Eben gewälzt

  • Heute morgen lese ich in der SZ, das Orson Welles Erstlingswerk "Citizen Kane" sein Plan B war.
    Er wollte eigentlich von Joseph Conrad "Das Herz der Finsternis" verfilmen, scheiterte aber an den Produzenten.
    So habe ich mal eben das Buch gelesen. sind ja nur 183 Seiten,- Rentner haben Zeit-, und ich wurde nach 1- 2 Seiten in den Sog der Erzählung gezogen ins Herz der Finsternis eben.
    Ein Werk über den Kolonialismus, aber mehr darüber wie eine wilde Natur die Menschen "entzivilisiert" und der aussichtsreiche Musiker Kurtz in der Wildnis zum angebeteten Anführer seiner eigenen Sekte wurde. Die Reise zu Herrn Kurtz ist der Kern der Geschichte, eine Reise auch in den Kern des Ichs des Erzählers, in die eigene Rohheit, die bleibt, wenn die Zivilisation nur weit und lang genug entfernt ist. Die Reise ist gruselig und grausam zu erleben, nix für zarte Gemüter, allerorten wird gestorben, gemordet und versklavt.
    Am Ende liegt das Herz der Finsternis aber nicht im Kongo, sondern das Schiff auf dem Marlow die Geschichte zu Gehör bringt, reist selbst ins Herz der Finsternis: nach London!

    Großartig geschrieben und ich sollte daher noch einmal von Kracht "Imperium" lesen, weil mir so viele Vergleiche im Nachhinein gekommen sind, dass sich genauere Lektüre zu lohnen scheint.
    Na, dann die nächsten Tage
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Ja, es ist mehrfach verfilmt worden.
    Und jedes Mal war es tragisch.
    Aber auch wenn Coppola das Ganze nach Vietnam verlegte, das Original, dieser vernebelte, regnerische und gefährliche Dschungel im Kongo,- dort muss es wohl spielen, denn der Protagonist landet am Ende zunächst in Brüssel-, ist so viel eindringlicher als der zum Kriegsfilm veränderte Roman. Es ist hier der Krieg mit der Natur, den Eingeborenen und mit sich selbst.
    Ich war nach fast 40 Jahren, so lange steht das Diogenes Taschenbuch bei mir im Schrank, erneut geflasht, wie man so schön sagt.
    Und Conrad wusste wie man schreibt! Da können sich manche Anregungen und Nachhilfe holen.
    Gruß aus Kiel

    PS. Allen, die dieses lesen und unendlichen Rassismus darin vermuten, sei dieses Zitat auf der Seite 13 genannt (TB Diogenes)

    Zitat von Joseph Conrad. Herz d. F.

    Die Eroberung der Welt, die im Wesentlichen darauf hinausläuft, daß man sie denen fortnimmt, die eine andere Hautfarbe oder etwas plattere Nasen als wir haben, ist, genau besehen, nichts Erfreuliches

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Gestern - diesmal mit meinem Jüngsten - wieder Jarmuschs "Ghost Dog" geschaut. Und nun muß ich das doch mal selbst lesen, also bestellt:


    :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Eine kurze, erst in den 90igern in Buchform veröffentlichte Erzählung von Thomas Wolfe:

    In vier Abschnitten (Bericht über Grover, Bericht der Mutter, der Schwester, des Bruders Thomas Wolfe) setzt sich der Autor mit dem Tod seines 12-jährigen Bruders Grover auseinander. Dabei geht es ihm um das Wiederfinden der Vergangenheit, das Verstreichen und Anhalten von Zeit, das Heraufbeschwören und Vergegenwärtigen des Verlorenen.

    Eine sehr eindrückliche und auch berührende Erzählung, fast ein Kleinod, in einer berückenden Sprache geschrieben mit starken Bildern und Akzenten versehen. Auch wenn später geschrieben eigentlich eine Heranführung an Wolfes bekanntestes Werk: 'Schau heimwärts, Engel'.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Hier zuletzt (sicher zum fünften Male im Leben)

    Meine alte Deutschlehrerin sagte mir nach der letzten Stunde seinerzeit, mit Hesse verhalte es sich häufig so, daß er denjenigen, die ihn mögen, im Erwachsenenleben oft ferner stände, um dann aber im Alter umso mehr wiederzukommen. Das könnte schon bei mir zutreffen. Jedenfalls habe ich das Buch sehr genossen, tiefer als damals, und werde bei Hesse erstmal bleiben.


    :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Dann wünsche ich Dir die heitere Gelassenheit. Möge Dein Antlitz gülden leuchten ...

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Naja goldner Glanz... Der Mann begleitet seit 50 Jahren mein Leben, auch wenn es selbstverständlich "bessre" Schreiber gibt. Aber was ist besser? Besser ist relativ wenn das Herz getroffen wird. Sehr relativ. Und für Lyrik abseits von Poesiealben haben wir ja unsre Rilkes, Brechts, Goethes und so weiter.

    Habe soeben 790 Euronen mit einem Mausklick ausgegeben und mir Hesses sämtliche Werke, Briefe, etcpp in 20 Bänden direkt bei Suhrkamp geordert - - - ein Lebenstraum.

    Andre fahren für die Kohle ne Woche in die Dominikanische Republik und trinken sehr viele Caprihinas. Da ich sowas nicht tu war es drin. Wird mein Restleben entscheidend prägen...

    Heut ist ein Feiertag hier. :cincinsekt:


    :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Herzlichen Glückwunsch! Auch das Lesen ist ein Lebenswerk.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ich danke dir <3

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Heut ist ein Feiertag hier.

    Da gratuliere ich auch ganz herzlich . wenn nicht unbedingt zum Hesse , aber 100% dazu , daß du dir einen Traum erfüllt hast !!!

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Auch Dir, lieber b-major, vielen lieben Dank.

    Sowas macht man ja nicht oft im Leben. Und wenn das Wesentliche eh schon da ist, seit Jahrzehnten, hat es auch etwas Widersinniges.

    Aber es wird mich antreiben, das Lebenswerk dieses Schriftstellers, der mich so sehr geprägt hat, mir noch einmal von A bis Z und aus der Perspektive eines selbst bald 60järigen zu vergegenwärtigen. Und das wird mit meinem Leben etwas anstellen, was, weiß ich nicht. Bestimmt nichts Schlechtes -, und selbst wenn ich zu dem Ergebnis käme, ich habe den immer überschätzt, wär es es ja eine Wandlung und die sind niemals falsch. Ich bin jedenfalls voller Vorfreude.


    :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Von mir auch Glückwünsche, lieber Garcia, v.a. dazu, dass Literatur diesen existenziellen Stellenwert für dich hat. Man wirft so viel Geld zum Fenster heraus, aber was die Kunst angeht, ist es nie umsonst.

    Interessant, was deine Deutschlehrerin meinte. Die erste beiden 'Stufen' kenne ich auch, bei der dritten bin ich noch nicht, aber vielleicht ist es wirklich so. Wer weiß, wie ich in ein paar Jahren Hesse begegne. Bin gespannt. ;)

    Die jedenfalls viel Freude damit.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Die erste beiden 'Stufen' kenne ich auch, bei der dritten bin ich noch nicht, aber vielleicht ist es wirklich so. Wer weiß, wie ich in ein paar Jahren Hesse begegne.

    Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
    Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
    Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
    Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
    Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
    Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Erneut gelesen:
    Wilhelm Genazino. Ein Regenschirm für diesen Tag

    Der ICH Erzähler lebt allein. Lisa, eine früh verrentete Lehrerin (Typische Idealistin scheitert an den Kindern und deren Eltern) hat ihn verlassen und damit einen Teil ihrer Rente. Er lebt derweil von Testberichten zu Luxusschuhen, die er für einen Luxushersteller einträgt und bewertet.
    Wer Schuhe einträgt, geht viel zu Fuß und so ist er ein Flaneur, der sein Leben reflektiert.

    Wie es so kommt, kreuzen diverse Frauen seinen Weg, alle irgendwie vom Leben bereits deviant geworden und so um die 40 - 45.
    Sex kommt auch vor, so mit seiner Friseurin, die sich durch Gelegenheitsprostitution ein Zubrot verdient
    Und den Männern geht es ähnlich. Der eine interessiert sich mehr für Modelleisenbahnen, ein anderer will groß als Fotograf rauskommen, scheitert und verwahrlost immer mehr.
    Doch der Fotograf trifft sich auch mit der Friseurin, was Eifersuchtsanfälle beim Ich-Erzähler auslöst..
    Das alles könnte also nun ein todtrauriger Roman sein, ist es aber nicht.
    Die Fülle der Reflexionen, die hier ausgebreitet werden, ist erstaunlich. Ich habe mich sehr oft dabei ertappt, dass ich auch mal so drauf war.
    Schön die Zeile

    Zitat von Genazino

    Aber wenn ich auf eine halbwegs anständige Art ermüdet bin, wie jetzt, kann ich damit aufhören, mein Leben zu verdächtigen

    Bei einem Spaziergang kommt ihm der Gedanke, ein "Institut für Gedächtniskunst" wäre genau das richtige und Wochen später bei einer Abendgesellschaft trägt er mit dem Brustton der Überzeugung leicht angeheitert, aber auch, um den Fotografen auszustechen, vor, das er Leiter dieses Instituts und nebenbei in "Vergleichender Schuldwissenschaft" tätig sei.
    Prompt bekommt er einen Auftrag.
    Es geht es um die Bekämpfung der "Weltherrschaft der Langeweile", sei es Einzellangeweile oder Massenlangeweile, deren Produkt das Erlebnisproletariat ist.
    Er hat Erfolg und bekommt Klientinnen.
    Susanne wird zukünftig wieder häufig bei ihm zu Gast sein, sein Leben ist wieder ok, oder??
    Denn, wie heißt es bei ihm, als er die Tätigkeit seines "Instituts" beschreibt.

    Zitat von Genazino

    Zu uns kommen Menschen...,die das Gefühl haben, daß aus ihrem Leben nichts als ein langgewordener Regentag geworden ist und aus ihrem Körper nichts als der Regenschirm für diesen Tag

    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Habe vor Jahren mal die "Abschaffel-Trilogie" gelesen und fand das ziemlich witzig-traurig-skurril. Vielleicht sollte ich mal wieder zu Genazino greifen...

    ;)

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Kam noch einen Tag vor dem dicken Hessepaket (sozusagen ein Bericht über das Terrain wo seine Großeltern und Eltern noch missioniert haben, manchmal macht der Lesegott eben alles passend :D ) :

    Spannend. Abbé Dubois Buch über Indien ist auch heute noch eine unverzichtbare Fundgrube für Indologen (was ich nicht bin). Der Mann kam als französischer Kolonialbeamter nach Indien, ward aber mehr von der dortigen Kultur fasziniert als es seinem Job entsprach und ging nach Ende seiner Karriere nach England um dafür in der Heimat nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Was wohl eine gesunde Entscheidung war. Das ist alles hervorragend lesbar und spannend und verblüffend liberal bzw weltoffen, aber von 1807, also heutige Diversivitätsansprüche anzulegen endete doch enttäuschend. Bornierte und rassistische und eurozentristische Anschauungen mischen sich historisch bedingt natürlich auch rein. Aber sein Indienbild ist von Respekt und manchmal Bewunderung durchzogen und sehr, sehr detaireich - wie gesagt, daher auch bis heute für Fachspezialisten eine Pflichtlektüre.


    Im Ganzen: Große Leseempfehlung für thematisch Interessierte!


    :)

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

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