Arnold Schoenberg - Trio for Violin, Viola and Cello, Op. 45 (1946)
Tyras' Beitrag im allgemeinen Schönberg-Thread ist es zu verdanken, dass ich mir die von ihm verlinkte CD mit der historischen Einspielung des Pierrot Lunaire unter Schoenberg mit Kolisch und Steuermann zugelegt habe. Auf der gleichen CD findet sich auch eine Einspielung des Streichtrios durch Mitglieder des Juilliard-Quartetts, die mich angeregt hat, zum Streichtrio einen Thread zu eröffnen.
Entstehungsgeschichte
Das Trio für Geige, Bratsche und Cello, Opus 45, wird weithin fast schon als Programmmusik deklariert. Ich zitiere auszugsweise die Werkbeschreibung von Schoenbergs Website:
"Das Streichtrio op. 45 entstand auf Anregung des Music Department der Harvard University, das zur Aufführung bei einem für Frühjahr 1947 geplanten Symposium an Music Criticism mehrere Kompositionsaufträge ergehen ließ, so z.B. auch an Paul Hindemith (Apparebit Repentina Dies), Gian Francesco Malipiero (La Terra), Aaron Copland (In the Beginning) und Bohuslav Martinü (6. Streichquartett). Wie die Datierung June 7, 1946 bei der Skizze A38 belegt, begann Schönberg die Komposition schon im Juni 1946 - also nicht erst nach seiner schweren Krankheit im August. Wohl aber wurde in der Zeit der Rekonvaleszenz das Autograph niedergeschrieben, das am Anfang mit 20. August, am Ende mit 23. September 1946 datiert ist.
[...]
Tatsächlich waren Mitglieder des Walden String Quartet die Ausführenden der Uraufführung, die am 1. Mai 1947 an der Harvard University in Cambridge, Massachussets, stattfand. 1950 erschien sowohl der Druck der Partitur als auch die Stimmenausgabe.
Nicht unerwähnt bleiben soll eine Besonderheit der Rezeption des Streichtrios, die immer wieder erwähnte Verbindung der Komposition nämlich mit Schönbergs schwerer Krankheit im August 1946. Sie geht zurück auf private Äußerungen des Komponisten, die z. B. von Hanns Eisler und Rudolf Kolisch überliefert, vor allem aber durch eine Passage in Thomas Manns Die Entstehung des Doktor Faustus publik gemacht wurde:
Eines Zusammenseins mit Schönberg bei uns ist in jenen Tagen gedacht und soll hier gedacht sein, bei dem er mir von seinem neuen, eben vollendeten Trio und den Lebenserfahrungen erzählte, die er in die Komposition hineingeheimnist habe, deren Niederschlag das Werk gewissermaßen sei. Er behauptete, er habe darin seine Krankheit und ärztliche Behandlung samt „male nurse" und allem übrigen dargestellt. Übrigens sei die Ausführung äußerst schwierig, ja fast unmöglich, oder nur für drei Spieler von Virtuosenrang möglich, dabei aber sehr dankbar vermöge außerordentlicher Klangwirkungen. [...]
Der Zusammenhang mit Schönbergs Krankheit mag zwar hinsichtlich der Entstehung des Streichtrios von einigem Interesse sein, seine ästhetische Relevanz allerdings ist mehr als zweifelhaft."
Quelle: http://www.schoenberg.at/compositions/w…kunft=allewerke
Aufbau
Besetzung
Geige
Bratsche
Cello
Satzfolge
Ein einziger, ca. zwanzigminütiger Satz, der (auch in der Partitur kenntlich gemacht) gegliedert ist in Part 1, Episode 1, Part 2, Episode 2, Part 3.
Notenmaterial
Die Partitur gibt es bei IMSLP. Falls ihr in Kanada, China, Japan oder Südkorea wohnt, ist das Anschauen und/oder Herunterladen legal. Falls ihr woanders wohnt, werdet ihr Tags darauf für den Rest eures Lebens wegen Copyright-Verletzung eingebuchtet... http://imslp.org/wiki/Special:ImagefromIndex/118236
Analyse
Die Zeitangaben erfolgen anhand einer Aufnahme durch das Trio Battuto, die ich durch zabkis Beitrag im allgemeinen Streichtrio-Gattungsthread kennengelernt habe. Im Übrigen plädiere ich dafür, dass das Trio Battuto zabkis und Amfortas' affekt- und liebevollen Kosenamen "Junges Gemüse" übernimmt... Uploaderin ist übrigens die Bratscherin des Trios, postet also fleißig Kommentare unter das Video, ich habe auch schon ein deutliches Lob ausgesprochen. https://www.youtube.com/watch?v=L_yCNlXjJGo
Das Stück ist formal schwierig zu beschreiben. Der Großteil von Schoenbergs Œuvre, selbst späte Stücke wie die Phantasie für Geige mit Klavierbegleitung, Op. 47 (1949), zeichnet sich durch große formale Klarheit aus, die auch in den "atonalen" (schlimmes Wort :() Stücken leicht hörbar ist. Das Streichtrio hingegen ist sehr zerfetzt und stückelhaft; auch innerhalb der einzelnen Abschnitte wechseln ständig Taktart, Tempo, Dynamik, eigentlich alle musikalischen Parameter. Ich zitiere (via Amfortas im allgemeinen Thread zur Gattung) Helmut Lachenmann: "[F]ür mich ist dieses Streichtrio.. der reine Wahnsinn.. es ist ein riesiger Friedhof von musikantischen Stücken: Rezitativ, Allegro, fast wie ein Marsch, Walzer.... man kann sich nirgends aussuchen... man wird plötzlich in einen Raum gestellt, wo das gar nicht mehr musikantisch erlebt wird, sondern wie eine Konstellation von ganz verschiedenen Dingen, die man aus der Tradition kennt und ..die jetzt als Fetzen zusammengesetzt ein ganz neues Bild geben.. aus dem Trümmerfeld wird wieder ein Kraftfeld.. da ist dieses Stück vom alten Schönberg eines der unglaublichsten Stücke.." Die folgende Analyse stellt mithin lediglich einen Versuch dar.
Part 1
(0:37) Der erste Teil ist unglaublich intensiv, energiegeladen, laut und schnell, sprich: eindringlich; aber kurz. Die Überleitung zum ersten Zwischenspiel nimmt den Beginn desselben vorweg: ätherische, verklärte, transzendentale Klänge im luftleeren Raum. Gewissermaßen Luft von anderen Planeten...
Episode 1
(2:30) Das erste Zwischenspiel ist zumindest tempo- und dynamikmäßig ruhiger als der erste Teil. Auch hier gibt es zwar sehr aufwühlende Stellen, aber Manches klingt auch versöhnlich. Es gibt erste walzerartige Abschnitte (4:42, 6:34), die sich auch durch den Rest des Stückes ziehen.
Part 2
(7:33) Nach einem Abschnitt mit Remineszenzen an den ersten Teil beginnt ab 8:22 ein sehr zarter, süßer, lieblicher, kurz: schöner Teil, den alle mit Dämpfern spielen.
Episode 2
(10:52) Das zweite Zwischenspiel ist sehr durchmischt; es gibt nostalgische, verklärte lyrische Stellen, aber auch wieder sehr aufwühlende laute Stellen.
Part 3
(13:24) Eine Reprise. Der gesamte erste Teil und der Anfang des ersten Zwischenspiels werden, nur sehr wenig variiert, wiederholt; dann auch andere Stellen des Trios, allerdings stärker variiert. Bei 17:15 beginnt eine wieder sehr süße, liebliche, walzerartige Coda mit Dämpfern, eine variierte Reprise des zweiten Teils. Das Stück endet versöhnlich.
Ab 18:34 wohlverdienter, rasender Applaus