Bach, J. S.: Kantate Nr. 49 „Ich geh und suche mit Verlangen“
Diese Kantate komponierte Bach für den zwanzigsten Sonntag nach Trinitatis, den 3. November 1726, also in seinem vierten Leipziger Amtsjahr. Wie bei BWV 32, komponiert zum 1. Sonntag nach Epiphanias, 13. Januar 1726, und BWV 60, komponiert zum 23. Sonntag nach Trinitatis, 7. November 1723, handelt es sich um einen „Dialogus“, eine Zwiesprache von Jesus und der gläubigen Seele.
Das Evangelium zum 20. Sonntag nach Trinitatis war im Leipzig der Bachzeit das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl, eine nicht ganz einfach zu deutende Geschichte. Ein König richtete die Hochzeitsfeier für seinen Sohn aus und entsandte seine Knechte, um Gäste einzuladen. Doch diese leisteten der Einladung nicht Folge: Einer ging auf seinen Acker, ein anderer widmete sich seinem Geschäft, wieder andere töteten gar die Knechte. Da wurde der König zornig, schickte sein Heer aus, brachte die Mörder um und zündete ihre Stadt an. – Dann sprach er zu anderen seiner Knechte: Die eigentlich Geladenen waren es nicht wert. Darum geht hinaus und ladet ein, wen ihr findet. Und die Knechte gingen hinaus und luden ein, wen sie fanden, und die Tische wurden voll. – Da kam der König hinzu und sah einen, der kein hochzeitliches Gewand trug und sprach ihn an: Freund, wie bist du hierher gekommen und hast doch kein hochzeitliches Gewand an? Und er sprach zu seinen Dienern: Bindet ihm die Hände und die Füße und werft ihn in die Finsternis hinaus! Da wird Heulen und Zähneklappern sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. (nach Mt 22, 1-14)
Der Kantatentext eines unbekannten Dichters deutet die Hochzeitsfeier als Bild der Vereinigung von Jesus mit der gläubigen Seele, als Bild der unio mystica. Dabei ist Jesus der Bräutigam und die Seele die Braut, beide sind demzufolge auch die Akteure des "Dialogus".
Etliche biblische Bilder schmücken den Text. Über alledem mag man Hosea 2, 21 lesen: „Ich will mich mit dir verloben für alle Ewigkeit, ich will mich mit dir verloben in Gerechtigkeit und Recht, in Gnade und Barmherzigkeit“.
Nach einer einleitenden Sinfonia sucht der Bräutigam nach seiner Braut – wie im Gleichnis der Gastgeber nach den Gästen. – Die „Taube“ ist im Hohelied Salomos zu finden (Hld 5, 2: „Tu mir auf, liebe Freundin, meine Schwester, meine Taube, meine Reine“).
Nr. 2 Arie
Ich geh und suche mit Verlangen
Dich, meine Taube, schönste Braut.
Sag an, wo bist du hingegangen,
Dass dich mein Auge nicht mehr schaut?
Rezitativ Nr. 3 malt eine Szene zwischen Jesus, der alles gerichtet hat, und der Seele, die nun die Einladung wahrnimmt. – Ein „fettes Mahl“ wird auch in Jes 25, 6 erwähnt („und der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist“).
Nr. 3 Rezitativ
Bass
Mein Mahl ist zubereit'
Und meine Hochzeittafel fertig,
Nur meine Braut ist noch nicht gegenwärtig.
Sopran
Mein Jesus redt von mir;
O Stimme, welche mich erfreut!
Bass
Ich geh und suche mit Verlangen
Dich, meine Taube, schönste Braut.
Sopran
Mein Bräutigam, ich falle dir zu Füßen. –
Beide
Komm, Schönste[r], komm und lass dich küssen,
Du sollst mein/lass mich dein fettes Mahl genießen.
Komm, liebe Braut, und/Mein Bräutigam! ich eile nun,
Die Hochzeitkleider anzutun.
In der folgenden Arie der Seele wird das Gleichnis etwas anders gedeutet, als in den beiden anderen Kantaten zum 20. Sonntag nach Trinitatis: Hier ist das Kleid nicht der Glaube, sondern die Gerechtigkeit des Heils. Da können die Dogmatiker trefflich debattieren.
Nr. 4 Arie
Ich bin herrlich, ich bin schön,
Meinen Heilands zu entzünden.
Seines Heils Gerechtigkeit
Ist mein Schmuck und Ehrenkleid;
Und damit will ich bestehn,
Wenn ich werd im Himmel gehn.
Der nächste Dialog vertieft die Deutung des Gleichnisses: Der Glaube war es, der zum Anlegen des Festkleides führte – vgl. etwa Eph 2,8: „Denn aus Gnaden seid ihr selig worden durch den Glauben“. Die letzten beiden Zeilen spielen deutlich auf Offb 2, 10 an („Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“).
Nr. 5 Rezitativ
Sopran
Mein Glaube hat mich selbst so angezogen.
Bass
So bleibt mein Herze dir gewogen,
So will ich mich mit dir
In Ewigkeit vertrauen und verloben.
Sopran
Wie wohl ist mir!
Der Himmel ist mir aufgehoben:
Die Majestät ruft selbst und sendet ihre Knechte,
Dass das gefallene Geschlechte
Im Himmelssaal
Bei dem Erlösungsmahl
Zu Gaste möge sein,
Hier komm ich, Jesu, lass mich ein!
Bass
Sei bis in Tod getreu,
So leg ich dir die Lebenskrone bei.
Der letzte Satz verbindet eine Arie über die unio mystica mit der siebten Strophe des Liedes „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ von Philipp Nicolai (1566-1608). Die erste Textzeile ist eine wörtliche Übernahme von Jer 31, 3.
Nr. 6 Arie und Choral
Dich hab ich je und je geliebet,
Wie bin ich doch so herzlich froh,
Dass mein Schatz ist das A und O,
Der Anfang und das Ende.
Und darum zieh ich dich zu mir.
Er wird mich doch zu seinem Preis
Aufnehmen in das Paradeis;
Des klopf ich in die Hände.
Ich komme bald,
Amen! Amen!
Ich stehe vor der Tür,
Komm, du schöne Freudenkrone, bleib nicht lange!
Mach auf, mein Aufenthalt!
Deiner wart ich mit Verlangen.
Dich hab ich je und je geliebet,
Und darum zieh ich dich zu mir.
Hier die sechs Sätze von BWV 49 samt ihrer Besetzung im Überblick:
1. Sinfonia – Oboe d’amore, Violine I/II, Viola, obligate Orgel, B. c.
2. Arie „Ich geh und suche mit Verlangen“ – Bass, obligate Orgel, B. c.
3. Rezitativ „Das Mahl ist zubereit‘“ – Sopran, Bass, Violine I/II, Viola, B. c.
4. Arie „Ich bin herrlich, ich bin schön“ – Sopran, Oboe d‘amore, Violoncello piccolo, B. c.
5. Rezitativ „Mein Glaube hat mich selbst so angezogen“ – Sopran, Bass, B. c.
6. Arie und Choral „Dich hab ich je und je geliebet“/„Wie bin ich doch so herzlich froh“ – Sopran, Bass, Oboe d’amore, Violine I/II, Viola, obligate Orgel, B. c.