Erich Wolfgang Korngold: Die Kammermusik

  • Wir haben Korngold, ich habe Korngold oft, sehr oft, in Zeitlupe geprobt, auch das Sextett- alerdings dieses vor 20 Jahren.

    Erst dann kann man die ungeheuerlichen Dinge überhaupt nachvollziehen, welche er da Tonsatzmäßig losgelassen hat.
    Als Interpret braucht man Wochen, Monate, ja gar Jahre, um dies alles auch nur entfernt zu verstehen.

    Korngold war z.B. in der Lage, einen absoluten "Cluster" zu schreiben, der im Kontext dann harmonisch wie auch melodisch im ersten Moment gar nicht auffällt.

    USW, es braucht eine gute Interpretation, um dem Publikum dieses anscheinende Klangchaos zu entschlüsseln.

    Der Komponist Korngold wußte jedenfalls in jedem Takt, was er macht.

  • Hallo zusammen,

    ich nenne bei den Streichquartetten auch die nicht wahnsinnig berauschende Flesch-Quartett-Aufnahme in der Brilliant-Ausgabe mein eigen.

    Was mir ganz gut gefällt, ist die groß besetzte Aufnahme des Sextetts mit der Kammerakademie Potsdam, die bei Oehms erschienen ist: die Süffigkeit des etwas größer besetzten Ensembles kommt den von Michael beschriebenen Qualitäten des Stücks, wie ich finde, sehr entgegen:

    Klavierquintett und Quartettsuite sind auf dieser Scheibe mehr als ordentlich runtergerissen: in meinen Ohren ist der langsame Satz aus op. 15 (hier sehr sinnig mit dem zugehörigen Lied auf einer CD) ein absolutes Highlight des Korngold'schen Musikschaffens, von dem ich einiges kenne .....

    Und für Leute, die vor dem wobble in Anne Sofie von Otters Stimme Angst haben: der tritt hier kaum auf ..... Allerdings kann ich nicht behaupten, dass ich eine restlos befriedigende Aufnahme des Klavierquintetts kennen würde.

    LG Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Klavierquintett und Quartettsuite sind auf dieser Scheibe mehr als ordentlich runtergerissen: in meinen Ohren ist der langsame Satz aus op. 15 (hier sehr sinnig mit dem zugehörigen Lied auf einer CD) ein absolutes Highlight des Korngold'schen Musikschaffens, von dem ich einiges kenne .....

    Stimmt, diese Aufnahme ist ziemlich klasse.
    Und Bengt Forsberg sowie Mats Lidström sind ganz große Korngoldianer, was man dieser Aufnahme direkt anmerkt.
    Mit Mats hatte ich einen regen Briefwechsel in den 90ern, der leider eingeschlafen ist.
    Jedenfalls ist Mats einer der interessantesten Cellisten überhaupt, er spielt sehr extrem ausdrucksstark.

    Zitat

    in meinen Ohren ist der langsame Satz aus op. 15 (hier sehr sinnig mit dem zugehörigen Lied auf einer CD) ein absolutes Highlight des Korngold'schen Musikschaffens, von dem ich einiges kenne ....

    Oh ja......wenn ich das Privileg habe, dieses Werk zu spielen, dann ist dieser langsame Satz immer der Moment, wo ich aufhören darf, als Cellist auf der Bühne zu sitzen.
    Denn dann zieht mich dieses Werk dermaßen in den Bann, daß ich irgendwie aus mir heraustreten kann, beiseite gehe, und alles passieren lasse.
    Ich denke, den Kollegen geht es ähnlich, das hat ein wenig was von einem Drogentrip.

    Allerdings muß man den mit sehr viel Arbeit vorbereiten..... ;+)

  • Allerdings kann ich nicht behaupten, dass ich eine restlos befriedigende Aufnahme des Klavierquintetts kennen würde.

    Das stimmt.
    Dr. Erica Muhl von der Universität Los Angeles meinte auch nur:
    "This thing is a monster"

    Und das ist es tatsächlich.
    Mir ist auch keine restlos überzeugende Aufnahme bekannt, schon gar nicht unsere eigene.

    Dieses Quintett ist ein wirkliches Monster.
    Eine wirklich zu 100% überzeugende Aufnahme gibt es nicht.
    Es gibt Aufnahmen, welche im Detail großartig sind oder im großen und ganzen gut sind.
    Aber aus eigener Erfahrung darf ich behaupten, daß es sich hier um ein Werk handelt, welches eine jahrelange Beschäftigung voraussetzt, um eventuell ein wirklich gutes und befriedigendes Ergebniss zu erbringen.

    Und diese alles andere überragende Aufnahme gibt es tatsächlich noch nicht, auch nicht von den Dorics.
    Es ist auch fast unmöglich, aber das Doric-Quartett hat zumindest meine Träume von den Streichquartetten Wirklichkeit werden lassen.
    Es ist für mich einfach unglaublich, was die da erarbeitet und realisiert haben.

  • Dann habe ich da tatsächlich einiges durcheinandergeworfen.
    Sorry, kommt nicht so häufig vor bei mir.
    Aber ich bin mir nach wie vor ganz sicher.........aber es ist auch egal.

    P.S. ich glaube, ich habe meinen Fehler gefunden, es war das Brodsky-Quartett.
    Manchmal verliert man die Übersicht.

    Armin

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Nach den Hinweisen hier habe ich heute Abend das Klavierquintett erneut gehört. In der mit dem Sextett gekoppelten Aufnahme der Camerata Freden mit Thomas Hell am Klavier:


    Sie gefällt mir noch etwas besser als die des Doric-Quartetts mit Kathryn Stott. Sie ist offener, geht auch mehr Risiken ein als die sehr konzentrierte aber dadurch vielleicht auch hermetischer klingende der Engländer.

    Im ersten Satz habe ich zunächst noch Parallelen zum Verlauf des Anfangssatzes von Mahlers Neunter gesucht, dann aber bald verloren. Der zweite hebt mit dem Liedzitat an wie einige Schubertsätze, es fehlt aber die "wandernde" Vorwärtsbewegung, sonderm mir schien sich alles in sehr langsamer Kreisbewegung immer mehr festzulaufen, bis es dann fast exakt in der Mitte des Satzes völlig erstarrte. Danach wie auch schon im Sextett die Auflösung in sich verbreiterende Klangflächen mit kühner Harmonik. Aber doch ganz zum Schluss des langsamen Satzes gab es eine andere Assoziation, die dann im folgenden Schlußsatz immer stärker wurde: da steckt ganz viel Reger drin.

    Ich habe es dann auf's Geratewohl versucht mit dem Klavierquartett op.113 in d-moll von Reger. Andere Besetzung, andere Tonart, 10 Jahre älter - aber dennoch: vom Anfang an war für mich spürbar, wieviel Korngold dem Stück oder jedenfalls dem älteren Komponisten verdankt. Am stärksten kurioserweise im Scherzo des Klavierquartetts, das in Korngolds Quintett gar keine Entsprechung hat: nach einem sehr aggressiven Vivace gibt es völlig unvermittelt den Schock eines ungeheuer düsteren Adagios, in dem sich wie später bei Korngold der Klang völlig von der Form löst und nur noch als Fläche auftritt. Bei Reger allerdings mit einer bestürzenden Ökonomie der Mittel ausgeführt, die den Ausdruck extrem steigert, während Korngold viel auschweifender und - wie ich meine - auch harmloser verfährt, obwohl er beim Einsatz der Dissonanzen oder auch von klanglichen Effekten wie z.B. Glissandi sicherlich der "Modernere" ist.

    Gar nicht vergleichbar sind allerdings beide Werke in ihrer Haltung zur traditionellen Form. Bei Reger beherrscht der Formverlauf alles und Reger beherrscht den Formverlauf. Korngold hebt zwar immer wieder mit traditionellen Mustern an, scheint dann aber ganz die Lust an der Form zu verlieren, oder wendet sich mit seiner Klangzauberei sogar explizit gegen sie.

    Jedenfalls bin ich dem Korngold dankbar, dass er mich erstmals wieder seit ewigen Zeiten zur Kammermusik von Reger und zumal zum Klavierquartett in d-moll "zurück" geführt hat. Das Klavierquintett ist sicherlich ein hoch interessantes Werk, in dem es noch viel zu entdecken gibt - aber das Klavierquartett von Reger ist ein ungeheuer starkes Stück.

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