Der Pianist Emil Gilels (1916-1985)

  • Noch einmal: Es ist Deine Theorie, dass sich "Andante" und "Adagio" sich hier auf einen gemeinsamen Puls der halben Takte beziehen. Das ist angesichts der völlig veränderten Struktur beider Teile keineswegs die einzig mögliche Deutung, schon gar nicht in einem Werk mit dem Titel "Fantasie".


    nun, zunächst einmal schreibt Mozarts nichts von einem Zählzeitwechsel,man sollte einen solchen also nur beim Vorliegen besonderer Gründe (die es natürlich immer mal geben kann, keine Frage) annehmen. Die "völlig veränderte Struktur" sehe ich nicht. Das Andante geht in Halben - zunächst hat es in einem sehr gleichmäßigen Fortgang eine Kräuselung in der Bewegung auf der Halben, dann geht auch der Harmoniegang in Halben. Beim Adagio geht der Harmoniegang zunächt in Ganzen, dann verkürzt er sich, aber die motivische Teilung geht von Anfang an in Halben. Die von dir angeführten identischen Spitzentöne (m.E. geht die Übereinstimmiung noch weiter) finden sich auf dem jeweils 1., 3., 5. Takt. Das ließe sich weiter ausführen.

    Aber ok, wie sieht die Theorie nach Gilels aus? Wenn das Adagio bei Gilels entgegen dem Ergebnis beim Zeitvergleich "langsamer" als das Andante sein soll, muß entweder für das Andante ein kleinerer oder für das Adagio ein größerer metrischer Wert als Bezugswert gewählt werden. Letzteres (das wäre ein Adagio auf "Ganze") scheidet aus (weil ein absurdes absolutes Tempo zum Quadrat vorausgesetzt werden müßte), es bleibt also nur übrig, das Andante bei Gilels auf Viertel zu verstehen und das Adagio auf Halbe. Das wäre jetzt die "Theorie" von Gilels. Danach hätte Mozart die Allabreve-Vorschrift gerade dorthin gesetzt, wo sie nicht hingehört (beim Andante anstelle beim Adagio). Eine fehlende Allabreve-Vorschrift läßt sich ja verstehen, aber ein falsch lokalisierte?

    Zitat

    Ach hör doch auf, das ist doch etwas vollkommen anderes! Mozart spöttelt hier über einen pianistischen Rivalen und dessen zu langsames Tempo in einem virtuosen Satz, daraus folgt für die sich hier stellende Frage schlicht überhaupt nichts.


    halt - nicht so schnell. Sicher will Mozart seinem Rivalen was ans Zeug flicken, und möglicherweise bemängelt er auch zu langsames Spiel. Explizit bemängelt er allerdings eine Diskrepanz zwischen Notation und Ausführung bei Clementi (das ist die "Scharlatanerie"), ob ihm nun das Spiel zu langsam oder die Notation verfehlt erschien wissen wir nicht. Mozart hatte offenbar eine genaue Vorstellung von Notation und Ausführung von Takt und Tempo (warum diese in einer Fantasie, die längst dem Stadium einer Improvisationsvorlage entwachsen ist, anders aussehen soll, wüßte ich nicht), die Allebreve-Vorschrift war ihm wichtig, sonst hätte das Verfehlen nicht als Clementikritik getaugt.

    Zitat

    Er war halt nicht so musikalisch wie Du. Da kann ich schon gar nicht länger mitreden.


    ich schrieb: Gilels elementarmusikalische Desorientiertheit hier. Ist doch nur ein kleines Stück.

    Guldas kaltschnäuzige[] und eitle[] Darstellung


    ?

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Sicher will Mozart seinem Rivalen was ans Zeug flicken, und möglicherweise bemängelt er auch zu langsames Spiel. Explizit bemängelt er allerdings eine Diskrepanz zwischen Notation und Ausführung bei Clementi (das ist die "Scharlatanerie"), ob ihm nun das Spiel zu langsam oder die Notation verfehlt erschien wissen wir nicht.

    Doch, wir wissen es, wenn wir den ganzen Brief lesen. In dem gibt Mozart nämlich Hinweise an seine Schwester, sie solle die 6. und 8. Sonate von Clementi "in der grösten geschwindigkeit machen, welches kein Mensch wird zuwegen bringen, selbst clementi nicht (...) Clementi ist ein Ciarlatano wie alle Wälsche. – er schreibt auf eine Sonate Presto auch wohl Prestissimo und alla Breve. – und spiellt sie Allegro im 4/4 tackt; – ich weis es, den ich habe ihn gehört." Das heißt: Clementi schreibt ein Tempo vor, welches er selbst nicht spielen kann. Daraus zu folgern, in der d-moll-Fantsie müssten sich Allabreve-Andante und -Adagio auf einen gemeinsamen Puls in halben Takten beziehen, ist abenteuerlich. Wie kompliziert und widersprüchlich Allbreve-Vorschriften im 18. und 19. Jhdt. waren, darüber gibt es genügend seriöse wissenschaftliche Untersuchungen, z.B. von Clive Brown.
    Im Übrigen interessiert mich die ganze Diskussion herzlich wenig, weil ich an künstlerischen Erlebnissen und nicht an historischer Korrektheit interessiert bin. Glenn Goulds Bach, Svjatoslav Richters Schubert, Vladimir Horowitz' Scarlatti oder eben Emil Gilels' Mozart: Die sind alle sicherlich nicht "historisch korrekt". Wer das mit der Stoppuhr in der Hand oder jahrhundertealten Traktaten und Briefen im Kopf überprüft, statt sich den Risiken und Chancen eines einmaligen Kunsterlebnisses auszusetzen, tut mir nur leid. Ich habe auch während einer Shakespeare-Aufführung noch nie darüber nachgedacht, ob sie auch brav dem Vorbild aus dem Globe-Theater folgt...

    Christian

  • Doch, wir wissen es,

    na umso besser - das ändert nichts an den sonstigen Überlegungen.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • das ändert nichts an den sonstigen Überlegungen.

    Mag sein, die habe ich nur überflogen. Mich interessiert nur, was ich höre. Solltest Du auch mal probieren, da kann man ganz schön was entdecken...

    Christian

  • Wie kompliziert und widersprüchlich Allbreve-Vorschriften im 18. und 19. Jhdt. waren, darüber gibt es genügend seriöse wissenschaftliche Untersuchungen, z.B. von Clive Brown.

    Im Zusammenhang mit Mozart schreibt Clive Brown (S. 319):

    Zitat

    In an adagio marked with C/, therefore, the speed of the crotchets might be regarded as only slightly less than that of the quavers in an adagio marked with C, while in an allegro the minims of the one tend to be quite noticeably slower than the crotchets of the other

    Das ist nun für mein Gefühl fast übergenau, und es genügt festzuhalten, daß nach Clive jedenfalls ein sehr deutlicher Unterschied intendiert ist.

    edit
    nach freundlicher Erinnerung durch die Moderation trage ich die Quellenangabe zu obigem Zitat nach:
    Brown, Clive: Classical and romantical performing practice 1750 - 1900, reprinted Oxford 2002, S. 319

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    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Mag sein, die [Überlegungen] habe ich nur überflogen.


    na klar

    Zitat

    Mich interessiert nur, was ich höre. Solltest Du auch mal probieren, da kann man ganz schön was entdecken...


    ach, vom Hören (und Lesen :hide:) kommt der ganze Ärger doch ...

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • ach, vom Hören (und Lesen ) kommt der ganze Ärger doch ...

    Was das Hören angeht, kann ich das prinzipiell verstehen: Es ist klar, dass eine extrem individuelle Deutung wie die von Gilels niemals jeden überzeugen kann. Meines Erachtens ein gutes Zeichen für künstlerische Qualität... Beim Lesen empfehle ich Dir, den Ärger zu verringern, indem Du auch die Vielzahl an Einschränkungen und Fragezeichen zur Kenntnis nimmst, die z.B. Clive Brown seinen vorsichtigen Schlussfolgerungen zur Seite stellt. Oder, noch besser: Du vergisst beim Hören mal einfach das Gelesene und hörst einfach zu, was da an Unerhörtem geschieht. Ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn man statt dessen ständig mit dem Gesetzbuch unter dem Arm (oder schlimmer: im Kopf) darauf achtet, ob die Interpreten irgendwelche Paragraphen einhalten. Muss irgendwie traurig sein ;+) .

    Christian

  • Ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn man statt dessen ständig mit dem Gesetzbuch unter dem Arm (oder schlimmer: im Kopf) darauf achtet, ob die Interpreten irgendwelche Paragraphen einhalten. Muss irgendwie traurig sein ;+) .

    Ich denke es ist ein Problem von vielen hier, dass sie nicht mehr unvoreingenommen hören können. Je mehr man über die Musik liest, desdo aktiver arbeitet die Schere im Kopf. Und dann ist man ja auch häufig auf bestimmte Einspielungen, die man immer wieder hört und die sich ja nicht mehr verändern festgelegt. Das behindert m.E. ebenfalls ein unvoreingenommenes Hören. Hätten wir nur die Möglichkeit etwas live zu hören gäbe es das nicht, da ja das Werk jedesmal neu erschaffen wird. Insofern behindert uns unser ganzes Wissen wahrscheinlich mehr als dass es uns nützt. Aber vielleicht sollte man häufiger mal alles zurück auf Anfang stellen, um eine Interpretation wieder neu geniessen und/oder beurteilen zu können.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Je mehr man über die Musik liest,

    was mich betrifft, so hatte ich mit "Lesen" das Notenlesen gemeint ...

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Ich habe auch während einer Shakespeare-Aufführung noch nie darüber nachgedacht, ob sie auch brav dem Vorbild aus dem Globe-Theater folgt...

    ... oder das elisabethanische Englisch parlieren.
    Ich hatte (indirekt) den Meinungsunterschied mit G. Johnson. Der meinte, zu jener Zeit (Anfang 19. Jht) war das schnellste, was man sich vorstellen kann, ein galoppierendes Pferd, und daran (ich fasse zusammen) sollte sich die Interpretation richten. Ich meinte, man spielt bzw. singt jetzt eben für Menschen, die eine ganz andere Vorstellung von Geschwindigkeit haben. Dies alles bezog sich nicht primär aufs Tempo, sondern darauf, daß die jetzigen Zuhörer ganz einfach nicht dieselbe Empfindlichkeit haben wie die damaligen. Mit anderen Worten: es wird ein anderer Gefühlsdialekt gesprochen und verstanden.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • ... oder das elisabethanische Englisch parlieren.
    Ich hatte (indirekt) den Meinungsunterschied mit G. Johnson. Der meinte, zu jener Zeit (Anfang 19. Jht) war das schnellste, was man sich vorstellen kann, ein galoppierendes Pferd, und daran (ich fasse zusammen) sollte sich die Interpretation richten. Ich meinte, man spielt bzw. singt jetzt eben für Menschen, die eine ganz andere Vorstellung von Geschwindigkeit haben. Dies alles bezog sich nicht primär aufs Tempo, sondern darauf, daß die jetzigen Zuhörer ganz einfach nicht dieselbe Empfindlichkeit haben wie die damaligen. Mit anderen Worten: es wird ein anderer Gefühlsdialekt gesprochen und verstanden.

    ich habe jetzt wohl nicht ganz verstanden, worauf du hinaus willst.

    Es gibt ja den Standpunkt, "früher" sei die Musik langsamer gewesen, weil auch die Geschwindigkeiten (Postkutsche etc.) langsamer waren, und die heutige Zeit würde ihre Neigung zum Rasen fälschlich auf die Musik übertragen, und man müsse die Langsamkeit wiedergewinnen. Das scheint mir zweifelhaft - die Geschwindigkeitserfahrung für einen siebenjährigen Knaben abends in einer Postkutsche, die auf huppeligem Weg die nächste Station erreichen will, dürfte ungleich intensiver gewesen sein als bei unserm heutigen glatten Dahinsausen über die Autobahn bzw. Stehen im Stau. Und die bislang weitaus schnellsten Menschen aller Zeiten hatten auf ihrem Weg zum Mond eine Geschwindigkeitserfahrung von glatt 0 und kein bißchen mehr. Und um was anderes zu nennen - auch die Kinder kamen und gingen in früheren Zeiten weitaus schneller als heutzutage.

    Ich bin auch der Meinung, daß die Musik die Macht hat, uns beim Hören partiell in den Hörer ihrer Zeit zurück zu verwandeln, so daß die Notwendigkeit einer Anpassung an heutige Hörgewohnheiten gar nicht so unbedingt besteht.

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    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, wie schnell man als Autofahrer Postkutschen wahrnimmt. Hermann Danuser hat im elften Neuen Handbuch der Musikwissenschaft drei Interpretationstypen ausgemacht, die sich laut Danuser gegenseitig ausschließen würden. Der historisch-rekonstruktive Typus würde, um im Beispiel zu bleiben, versuchen, die Kutschfahrt zu rekonstruieren, der traditionelle ("klassisch-romantische") Typus würde wohl eine Kutsche nachbauen, aber lieber auf geteerten Wegen fahren und der aktualisierende Typus würde im ICE sitzend über die Postkutsche nachdenken.

    Einen gewissen Reiz haben doch alle drei Modi.

  • Ich bin auch der Meinung, daß die Musik die Macht hat, uns beim Hören partiell in den Hörer ihrer Zeit zurück zu verwandeln, so daß die Notwendigkeit einer Anpassung an heutige Hörgewohnheiten gar nicht so unbedingt besteht.

    Du gehst einerseits davon aus, dass sich das Hören verändert ("heutige Hörgewohnheiten") und stellst gleichzeitig die These auf, dass das Gegenteil der Fall sei. Ziemliche krude Argumentation.

    Der historisch-rekonstruktive Typus würde, um im Beispiel zu bleiben, versuchen, die Kutschfahrt zu rekonstruieren, der traditionelle ("klassisch-romantische") Typus würde wohl eine Kutsche nachbauen, aber lieber auf geteerten Wegen fahren und der aktualisierende Typus würde im ICE sitzend über die Postkutsche nachdenken.

    Einen gewissen Reiz haben doch alle drei Modi.

    Ich weiß zwar nicht, worin der Reiz bestehen soll, jahrhundertelang immer wieder dieselbe Kutschfahrt zu rekonstruieren, aber die Leute haben ja die komischsten Hobbys.

    Christian

  • Ich weiß zwar nicht, worin der Reiz bestehen soll, jahrhundertelang immer wieder dieselbe Kutschfahrt zu rekonstruieren, aber die Leute haben ja die komischsten Hobbys.

    So altes Zeugs von Mozart hören zum Beispiel. Sachen gibt's!
    :shake:

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Mag sein, die habe ich nur überflogen. Mich interessiert nur, was ich höre. Solltest Du auch mal probieren, da kann man ganz schön was entdecken...

    Das ist doch etwas inkonsequent - andernorts legst Du Wert auf Reflexion und Analyse und argumentierst mit dem Notentext, und jetzt soll man auf einmal nur hören und staunen, und eine sehr sorgfältige Begründung der Ablehnung einer Arbeit des Idols wird einfach nicht gelesen.
    Ich kopiere es nochmal:

    Aber ok, wie sieht die Theorie nach Gilels aus? Wenn das Adagio bei Gilels entgegen dem Ergebnis beim Zeitvergleich "langsamer" als das Andante sein soll, muß entweder für das Andante ein kleinerer oder für das Adagio ein größerer metrischer Wert als Bezugswert gewählt werden. Letzteres (das wäre ein Adagio auf "Ganze") scheidet aus (weil ein absurdes absolutes Tempo zum Quadrat vorausgesetzt werden müßte), es bleibt also nur übrig, das Andante bei Gilels auf Viertel zu verstehen und das Adagio auf Halbe. Das wäre jetzt die "Theorie" von Gilels. Danach hätte Mozart die Allabreve-Vorschrift gerade dorthin gesetzt, wo sie nicht hingehört (beim Andante anstelle beim Adagio). Eine fehlende Allabreve-Vorschrift läßt sich ja verstehen, aber ein falsch lokalisierte?

    Gibt es vielleicht Quellen, in denen statt der Halben die Viertel als Zähleinheiten notiert sind?

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  • Gibt es vielleicht Quellen, in denen statt der Halben die Viertel als Zähleinheiten notiert sind?

    der kritische Bericht der Wiener Urtext Ausgabe vermerkt nichts dergleichen. Bei Petrucci kann man allerdings sehen, daß die Alte Mozart-GA C hat, ebenso eine alte Schott-Ausgabe. Eine russische Ausgabe hat hingegen C/. Nun bliebe für eine gemeinsame 4/4-Bezeichnung von Andante und Adagio die Relationsproblematik ja bestehen, nur daß ein insgesamt langsameres absolutes Tempo gerechtfertigt wäre. Guldas Tempi könnten dann wohl als "zu schnell" gelten.

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  • Ich habe jetzt den strittigen Abschnitt gehört - ist natürlich auch irgendwie ein toller Effekt, hat was Geniekultiges, aber zur Erholung brauche ich dann so eine Version:
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    :)

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  • So altes Zeugs von Mozart hören zum Beispiel.

    Ich höre lieber neues Zeugs. Besonders gern, wenn es neue Mozart-Interpretationen sind.

    Das ist doch etwas inkonsequent - andernorts legst Du Wert auf Reflexion und Analyse und argumentierst mit dem Notentext, und jetzt soll man auf einmal nur hören und staunen, und eine sehr sorgfältige Begründung der Ablehnung einer Arbeit des Idols wird einfach nicht gelesen.

    Man soll keineswegs "nur hören und staunen", aber man soll über die innere Plausibilität der Sache selbst diskutieren und sie nicht an der Erfüllung der eigenen Erwartungen messen. Man kann verschiedener Meinung darüber sein, ob Gilels' gewählte Tempi musikalisch funktionieren, was er dadurch gewinnt und was er verliert. Darüber diskutiere ich gern, auch darüber, ob bei ihm vom Andante zum Adagio eine Beruhigung hörbar ist, aber ich diskutiere nicht über angebliche historische Korrektheit, und ich diskutiere schon gar nicht darüber ob er noch "Mozart spielt" oder nicht. Das zu entscheiden fehlt mir die Anmaßung... Ich bin sehr für genaue Lektüre des Notentextes, bin aber genauso für das Recht - ja sogar die Pflicht - des Interpreten, diesen Text subjektiv zu lesen und zu deuten. Gilels' Lesart der d-moll-Fantasie finde ich extrem subjektiv, aber in seiner Art geradezu pedantisch am Notentext orientiert, und gerade diese Spannung fasziniert mich.

    Gibt es vielleicht Quellen, in denen statt der Halben die Viertel als Zähleinheiten notiert sind?

    Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass Allabreve-Vorschriften zu den kompliziertesten, widersprüchlichsten und am inkonsequentesten verwendeten musikalischen Zeichen überhaupt gehören. Das ist aber hier nicht das Thema.

    Christian

  • Zitat von »putto«
    So altes Zeugs von Mozart hören zum Beispiel.

    Ich höre lieber neues Zeugs. Besonders gern, wenn es neue Mozart-Interpretationen sind.

    komisch, beim Anschauen von Tizian und Rembrandt sind die einzigen Neuerungen, daß die Bilder mal höher, mal tiefer gehängt werden. Und das geht auch.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • komisch, beim Anschauen von Tizian und Rembrandt sind die einzigen Neuerungen, daß die Bilder mal höher, mal tiefer gehängt werden. Und das geht auch.

    Du findest es komisch, dass Bilder keine Musik sind? Das finde ich wiederum komisch...

    Christian

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