Arnold Schoenberg - Trio for Violin, Viola and Cello, Op. 45 (1946)

  • Arnold Schoenberg - Trio for Violin, Viola and Cello, Op. 45 (1946)

    Tyras' Beitrag im allgemeinen Schönberg-Thread ist es zu verdanken, dass ich mir die von ihm verlinkte CD mit der historischen Einspielung des Pierrot Lunaire unter Schoenberg mit Kolisch und Steuermann zugelegt habe. Auf der gleichen CD findet sich auch eine Einspielung des Streichtrios durch Mitglieder des Juilliard-Quartetts, die mich angeregt hat, zum Streichtrio einen Thread zu eröffnen. :wink:

    Entstehungsgeschichte

    Das Trio für Geige, Bratsche und Cello, Opus 45, wird weithin fast schon als Programmmusik deklariert. Ich zitiere auszugsweise die Werkbeschreibung von Schoenbergs Website:

    "Das Streichtrio op. 45 entstand auf Anregung des Music Department der Harvard University, das zur Aufführung bei einem für Frühjahr 1947 geplanten Symposium an Music Criticism mehrere Kompositionsaufträge ergehen ließ, so z.B. auch an Paul Hindemith (Apparebit Repentina Dies), Gian Francesco Malipiero (La Terra), Aaron Copland (In the Beginning) und Bohuslav Martinü (6. Streichquartett). Wie die Datierung June 7, 1946 bei der Skizze A38 belegt, begann Schönberg die Komposition schon im Juni 1946 - also nicht erst nach seiner schweren Krankheit im August. Wohl aber wurde in der Zeit der Rekonvaleszenz das Autograph niedergeschrieben, das am Anfang mit 20. August, am Ende mit 23. September 1946 datiert ist.
    [...]
    Tatsächlich waren Mitglieder des Walden String Quartet die Ausführenden der Uraufführung, die am 1. Mai 1947 an der Harvard University in Cambridge, Massachussets, stattfand. 1950 erschien sowohl der Druck der Partitur als auch die Stimmenausgabe.
    Nicht unerwähnt bleiben soll eine Besonderheit der Rezeption des Streichtrios, die immer wieder erwähnte Verbindung der Komposition nämlich mit Schönbergs schwerer Krankheit im August 1946. Sie geht zurück auf private Äußerungen des Komponisten, die z. B. von Hanns Eisler und Rudolf Kolisch überliefert, vor allem aber durch eine Passage in Thomas Manns Die Entstehung des Doktor Faustus publik gemacht wurde:
    Eines Zusammenseins mit Schönberg bei uns ist in jenen Tagen gedacht und soll hier gedacht sein, bei dem er mir von seinem neuen, eben vollendeten Trio und den Lebenserfahrungen erzählte, die er in die Komposition hineingeheimnist habe, deren Niederschlag das Werk gewissermaßen sei. Er behauptete, er habe darin seine Krankheit und ärztliche Behandlung samt „male nurse" und allem übrigen dargestellt. Übrigens sei die Ausführung äußerst schwierig, ja fast unmöglich, oder nur für drei Spieler von Virtuosenrang möglich, dabei aber sehr dankbar vermöge außerordentlicher Klangwirkungen. [...]
    Der Zusammenhang mit Schönbergs Krankheit mag zwar hinsichtlich der Entstehung des Streichtrios von einigem Interesse sein, seine ästhetische Relevanz allerdings ist mehr als zweifelhaft."

    Quelle: http://www.schoenberg.at/compositions/w…kunft=allewerke

    Aufbau

    Besetzung

    Geige
    Bratsche
    Cello

    Satzfolge

    Ein einziger, ca. zwanzigminütiger Satz, der (auch in der Partitur kenntlich gemacht) gegliedert ist in Part 1, Episode 1, Part 2, Episode 2, Part 3.

    Notenmaterial

    Die Partitur gibt es bei IMSLP. Falls ihr in Kanada, China, Japan oder Südkorea wohnt, ist das Anschauen und/oder Herunterladen legal. Falls ihr woanders wohnt, werdet ihr Tags darauf für den Rest eures Lebens wegen Copyright-Verletzung eingebuchtet... :) http://imslp.org/wiki/Special:ImagefromIndex/118236

    Analyse

    Die Zeitangaben erfolgen anhand einer Aufnahme durch das Trio Battuto, die ich durch zabkis Beitrag im allgemeinen Streichtrio-Gattungsthread kennengelernt habe. Im Übrigen plädiere ich dafür, dass das Trio Battuto zabkis und Amfortas' affekt- und liebevollen Kosenamen "Junges Gemüse" übernimmt... Uploaderin ist übrigens die Bratscherin des Trios, postet also fleißig Kommentare unter das Video, ich habe auch schon ein deutliches Lob ausgesprochen. :) https://www.youtube.com/watch?v=L_yCNlXjJGo

    Das Stück ist formal schwierig zu beschreiben. Der Großteil von Schoenbergs Œuvre, selbst späte Stücke wie die Phantasie für Geige mit Klavierbegleitung, Op. 47 (1949), zeichnet sich durch große formale Klarheit aus, die auch in den "atonalen" (schlimmes Wort :() Stücken leicht hörbar ist. Das Streichtrio hingegen ist sehr zerfetzt und stückelhaft; auch innerhalb der einzelnen Abschnitte wechseln ständig Taktart, Tempo, Dynamik, eigentlich alle musikalischen Parameter. Ich zitiere (via Amfortas im allgemeinen Thread zur Gattung) Helmut Lachenmann: "[F]ür mich ist dieses Streichtrio.. der reine Wahnsinn.. es ist ein riesiger Friedhof von musikantischen Stücken: Rezitativ, Allegro, fast wie ein Marsch, Walzer.... man kann sich nirgends aussuchen... man wird plötzlich in einen Raum gestellt, wo das gar nicht mehr musikantisch erlebt wird, sondern wie eine Konstellation von ganz verschiedenen Dingen, die man aus der Tradition kennt und ..die jetzt als Fetzen zusammengesetzt ein ganz neues Bild geben.. aus dem Trümmerfeld wird wieder ein Kraftfeld.. da ist dieses Stück vom alten Schönberg eines der unglaublichsten Stücke.." Die folgende Analyse stellt mithin lediglich einen Versuch dar.

    Part 1
    (0:37) Der erste Teil ist unglaublich intensiv, energiegeladen, laut und schnell, sprich: eindringlich; aber kurz. Die Überleitung zum ersten Zwischenspiel nimmt den Beginn desselben vorweg: ätherische, verklärte, transzendentale Klänge im luftleeren Raum. Gewissermaßen Luft von anderen Planeten...

    Episode 1
    (2:30) Das erste Zwischenspiel ist zumindest tempo- und dynamikmäßig ruhiger als der erste Teil. Auch hier gibt es zwar sehr aufwühlende Stellen, aber Manches klingt auch versöhnlich. Es gibt erste walzerartige Abschnitte (4:42, 6:34), die sich auch durch den Rest des Stückes ziehen.

    Part 2
    (7:33) Nach einem Abschnitt mit Remineszenzen an den ersten Teil beginnt ab 8:22 ein sehr zarter, süßer, lieblicher, kurz: schöner Teil, den alle mit Dämpfern spielen.

    Episode 2
    (10:52) Das zweite Zwischenspiel ist sehr durchmischt; es gibt nostalgische, verklärte lyrische Stellen, aber auch wieder sehr aufwühlende laute Stellen.

    Part 3
    (13:24) Eine Reprise. Der gesamte erste Teil und der Anfang des ersten Zwischenspiels werden, nur sehr wenig variiert, wiederholt; dann auch andere Stellen des Trios, allerdings stärker variiert. Bei 17:15 beginnt eine wieder sehr süße, liebliche, walzerartige Coda mit Dämpfern, eine variierte Reprise des zweiten Teils. Das Stück endet versöhnlich.

    Ab 18:34 wohlverdienter, rasender Applaus :)

  • Einspielungen

    Wie üblich seit jetzt ihr gefragt. :wink: Ich empfehle heiß die bereits erwähnte Aufnahme von Mitgliedern des Juilliard-Quartetts (Robert Mann, Raphael Hillyer, Claus Adam) von 1967, gekoppelt mit der genialen Aufnahme des Pierrot Lunaire, Op. 21 (1912) unter Leitung von Schoenberg featuring Rudolf Kolisch und Eduard Steuermann. Zurzeit noch gebraucht günstig erhältlich:

    http://www.amazon.com/Schoenberg-Pie…/dp/B000XHBPY0/

    Interpretatorisch wie auch überraschenderweise klangtechnisch exzellent. Sehr intensiv und überzeugend.

    Die Aufnahme des Trio Battuto/Junges Gemüse, siehe oben, ist auch nicht ohne...

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    :wink:

  • Vielen Dank für die Eröffnung dieses Threads! Schönbergs Streichtrio ist für mich mehr oder minder der Gipfel der Musik.

    Der Zusammenhang mit Schönbergs Krankheit mag zwar hinsichtlich der Entstehung des Streichtrios von einigem Interesse sein, seine ästhetische Relevanz allerdings ist mehr als zweifelhaft.


    Interessant, das höre ich zum ersten Mal. Dann wäre natürlich interessant, ob und wie sich das Trio bei der Niederschrift des Autographs noch verändert hat. Der schockartige Beginn passt ja erst mal zur Assoziation mit einem Herzinfarkt.

    [sentimentaler Rückblick] Ich habe das Streichtrio auch durch die obengenannte CBS-CD kennengelernt. Gekauft hatte ich sie mir Anfang der 90er wegen besagter historischer Aufnahme vom Pierrot lunaire op. 21 im Saturn in Hannover. Damals war diese CD "aktuell", aber damals war dieser Laden auch noch sehr gut bestückt. In Bezug auf Avantgarde womöglich konkurrenzlos.
    Den Pierrot hatte ich kurz zuvor über den "Glenn-Gould-Zyklus" in einem Dritten Programm kennengelernt. Da wurden 3 Stücke (ich glaube die Nr. 1, 2 & 5) gezeigt, und ich war hin & weg. [/sentimentaler Rückblick]

    Das sperrige Trio brauchte bei mir erstmal einige Zeit. Es ist ja die meiste Zeit eher fragmentarisch; viele Pausen, und man weiß erstmal nicht, ob wieder ein aggressiver Ausbruch kommt oder eine ruhigere Passage. Die variierte Reprise ist da wohl schon der erste Orientierungspunkt. Andererseits ist das Trio mit (knapp) 20 Minuten noch relativ übersichtlich.
    Für mich ist die genannte CBS-Einspielung mit den Leuten vom Juilliard-Quartett (aus den 60ern? habe die CD grad verliehen) immer noch die Aufnahme schlechthin. Sie ist dort allerdings nur in einem Track drauf. Daher ist mir die Einteilung in Abschnitte & Episoden nicht so gegenwärtig.
    Aufnahmetechnisch liegt mir diese Aufnahme in ihrer Direktheit schon sehr. Aber man darf nicht verschweigen, dass da Nachhalle von den lauten Ausbrüchen zu hören sind. Wohl weil ein älteres Tonband die Quelle ist. Für mich gehören die Nachhalle sozusagen dazu :hide:

    Philologisch ist die alte Juilliard-Aufnahme wohl auch nicht auf dem aktuellsten Stand. Vor ein paar Jahren traf ich mich regelmäßig mit Leuten zum Musikhören. Wir hatten dann meistens auch ne Partitur dabei und vielleicht nen Adorno-Text.
    Selber hätte ich das gar nicht gemerkt, aber dem E-Bassisten fiel auf, dass in einer Passage des Eingangsteils das Tempo auf einmal verdoppelt wird, die Juilliards aber das vorige Tempo beibehalten. Die Partitur (Universal Edition, Hrsg. Monod(?)) erschien aber wohl erst nach der Juilliard-Aufnahme.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Dass in einem Musikstück unterschiedliche Stimmungen abwechseln, ist ja nun nichts Außergewöhnliches. Dass hier rabiat-expressiv-Atonales und spätromantisch-Tonales recht unvermittelt nebeneinandersteht, sollte aber schon erwähnt werden, das ist nicht so üblich, besonders wenn das Atonale recht weit abseits der Grauzone des Übergangs zum Tonalen liegt (im Gegensatz zu vielen eigentlich tonalen Komponisten, die mitunter die Grenze für ein paar Takte passieren). Das macht dann sozusagen ein protopostmodernes Experiment aus dem Stück.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Dass in einem Musikstück unterschiedliche Stimmungen abwechseln, ist ja nun nichts Außergewöhnliches. Dass hier rabiat-expressiv-Atonales und spätromantisch-Tonales recht unvermittelt nebeneinandersteht, sollte aber schon erwähnt werden, das ist nicht so üblich, besonders wenn das Atonale recht weit abseits der Grauzone des Übergangs zum Tonalen liegt (im Gegensatz zu vielen eigentlich tonalen Komponisten, die mitunter die Grenze für ein paar Takte passieren). Das macht dann sozusagen ein protopostmodernes Experiment aus dem Stück.


    Na ja. ;+) Spätromantisch könnte man einzelne Stellen vielleicht schon nennen, aber "tonal" im Sinne von funktionsharmonisch ist hier nichts. Es gibt zwar ein paar eindeutige Dur-Dreiklänge, aber das Stück ist schon von Anfang bis Ende zwölftönig; und anders als bspw. im Violinkonzert von Alban Berg (1935) gibt es in Schoenbergs Streichtrio nirgends Stellen, die man auch funktionsharmonisch erklären könnte. Die erwähnten Dur-Dreiklänge sind vereinzelte Klangereignisse. Oder beispielsweise der Anfang von Episode 1 (2:30 in der Aufführung des Trio Battuto): Cello und Bratsche halten vier Takte lang eine große Terz (a' - cis'') aus. Die Geige spielt darüber eine Melodie dis'-a'-cis''-dis''. Das ist zwar schon relativ konsonant, vor allem aber auch durch den Kontext... Sowohl was vor als auch nach dieser Stelle passiert hat mit "A-Dur", wenn man diese Stelle so deuten wollte, nichts zu tun.

    Wobei ich es faszinierend finde, dass das Streichtrio, wenngleich auf einer Zwölftonreihe fußend, dermaßen kontrastreich komponiert ist, dass die lyrisch-verklärten Stellen im Verhältnis zu den rabiat-expressiven schon als spätromantisch-tonal wahrgenommen werden!

    Klar wechseln innerhalb eines Stückes unterschiedliche Stimmungen (siehe auch Schönbergs Erste Kammersymphonie, Opus 9 (1906)). Trotzdem ist der formale Überbau bei Schoenberg meistens sehr deutlich gegeben, auch in der Ersten KS. Abgesehen von Part 3, der Reprise, gibt es im Streichtrio keine erkennbaren Schemata, nach denen das Stück aufgebaut ist. Das Stück ist noch deutlich mehr "Phantasie" als die namentliche für Geige mit Klavierbegleitung, Op. 47 (1949).

    :wink:


  • Philologisch ist die alte Juilliard-Aufnahme wohl auch nicht auf dem aktuellsten Stand. Vor ein paar Jahren traf ich mich regelmäßig mit Leuten zum Musikhören. Wir hatten dann meistens auch ne Partitur dabei und vielleicht nen Adorno-Text.
    Selber hätte ich das gar nicht gemerkt, aber dem E-Bassisten fiel auf, dass in einer Passage des Eingangsteils das Tempo auf einmal verdoppelt wird, die Juilliards aber das vorige Tempo beibehalten. Die Partitur (Universal Edition, Hrsg. Monod(?)) erschien aber wohl erst nach der Juilliard-Aufnahme.


    Habe gerade nachgehört; das Tempo wird von Takt 5 auf Takt 6 verdoppelt (ungefähr bei 0:20 in der Juilliard-Aufnahme). Das spielen sie aber...

    Ah, gerade ein bisschen weitergehört, bei Takt 12 steht 6/4 Takt, punktierte Halbe entsprechen den vorherigen Halben im 2/2-Takt, übersetzt: die Takte sollen gleich lang bleiben. Bei den Juilliards sind aber die Halben (nicht punktierte Halbe) so schnell wie die Halben vorher, wodurch die Takte anderthalb mal solang sind, wie gesollt (ab 0:30 in ihrer Aufnahme). Ab Takt 18 ist aber wieder 2/2-Takt mit denselben Halben, ab da stimmt's dann wieder (0:44 in der Aufnahme).

    Die vierzehn Sekunden vermiesen mir diese geniale Aufnahme aber nicht...! :wink:

  • Wobei ich es faszinierend finde, dass das Streichtrio, wenngleich auf einer Zwölftonreihe fußend, dermaßen kontrastreich komponiert ist, dass die lyrisch-verklärten Stellen im Verhältnis zu den rabiat-expressiven schon als spätromantisch-tonal wahrgenommen werden!

    Genau - wobei man ja durchaus zwölftönig tonal komponieren kann (Martin, Liebermann, ...) allerdings bleibt man normalerweise in einem "Tonalitätsmodus" (besonders extrem Webern, der alles meidet, was auch nur entferntest tonal klingen könnte).

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Im Übrigen plädiere ich dafür, dass das Trio Battuto zabkis und Amfortas' affekt- und liebevollen Kosenamen "Junges Gemüse" übernimmt...

    Der Kosename stammt von zabki. Ich zitierte ihn, weil er so schön ist ...

    Die Überleitung zum ersten Zwischenspiel nimmt den Beginn desselben vorweg: ätherische, verklärte, transzendentale Klänge im luftleeren Raum. Gewissermaßen Luft von anderen Planeten...

    diesen Eindruck teile ich unbedingt. Diese hochzarte, rückschauend-sehnsuchtvolle Thema/Motiv, von der Violine gespielt, ist sehr kurz, wie ein fragmentarischer Seitensatz (Takt 53 bzw. 02:34), so als fürchtete die Mucke in diesem verletzlichen Moment sich zu sehr preiszugeben oder als möge dieser Moment durch seine Kürze geschützt werden.

    Davor das extrem leise Tremolo (Takt 45 bzw. 02:07) mit den Fermaten und dann das harte Pizicato (Forte) am Ende vom Part 1 (Takt 51 bzw. 02:28) bildet für mich quasi eine Art Eröffnung oder Initiation zu diesem zarten Thema der Violine.

    Diese Zartheit verstärkt rückwirkend den hochspannungsvollen Beginn des Streichtrios mit seiner bestürzend aggressiven Kulmination: scharfe Rasiermesser, die ins Gehirn schneiden oder spitze Harpunen mit Widerhaken, ins Gehör geschossen...

    Das Ende vom Streichtrio kommt einen sehr wehmütig rüber, so als ob die „süße, liebliche, walzerartige Coda“ in sich bzw. in seine Einzelbruchstücken zerfällt.....

    Zitat von »Melione«
    Der Zusammenhang mit Schönbergs Krankheit mag zwar hinsichtlich der Entstehung des Streichtrios von einigem Interesse sein, seine ästhetische Relevanz allerdings ist mehr als zweifelhaft.
    Interessant, das höre ich zum ersten Mal. Dann wäre natürlich interessant, ob und wie sich das Trio bei der Niederschrift des Autographs noch verändert hat. Der schockartige Beginn passt ja erst mal zur Assoziation mit einem Herzinfarkt.

    Passt sicherlich und bagatellisiert im Grunde genommen nicht das eigene Erleben vom Streichtrio .
    .. Assoziationen beim Reinziehn lassen sich erweitern.
    Deshalb war es mir sehr recht, dass ich erst viel später – lange nach der 1. Begegnung mit der Streichtrio-Mucke - durch einen Metzger-Radiovortrag auf dieses biographischen Detail aufmerksam wurde.

    Die biographische Information deuten - für mich - hin auf die Motivation/Ansporn zu dieser Komposition. Es wäre mir wichtig, zu versuchen, den Gehalt bzw. die Wahrnehmung von Schönbergs Meisterwerk dabei stärker aufzufächern. Also das Augenmerk zu richten auf das, „was sich noch verändert hat“, um es vom bloß biographischen mehr und mehr abzukoppeln......

    Wir hatten dann meistens auch ne Partitur dabei und vielleicht nen Adorno-Text.

    Gibt es etwa von ihm einen gesonderten Essay oder Radio-Vortrag zum Streichtrio ? Wenn ja würde mich das wahnsinnig interessieren... irgendwo hat er das Streichtrio mal als „bedeutend“ bezeichnet, dürfte dabei sich aber um eine Untertreibung handeln...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • diesen Eindruck teile ich unbedingt. Diese hochzarte, rückschauend-sehnsuchtvolle Thema/Motiv, von der Violine gespielt, ist sehr kurz, wie ein fragmentarischer Seitensatz (Takt 53 bzw. 02:34), so als fürchtete die Mucke in diesem verletzlichen Moment sich zu sehr preiszugeben oder als möge dieser Moment durch seine Kürze geschützt werden.

    Davor das extrem leise Tremolo (Takt 45 bzw. 02:07) mit den Fermaten und dann das harte Pizicato (Forte) am Ende vom Part 1 (Takt 51 bzw. 02:28) bildet für mich quasi eine Art Eröffnung oder Initiation zu diesem zarten Thema der Violine.

    Diese Zartheit verstärkt rückwirkend den hochspannungsvollen Beginn des Streichtrios mit seiner bestürzend aggressiven Kulmination: scharfe Rasiermesser, die ins Gehirn schneiden oder spitze Harpunen mit Widerhaken, ins Gehör geschossen...

    Das Ende vom Streichtrio kommt einen sehr wehmütig rüber, so als ob die „süße, liebliche, walzerartige Coda“ in sich bzw. in seine Einzelbruchstücken zerfällt.....

    Wunderbar gesagt, ich unterschreibe alles vorbehaltlos. :juhu:

  • bei Takt 12 steht 6/4 Takt, punktierte Halbe entsprechen den vorherigen Halben im 2/2-Takt, übersetzt: die Takte sollen gleich lang bleiben. Bei den Juilliards sind aber die Halben (nicht punktierte Halbe) so schnell wie die Halben vorher, wodurch die Takte anderthalb mal solang sind, wie gesollt (ab 0:30 in ihrer Aufnahme). Ab Takt 18 ist aber wieder 2/2-Takt mit denselben Halben, ab da stimmt's dann wieder (0:44 in der Aufnahme).

    Die vierzehn Sekunden vermiesen mir diese geniale Aufnahme aber nicht...!


    Wahrscheinlich ist das die Stelle. Es war jedenfalls eine kurze Passage im "sich zusammenbrauenden Unheil" des Anfangs. Viel am Charakter ändert diese Abweichung der Juilliards nicht. Aber es ist halt ein Indiz für philologische Inkorrektheiten. Aber es ist nach wie vor die packendste Aufnahme für mich.

    Gibt es etwa von ihm einen gesonderten Essay oder Radio-Vortrag zum Streichtrio ? Wenn ja würde mich das wahnsinnig interessieren... irgendwo hat er das Streichtrio mal als „bedeutend“ bezeichnet, dürfte dabei sich aber um eine Untertreibung handeln...


    Nein, sonst hörten wir ein paar Mahler-Sinfonien und Weberns Orchesterstücke op. 6. Es gibt wohl eine kurze Stelle, wo Adorno sich zum Trio äußert, die ich aber leider nicht wiederfand. Ich habe die "Gesammelten Werke".

    Das Ende vom Streichtrio kommt einen sehr wehmütig rüber, so als ob die „süße, liebliche, walzerartige Coda“ in sich bzw. in seine Einzelbruchstücken zerfällt.....


    Einerseits ist das Trio (besonders durch den Anfang) einer der aggressivsten Musiken, die ich kenne. Und der Schluss mit der tröstenden Melodie scheint mir einer der zärtlichsten. Dabei ist es nicht kitschig. Diese Melodie hat zwar auch etwas fragmentarisches und abbrechendes. Aber vielleicht ist diese Melodie auch auf den Punkt gebracht.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)


  • Einerseits ist das Trio (besonders durch den Anfang) einer der aggressivsten Musiken, die ich kenne. Und der Schluss mit der tröstenden Melodie scheint mir einer der zärtlichsten. Dabei ist es nicht kitschig. Diese Melodie hat zwar auch etwas fragmentarisches und abbrechendes. Aber vielleicht ist diese Melodie auch auf den Punkt gebracht.


    Ebenfalls wunderbar gesagt, vollste Zustimmung :juhu:

  • Die können sowohl spröde als auch sonor. Den Part 2 finde ich besonders berührend. Hammer-Aufnahme.

    Unterschreibe ich. :jaja1: :jaja1:

    Vermute einfach mal, dass Schönbergs Streichtrio leichter zu realisieren ist, als seine Quartette. Denn es gibt vergleichweise zahlreichere fetzige Mitschnitte und Aufnahmen davon...

    Vielleicht bildete Schönbergs Streichtrio auch so eine Art Initialzündung für eine Art Blütenzeit in dieser Muckengattung, die bis heute andauert, wenn ich Charles Wuorinens jüngstes 2. Stringtrio auf Schirm habe. Mega-Fetzigkeits-Level von Schönbergs Trio-Mucke bildet anscheinend keinen Hemmschuh für nachfolgende Notenquäler. Was vor Schönbergs Trio verzapft wurde, kommt mir bisher nicht spannend rüber, als was danach entsprang. Ausnahme = das Webernsche......

    (Das geile String Trio vom (leider unbekannten) Schönbergschüler Richard Hoffmann bildet höchst eigenständige Mucke, scheint mir doch irgendwie mit Vorhandensein von Schönbergs Trio-Mucke verbunden ..
    https://www.youtube.com/watch?v=5FYjpk…kri9SoK7MOKaDLE)

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Vermute einfach mal, dass Schönbergs Streichtrio leichter zu realisieren ist, als seine Quartette.


    Also rein technisch auf jeden Fall nicht, wenn man die Partituren studiert... Hypothese 1: Die Quartette sind, obschon technisch einfacher, dennoch schwieriger zu gestalten. Hypothese 2: Du stehst einfach mehr auf Schoenbergs ultra-abstrakten Spätstil als auf seine klassizistische Hauptphase. Alle vier Quartette stehen in (zumindest mit Partitur) easy nachvollziehbarer viersätziger Sonatenform. Das Streichtrio ist zwar in drei "Teile" und zwei "Episoden" gegliedert, aber ich mutmaße, dass man diese ohne die Hinweise in der Partitur auch willkürlich anders aufteilen könnte. Die Episoden unterscheiden sich (für mich) nicht in ersichtlicher Weise von den Teilen. Das einzige, was ich beim Streichtrio überhaupt an formaler Anlage erkennen kann, ist, dass Teil 3 eine variierte Reprise der ersten vier Abschnitte darstellt. Vielleicht noch, dass Teil 2 größtenteils (aber auch nicht ausschließlich) mit Dämpfern gespielt wird. Ansonsten ist jeder Abschnitt in sich kleinstgliedrig zerfasert, die Mucke von Anfang bis Ende äußerst fragmentarisch, abrupt von Stimmungsbild zu Stimmungsbild zuckend. So krass gibt es das in den Quartetten (und eigentlich auch sonst bei Schoenberg) nirgends.

  • Also rein technisch auf jeden Fall nicht, wenn man die Partituren studiert... Hypothese 1: Die Quartette sind, obschon technisch einfacher, dennoch schwieriger zu gestalten.

    "Schwieriger zu gestalten" kommt mir auch so rüber. Vielleicht bleiben viele Quartette während Wiedergabe zu sehr am Formaufbau festgezurrt.

    Hypothese 2: Du stehst einfach mehr auf Schoenbergs ultra-abstrakten Spätstil als auf seine klassizistische Hauptphase. Alle vier Quartette stehen in (zumindest mit Partitur) easy nachvollziehbarer viersätziger Sonatenform.

    So isses.
    Dein „Ultra-Abstrakt“ checke ich momentan so, wie du eindrucksvoll erklärst, dass quasi traditionelle Formpatterns bzw. Reste davon im Streichtrio zunehmend zerfallen. Wäre gleichsam sowas wie Zerrüttung 2.0 in Schönbergs Streichtrio:

    Das Streichtrio ist zwar in drei "Teile" und zwei "Episoden" gegliedert, aber ich mutmaße, dass man diese ohne die Hinweise in der Partitur auch willkürlich anders aufteilen könnte. Die Episoden unterscheiden sich (für mich) nicht in ersichtlicher Weise von den Teilen. Das einzige, was ich beim Streichtrio überhaupt an formaler Anlage erkennen kann, ist, dass Teil 3 eine variierte Reprise der ersten vier Abschnitte darstellt. Vielleicht noch, dass Teil 2 größtenteils (aber auch nicht ausschließlich) mit Dämpfern gespielt wird. Ansonsten ist jeder Abschnitt in sich kleinstgliedrig zerfasert, die Mucke von Anfang bis Ende äußerst fragmentarisch, abrupt von Stimmungsbild zu Stimmungsbild zuckend. So krass gibt es das in den Quartetten (und eigentlich auch sonst bei Schoenberg) nirgends.

    Könnte bedeuten, dass Schönbergs Streichtrio doch nicht richtig in die - mir so unangenehme Schublade - Neoklassizismus (NK)-Schublade passt, was mir allerhöchst lieb wäre.
    Nicht nur bei Zuordnung seiner Streichquartette 3 + 4 zum NK krieg ich bereits Bauch-Aua, obwohl doch sehr viel dafür spricht (aber ist mein persönliches „Problem“).

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • So krass gibt es das in den Quartetten (und eigentlich auch sonst bei Schoenberg) nirgends.

    wie würdest du die Violinfantasie in diesem Kontext einstufen?

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Könnte bedeuten, dass Schönbergs Streichtrio doch nicht richtig in die - mir so unangenehme Schublade - Neoklassizismus (NK)-Schublade passt, was mir allerhöchst lieb wäre.
    Nicht nur bei Zuordnung seiner Streichquartette 3 + 4 zum NK krieg ich bereits Bauch-Aua, obwohl doch sehr viel dafür spricht (aber ist mein persönliches „Problem“).

    Antwort im Hauptfaden Schönberg hier.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Dein „Ultra-Abstrakt“ checke ich momentan so, wie du eindrucksvoll erklärst, dass quasi traditionelle Formpatterns bzw. Reste davon im Streichtrio zunehmend zerfallen. Wäre gleichsam sowas wie Zerrüttung 2.0 in Schönbergs Streichtrio

    Wobei "abstrakt" doch ziemlich irreführend ist: Das Streichtrio ist 1) z.T. quasi Programmmusik als Darstellung des Herzinfarktes (also nicht abstrakt) 2) hochgradig expressiv (also nicht abstrakt) und 3) auch wieder neo-romantisch (also nicht abstrakt). Es ist eigentlich die Antithese zur abstrakten Musik jener Zeit, nämlich den punktuell-seriellen Anfängen.

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    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Wobei "abstrakt" doch ziemlich irreführend ist: Das Streichtrio ist 1) z.T. quasi Programmmusik als Darstellung des Herzinfarktes (also nicht abstrakt) 2) hochgradig expressiv (also nicht abstrakt) und 3) auch wieder neo-romantisch (also nicht abstrakt).

    Ich zog mir Meliones „abstrakt“ lediglich als, Streichtrio ist „abstrakt“ im Verhältnis zum formalen Aufbau, rein, also in diesem Fall „abstrakt“ im Bezug zu sonatigen Bestandteilen von Schönbergs vorher verzapften Mucke (Quartette 3+4 oder z.B. Fugenzeugs in Moses und Aron etc.). Da kommt mir „abstrakt“ schon sinnvoll rüber.
    Schönbergs Herz-Chose, wo er sehr dicht am Sensenmann entlang schredderte, wird wiederholt kolportiert. Ich ignoriere absichtlich das Programmatische beim Streichtrio-Einschmeißen, gleichfalls, wenn es mit „neoromantisch“ identifiziert wird.
    Ja, okay, okay, okay, da ist sicherlich was dran. Aber für mich sprengt diese mega-geile, unvergleichliche Streichtrio-Mucke derlei Schalen. Dein „hochgradig expressiv“ mache ich mir aber gerne zu eigen.

    Es ist eigentlich die Antithese zur abstrakten Musik jener Zeit, nämlich den punktuell-seriellen Anfängen.

    Bei seriellen Notenquälern in Europa würde ich dir zustimmen. Die dockten m.E. besonders an Weberns später Mucke an, weniger an Schönberg. Rene Leibowitz oder Steuermann bildeten Ausnahmen, weil mir eher schönberg-like. Deren Mucke wäre aber auch irgendwie in deinem Sinn "abstrakt". Dallapiccolas später Phase ist auch an Webern orientiert, die er etwa ab den 50zigern verzapfte. Dallapiccola kommt mir allerdings wiederum nicht seriell rüber und wäre auch nicht in deinem Sinn "abstarkt"....
    War vielleicht auch irgendwie Generationenfrage.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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