4 (Weiss gibt vor: 1 dramatisch, 2 Lied ohne Worte, 3 Sommernachtstraum und 4 mit Choral) gewinnt in der dichten kleinen Atmosphäre eines derart intimen Rahmens eine auch noch fesselndere Unmittelbarkeit, man ist noch gebannter von der Unwiderstehlichkeit dieser konzertant wie emotional mitreißenden Kammermusik. Man will gar nicht weg von diesem Zauber der Musik.

    In c-Moll darf man sogar bleiben, die Zugabe ist das Scherzo aus dem 2. Trio von Brahms, das steht wie Weiss zum Schmunzeln des Publikums erklärt, auch in dieser Tonart. Ins kribbelig-verbissene Scherzo ist da ein schwelgerisches Trio eingebettet.

    Sehr herzlicher Applaus verabschiedet das wunderbar leidenschaftlich musiziert habende Trio.

    Wie aber den Zauber aufrechterhalten, noch verlängern? Die Lösung bietet „7 Tage Ö1“ (die Aufnahme ist noch ein paar Tage dort verfügbar).

    https://oe1.orf.at/programm/20181106

    Am 22.10.2018 gab es im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins ein Konzert des neuen Altenberg Trios Wien, dessen Aufzeichnung am 6.11.2018 in Ö1 gesendet wurde und somit (nicht nur) das Mendelssohn Werk noch einmal, in einer dritten Liveversion innerhalb einer Woche, gehört werden kann. Mendelssohns op. 66 erklang hier nach Wolfgang Amadeus Mozarts Klaviertrio G-Dur KV 564 und Erich Wolfgang Korngolds Suite für zwei Violinen, Violoncello und Klavier (linke Hand) op. 23 (mit dem im Juni aus dem Trio ausgestiegenen letzten Gründungsmitglied Amiram Ganz als Gast). Christoph Stradner (Cello), Mitglied der Wiener Symphoniker und Christopher Hinterhuber (Klavier) gehören dem Trio seit 2012 an, neu ist der Geiger Ziyu He.

    Also noch einmal der 1. Satz, das erneut leidenschaftliche Allegro energico e con fuoco, hier aber weicher fließend als zuvor in München gehört. Der 2. Satz (Andante espressivo) wirkt nun auf mich auf einmal ganz schubertisch, und das schlägt auch auf den 3. Satz (Scherzo- molto allegro, quasi presto- Trio) - jagt da nicht der Erlkönig ein weiteres potentielles Opfer? Nein, die fließende Wiener Klang- und Spielkultur fängt diese Assoziation bald ins übliche „Ist alles nicht so schlimm“ auf. Auch das Finale (Finale, allegro assai appassionato) suggeriert eher fließende Wiener Brahmsaal-Disziplin, Schanigarten und „A scheene Musi“ mit Abstecher in den Stephansdom als großes Drama.

    Als Zugabe lernt man hier den 3. Satz ("Lied", Allegretto) aus Fanny Mendelssohn-Hensels Klaviertrio op.11 in d- Moll kennen und schätzen, und nicht nur dieses reizvolle Stück intensiviert mein persönliches Interesse für allerlei Klaviertriomusik noch erheblich.

    Und der Nachklang von Tonträgern:

    Mendelssohns 2. Klaviertrio hört sich mit Nicholas Angelich, Renaud und Gautier Capuçon, aufgenommen live im Juni 2005 im Auditorio Stello Molo in Lugano, enthalten in der EMI 3 CD Box „Martha Argerich and Friends live at the Lugano Festival 2005“, bei tollem offenem Raumklang für mich hochkonzentriert konzertant kontrolliert an. Das genaue Aufeinanderhören, der Versuch des gemeinsamen Atmens überträgt sich spannend direkt, aber etwas Distanz bleibt stets aufrecht. Beim 3. Satz wird, da ähnlich furios an der spieltechnisch äußersten Grenze angesetzt, die irrwitzig schnelle Herkulessaal-Interpretation sofort wieder lebendig.

     

    Schostakowitschs 1. Klaviertrio gibt´s für mich spätnachts zur Abrundung auch noch zweimal, mit dem Münchner Klaviertrio (diszipliniert, streng) und aus Lugano 2008 (dramatischer, leidenschaftlicher). Mehr dazu im Thread zum Werk (folgt bald).

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • DIE AURA DER KÄLTE UND KNALLEFFEKTE IN DER NATUR

    Valery Gergiev dirigierte die Münchner Philharmoniker, Solistin war Yuja Wang, Philharmonie im Gasteig (München), 14.11.2018, persönliche Eindrücke

    Johannes Brahms´ Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83 und Gustav Mahlers Symphonie Nr. 1 D-Dur, öffentlicher Durchlauf vor einer Asientournee – die Münchner Philharmoniker zeigen sich fokussiert und klanglich bestens disponiert, klangsatt weiche Streicher, farbige Holzbläser, strahlendes Blech und kräftiges Schlagwerk. Nichts ist selbstverständlich, diese hohe Qualität punktgenau kompakt sowie differenziert geschichtet abrufen zu können bedeutet sicher jedes Mal eine immense Herausforderung.

    Yuja Wang spielt nachdem sie ja im Sommer 2017 bei „Klassik am Odeonsplatz“ mit Gergiev und seinem Orchester bereits das Klavierkonzert Nr. 1 von Brahms live in München vorgestellt hat das große zweite viersätzige Brahms-Konzert mit seinem Quasi-Scherzo als 2. Satz und dem Cello als zweitem Soloinstrument im 3. Satz vollgriffig souverän genauso wie glitzernd leichthändig, technisch durchgehend brillant und emotional unterkühlt. Doch gerade aus dieser Distanz, aus der Verweigerung jeden Anbiederns an vordergründig Gefühliges erzeugt sie zumal in den Passagen, die ihr exponiert gehören, eine ganz eigene intensive Aura, eine Aura, die in die Jetztzeit passt, eine Zeit der gerne perfekt funktionierenden Kälte. Sie dreht das dann aber genau in diesen Momenten um, verwandelt es in eine ganz starke emotionale Unbedingtheit, die jedoch eben nicht durch Überzeichnung, sondern verblüffend eindringlich durch lapidare Darstellung erreicht wird. Dialogisch sind Solistin und Orchester professionell disponiert, man geht sehr gut aufeinander eingespielt auf Tournee. Die feinen Schattierungen etwa des 3. Satzes erreichen auch in dieser Mischung aus kompakt abgerufenem Münchner Wohlklang und bewusster Klavier-Distanz eine enorme musikpoetische Ausstrahlung. Insgesamt ein ungemein spannendes Klavierkonzerterlebnis, ein singuläres Werk der Klavierkonzertliteratur, auf höchstem Niveau tourneegerecht vorgestellt.

    Aus ihrer bekannten Zugabenschachtel holt Yuja Wang danach diesmal wieder einmal Franz Liszts Schubert-Bearbeitung „Gretchen am Spinnrade“, um auch hier mit der Steigerung des „Spinnraddrehens“ bis zum abrupten Stocken und dem Weiterlauf mit souverän abgerufener Perfektion alle noch einmal in ihren pianistischen Bann zu ziehen.

    Valery Gergiev möchte wohl mit Gustav Mahlers Symphonie Nr. 1 in Asien das Orchester mit seiner Klangqualität und Brillanz fast mehr noch als Mahlers naturhafte bis psychologisierende „Aussage“ präsentieren. Die Effekte sind plastisch ausgestellt, der Klang hat seine ganz eigene Magie, die Orchestergruppen wirken optimal aufeinander eingespielt. Das Knallige durchaus auszukosten bedeutet, auf die Wirkung zu kalkulieren, das wird sicher funktionieren. So fügt sich eine Interpretation zusammen, die den Jubel gekonnt erheischt.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

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