ZARZUELA - Die spanische Operette
Da ich soeben erfahren habe, dass das Operettenforum unserer alten Heimat nicht mehr zugänglich ist, möchte ich gleich mit einem Ausgleich beginnen und meinen alten Text zur Geschichte der spanischen Operette, der Zarzuela hier einstellen - wie immer natürlich renoviert und modernisiert.
Die Entstehung der Zarzuela
Die spezifisch spanische Form der komischen Oper oder Operette geht bis auf das Jahr 1653 zurück, als eine Vertonung von Calderón de la Barcas Komödie „El Laurel de Apolo“ durch Juan de Hidalgo vor dem damaligen Königspaar aufgeführt wurde. Der Name der Gattung entstammt dem Ort der Uraufführung, einem Jagdschloss Philips IV in der Nähe von Madrid, das wegen der vielen „zarzales“, d. h. dem dichten Brombeergestrüpp in seiner Umgebung, La Zarzuela genannt wurde. Die Aufführung wurde zum Vorbild einer eigenen Gattung unterhaltsamer Barockopern und Pastiches, d. h. Zusammenstellungen diverser Melodien und Nummern bestimmter Komponisten, welche in der Glanzzeit des spanischen Hofes auch ausländische Komponisten anzog. Noch 1786 schrieb z. B. Boccherini eine Zarzuela für das spanische Königshaus. Bald danach verlor die Gattung jedoch an Anziehungskraft. Dieser Abschnitt der Geschichte der Gattung wird hoffentlich demnächst in unserem Forum zur Barockoper eine wichtige Rolle spielen, denn dazu kenne ich sie zu wenig.
Erst 1874, womöglich unter dem Einfluss der ersten Offenbach-Operetten, schuf Francisco Barbieri mit EL BARBERILLO DE LAVAPIES die erste "moderne" Zarzuela, nämlich ein milde satirisches Musikdrama nach heutigen Vorstellungen von der Gattung. Sie orientierte sich vor allem an Vorbildern der italienischen und französischen komischen Oper, deren Vorliebe für den Witz der sogenannten kleinen Leute sie übernahm. Um diese zu charakterisieren, bediente sie sich der vielfältigen spanischen Volksmusik, die sie zu einer eigenen Kunstgattung weiter entwickelte, in welcher nicht nur die Solisten, sondern auch der Chor und der Tanz Elemente von zentraler Bedeutung sind. Sie entwickelte sich dann parallel zur Operette, aber zunehmend unabhängig von ihr. Erst nach der Jahrhundertwende sind deutliche Einflüsse der damals an ihrem Zenith stehenden Operette zu erkennen, ohne dass die Zarzuela jemals ihren spezifisch spanischen Musikcharakter verloren hätte. Statt dessen nahm sie schon relativ früh auch Anregungen aus dem Musical auf.
Das gilt natürlich besonders für die lateinamerikanische, insonderheit die kubanische Zarzuela. Sehr bald konnte die Zarzuela nämlich auch in Lateinamerika Fuß fassen und dort, vor allem in Kuba, sogar eine eigene, eher melodramatische, Tradition begründen. Die regionale Verwurzelung der Zarzuela, die zum vollen Verständnis eine gewisse Vertrautheit mit den spanischen (Musik-) Traditionen voraussetzt, behinderte allerdings ihren Export in das übrige Europa. Hinzu kam eine ausgeprägte Vorliebe für einaktige Formate, die an die Frühzeit der Opera buffa als Pausenfüller anknüpft, in den Spielplänen der übrigen Welt aber immer weniger gefragt war. Erst in jüngerer Zeit wurde dank des Einsatzes spanischer Opernstars wie Victoria de los Angeles, Teresa Berganza, Montserrat Caballe, Placído Domingo, Alfredo Kraus u.a. für diese Kunstform, mit der sie aufgewachsen waren, auch international ein wachsendes Interesse für diese Kunstform geweckt, die eine große Bereicherung unseres Musikrepertoires darstellt."
Zu den besten Komponisten und Werken der Gattung gehören die folgenden, die - neben dem erwähnten "Barbier" von Barbieri - zu hören und über die zu diskutieren sich allemal lohnt. Leider sind die meisten Aufnahmen nur noch antiquarich oder im Ausland zu finden:
Alonso, Francisco 1887-1948
LA CALESERA
LA LINDA TAPADA
LA PARRANDA
Während viele der besten Zarzuelas mehr oder weniger starke Einflüsse der Opéra comique bzw. der Operette aufweisen, blieb Alonso fast ausschließlich den musikalischen Traditionen Sevillas und ihren maurischen Wurzeln verpflichtet. So verdanken klassische spanische Tanzformen wie der Pasodoble Alonso zahlreiche Erfolgsnummern. Die ausgeprägt regionale Klangwelt seiner über 150 Bühnenwerke und Filmmusiken hat ihren Export so sehr erschwert, dass sie fast nur in der spanischsprachigen Welt zugänglich sind. Dies ist besonders bedauerlich, weil Alonso einen ausgeprägten Theaterinstinkt besaß und einige der besten und frechsten Libretti der Zarzuela vertonte.
Emilio Arrieta, 1821-1894
MARINA
Eigentlich ist nur die heute kaum mehr zu hörende Urfassung dieser Oper eine Zarzuela. Sie wurde später zu einer dreiaktigen Oper erweitert, die ein wenig an den frühen Verdi und Gounods "Mireille" erinnert. Ein gutes Werk für Einsteiger, denn da ist es, im Gegensatz zu manch anderen späteren Zarzuelas mit ihm, rollengerecht, dass Alfredo Kraus schon etwas älter ist.
Francisco Asenjo Barbieri, 1823-1894
EL BARBERILLO DE LAVAPIES
Diese Urmutter der Zarzuela ist in einer, im Gegensatz zu den meisten Zarzuela-Einspielungen der 50er-70er Jahre auch klanglich sehr empfehlenswerten Einspielung mit Maria Bayo erhältlich und für Liebhaber der Buffo-Oper - natürlich vor allem als Gegenstück zu Rossinis "Barbier" - sehr empfehlenswert.
Tomas Bretón 1850-1923
LA VERBENA DE LA PALOMA
LA DOLORES
Eigentlich eine hervorragende, veritable Oper, die als eines der wenigen Werke seiner Gattung auch international Beachtung fand.
Manuel Fernández Caballero, 1835-1906
EL DUO DE LA AFRICANA
GIGANTES Y CABEZUDOS
Vor allem die Komödie "El Duo..." besticht durch einen (nahezu) Überfluss an hinreißenden melodischen Einfällen und wird zu Recht in den meisten Zarzuela-Zusammenstellungen zitiert, am besten auf der Duettplatte des Ehepaars Caballé/Martí, die auch sonst einen guten Einblick in das Beste der Zarzuela vermittelt:
Ruperto Chapí, 1851-1909
LA BRUJA
LA REVOLTOSA (s.o. bei Breton)
EL REY QUE RABIÓ
Fernando Chueca, 1846-1908
AGUA AZUCARILLOS Y AGUARDIENTE
LA GRAN VIA
Letztere, meine absolute Lieblingszarzuela, ist eher eine Revue über bestimmte Straßen von Madrid, aber sie war mit Recht eine Zeit lang die populärste Zarzuela auch außerhalb Spaniens, wo man sie oft spielte. Hier eine sehr gute Aunahme unter der Leitung von Pablu Sorrozábal, der selbst ein Komponist hochinteressanter Zarzuelas war (s.u.).
Geronimo Giménez, 1854-1923
EL BAILE DE LUIS ALONZO
LA TEMPRANICA
Zur Zeit gibt es nur Ausschnitte auf dem offiziellen Markt, davon sehr gute in dieser Sammlung mit Teresa Berganza und José Carreras, die auch viele Nummern aus den übrigen hier genannten Werken enthält:
Jacinto Guerrero, 1895-1951
EL HUESPED DEL SEVILLANO
LA ROZA DEL AZAFRAN
Jesús Guridi, Jesús 1886-1961
EL CASERIO
Vicente Lleo, 1870-1922
EL CORTE DEL FARAON
Eine köstliche Paraphrase über AIDA und die Folgen. Leider gibt es die alten Aufnahmen wohl nur noch im Net.
Pablo Luna 1897-1942
MOLINOS DE VIENTO
EL NIÑO JUDIO
Die in Holland spielende Windmühlen-Zarzuela sollte allen Operettenliebhabern gefallen, aber das bessere Werk ist das über den Judenjungen. Ein hinreißendes Duett daraus findet sich auf der bereits genannten Scheibe mit Montserrat Caballé und ihrem Gatten.
Manuel Penella 1880-1939
DON GIL DE ALCALA
MUSAS LATINAS
EL GATO MONTES
Vielleicht der außerhalb Spaniens populärste Zarzuelisto, nicht zuletzt dank dieser Platte mit Plácido Domingo und Juan Pons:
José Serrano 1873-1941
ALMA DE DIOS
LA CANCION DEL OLVIDIO
LOS DE ARAGÓN
Pablo Sorozábal 1897-1988
KATIUSZKA
LA MANOJO DEL ROSAS
LA TABERNA DEL PUERTO
DON MANOLITO
Sorozábal ist der letzte große Zarzuela Komponist mit prägnanter und sehr eigener, melodiestarker Handschrift, die m. E. die fast aller zeitgleich entstandenen, deutschen Operetten übertrifft. In "Don Manolito", von der es eine schöne Aufnahme mit Teresa Berganza und Manuel Ausensi gibt, wagt er sich, womöglich beeinflusst von Léhars SCHÖN IST DIE WELT, sogar auf das Terrain des Ski und Après Ski, was auf dem spanischen Grundton kaum weniger exotisch wirkt als seine frühe Beschäftigung mit dem Kommunismus in KATIUSZKA. Das Ergebnis ist aber trotzdem - in beiden Fällen - hörenswert.
Reveriano Soutullo, 1884-1932 und Juan Vert 1890 - 1931
LA LEJENDA DEL BESEO
EL ULTIMO ROMÁNTICO
Der vielleicht einzige Fall eines herausragenden Komponistenduos, zuständig für die ernst-sentimentale Zarzuela, die m. E. in jeder Hinsicht mit dem späten Léhar mithalten kann. Rolando Villazón hat sich das auf seiner vorzüglichen Zarzuela-Platte nicht entgehen lassen:
Federico Moreno Torroba, 1891-1982
LA CHULAPONA
LUISA FERNANDA
Der Romantiker unter den Komponisten der Zarzuela. Leider halten seine Libretti selten mit der Schönheit seiner melodischen Einfälle mit, die nicht von ungefähr zu den Favoriten Domingos gehören.
Amadeo Vives, 1871-1932
BOHEMIOS
DONA FRANCISQUITA
LA GENERALA
Einer der wichtigsten und besten Zarzuela-Komponisten überhaupt. BOHEMIOS fußt auf dem gleichen Stoff wie die berühmte LA BOHEME, neben der sie zwar verblasst, aber nur, weil das Optimale der ärgste Feind des sehr Guten ist. Eine ganz andere und in jedem Fall hörens- und ggf sehenswerte Umsetzung dieses berühmten Materials.
Pünktlich zur Urlaubssaison sei noch ergänzt:
Spanien-Urlauber sollten sich die Gelegenheit, einmal eine Zarzuela-Aufführung zu sehen, keinesfalls entgehen lassen, vorher aber möglichst den Inhalt des Stückes kennen lernen, denn gesprochen wird darin nicht weniger als in der französischen oder deutschen Operette. Dafür ist man vor den Attacken hypermodernen Regietheaters in aller Regel gefeit. Und wer sich dann noch für die noch unbekanntere, aber durchaus hörenswerte, weil viel leidenschaftlichere kubanische Zarzuela interessiert, sollte mal in diese hinein hören:
Ernesto Lecuona 1896-1963
MARIA DE LA O
Viel Freude an diesen Entdeckungsreisen wünscht
Rideamos, el Zarzuelito