Bach, J. S.: Kantate Nr. 17 „Wer Dank opfert, der preiset mich“

  • Bach, J. S.: Kantate Nr. 17 „Wer Dank opfert, der preiset mich“

    Bach komponierte diese Kantate für den vierzehnten Sonntag nach Trinitatis, den 22. September 1726, also in seinem vierten Leipziger Amtsjahr.

    Wie bei etlichen weiteren für die Trinitatis-Zeit bestimmten Kantaten des Jahres 1726 stammt der Text dieses Werkes aus einer Sammlung, die 1704 in Meiningen gedruckt wurde. Auch hier findet man die charakteristische Abfolge Bibelwort (AT) – Rezitativ – Arie – Bibelwort (NT) – Arie – Rezitativ – Choral, die das neutestamentliche Wort zentral positioniert und die übrigen Sätze fast symmetrisch darum gruppiert.

    Das Evangelium des Tages war Lk 17, 11-19, die Geschichte von den zehn Aussätzigen. – Jesus war auf dem Weg durch Galiläa und Samarien in Richtung Jerusalem. In einem Dorf begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die riefen ihm von ferne zu: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Jesus rief zurück: „Geht hin und zeigt euch den Priestern!“ (Nur ein Priester konnte einen Aussätzigen für geheilt erklären und ihm somit wieder Zugang zur Gesellschaft gewähren.) Und als sie auf dem Weg zu den Priestern waren, wurden sie rein. – Einer von den zehn, als er bemerkte, dass er gesund geworden war, kehrte um und dankte Jesus. Das war ein Samariter. Da fragte ihn Jesus: „Sind nicht die zehn rein geworden? Wo aber sind die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?“ Und er sprach zu ihm: „Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.“ – In dieser Geschichte liegt eine besondere Pointe darin, dass es ein Samariter war, der umkehrte.

    Der unbekannte Dichter machte keine theologischen Verrenkungen bei der Komposition seines Textes: Sein Thema ist der Dank des Einen, des Samariters, der umkehrte. Das Jesuswort „dein Glaube hat dir geholfen“ wird durch den Psalmvers des Eingangschores neu beleuchtet, indem der Zusammenhang von Dank und Heil hervorgehoben wird.

    Erster Teil

    1. Chor
    Wer Dank opfert, der preiset mich, und das ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes.

    Das erste Rezitativ ist eine Predigt über die Herrlichkeit Gottes und seiner Schöpfung, die zu Lob und Preis Anlass geben. – Alfred Dürr erklärt „Wenn ihre Ordnung als in Schnuren geht“ zu einem Zitat von Psalm 19,5. Dieser Vers ist in gängigen Übersetzungen mit „Ihr Schall geht aus in alle Lande“ (Luther 1984) bzw. „Ihr Klingen geht aus in alle Lande“ (Zürcher Bibel) übersetzt, das kritische Wort („φϑόγγος“ in der Septuaginta), meist mit "Klang", "Schall" o. ä. wiedergegeben, kann offenbar auch mit „Richtschnur“ übersetzt werden. – Vielleicht hatte der Dichter aber Psalm 19 gar nicht im Sinn. – Heute ist noch die Redensart „es geht wie am Schnürchen“ gängig.

    2. Rezitativ
    Es muss die ganze Welt ein stummer Zeuge werden
    Von Gottes hoher Majestät,
    Luft, Wasser, Firmament und Erden,
    Wenn ihre Ordnung als in Schnuren geht;
    Ihn preiset die Natur mit ungezählten Gaben,
    Die er ihr in den Schoß gelegt,
    Und was den Odem hegt,
    Will noch mehr Anteil an ihm haben,
    Wenn es zu seinem Ruhm so Zung als Fittich regt.

    Bei der ersten Arie ist der Bezug unstrittig: Psalm 36, 5 wird zitiert, das Lob Gottes und seiner Schöpfung wird fortgesetzt.

    3. Arie
    Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
    und deine Wahrheit langt, so weit die Wolken gehen.
    Wüsst ich gleich sonsten nicht, wie herrlich groß du bist,
    So könnt ich es gar leicht aus deinen Werken sehen.
    Wie sollt man dich mit Dank davor nicht stetig preisen?
    Da du uns willt den Weg des Heils hingegen weisen.

    Zweiter Teil

    Rezitativ Nr. 4 besteht aus den beiden Versen des Evangeliums des Sonntags (Lk 17, 15-16), die vom Dank berichten.

    4. Rezitativ
    Einer aber unter ihnen, da er sahe, dass er gesund worden war, kehrete um und preisete Gott mit lauter Stimme und fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen und dankete ihm, und das war ein Samariter.

    Die folgende Arie erzählt davon, dass die besungene Güte nur mit Lob und Dank erwidert werden kann.

    5. Arie
    Welch Übermaß der Güte
    Schenkst du mir!
    Doch was gibt mein Gemüte
    Dir dafür?
    Herr, ich weiß sonst nichts zu bringen,
    Als dir Dank und Lob zu singen.

    Rezitativ Nr. 6 wendet den Blick von den irdischen Gaben und Begabungen ins Jenseits:

    6. Rezitativ
    Sieh meinen Willen an, ich kenne, was ich bin:
    Leib, Leben und Verstand, Gesundheit, Kraft und Sinn,
    Der du mich lässt mit frohem Mund genießen,
    Sind Ströme deiner Gnad, die du auf mich lässt fließen.
    Lieb, Fried, Gerechtigkeit und Freud in deinem Geist,
    sind Schätz, dadurch du mir schon hier ein Vorbild weist,
    Was Gutes du gedenkst mir dorten zuzuteilen
    Und mich an Leib und Seel vollkommentlich zu heilen.

    Zum Schluss steht die dritte Strophe des Liedes „Nun lob, mein Seel, den Herren“ von Johann Gramann (1487-1543).

    7. Choral
    Wie sich ein Vat'r erbarmet
    Üb'r seine junge Kindlein klein:
    So tut der Herr uns Armen,
    So wir ihn kindlich fürchten rein.
    Er kennt das arme Gemächte,
    Gott weiß, wir sind nur Staub.
    Gleichwie das Gras vom Rechen,
    Ein Blum und fallendes Laub,
    Der Wind nur drüber wehet,
    So ist es nimmer da:
    Also der Mensch vergehet,
    Sein End, das ist ihm nah

    Hier die sieben Sätze von BWV 17 samt ihrer Besetzung im Überblick:

    Erster Teil

    1. Chor „Wer Dank opfert, preiset mich“ – Sopran, Alt, Tenor, Bass, Oboe I/II, Violine I/II, Viola, B. c.
    2. Rezitativ „Es muss die ganze Welt ein stummer Zeuge werden“ – Alt, B. c.
    3. Arie „Herr! deine Güte reicht, so weit der Himmel ist“ – Sopran, Violine I/II, B. c.

    Zweiter Teil

    4. Rezitativ „Einer aber unter ihnen“ – Tenor, B. c.
    5. Arie „Welch Übermaß der Güte gibst du mir“ – Tenor, Violine I/II, Viola, B. c.
    6. Rezitativ „Sieh meinen Willen an“ – Bass, B. c.
    7. Choral „Wie sich ein Vater erbarmet“ – Sopran, Alt, Tenor, Bass, Oboe I/II, Violine I/II, Viola, B. c.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Erster Teil

    Satz 1 – Chor „Wer Dank opfert, preiset mich“ (A-Dur, 3/4)

    Nach einem Orchesterritornell singen die vier Chorstimmen eine Fuge auf „Wer Dank opfert, der preiset mich“. Das obligate Kontrasubjekt gehört zum zweiten Teil des Textes: „und das ist der Weg, dass ich ihm zeige das Heil Gottes“. Nachdem alle vier Stimmen ihren Einsatz hatten, geht es mit dem Sequenzmodell des Ritornells weiter.

    Wenige Takte Orchesterzwischenspiel leiten über zu zwei geringstimmig besetzten Vokaleinsätzen. Schließlich eröffnen die Chorbässe die zweite Durchführung des Fugenthemas durch alle Stimmen.

    Beachtenswert ist die Themengestalt: Zieht nicht die Koloratur auf „opfert“ nach und nach in die Höhe wie Rauch bei einem Brandopfer? Und ist die Koloratur von „preiset“ nicht wahrhaft jubelnd? Der „Weg“ führt auf und ab, das „Zeigen“ spielt sich hingegen mit Sprüngen ab, die ein Hindeuten malen mögen.

    Darf man es sagen? Das Eingangsritornell scheint mir nicht zu Bachs besten Ideen zu gehören. Eine Sequenz folgt der nächsten, es wirkt wie routinemäßig abgespult. Später erscheint das harmonische Modell wieder als Gerüst für den Chorsatz, da wirkt die (relative) Armut der Dauersequenzen durch polyphone Arbeit allerdings mehr als ausgeglichen.

    Satz 2 – Rezitativ „Es muss die ganze Welt ein stummer Zeuge werden“ (fis-moll -> cis-moll, c)

    Schlichtes secco-Rezitativ. – „Die ganze Welt“ hat eine weit ausholende Akkordbrechung. Auf „Majestät“ erscheint der Spitzenton des Satzes, bei „Luft“ und „preiset“ dann abermals.

    Satz 3 – Arie „Herr! deine Güte reicht, so weit der Himmel ist“ (E-Dur, c)

    Bach verzichtete auf ein da capo, teilte den Text in 2+2+2 Zeilen. Den zweiten Vokalabschnitt gestaltete er als Gegensatz und machte dritten dem ersten ähnlich, wie in einer da-capo-Arie.

    Die Motive dieses Satzes scheinen aus dem Eingangschor in diese wunderbare lichte Arie geschwebt zu sein. Drei hohe Oberstimmen musizieren über dem meist in Achteln gesetzten B. c. Sind die meist den Raum einer Oktave ausschreitenden Phrasen ein Bild der „Güte, die reicht, so weit der Himmel ist“?

    Zweiter Teil

    Satz 4 – Rezitativ „Einer aber unter ihnen“ (cis-moll -> fis-moll, c)

    Secco-Rezitativ. – Das Bibelwort ist in kanonischer Weise dem Tenor zugeteilt. Das „Fallen“ ist tonmalend in tiefer Lage gesetzt.

    Satz 5 – Arie „Welch Übermaß der Güte gibst du mir“ (D-Dur, c)

    Auch die zweite Arie steht nicht in da-capo-Form, auch bei der zweiten Arie bringt Bach den formalen Kniff an, den dritten Textteil mit einem quasi-da-capo zu verbinden. Die trillerartige Verzierungsfigur zu Beginn der Arie scheint für das „Übermaß“ zu stehen; jedenfalls erklingt sie auch zu diesem Wort. Sie ist verwandt mit dem Kontrasubjekt aus der D-Dur-Fuge Bachs für Orgel (BWV 532).

    Nach der kontrapunktisch sorgfältig ausgearbeiteten ersten Arie ist der Tonfall hier merklich simpler und liedhafter. Der ganze Satz verströmt lautere, ungekünstelte Dankbarkeit

    Satz 6 – Rezitativ „Sieh meinen Willen an“ (h-moll -> cis-moll)

    Schlichtes secco-Rezitativ.

    Satz 7 – Choral „Wie sich ein Vater erbarmet“ (A-Dur, 3/4)

    Vierstimmig-homophoner Choralsatz mit colla parte mitgehenden Instrumenten. Fast durchweg ist Viertelbewegung gesetzt, überhaupt ist der Satz für Bachsche Verhältnisse auffallend schlicht und erinnert strukturell (nicht harmonisch) eher an Crüger u. ä.; umso auffälliger sind die offenbar textbezogenen Achtel bei „fallend Laub“.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

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