ROSSINI: Il barbiere di Siviglia – Kommentierte Diskographie

  • Mich wundert, dass bis jetzt die m. E. maßstäbliche DVD noch nicht genannt worden ist : Ponnelle ( Regie ), Abbado ( Dirigent), mit Hermann Prey ( Barbiere ), Teresa Berganza ( Rosina ), Luigi Alva ( Conte ), Enzo Dara ( Bartolo ). Paolo Montarsolo ( Basilio ) u. a.


    Ja, das wundert mich auch. Durch diese Aufführung habe ich den "Barbier" kennen gelernt, als Videokassette und vor dem Familienfernseher im Wohnzimmer. Der Videorecorder ist inzwischen verschwunden, die Kasette war ohnehin nur geliehen und die DVD habe ich mir nie gekauft, ich habe aber trotzdem den Eindruck, ich würde Ponnelles Inszenierung heute noch in- und auswendig kennen.
    Besonders begeistert hat mich an dieser Inszenierung zum einen, wie genau Ponnelle auf die Musik hört und sie in szenische Aktion umwandelt. Man mag zur szenischen Verdoppelung musikalischer Elemente stehen wie man mag, ich halte davon sehr viel, vor allem wenn es auf so witzige und passende Art geschieht wie hier bei Ponnelle. Jede Bewegung, jede Personenanordnung, jeder Umgang mit den Requisiten ist genau auf die Musik abgestimmt, dadurch entsteht eine ungeheure Wirkung (zumindest für mich).
    Der andere Punkt, der mich sehr begeistert hat, betrifft die Figuren. Selten habe ich es erlebt, dass es einem Regiesseur gelingt, mit so sicher Hand in kürzester Zeit wirklich Persönlichkeiten zu schaffen. Mit wenigen gezielt eingesetzten Details verleiht Ponnelle jeder Figur unverwechselbares Profil, selbst den kleineren Rollen (wunderbar zum Beispiel die frustrierte Haushälterin)! Er hat auch Sängerdarsteller zur Verfügung, die das alles mittragen und ausgestalten können. Den Darstellern gebührt hier sicherlich ein ähnliches Lob wie dem Regiesseur.
    Michael Hampes Inszenierung aus Schwetzingen habe ich auch auf DVD. Ich finde sie sehr gut, ich sehe sie auch beim mehrmaligen Zusehen mit großem Vergnügen, aber letzendlich kommt sie mir doch immer ein wenig "wiederaufgewärmt" vor. Ponnelle ist der Sonntagsbraten, Hampe wärmt ihn am Montag noch einmal zum Mittagessen auf. Die gelungenen Witze, die szenische Verdoppelung musikalischer Vorgänge (z. B. die sich nach und nach schließenden Türriegel) sind bei Ponnelle abgeguckt, teilweise wirklich kopiert, Hampes eigene Ideen bleiben blaß und harmlos, er kommt an einen Ponnelle nicht heran. Hampes Darsteller sind sehr gut (vor allem Carlos Feller und Robert Lloyd möchte ich als Schauspieler herausheben), können aber in einer Bühnenaufführung nicht so präzise und ausgefeilt spielen wie in einer Studioinszenierung, wo Szenen immer wieder wiederholt werden können, bis jeder Handgriff, jeder Blick exakt sitzt. Zudem spielen sie natürlich viel "größer", weil sie ein Publikum erreichen müssen, das 20 oder 30 Meter entfernt ist, nicht nur die Kamera direkt vor ihnen. Als DVD-Zuschauer ist man aber hautnah dran an ihren Gesichtern...

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Oha, ich merke schon, die Ponnelle-DVD des "Barbiere" muss auch noch irgendwann auf den Wunschzettel. Ich kenne bislang nur seine "Cenerentola"-Inszenierung aus den 70ern, und die ist wirklich grandios. Im übrigen hat Waldi völlig recht: Der Suchtfaktor bei gelungenen Rossini-Inszenierungen ist ungewöhnlich hoch... 8+)

  • Die Ponnelle-Fassung war die erste Inszenierung von "Barbiere", die ich gesehen habe, dann kam seine "Cenerentola", die ich live in München sah, später dann auch den Film, der mich nicht so umgehauen hat wie das live-Erlebnis. Irgendwie waren diese beiden Opern für mich immer mit Ponnelle verbunden, gerade sein "Barbiere" war mein one and only.
    Nun bin ich mal sehr gespannt auf den Tipp mit der Londoner-Aufführung.
    Eine andere DVD habe ich entdeckt: Dario Fos Inszenierung mit Richard Croft, Renato Capecchi, Jennifer Larmore.

    Kennt die jemand? Müsste dem alten Theaterhasen doch ganz gut liegen?

    LG
    :wink: Talestri

    One word is sufficient. But if one cannot find it?

    Virginia Woolf, Jacob's Room

  • Ja, ich kenne sie - musikalisch in Ordnung, aber das Dario-Fo-typische Hin- und Hergezappel der Sänger hat mich beim Anschauen nicht überzeugt - der Barbier ist halt keine commedia dell'arte. Manches war mir einfach zu plakativ - Zirkusatmosphäre im Sevilla des frühen 19. Jhdts. Als -m.E. nicht gelungenes - Regieexperiment taugt die CD immerhin zur Vervollständigung der eigenen Sammlung, wenn man das Regal irgendwie füllen möchte.

    Grüße!

    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing." (Busman's Honeymoon)

  • taugt die CD immerhin zur Vervollständigung der eigenen Sammlung, wenn man das Regal irgendwie füllen möchte

    Liebe Honoria,

    :mlol: :mlol: :mlol: Ja wenn das keine Empfehlung ist!!! Danke für die Erheiterung am kalten Samstagmorgen.


    Liebe Grüße aus München

    Kristin :wink: :wink:

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Liebe Honoria,
    danke für Deine Einschätzung. Klingt ja nicht sehr überzeugend. Dann werde ich mir die DVD erst Mal sparen.

    Viele Grüße
    :wink: Talestri

    One word is sufficient. But if one cannot find it?

    Virginia Woolf, Jacob's Room

  • Mir gefällt immer noch diese DVD sehr gut:

    Die Produktion stammt zwar aus den frühen 80er Jahren, aber sie hat eine Frische, die über die Jahre -nach meinem Empfinden jedenfalls- nicht weniger geworden ist. Die Aufführung wurde beim Glyndebourne Festival aufgenommen.
    Maria Ewing singt eine entzückende, mezzo-satte jugendliche Rosina, die auch nett anzusehen ist (keine Diva in Verkleidung).
    John Rawnsley
    ist die liebenswürdige Karrikatur eines pfiffigen Friseurs, stimmlich hoch zufriedenstellend und so elegant spielfreudig, wie ich sonst nur noch Hermann Prey in Erinnerung habe.
    An dem Almaviva von Max René Cossotti werden sich die Geister scheiden. Stimmlich und künstlerisch kann er einem Florez nicht das Wasser reichen, aber was er an Stimme nicht hat, macht er durch ein unglaubliches schauspielerisches Talent für mein Empfinden mehr als wett.
    Claudio Desderi singt auf gewohnt hohem Niveau und mit viel Mut zur Komik einen eindrucksvollen Dottor Bartolo.
    Auf dem Cover nicht erwähnt ist ein noch sehr junger Ferruccio Furlanetto, der den besten Basilio singt, den ich auf DVD kenne (die eindrucksvollen Aufnahmen mit Raimondi eingeschlossen!).

    Chor, Orchester und Dirigent sind in Ordnung.

    Die Inszenierung ist liebenswürdig-festspielmäßig. Es gibt keine szenischen oder musikalischen Experimente, jeder bemüht sich sichtbar und erfolgreich, die bestmögliche Leistung abzuliefern, Spielfreude und Musikalität gehen eine hocherfreuliche Verbindung ein. Auf der DVD sind Bild und Ton so gut, wie man es für eine so alte Aufnahme erwarten kann. Ich schaue sie mir regelmäßig wieder an - eine für mich unendlich überzeugendere Version dieses Klassikers als die Inszenierung von Dario Fò.

    Grüße!

    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing." (Busman's Honeymoon)

  • Meine Lieben,

    Als Maßstab wird immer Abbados Einspielung von 1972 gepriesen, es gibt von ihm aber auch noch eine frühere: den Live-Mitschnitt der Salzburger Festspiele 1968. In der Tonqualität ein bißchen hallig und klirrig, aber musikalisch mit vollendeter Virtuosität realisiert. Bei Amazon derzeit noch gebraucht zu haben. Ich ergatterte ein Restexemplar beim samstägigen Capriccio-Treffen, das traditionell zunächst in den bewußten Operngassen-Laden führte.

    Der Cover läßt sich leider nicht verlinken.

    Die Box von Italiana OPERA, erschienen 1989, enthält ein wirklich liebevolles Booklet, worin sogar die Einspielungen der Oper bis zu diesem Zeitpunkt aufgelistet sind. Als Bonus gibt es sogar noch ein paar Ausschnitte des C.M.Giulini-"Barbiere" von 1956 mit der Callas und Tito Gobbi.

    Das Ensemble bürgt für Spitzenklasse. Hermann Prey singt den Figaro in gewohnter Perfektion, Luigi Alva den Grafen mit schon etwas gereifterer Stimme - für mich eine seiner besten Interpretationen dieser Rolle. Als Rosina holte man sich die Neuseeländerin Malvina Major (die bei einem Wettbewerb einmal sogar Kiri te Kanawa auf den zweiten Platz verwies; M. ist inzwischen "Dame" und lehrt in England). Sie verfügt über eine schöne, technisch beeindruckende Stimme, nur ausdrucksmäßig sitzt die Rolle noch nicht so ganz. Wenn man mit der Callas vergleicht, so verfügt Major eindeutig über das schmiegsamere Organ und problemlose hohe Töne, ist ihrer Kollegin aber trotzdem eindeutig unterlegen. Die Callas braucht nur ein paar Takte zu singen und zaubert damit schon ein ganzes Charakterbild. Dazu ist Major noch zu ungleichmäßig.
    Fernando Corena singt einen leicht derben, aber umwerfenden Dr.Bartolo, der Basilio ist bei Paolo Montarsolo bestens aufgehoben. Ganz besonders bemerkenswert empfinde ich Stefania Malagù als Berta. Auch Hans Krämmer, den man heute fast nur von der Operette und als Schauspieler kennt, wirkte damals als Fiorillo mit und fügte sich gut ein.

    Liebe Grüße
    Waldi

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Eine Aufnahme vermisse ich hier, die aus Madrid stammt wo Ruggero Raimondi den Basilio singt und spielt!

    Obwohl ich ein anerkannter Staubi bin, wechsle ich oft, gerade bei dieser Besetzung meine Meinung, dass Juan Diego Flórez als Almaviva kein Schauspieler ist, ist zu verschmerzen, aber er ist ein derart guter Rossini Tenor, Maria Bayo ist eine schalkhafte Rosina und Pietro Spagnoli ein drahtziehender Barbier / Figaro.

    Eine DVD die nicht vergessen werden darf.

    Liebe Grüße sendet Euch Euer Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Kam als Schallplatte 1983mit einem viel hübscheren Cover heraus. Sie ist auch für mich eine der Referenzaufnahmen des Werks. Außergewöhnlich das Dirigat Sir Neville Marriners, der die ausgetretenen Rossinispuren deutlich verläßt und Drastisches durch subtilen Humor ersetzt. Er sit mehr verschmitzter Ästhet als kräftiger Dramatiker. Die zweite herausragende Leistung liefert Agnes Baltsa als Rosina. Ein Traum! Fast so gut wie die beiden präsentiert sich Francesco Araiza als Almaviva, kein grünes Bürschchen, sondern ein attraktiver Mann, der es versteht, seine Vorzüge glitzern zu lassen. Man hat ihm andernorts ein bißchen Aspirieren vorgeworfen, sei's drum. Bei so einer Stimme muß Rosina schon ein Auge zudrücken, wenn ihr Graf den Herzensbrecher herauskehrt.
    Sehr gut ist das übrige Ensemble. Thomas Allen kommt aber nicht ganz an die absolute Spitze der Figaro-Interpreten heran, da müßte er noch pointierter wirken. Aber er ist nahe dran. Zum Bartolo Domenico Trimarchis möchte ich allerdings anmerken, daß mir sein Stimmcharakter zu jugendlich vorkomt. Singen tut er jedoch tadellos.

    Liebe Grüße
    Waldi

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    Homo sum, ergo inscius.


  • Ich beziehe mich auf die 1999 erschienene URANIA-Edition, deren Cover sich bei Amazon findet, aber keine Verlinkung ermöglicht. Daher hier die Ansicht der alternatoven Ausgabe. Es handelt sich um den Soundtrack eines Opernfilms aus dem Jahr 1946. Die Tonqualität ist teilweise etwas kratzig bzw. scheppernd, aber durchaus brauchbar für die Entstehungszeit.

    Giuseppe Morelli leitet das Orchester der römischen Oper und gestaltet sehr sorgfältig den dramatischen Ausdruck. Sozusagen das genaue Gegenteil eiens Klangbreis. Ich war beeindruckt.
    Beeindruckt hat mich auch die Wortdeutlichkeit des Ensembles. Diese Tugend war damals noch mehr verbreitet als später.
    Der junge Tito Gobbi interpretiert die Titelrolle vorzüglich, als Almaviva gibt Ferruccio Tagliavini vom Typus her ein nicht unsympathisches gräfliches Weichei. Wie er optisch war, kann ich nicht beurteilen, aber akustisch "schauspielert" er nicht so gut, verrät aber trotz gewisser Freiheiten großes musikalisches Empfinden. Trotzdem würde ich nicht sagen, daß das unbedingt seine Rolle ist. Interessant ist jedenfalls Nelly Corradi als Rosina. Die Koloraturen meistert sie wirklich gut bis bravourös, aber an das schalkhafte Kammerzofen-Timbre muß man sich gewöhnen. Die Auffassung, daß sich hier wirklich ein nettes Mädchen aus durchaus nicht adeliger Umgebung (und dieses deutlich verratend) zielbewußt um die höhere Sphäre bemüht, läßt sich aber vertreten. Italo Tajo ist ein guter Basilio. Der Star, wenigstens der Stimme nach, ist aber Vito de Taranto als Bartolo. Der ist einfach köstlich.

    Liebe Grüße

    Waldi

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Dann stell ich hier als Neumitglied auch mal was vor, nämlich meine neueste Erwerbung :)

    16. Dezember 1950, Livemitschnitt.

    Almaviva: Giuseppe Di Stefao
    Figaro: Giuseppe Valdengo
    Rosina: Lily Pons
    Bartolo: Salvatore Baccaloni
    Basilio: Jerome Hines
    Dirigent: Alberto Erede

    Vorneweg: Mir gefällt die Aufnahme insgesamt sehr gut, aber sie enthält auch größere Schwächen. Ich denke mal es ist ganz gut, wenn ich alle Mitwirkenden kurz einzeln abhandele. Von gut nach schlecht:

    Salvatore Baccaloni:

    Oh mein Gott. Selbst wenn der Rest der Aufnahme eine Katastrophe gewesen wäre, rechtfertigt er allein den Kauf dieser CD. Mit weitem Abstand der beste Bartolo, den ich jemals gehört habe. Er interpretiert Bartolo als etwas verrückten, alten Clown, aber wie! Er ist unglaublich komisch, hat aber nicht wie andere Bartolos die Tendenz, der Komik die Gesangslinie zu opfern. Er hat zwar in der Höhe (ca. ab dem E4) so seine Probleme, kann das aber problemlos kaschieren. Ein unglaubliches Erlebnis, sowohl in seiner Arie, als auch in allen Ensembleszenen.

    Jerome Hines:

    Das Gegenteil von Bartolo, interpretatorisch gesehen. Er ist nicht, wie etwa Montarsolo in der Ponnelle-Aufnahme, eine clownshafte, überzogene Basilio-Figur, sondern tatsächlich eine drohende, dunkle, verschlagene Person, der man durchaus zutraut, Almaviva in drei Tagen aus der Stadt zu jagen. Er hat eine wunderbar kraftvolle Stimme mit einem sehr schönen, breiten Timbre und fügt sich gut in das Ensemble ein, seine Verleumdungsarie ist ausgezeichnet.

    Giuseppe Valdengo:

    Ein sehr guter Figaro, komisch, stimmgewaltig, sicher in den halsbrecherischen Rezitativen. Er hat beim "Largo al Factotum" ein wenig Schwierigkeiten-- sowohl beim ersten hohen G, das ein wenig rauh klingt, als auch am Schluss-- Erede zieht hier das Tempo so stark an, dass Valdengo quasi alle paar Töne verzweifelt nach Luft schnappt. Er rettet sich aber gut zum Gong, und wird danach immer besser.

    Alberto Erede:

    Wie eben schon erwähnt, ist sein Dirigat nicht immer ganz sängerfreundlich. Man muss ihn hier qualitätsweise in zwei Teile einteilen: An der Ouvertüre ist nichts auszusetzen, sie ist sogar sehr gut, in einem schnellen Tempo dirigiert (wie der Rest der Oper auch), die Temporale ist auch sehr schön, und auch alle Gesangsparts, die von einem substantiellen Orchesterpart begleitet werden (Einleitung zur Cavatina des Grafen, Finale II) sind gut gelungen. Die Begleitung ist allerdings eher unpräzise, wenn es nur darum geht, Akkorde zur richtigen Zeit unter die Gesangslinie zu setzen wie etwa in "Una voce poco fa", und wie gesagt-- er ist dafür verantwortlich, dass Largo al Factotum immer kurz davor stand, auseinanderzufliegen.

    Giuseppe Di Stefano:

    1950 war ein gutes Jahr für Di Stefano, und er hat hier auch einfach eine wunderbare Stimme. Nichtsdestotrotz, er ist einfach kein Rossinisänger, und er gibt auch gar nicht vor, einer zu sein. Seine Soloparts sind sehr gut, er hat einige sehr schöne diminuendi in der Canzone, aber nichts davon ist Rossini-Stil-- zum Beispiel beendet er seinen Teil in "Ah! Qual colpo" mit einem ewig lang gehaltenen hohen C. Das ist einfach nicht angebracht, schon gar nicht in einem Terzett. Er ist auch nicht sehr rollensicher-- an mehreren Stellen ist er entweder nicht da oder denkt merklich darüber nach, was eigentlich das nächste Wort ist. Das merkt man nur, wenn man die Oper gut kennt, aber es stört trotzdem.

    Lily Pons:

    Stilmäßig fällt Pons eindeutig in den Stil der divenhaften Koloratursoprane, die in den 1950ern Rosina dominierten: Etwa Roberta Peters oder Erika Köth. Das muss nicht schlecht sein, aber hier ist es schlecht. Sie übertreibt nämlich eindeutig, macht aus so ungefähr jeder Phrase stakkatierte Läufe, die auch noch großteils schlecht intoniert sind (der Schlusston bei Una Voce Poco Fa soll entweder ein hohes E oder ein hohes F sein-- man kann es nicht sagen, weil er wild dazwischen schwankt). Ihre Unterrichtsszenenarie ist zunächst eine englische Übersetzung von "Ah vous-dirai-je, maman" von Adam, endet aber eher als gequälte Koloraturimprovisation über "Alle meine Entchen".

    Es hilft auch nicht, dass sie schauspielerisch versucht mit Baccaloni mitzuhalten-- er kann es, sie nicht. Wenn sie ihre Stimme verstellt, klingt sie hässlich, nicht witzig. Wenn sie die Gesangslinie verändert klingt das falsch, nicht virtuos. Die große Schwäche dieser Aufnahme.

    Chor:
    Drittklassig. Ich wäre enttäuscht, wenn ich das so in meiner Hamburgischen Staatsoper hören würde, aber in einer Aufnahme aus der MET geht das gar nicht. Unpräzise, auseinander, man hört 20 einzelne Stimmen raus, unsaubere Intonation.

    Publikum:
    Es ist ein Livemitschnitt. Das stört mich normalerweise nicht, aber das Publikum hat erstens die italienische Art, in jeden hohen Ton (und Pons und Di Stefano singen VIELE hohe Töne) hineinzuklatschen, und zweitens ist Signore Baccalonis Schauspiel offenbar so komisch, dass man ein fast konstantes Lachen im Hintergrund hört, wenn er auf der Bühne steht. Das stört doch teilweise gewaltig.


    Insgesamt durchaus den Kauf wert, allerdings nicht als Referenzaufnahme oder als Aufnahme für die einsame Insel, sondern eher wegen der sehr guten Leistungen von Baccaloni, Hines, Valdengo, der Overtüre, und gelegentlich einiger sehr schöner Momente von Di Stefano-- trotz all der stilistischen Kritik, sein Rohmaterial ist unglaublich.

    Einmal editiert, zuletzt von Rasmus (2. Juli 2011 um 16:20)

  • Im Moment habe ich leider überaus wenig Zeit zum Musikhören, aber als ich neulich krankheitshalber einen Tag zuhause bleiben mußte, dachte ich, ich könnte obige Aufnahme einmal anhören - sie war in der Jubiläumsbox zu Domingos 70. enthalten. Insgesamt muß ich sagen, daß meine ursprüngliche Skepsis den Kauf dieser Aufnahme betreffend mehr als bestätigt wurde. Diese Aufnahme muß es wirklich nicht geben. Sie ist durchaus sorgfältig musiziert, dafür sorgt schon Claudio Abbado am Pult. Aber bei den Sängern habe ich -mit diesmal keiner Ausnahme- durchgängig das Gefühl, sie seien im falschen Film, und das Dumme ist, daß sie das auch wissen.

    Placido Domingo ist dabei ein durchaus elegant parlierend die Rezitative singender Figaro, dessen zu helle -eben tenorale- Stimme in den Ensembles für mein Empfinden fast völlig untergeht. Auf der Bühne hätte er in der Partie manches wieder wettmachen können; auf der CD bleibt seine Leistung belanglos.

    Als dunkler timbriertes Gegengewicht trägt Frank Lopardo in der Rolle des Lindoro ein Übriges dazu bei, den Figaro zuzudecken. Dabei singt er wirklich nicht schlecht, und er scheint auch ein bißchen komisches Talent zu haben, aber er paßt halt in dem Moment nicht dazu.

    Lucio Gallo als Dr. Bartolo darf soviel poltern und schimpfen, wie man das in dieser Rolle meistens tut. Ganz nett.

    Dem ansonsten in der Rolle des Basilio überragenden Ruggero Raimondi wird nicht nur keine Gelegenheit gegeben, stimmlich und darstellerisch (soweit man das bei einer Audio-Aufnahme sagen kann) seine gewohnt hochklassige Leistung zu bringen; ich hatte immer das Gefühl in den Ensemble-Szenen, er werde vom Dirigenten quasi noch zurückgehalten, um mit seines Basses Grundgewalt und seinem Deklamationstalent nur bloß nicht aufzufallen.

    Das ist natürlich dem Figaro von Domingo geschuldet, aber sicher ein wenig auch der Rosina von Kathleen Battle. Diese anderwärts verdienstvolle Dame hat meiner Meinung nach beim Barbier nun überhaupt nichts zu suchen. Die Version des Barbiere für Koloratursopran wirkt auf mich aufgesetzt und überholt - auch 1991, im Jahr der Produktion dieser Aufnahme, war man schon soweit, daß man genügend Mezzosoprane für die Partie der Rosina gehabt hätte. Aber dann hätte man natürlich von Domingo überhaupt nichts mehr hören können, denn -denken wir mal an eine Vesselina Kasaraowa- eine mittlere Stimme deckt einen Tenor, der als Bariton auftritt, dann glatt so zu, daß er gar nicht mehr singen braucht.

    Und so ist diese ganze Hochglanzproduktion so recht eigentlich nur um Domingo herumproduziert worden und vielleicht auch seiner Eitelkeit geschuldet. Schade. Vielleicht wäre sein Stimmcharakter dafür heute geeigneter. Aber einen Figaro würde er sich mit 70 dann wohl doch nicht mehr zumuten.

    Grüße!

    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing." (Busman's Honeymoon)

  • Die von Rasmus im Juli besprochene Einspielung bekommt man auch in einer von GALA 2003 publizierten Ausgabe:

    Ich hole eine frühere Tamino-Besprechung von mir aus der Versenkung und poliere sie etwas auf (Rasmus und ich liegen in vielem auf einer Linie, aber er ist ein bisserl strenger als ich):

    Unter den älteren Aufnahmen ist dieser Live-Mitschnitt eine der spielwitzigsten. Alberto Erede nimmt recht flotte Tempi, und mitunter zieht die Disziplin gegenüber den buffonesken Treiben ein wenig den kürzeren, doch die muntere Stimmung, die auf der Bühne herrschte, kommt ausgezeichnet herüber. Man kann nachfühlen, warum sich das Publikum immer wieder kugelte (man hört es). Das Ensemble bestand aus lauten erprobten Sängern, die auf die vergnüglichste Weise zusammenwirkten, wobei Spaß groß geschrieben wurde und ebenso die sängerische Bravour, zum Beispiel singt Rosina in ihrer Übungsstunde als Einlage Adams Variationen auf ein Thema von Mozart. Lily Pons, die damals immerhin schon 52 war, vermittelt einen frappierend echt wirkenden Opern-Teenager, der schon mit allen reizenden Wässerchen gewaschen ist, und liefert akrobatische Koloraturen, was das Zeug hält. Giuseppe di Stefano als Almaviva nimmt die Herausforderung an und dreht stimmlich so richtig auf. Beide machen das aber mit soviel Charme und Ironie, daß man sich gleich dem Publikum gerne begeistern läßt. Auch die übrigen Mitwirkenden sind Klasse, stimmlich und spaßmachermäßig: Giuseppe Valdengo als Figaro, Salvatore Baccaloni in seiner MET-Paraderolle als Bartolo und Jerome Hines als Basilio. Ich würde etwas darum geben, hätte ich die Aufführung auch auf der Bühne gesehen. Es muß hinreißend gewesen sein, was einige Schlampereien als nicht wirklich wichtig erscheinen läßt. Wer von gekonntem Spitzenklamauk nicht so angetan ist und den "Barbiere" korrekt verlangt, wird das verständlicherweise nicht so sehen.

    Als Bonus sind in dieser Edition einige Ausschnitte einer etwas älteren Aufnahme (Mexico City 1949) angewschlossen. Renato Cellini dirigiert einen deutlich klassischeren und ruhigeren Rossini, der trotzdem über alle nötigen Ingredienzien verfügt. Giuseppe di Stefano beweist, daß er sich auch auf einen vergleichsweise seriösen Almaviva blendend verstand. Wenn man vergleicht, wie er das "Almaviva son io, Lindoro non son" hier und unter Erede bringt, dann bekommt man wirklich großen Respekt vor so unterschiedlichen Nuancen und dem dazu notwendigen Können. Giulietta Simionato ist eine der besten Rosinas überhaupt. Enzo Mascherini als Figaro, Gerhard Pechner als Bartolo und Cesare Siepi als Basilio vervollständigen ein Dokument, das geeignet ist, zur Legende "Früher war alles besser" beizutragen.

    Bezüglich der Tonqualität muß man natürlich jeweils deutliche Abstriche in Kauf nehmen.

    :wink: Waldi

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Honoria hat für diese Einspielung keine guten Noten vergeben. Aber ausgerechnet diese ist vor ein paar Wochen in die Endrunde in Diskothek in 2 gekommen.
    "http://www.drs2.ch/www/de/drs2/se…sh10196825.html link scheint nicht mehr aktuell zu sein; mto
    Zu Gast waren die Sängerin Maya Boog, die die Rosina schon selbst sang, und der Musikkritiker Benjamin Herzog. Ich fand das hohe Lob der Experten für diese Aufnahme sehr schlüssig und die Tonbeispiele überzeugten mich. Hätte ich vorher gewusst, dass es sich um Domingo handelt, wäre ich wohl voreingenommener gewesen. Vor allem das biedere Cover hätte mich abgeschreckt.
    Ebenso in der Endrunde war:

    Diese Aufnahme habe ich mir aufgrund des günstigeren Preises zugelegt, obwohl mir die Aufnahme mit Abbado einen Tick besser gefallen hat, denn dort gefällt mir die Battle als Rosina insgesamt besser. Sie singt die Koloraturen nicht nur um der Koloraturen willen, sondern nutzt sie geschickt um die Handlung und den Charakter der Rosina mit Leben zu erfüllen.

    Die Diskothek im 2 Sendung ist weiterhin auf der oben verlinkten Seite hörbar, und ich empfehle sie sehr.

    Hudebux

  • Überraschenderweise sehr schön

    ...ist diese Aufnahme, die ich gerade im Auto höre (muß viel über die Insel fahren, und das Radioprogramm ist unerträglich!):

    Ich habe sonst für Sopran-Rosinas nicht viel übrig, aber diese ist phänomenal: Luciana Serra läßt Koloraturen wie funkelnde Perlenschnüre hören, Rockwell Blake singt sehr inspiriert, die Veteranen Enzo Dara und Paolo Montarsolo können ohnehin nicht viel falsch machen. Es ist eine Live-Aufnahme und man hört einige Publikums- und Bühnengeräusche, aber das ist nicht schlimm.

    Grüße!

    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing." (Busman's Honeymoon)

  • Ja, liebe Honoria Lucasta, schön das wir die Aufnahme besitzen, ist ja ganz schön teuer jetzt !
    Ich mag gerne solche Live Aufnahmen !
    Habe Rockwell Blake 3x live gesehen u.gehört , sein Timbre war ja nicht jedermanns Geschmack, meines ja!
    Und zu dem Barbiere mit Domingo kann ich nur soviel sagen , meine Geschmacksknospen traf er nicht !

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

  • Zu den Juwelen unter den "Barbiere"-Einspielungen gehört auch diese, obwohl sie schon 1950 entstand:

       

    Von meiner Ausgabe gibt es leider keinen Cover zu verlinken, sie ist 2016 von valeria ediert worden.

    Es handelt sich um eine Rundfunkaufnahme (RAI Milano). Sowohl Tonmeisterei wie Archivpflege sind mit Lob zu überschütten, für dieses Datum ist die Tonqualität ausgezeichnet.

    Fernando Previtali dirigiert äußerst differenziert mit bemerkenswerten Tempo-Gegensätzen, aber dramatisch sorgfältig charakterisierend. Das ist auch eine besondere Stärke der Aufnahme. Alle Mitwirkenden bieten italienische Buffokomik vom feinsten, ohne platt zu wirken. Sie streifen dabei ans Virtuose, ohne daß das Ergebnis selbstzweckhaft gerät.

    Luigi Infantino ist vermutlich nur mehr wenigen Leuten geläufig. Schade, denn er ist ein exzellenter Rossini-Tenor, der sich unglaublich auf Nuancen versteht. Als Rosina überwältigt Giulietta Simionato im stimmlichen Zenit. Und natürlich merkt man, daß sie die Puppen tanzen läßt - wenn dies nicht gerade Figaro-Giuseppe Taddei tut, derklarerweise auch ein idealer Verkörperer dieser Rolle ist. Carlo Badioli gibt einen superkomödiantischen, aber nicht blödelhaften Bartolo, Antonio Cassinelli einen prächtigen Basilio. Als Berta liefert Renata Broilo das Kunststück einer Mezzo-Soubrette.

    Fünf Sterne trotz der leichten Kürzungen (da wollte man wohl Platten sparen).

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    Homo sum, ergo inscius.

  • [Blockierte Grafik: https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/61+-v0TIv3L._AC_US218_.jpg]

    Gala 2000

    Aufgenommen in Amsterdam beim Holland Festival 1962.

    Sichtlich ist das ein Privatmitschnitt mit anfangs schauriger Tonqualität, dumpf, teilweise übersteuert usw. Später ist das Ergebnis besser ausreguliert, aber an manchen Stellen möchte man e8in bisserl jaulen. Denn es war offenbar eine ganz vorzügliche Aufführung, bei der alle Mitwirkenden bester Laune und bei bester künstlerischer Kondition waren. Einige kleinere Striche lassen sich verschmerzen. Ich gestehe, daß ich teilweise auch die teilmiese Tonqualität vergessen und mich so gut wie das Publikum unterhalten habe. Das tobt vor Begeisterung (sehr verständlich), tut das oft vorzeitig (auch verständlich, aber störend) und brüllt mitunter vor Lachen so, daß die Musik Mühe hat sich zu behaupten (irgendwie auch verständlich, wenn Don Bartolo und Konsorten ihre Ulknummern abziehen - da wäre ich gerne dabei gewesen).

    Die Besetzung ist erstklassig. Carlo Maria Giulini dirigiert das Residentie Orkest meisterlich, Luigi Alva liefert einen seiner besten Almavivas, Teresa Berganza ist seine ebenbürtige Rosina (schon fast gräflich als Persönlichkeit), Renato Capecchi brilliert als Figaro, Fernando Corena war stets einer der wirkungsvollsten Bartolos.. Erstklassig sind auch die nicht alle so bekannten Protagonisten der Nebenrollen: der italienische Bass Ugo Trama (* 1932 Neapel) macht sich sehr gut als Basilio, Gé Genemans leiht dem Fiorello eine recht ansprechende Stimme und Marilyn Tyler (* 1926, vor wenigen Wochen im Dezember 1970 verstorben) ist für die Berta fast schon eine Überbesetzung.

    Meine Ohren haben die Störungen ausgehalten, ich bereue den Kauf keineswegs, denke aber, daß etliche "Barbiere"-Liebhaber ihren Lauschlappen das nicht zumuten wollen.

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    Homo sum, ergo inscius.

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