C. P. E. Bach - Die Klaviersonaten. Für Kenner und Liebhaber
Wenn ich das richtige sehe, gibt es hier noch keinen einzigen Thread über C. P. E. Bach – kaum zu glauben, und das im Jubiläumsjahr.
Dass Carl Philipp zu den am meisten unterschätzten Komponisten heutzutage gehört, wird besonders deutlich, wenn man liest, was Zeitgenossen bzw. die nachfolgende Generation über ihn zu sagen hatten. Damit ist nicht die breite Masse gemeint – das Schicksal widerfuhr ja so vielen Komponisten, dass manche boshaft behaupten, der künstlerische Erfolg während des eigenen Lebens verhalte sich antiproportional zu dem danach –, sondern niemand geringeres als die drei "Großen" der Wiener Klassik:
Haydn: „Wer mich gründlich kennt, der muss finden, dass ich dem Emanuel Bach sehr vieles verdanke, dass ich ihn verstanden und fleißig studiert habe.“
Mozart: „Er ist der Vater, wir die Bub’n. Wer von uns was Rechtes kann, hat von ihm gelernt.“
Beethoven: „Von Emanuel Bachs Klavierwerken habe ich nur einige Sachen, und doch müssen einige jedem wahren Künstler gewiß nicht allein zum hohen Genuß, sondern auch zum Studium dienen.“
Und Schubart äußerte sich über Bach: „Bach in Hamburg führt die Klavieristen an, wie Klopstock die Dichter. Er macht nicht nur für unsere, sondern auch für die Folgezeit Epoche. Seine Setz- und Spielart ist gleich unnachahmlich.“
Trotzdem wird er heute häufig als etwas eigenwilliger Experimentator betrachtet, der irgendwo zwischen den Stühlen steht, musikhistorisch als Wegbereiter zwar bedeutend war, aber für den Hörer heute, der "Besseres" zur Verfügung hat (Haydn, Mozart, Beethoven), wenig von Belang. Wie ist das zu erklären?
Ich selbst hatte lange Zeit meine Probleme mit C. P. E. Bach. Das Problem scheint mir: Seine Musik klingt beim ersten Hören spröde, bruchstückhaft, nicht eingängig. Man glaubt, wenn man den Mozart von danach kennt, dass da jemand seine Mittel noch nicht elegant zu handhaben wusste.
Wer sich nicht von diesem Eindruck geleitet einer intensiveren Auseinandersetzung verwehrt, wird bemerken: Die Musik ist tatsächlich schwer zugänglich, nicht aber, weil Bach es nicht anders konnte, sondern weil er extreme Ansprüche an den Hörer stellt. Verschiedene Affekte prallen jäh auf engstem Rahmen aufeinander, nichts wird bequem ausgeführt, jegliche Gefahr der Redundanz wird vermieden. Die Folge: Die Stücke sind äußerst dicht und meist ziemlich kurz – so dauern die Sonatensätze etwa oft nur 3–4 Minuten. Was künstlerischen Anspruch, Wille zum Ausdruck, Vermeidung von Redundanzen (sowohl innerhalb eines Stücks als auch, was sein Schaffen als Ganzes betrifft: in fast jedem Sonatensatz erfindet er die Form in großen Teilen neu, den Bedürfnissen des jeweiligen Ausdrucksgehalts entsprechend) und Dichte sowie Knappheit des Ausdrucks betrifft, scheint er mir durchaus mit den Komponisten der Wiener Schule (Schönberg, Webern, Berg) vergleichbar. Er war ein ausgesprochener Avantgardist seiner Zeit.
Ein anderes Problem ergibt sich bei Interpretation. Damit kommen wir zu den Klaviersonaten. Bach hat ca. 150 Stück davon komponiert. Spannend sind sie alle, und teilweise höchst unterschiedlich. Die frühen "Württembergischen" und "Preußischen" Sonaten zeugen teilweise noch mehr von barockem Fluss (wobei etwa der erste Satz der 6. Württembergischem klingt wie ein zur Sonate ausgestaltetes Rezitativ) und haben teilweise äußerst kurze Reprisen (mit großem Formbewusstsein. Hier gibt's tatsächlich schon motivisch-thematische Arbeit im Beethoven'schen Sinne, und die verkürze Reprise ist stets eine Folge des Geschehens in der Durchführung). Die späteren Sonaten "für Kenner und Liebhaber" haben teilweisere einen noch feiner durchgestalteten Formverlauf (vor allem an den formalen Nahtstellen vernehmbar) und wahnsinnig großen Gestaltenreichtum (in dieser Hinsicht, würde ich sagen, sehen die drei Klassiker gegen Carl Philipp ganz schön alt aus).
Es sind zum Jubiläumsjahr erfreulicherweise zwei neue Gesamteinspielungen erschienen:
Von ersterem gibt es auch schon wenig länger folgende CD:
Ich muss sagen: Markovina spielt sicher schön, aber die glatte, klangschöne Art, allein schon durch das Instrument bedingt, hätte mir den Zugang zu den Sonaten versperrt, wenn ich nicht auch die Belder-Aufnahme entdeckt hätte. Darüber hinaus übergeht sie regelmäßig die Wiederholungen, was ich sehr schade finde, denn oft sind die Nahtstellen von Exposition u. Durchführung besonders spannend komponiert, sehr häufig sogar mit einer ersten und zweiten Klammer. Belders Ansatz finde ich kongenial: Die Farbenpracht durch die Verwendung unterschiedlichster Instrumente (Cembalo, Clavichord, Fortepiano) ist phänomenal. Hinzu kommt eine wunderbar erfrischende Agogik, womit er es für mein Empfinden als einer der wenigen schafft, die Musik wirklich organisch rüberzubringen, eine Geschichte zu erzählen, sodass man nicht eine willkürlich scheinende Abfolge von Bruchstücken vernimmt (was, wenn man die Sonaten einfach so glatt und elegant runterspielt, schnell passiert). Wo eigenwillige Brüche sich ereignen (die eben nicht von mangelndem Kompositionshandwerk zeugen, sondern sehr bewusst komponiert sind, einerseits affektbedingt, andererseits sich häufig auch durch eine komplexe strukturelle Idee erklären lassen), werden sie von Belder sehr überzeugend inszeniert.
Was herauskommt, ist extrem spannende Musik, wenn man seine Hörgewohnheit abschaltet, ausladende Melodien, Themen im Mozart'schen Sinne zu erwarten – ich empfehle tatsächlich, es mal mit einer ähnlichen Hörhaltung wie etwa bei den aphoristischen Stücken der Schönbergschule zu versuchen. Die Querbezüge der auf den ersten Blick bruchstückhaft scheinenden Formen erschließen sich wohl erst bei genauem und mehrmaligen Hinhören. Kein Detail ist hier "einfach so".