Verfemt und missbraucht - Das Volkslied zur Nazizeit

  • Durch die Verschiebung des ursprünglichen Threads "Persilschein Volkslied" wurde eine sehr interessante Diskussion um die Behandlung des Volkslieds zur Nazizeit unterbrochen. Damit Ihr sie, wenn gewünscht, wieder aufnehmen könnt, habe ich die relevanten Beiträge hierzu in diesen Thread kopiert. Ich warne jedoch davor, den Thread für die erneute Einbringung von rechtsideologischem Vokabular zu missbrauchen. Beiträge, die solche Töne ohne eine eindeutige Distanzierung enthalten, werden ohne Rücksprache entfernt, und ihre Autoren riskieren eine Verwarnung oder sofortige Sperre. Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Ich bin immer wieder verblüfft, welche Schaden die Nazis indirekt verursachten

    Den Schaden haben sie schon sehr direkt verursacht. Den NS-Ideologen behagte der Regionalcharakter der Volksmusik überhaupt nicht, Mundartlieder wurden folglich verboten. Stattdessen wurden "NS-Heimatlieder" in Auftrag gegeben, in denen Blut & Boden natürlich eine andere Rolle spielten als in der manchmal doch subversiven Volkslyrik. Damit und mit dem allgemeinen Gleichschaltungswahn verschwanden sehr viele regional, manchmal sogar nur lokal geprägte Musizierpraktiken, selbst auf der Bauernhochzeit musste es das Horst-Wessel-Lied sein.
    Die wrkliche Volksmusik erhielt sich nur in kleinen Refugien, manchmal nur im Familienkreis, und wurde eher konspirativ wenigstens in Teilen über die 1000 Jahre gerettet. Südbayern war da wohl am erfogreichsten, jedenfalls sind dort noch die meisten ursprünglichen Traditionen zu finden.
    Weiter im Norden hatten die Gleichschalter größeren Erfolg, und so haben wir in Deutschland heute kaum noch irgendeine nennenswerte originäre Volksmusik nördlich der Alpen.

    Vom Schicksal der deutschsprachigen jüdischen Musiktradition brauchen wir gar nicht erst zu reden.

    Blasmusik in der Form großer, marschierender Kapellen wurde als repräsentatives Beiwerk gefördert. Damit entstand dann wohl zum ersten Mal das, was wir heute noch in ARD und ZDF als Mutantenstadel u. Ä. bewundern dürfen.

    Eine besonders gruselige Kuriosität 'verdanken' wir dem Musikwissenschaftler Alfred Quellmalz. Als der Plan reifte, die norditalienischen Gebiete von Südtirol bis Verona durch Umsiedlungsprojekte zu germanisieren (von der Etsch bis an den Belt), bekam er den Auftrag, vor dem Verschwinden der dort lebenden Bevölkerung deren Volksmusik aufzunehmen und zu katalogisieren. Als ordentlicher NS-Beamter führte er den Auftrag gewissenhaft aus. Daher sind diese Regionen außerordentlich gut dokumentiert.

  • Für alle Neulinge: Vom Umgang mit menschenverachtenden Ideologien

    Den Schaden haben sie schon sehr direkt verursacht. Den NS-Ideologen behagte der Regionalcharakter der Volksmusik überhaupt nicht, Mundartlieder wurden folglich verboten. Stattdessen wurden "NS-Heimatlieder" in Auftrag gegeben, in denen Blut & Boden natürlich eine andere Rolle spielten als in der manchmal doch subversiven Volkslyrik. Damit und mit dem allgemeinen Gleichschaltungswahn verschwanden sehr viele regional, manchmal sogar nur lokal geprägte Musizierpraktiken, selbst auf der Bauernhochzeit musste es das Horst-Wessel-Lied sein.
    Die wrkliche Volksmusik erhielt sich nur in kleinen Refugien, manchmal nur im Familienkreis, und wurde eher konspirativ wenigstens in Teilen über die 1000 Jahre gerettet. Südbayern war da wohl am erfogreichsten, jedenfalls sind dort noch die meisten ursprünglichen Traditionen zu finden.
    Weiter im Norden hatten die Gleichschalter größeren Erfolg, und so haben wir in Deutschland heute kaum noch irgendeine nennenswerte originäre Volksmusik nördlich der Alpen.

    8| Hätt' ich nicht gedacht... darüber wusst' ich nichts. Doch es leuchtet ein: "Gesamtdeutsche-Idee", oder? Grausam, was alles Chauvinismus verrichten kann. Da bin ich eher für einen gesunden Patriotismus, Lokalpatriotismus ist dann mir besonders lieb (wenn er nicht chauvinistisch wird).

    Ich hasse und verachte den Kommunismus (zwar hatte nicht viel zu leben unter diesem Regime), doch eines muss man ihn lassen: Volkskunst haben sie gefördert bei uns (zwar eigentlich nur später, in den 70ern, in den 50er Jahren, als die Bauernverfogung in die Höhe ging, war es genau umgekehrt...): Freilichtmuseen errichtet, Kodály in seinen Projekten unterstützt, usw.

    In kurzer Zeit wird die Volksmusik voraussichtlich auch bei uns eine traurige Wende nehmen: in den Schulen werden sie kaum mehr unterrichtet, statt dessen singen die Kinder "Hits" und "Evergreens" in den Gesangsunterricht, weil sie angeblich das besser motiviert... :cursing:
    Was noch an Ensembles gibt geht in die Richtung "World Music", wer noch etwas bewahrt, wird immer mehr von den Rechtsextremen angezogen...

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato


  • Ich wage zu bezweifeln, daß die schwindende Bedeutung der Volksmusik unbedingt mit ideologischen Prozessen einhergeht.
    Der schlichte Wandel in der Weltwahrnehmung führt zu einer Vernachlässigung des Regionalen. Banal gesagt, alle wollen in die DomRep, finden aber Würzburg auf der Karte nicht.
    Vielleicht führt ja die momentane Krise zu einer gewissen Rückbesinnung auf die regionalen Werte.

    Lieber Achim,

    wir müssen erst einmal zu einer Begrifflichkeit von Volkslied kommen. Was rechnet man heute unter Volkslied und wo trifft man es an.

    Um es an einem Beispiel zu zeigen. Es gab im BR einen Abend mit Kömödienstadls aus unterschiedlichen Jahrhzehnten. Er zeigte mir sehr eindeutig, wie bei Volksmusik- und -theaterreflexionen da auch Nostalgie einiges im schummrigen Ungewissen verschwinden lässt. Heute hat man da eine Kammermusikbesetzung dasitzen, die stocksteif ihren Part spielt (meist mit einem, der irgendwie debil durchgrinst). Nun könnte man da eine hippe Form der Volksmusik auf authentischen Instrumenten sehen, machte einem die die aus den 50er Jahren stammende Sendung klar, dass etwas Orchestrales in unsere heutige Vorstellung verwandelt wurde. Bei dem 50er Ensemble wird auch deutlich, dass es sich eigentlich um Tanzmusik handelt, zu der auch getanzt wurde, was schon in den 50er an Vertreter und Spezialisten delegiert wurde.

    Als Liebhaber des Gesellschaftstanzes weiß ich, dass der Volkstanz schon lange (wohl schon vor den 40ern) nur noch dargestellt wurde, aber nicht mehr lebte. Und nun erlebt man die wunderlich geputzten Toten bis hin zum HIP-orientierten postmodernen Volksmusikensemble).

    Es gab schon immer einen Tanz, dem brauchte man in keiner Schule zu lernen, weil den sah man sich bei seinen Vorbildern ab - und die schon domnestizierten und kommerzialisierbaren Dinge lernte man in einer Tanzschule. (Der Rheinländer gehörte übrigens bei mir noch zu der Tanzausbildung und wurde auf Trierer Parkett auch getanzt, weil man ihn in der Tanzschule gelernt hatte).

    Also, wenn keiner mehr von sich aus den Rheinländer tanzt, es heute keine Gelegenheit mehr gibt (wo es bei dem Normalfall auf Schunkelwalzer, Klatschmarsch und Rudimentfoxtrott zusammen geschmolzen ist, was man/frau kann) - muss man den Begriff des Volkstanzes nun anders begrenzen, eben nicht auf das, was Spezialisten zitieren, sondern auf das was Ottonormalverbraucher beherrscht, weil es zu seinem Leben gehört, seinen Ausdrucksformen.

    Liebe Grüße Peter

    Nun ist der Rückgang

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Dazu ein kleines hübsches Zitat:

    "[...] Neues mußte dem Neuen folgen, nicht weil die Neuen so viel Neues geben konnten, sondern weil so viel verlangt wurde: so war einmal einer leichtfertigen Art von Liedern zum Volke Bahn gemacht, die nie Volkslieder werden konnten. In diesem Wirbelwind des Neuen, in diesem vermeinten urschnellen Paradiesgebären auf Erden waren auch in Frankreich [...] fast alle Volkslieder erloschen, noch jetzt sind sie arm daran [...]. Auch in England werden Volkslieder seltener gesungen; auch Italien sinkt in seinem nationalen Volksliede, in der Oper durch Neuerungssucht der leeren Leute; selbst in Spanien soll sich manches Lied verlieren und nichts Bedeutendes sich verbreiten. - O mein Gott, wo sind die alten Bäume, unter denen wir noch gestern ruhten [...]? Fast vergessen sind sie schon unter dem Volke, schmerzlich stoßen wir uns an ihren Wurzeln. Ist der Scheitel hoher Berge nur einmal abgeholzt, so treibt der Regen die Erde hinunter, es wächst da kein Holz wieder, daß Deutschland nicht so weit verwirthschaftet werde, sey unser Bemühen."

    L.A. von Arnim: "Von Volksliedern" (Berlin 1805 sic!), zit. aus: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Gesammelt von Achim von Arnim und Clemens Brentano, Bd.I (kritische Ausgabe, hrgg. und komm. von H.Rölleke, Reclam Stuttgart 1987, S.381 f.)

    Euch allen eine Gute Nacht :sleeping:

    Momus

  • Zitat

    Eine besonders gruselige Kuriosität 'verdanken' wir dem Musikwissenschaftler Alfred Quellmalz. Als der Plan reifte, die norditalienischen Gebiete von Südtirol bis Verona durch Umsiedlungsprojekte zu germanisieren (von der Etsch bis an den Belt), bekam er den Auftrag, vor dem Verschwinden der dort lebenden Bevölkerung deren Volksmusik aufzunehmen und zu katalogisieren. Als ordentlicher NS-Beamter führte er den Auftrag gewissenhaft aus. Daher sind diese Regionen außerordentlich gut dokumentiert.

    Der jüdische Friedhof in Prag und die Alt-Neu-Synagoge stehen nur deshalb noch, weil die Nazis vorhatten, hier eine Art "Freilichtmuseum" zu errichten als Anschauungsmaterial für die rein arische Nachwelt. Ist auch gruselig, aber dadurch steht´s noch.

    Vom Schicksal der deutschsprachigen jüdischen Musiktradition brauchen wir gar nicht erst zu reden.


    Es gibt seit einiger Zeit ein anwachsendes Interesse an Klezmer-Musik, auch etliche neue Ensembles, die sich dieser vom Aussterben bedrohten Kultur annehmen, dadurch wird hoffentlich ein Teil des so reichen jiddischen Liedgutes gerettet.
    Ich habe eine CD mit jiddischen Liedern des Volkssängers Mordechai Gebirtig, finde leider kein Cover dazu, sonst würde ich es hier einstellen.
    Ich mag die jiddische Sprache. Und auch die Musik.

    LG
    Juli

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)


  • Ich habe eine CD mit jiddischen Liedern des Volkssängers Mordechai Gebirtig, finde leider kein Cover dazu, sonst würde ich es hier einstellen.

    Liebe Juli,
    ich habe auch eine Gebirtig-CD und zwar diese hier:

    Meinst Du vielleicht die?

    Viele Grüße
    :wink: Talestri

    One word is sufficient. But if one cannot find it?

    Virginia Woolf, Jacob's Room

  • Hallo Talestri,

    Nein, die ist von Manfred Lemm und Ensemble.Mir gefällt sie sehr gut. Er singt die Lieder sehr schlicht, nur von traditionellen
    Klezmer-Instrumenten - Fiedel, Hackbrett, Zieharmonika begleitet. Es sind auch überwiegend diese melancholischen, traurigen Lieder, die ich so mag und die auch so typisch für M.Gebirtig sind.
    Tschuldigung, das hätte ich eigentlich dazuschreiben müssen.
    Ist denn deine Aufnahme empfehlenswert?

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • Liebe Juli,

    ich hatte in den 70er Jahren eine Schallplatte von Zupfgeignhansl mit Jiddischen Liedern. Das war mit großer Spielfreude und musikalisch sehr farbenreich gespielt und gesungen. Die CD mit Daniel Kempin ist der Gegenentwurf: sehr reduziert, meist nur Gesang und Gitarre (Kempin), manchmal Geige (Dimitry Reznik).
    Kempin nimmt sich stimmlich sehr zurück, fast rezitiert er mehr, als dass er singt. Das gleitet manchmal ins fast Unhörbar-Leise, Gehauchte ab, eine Mitsingstimmung versucht er zu vermeiden. Das hat den Nachteil, dass die Liedqualitäten von Gebirtigs Liedern etwas zu kurz kommen.
    Die Gitarrenbegleitung gefällt mir allerdings gut.
    Wie nah Kempin in seiner Artikulation dem Jiddischen kommt, kann ich nicht beurteilen.
    Es sind 19 Lieder auf der CD, mit jiddischem und englischem Text. Zu jedem Lied gibt es noch eine kurze Erläuterung.
    Insgesamt finde ich die Zusammenstellung der Lieder sehr interessant, mit Kempins Stimme und Gesang werde ich aber nicht so warm.

    Liebe Grüße
    :wink: Talestri

    One word is sufficient. But if one cannot find it?

    Virginia Woolf, Jacob's Room

  • 'Volkstümelei', wie sie während der Nazizeit in Deutschland auch in der Schweiz blühte

    Durch die Verschiebung des ursprünglichen Threads "Persilschein Volkslied" wurde eine sehr interessante Diskussion um die Behandlung des Volkslieds zur Nazizeit unterbrochen. Damit Ihr sie, wenn gewünscht, wieder aufnehmen könnt, habe ich die relevanten Beiträge hierzu in diesen Thread kopiert. Ich warne jedoch davor, den Thread für die erneute Einbringung von rechtsideologischem Vokabular zu missbrauchen. Beiträge, die solche Töne ohne eine eindeutige Distanzierung enthalten, werden ohne Rücksprache entfernt, und ihre Autoren riskieren eine Verwarnung oder sofortige Sperre. Rideamus

    Ich singe alte Mundartlieder in zwölf Mundarten. Die Bezeichnung 'Volkslied' verwende ich für diese Werke jedoch nicht – selbst, wenn Texter und Komponist unbekannt sind.
    Der Begriff 'Volkslied' stammt von Herder (1778). Der Begriff versuchte seither zu verschiedenen Zeiten (auch während der Nazizeit) ohne Erfolg sehr Unterschiedliches zu erfassen und ist letztlich nicht brauchbar.

    In mein Programm füge ich übrigens ohne Schwierigkeiten sog. 'Kunstlieder' von Beethoven, Brahms, Mozart und Schubert ein. Auch sonst vermeide ich mit mit meinen Rekonstruktionen der Originalmundarten jegliche 'Volkstümelei', wie sie u. a. während der Nazizeit in Deutschland auch in der Schweiz blühte.

    CANTO ERGO SUM

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