Kirill Petrenko - Der König Midas unter den Dirigenten?

  • Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • The Guardian.

    Berlin Philharmonic enters new era with Kirill Petrenko as its shy figurehead
    Simon Rattle’s successor takes over – and shows why he was orchestra’s choice of conductor

    https://www.theguardian.com/music/2019/aug…-shy-figurehead


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Der Herr Sokolowski schreibt ja ein fürchterliches Deutsch..

    Ich wollte gerade etwas ironisch spöttelnd sagen, dass man dies ("fürchterliche Deutsch") vielleicht bei der "Konkret" lernt. Aber nein, das ist ja der Kay, und mit Y.


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • aber weiß jemand, warum sie die Schlussworte der Geschwitz nicht gesungen hat?

    Kann mein Brägen lediglich drüber zocken.. ?( . .. möglicherweise um Orchesterpart bzw. „rein“ Sinfonisches vor allem von den Streichern dabei zu unterstreichen ?( .. auf alle Fälle schon mal Grund, dass König-Midas-Lulu-Suite-Aufnahme festen Platz im Bergsteiger-Stammkader besetzt....

    Ohne „Lulu! Mein Engel! Laß dich noch einmal sehn! Ich bin dir nah! Bleibe dir nah! In Ewigkeit!“ kommt momentan meinen Löffeln emotional noch intensiver rüber, wie Bergs Lulu-Mucke am Ende abkackt… -> Kontrast-brutalst zum 4. Satz von Beethovens 9.....

    Viele andere Lulu-Mitschnitte meiner tollen Sammlung klangschärfer, härter und direkter als Berliner unter K. Petrenko. Meine Lauscherchen sind dabei sich mit empfindsamer, aber cool verästelten Wiedergabe vertraut zu machen.
    (dazu Analogie: etwa so wie Lyrische Suite mit Emerson feinst rüberkommt, im Verhältnis zu anderen Saitenquäler-Promi-Teams)

    Nebenbei: zieht euch dagegen bei Gelegenheit mal das Ende (2-Akt-Version) aus HSV-Town rein.
    Da scheint die Chose wie Edgar-Wallace-Film aus den 60zigern aufgemotzt :thumbup: , so dass es (unfreiwillig?) komisch rüberkommt; doch auch diese Variante passt mir gleichermaßen zu Bergs Lulu:
    https://www.youtube.com/watch?v=SByUjtRkM_s
    02:03:48

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Das Konzert in der Philharmonie ist nun in der DCH.

    https://www.digitalconcerthall.com/de/concert/52428


    maticus

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    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • In den letzten Tagen habe ich in der DCH zweimal die Neunte aus der Berliner Philharmonie in der DCH gehört und gesehen. Ich finde sie sehr gut, viele Details sind sehr schön und transparent herausgearbeitet. Auch den Schlusschor finde ich ausgezeichnet. Allein in der Durchführung des ersten Satzes hätte ich mir noch ein Epsilon mehr Spannung gewünscht.

    Sehr interessant ist auch das zugehörige Interview mit K. Petrenko. Der Mann hat wirklich einen Plan von dem, was er da tut. Und das tut er offenbar außerordentlich gut. Ich bin inzwischen sehr froh, dass er nun der dortige Chef ist.

    Mir ist auch wieder mal klar geworden, wie gut Beethovens Neunte eigentlich ist. Unter den Sinfonien Beethovens rangiert sie bei mir wohl an erster Stelle. Es ist eines dieser Musikwerke, die weit über die Musik hinausgehen. Beethoven hat hier wohl seine Weltsicht vertont, und dies sehr eindringlich. Auch Petrenkos Deutung des Adagio als "verlorenes Paradies" finde ich wirklich sehr treffend. Auch rein musikalisch, sind das sehr viele reizvolle und komplizierte Stellen etwa für die Holzbläser. Eigentlich alles fast schon "mahlersch".

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Das Faszinosum Kirill Petrenko kann man in diesem von den Berliner Philharmonikern produzierten Film sehr gut nachempfinden:
    https://www.youtube.com/watch?v=jnKhE5…NUOevMOCsVzTIu0

    Bei der Tschaikowsky-Sinfonie gab es aber einen Moment, an welchem sich bei mir der Schalter von einem eher unzufriedenen zu einem begeisterten Zuhörer umlegte. Das war die hier fast schon bis hinein ins Unhörbare gespielte Fagott-Passage am Ende der Exposition des Kopfsatzes (laut Wikipedia ist dort ein sechsfaches Piano notiert), der der plötzliche Tuttischlag zu Beginn der Durchführung folgt (laut Wikipedia Takt 161). Das geriet in dieser Aufführung so beeindruckend, wie ich es bisher noch nie erlebt habe. Und mit welcher meisterhaften Präzision und Wucht aus dem Nichts heraus wurde dieser Tuttischlag ausgeführt!! Von nun an gab es kein Halten mehr. Petrenko (...) peitschte die Durchführung wie ein Berserker voran, das Orchester lieferte Präzisionsspiel vom Allerfeinsten ab. "Na bitte: geht doch!", dachte ich mir

    Exakt mit diesem Tuttischlag beginnt der erste musikalische Beitrag Petrenkos in diesem Film. Das, was mich damals im Saal von den Socken gehauen hat, wird in diesem Film zum Glück als exemplarische Musterleistung für die Genialität Petrenkos präsentiert.

    Aus den Interviews mit den Orchestermusikern wird deutlich, dass diese ihn geradezu anbeten. Seht Euch bitte dieses Video an!

    Petrenko äußert sich in dem Film sogar kurz selbst (obwohl es immer heißt, er gebe keine Interviews).

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Nach meiner kürzlichen Tour durch die Highlands musste ich gleich den Radiomitschnitt der Wiener Philharmoniker mit der "Schottischen" rauskramen ;) . Ich habe ein leicht Lautstärke korrigiertes MP3-Album daraus gebastelt, Petrenko-Fans können mir eine PN schicken, ich leite dann gerne einen Download-Link weiter. Eine wirklich fetzige Aufnahme, da stören auch die 2-3 Huster nicht viel.

    „Music is a nexus. It's a conduit. It's a connection. But the connection is the thing that will, if we can ever evolve to the point if we can still mutate, if we can still change and through learning, get better. Then we can master the basic things of governance and cooperation between nations.“ - John Williams

  • Ich war gestern in der Berliner Philharmonie und habe Kirill Petrenko mit Mahler 6 gehört. Ein von mir sehr hochgeschätztes Ex-Forumsmitglied habe ich vor der Aufführung im Foyer getroffen, sonst leider keinen von Euch gesehen. Seine Meinung werde ich hier (da "Ex"-Mitglied) nicht lesen können, aber mich würde die Meinung von allen interessieren, die gestern da waren und/oder heute und/oder morgen da sein werden.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Hallo mucic lover!

    Ich war gestern in der Aufführung (gesundheitlich leider leicht angeschlagen). Das war nach meinem Eindruck eine ziemlich extrovertierte Interpretation – in gewisser Weise ein Gegenpol zur (von mir sehr geschätzten) Berliner Abbado-Aufführung von 2004, der das Werk ja fast kassizistisch-licht angelegt hatte. "In gewisser Weise" allerdings nur – denn in einigem sind beide Aufführungen auch verwandt: Ähnlich eher zügige Tempi, im Wesentlichen nur geringfügig modifiziert (wenn ich da Abbado noch richtig im Ohr habe), der Grundpuls fast immer spürbar, und das Andante (was bei Petrenko erwartet werden konnte) an zweiter Stelle – in dieser Hinsicht Beide das "Klassische" betonend.

    Die Unterschiede liegen eher im Klanglichen: Denn das klingt bei Petrenko wesentlich zugespitzer, härter und schroffer, im Prinzip von Anfang an (Abbado – ich ergänze das nach einem Reinhören in die Aufnahme – wirkt agogisch freier und flexibler, was vermutlich Anteil an dem Eindruck des "Lichten" seiner Aufführung hat). Dabei war es gestern bei Petrenko fast ein "Vergnügen" (ein scheinbar unpassendes Wort bei diesem Werk), diese unfassbare Genauigkeit im Zusammenspiel und im ganz genau geplanten Entwickeln der Höhepunkte zu verfolgen. Obwohl ich das Stück ganz gut im Ohr habe (früher sehr oft gehört, jetzt immer noch ab und an), kam es immer wieder zu Zusammenklängen und dem Aufscheinen von Mittelstimmen, die ich so noch nie wahrgenommen habe. Das war alles unglaublich präzise und bewusst herausgearbeitet. Wie bisher schon meist bei Petrenko hatte ich auch hier wieder das Gefühl, das, was da erklingt, entspricht (unabhängig davon, welche Vorstellung man selbst als Hörer von dem Stück hat) in jedem Moment ganz exakt dem, was nach Petrenkos Willen erklingen soll, da gibt es keinerlei Zufälligkeiten. Besonders im Ohr geblieben sind mir der verhaltene Wiedereintritt des Marschrhyhtmus zu Beginn der Coda im 1. Satz – wie ein stockender Herzschlag –, die berückend schön artikulierten Hornsoli im Andante, die eröffnende Traumsequenz (und ihre spätere Wiederkehr) im Finale – ganz genau ausgehört, die ersten Violinen mit unerwartet viel Vibrato – und natürlich noch etliches andere.

    Das alles war absolut mitreissend und beeindruckend. Wenn ich überlege, ob es einen Einwand geben kann, dann wäre es (ich bin mir da unsicher) die Frage, ob das Ganze möglicherweise zu selbstverständlich gelungen ist, ob diese unglaubliche Perfektion im Herstellen der komplexen Klangereignisse, die die Partitur fordert, schon fast etwas Kulinarisches hatte, ob deshalb vielleicht einfach zu wenig "Kampf um diese Symphonie" spürbar war. Das lasse ich als Frage für mich so stehen.

    Nun bin ich gespannt auf deine eigenen Eindrücke, music lover. Dass du noch nichts geschrieben hast, scheint mir fast auch auf gewisse Einwände hinzudeuten, aber vielleicht täusche ich mich da ja... ;)

  • Nun bin ich gespannt auf deine eigenen Eindrücke, music lover. Dass du noch nichts geschrieben hast, scheint mir fast auch auf gewisse Einwände hinzudeuten, aber vielleicht täusche ich mich da ja... ;)

    Du liest in mir wie in einem Buch ^^ Ich war in der Tat nicht restlos begeistert, sondern eher ein klein wenig enttäuscht. Das kann aber an mir und meiner Tagesform gelegen haben, deswegen ist es mir wichtig, erst einmal andere Meinungen zu hören, bevor ich meinen Senf dazugebe :D

    Vielen Dank für Deine hochinteressanten und sehr lesenswerten Zeilen, lieber Peter! :cincinbier:

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Dann hoffen wir doch mal auf weitere Eindrücke an dieser Stelle :cincinbier: – ich kann mir nicht vorstellen, dass wir die beiden einzigen Forumsangehörigen sind, die eine der Aufführungen erlebt haben oder heute noch erleben werden (evtl. heute auch in der DCH).

  • Eben live in der DCH.

    Ich fand die ersten drei Sätze von Mahlers Sinfonie Nr. 6 nicht sonderlich ungewöhnlich und stark abweichend von vielen anderen Darbietungen dieser Sinfonie. Dies gilt insbesondere für den ersten Satz. Sehr schön fand ich das Andante, besonders die Klarinette im hohen Register fiel mir hier sehr positiv auf. Beim Scherzo war der Marsch recht flott, was ihn auch etwas "leichter" wirken lies. Beim Mittelteil fand ich wie beim Andante die Bläser sehr schön.

    Allein das Finale fand ich doch ziemlich ungewöhnlich. In der Introduktion wurde so einiges herausgearbeitet und betont. Es gab für mich eher neue Klangeffekt, etwa die lang nachklingende Röhrenglocke (auch später noch ein- oder zweimal). Dann kam der Beginn des Allegro recht verhalten daher, was sich auch am Dirigierstil äußerte. Auch im weiteren fand ich die Dramatik relativ gedrosselt. (Allerdings war ich zwischen den beiden Hammerschlägen mal für ca. 3 Minuten off-line, da mir der Browser-Tab abstürzte.) Richtig toll fand ich den Satz (erst) nach dem zweiten Hammerschlag, da empfand ich eine sehr starke Dramatik, und das gesamte Orchester war außerordentlich virtuos. --- Wie gesagt, der Gesamteindruck des Finales wurde durch die Unterbrechung evtl. etwas verfälscht. Werde mir später mal die Archiv-Aufnahme anschauen. So bin --- bezogen auf das Finale --- noch etwas uneins mit mir selbst.

    Den Schlussapplaus fand ich jetzt nicht signifikant stärker oder länger anhaltend als bei Currentzis. Weil das Thema ja neulich nach Verdis Requiem aufkam. Gut, Petrenko wurde nochmal rausapplaudiert, nachdem das Orchester schon gegangen war. Aber das war bei Currentzis doch auch der Fall, wenn ich mich recht erinnere. Aber ich kann natürlich nur den Eindruck vom Bildschirm wiedergeben.

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Den Schlussapplaus fand ich jetzt nicht signifikant stärker oder länger anhaltend als bei Currentzis. Weil das Thema ja neulich nach Verdis Requiem aufkam. Gut, Petrenko wurde nochmal rausapplaudiert, nachdem das Orchester schon gegangen war. Aber das war bei Currentzis doch auch der Fall, wenn ich mich recht erinnere.

    Du gibst das Stichwort, lieber maticus. Das Stichwort lautet Currentzis.

    Meine letzten beiden Orchesterkonzerte vor Mahler 6 mit Petrenko in Berlin waren Mahler 9 mit Currentzis in Hamburg und in Mannheim. Das war Überwältigungsmusik pur. Das war eine Offenbarung! Und ich erwartete mit Petrenko in Berlin dasselbe. Nur passierte das leider nicht. Es gab eine auf hohem musikantischen Niveau dargebotene Mahler 6, perfekt in der Spieltechnik. Gänsehaut-Feeling kam streckenweise im Finale auf, das war teilweise wirklich großartig, aber sonst passierte nichts, was man unter "Momente für die Ewigkeit" abspeichern könnte. Die Berliner Philharmoniker spielten halt auf dem für sie üblichen hohen spieltechnischen Niveau Mahler 6. Keine Überwältigung, keine Gänsehaut, noch nicht einmal Staunen. Intensität ja, jedenfalls im Finale, aber der Stein der Weisen? Den musste man woanders suchen.

    Ich saß wie üblich im Block A, also unter besten akustischen Bedingungen, und dachte mir: "Bist Du jetzt schon so dermaßen von Currentzis infiltriert, dass Du Dir gar keinen anderen anderen Dirigenten mehr mit Begeisterung anhören kannst? Dass Dich selbst ein Genie wie Petrenko nicht mehr restlos begeistern kann?" Ich beschloss, den Fehler bei mir zu suchen. Nur: So ganz allein mit dieser Meinung war ich wohl offenbar doch nicht. Von standing ovation nach den Schlusstönen war nichts zu sehen, alles blieb brav auf seinen Sitzen (bei Currentzis undenkbar - bei ihm spielt der Saal komplett verrückt, sobald er den Applaus freigegeben hat). Kirill Petrenko wurde in der Tat herausgeklatscht, lieber maticus, nachdem das Orchester gegangen war, nur war das eine ziemlich zähe Angelegenheit. In aller Bescheidenheit darf ich sagen, dass gerade ich zu den vielleicht drei oder vier hartnäckigen Klatschern am Donnerstag gehörte, die nach dem allgemeinen Verstummen des Beifalls am Ball blieben und Petrenko ein weiteres Mal auf dem Podium haben wollten. Ohne uns paar Klatscher wäre das Publikum geschlossen Richtung Ausgang gegangen. Und das wäre einem Ausnahmedirigenten wie Petrenko nicht gerecht geworden.

    Es war ein schöner Abend, sogar ein bisweilen großartiger Konzertabend, aber mit einem Currentzis-Konzertereignis überhaupt nicht vergleichbar. Bei Currentzis geht ein Orkan über das Publikum hernieder, und man geht fassungslos über das eben Gehörte hinaus in die Nacht.

    Mein persönliches Problem, dachte ich mir. Nur traf ich dann nach dem Konzert verabredungsgemäß meine, was Berlin angeht, seit über 20 Jahren ständige Konzertbegleiterin (die an jenem Abend ob der angespannten Kartensituation weit von mir entfernt im Block D saß). Als sie mich fragte, wie ich es fand, sagte ich ihr: "Ich hoffte, dass Du mir diese Frage heute abend nicht stellst". Und ihre Antwort war erleichtert: "Fandest Du es heute auch nicht so besonders gut?". Nein, wir fanden es beide nicht besonders gut. Und meine Berliner Freundin, bei der ebenfalls ein Currentzis-Konzert (Verdis Requiem) das letzte Orchesterkonzert vor Mahler 6 mit Petrenko war, widersprach mir nicht, als ich ihr gegenüber meinen Eindruck herüberbrachte, dass Currentzis uns, was die Intensität und Sensationalität des Dirigats angeht, so dermaßen versaut hat, dass da eigentlich nichts mehr von anderen Dirigenten kommen kann.

    Ich wiederhole es noch einmal: Mein ganz persönliches Problem. Kirill Petrenko ist ein herausragend guter Dirigent. Das Mahler 6-Konzert mit ihm am Donnerstag war super. Nur hat es mich letztlich nicht restlos begeistert, weil ich mich inzwischen in eine Richtung entwickele, die überhaupt gar nicht gut ist. Es kann ja wohl nicht sein, dass man nur noch von einem einzigen Dirigenten die Konzerte überwältigend gut findet, während man sonst eigentlich im Wesentlichen Kritik übt. Ich arbeite daran. Versprochen.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Ich saß wie üblich im Block A, also unter besten akustischen Bedingungen, und dachte mir: "Bist Du jetzt schon so dermaßen von Currentzis infiltriert, dass Du Dir gar keinen anderen anderen Dirigenten mehr mit Begeisterung anhören kannst? Dass Dich selbst ein Genie wie Petrenko nicht mehr restlos begeistern kann?" Ich beschloss, den Fehler bei mir zu suchen.

    Lieber music lover, da würde ich mir nun aber keine Sorgen machen ;) ! Ich sehe es ja auch so: Wir haben eine musikalisch und technisch großartige Aufführung gesehen und gehört, bei der vielleicht noch das letzte Quentchen gefehlt hat. Ich hatte das im letzten Absatz oben für mich ja auch schon angedeutet. Und die Kritiken, die ich bis jetzt gelesen habe, gehen in eine ähnliche Richtung (Hannoversche Allgemeine und der - in diesem Fall mal recht ausgewogene - Manuel Brug in seinem Blog, die unsinnige Kritik in der Berliner Zeitung, die sich fast ausschließlich aus einer Art persönlichem Beleidigtsein des Rezensenten darüber speist, dass Petrenko sich für das Andante an zweiter Stelle entschieden hat, lasse ich außen vor). Das, was Petrenko in seinem Perfektionsdrang vielleicht (noch) ein ganz klein wenig mit den Philharmonikern fehlt, ist eine Spur mehr Risikobereitschaft. Möglicherweise spielte hier im Fall der 6. Mahler auch der besondere Erwartungsdruck eine Rolle, da es ja das Stück war, das er 2014 schon im dann abgesagten letzten Konzert vor der Wahl hätte dirigieren sollen. Dieses manchmal ein wenig zu sehr auf Nummer sicher gehen fiel mir übrigens schon einmal auf, bei seinem Sacre mit dem Bundesjugendorchester vor einiger Zeit, bei dem ich mir damals noch etwas mehr erwartet hatte. Und außerdem: Es kann ja auch sein, dass deine Auffassung von Mahler sich ganz einfach nicht völlig mit Petrenkos' deckt, das wäre ja nun auch nichts wirklich Verwerfliches.

    Was die Frage des Applauses betrifft, würde ich das, was ihr Beiden geschrieben habt, aus meiner Sicht doch etwas relativieren wollen, wohlgemerkt im Hinblick auf die Freitags-Aufführung mit Petrenko. Denn da war es durchaus so, dass bereits während des "regulären" Schlussapplauses (also noch mit Orchester auf der Bühne) viele (v.a. in Block A und B) aufgestanden waren und es blieben Etliche, nachdem das Orchester die Bühne verlassen hatte, laut klatschend im Saal, so dass es keine Zweifel gab, dass Petrenko nochmal erscheinen würde und da waren die Bravoraufe dann auch alles andere als eine ritualisierte Pflichtübung. Das habe ich auch sonst in der Philharmonie nicht sehr oft stärker gesehen (außer vielleicht bei einigen Abbado-Konzerten und bei Petrenkos Tschaikowsky V, die ja per se schon einen Ovationen fordernderen Schluss hat).
    Ich habe das bei Currentzis' IX. in Mannheim (mehr kann ich nicht beurteilen, das Berliner Verdi-Requiem lasse ich mal außen vor) nicht signifikant stärker in Erinnerung. Wobei Currentzis das Hervorrufen der Orchestersolisten und -gruppen schon in seiner Gestik und der Art, wie er teilweise ins Orcherster auf die jeweiligen Gruppen und Solisten zugeht (was ja sehr sympathisch ist) wirkungsvoller und applausfördernder gestaltet als der in dieser Hinsicht zurückhaltendere Petrenko. Auch habe ich das Gefühl, dass bei den Currentziskonzerten meist ein fester Kreis von Bewunderern dabei ist, wie dies in dem Umfang und in der Intensität bei Petrenko in Berlin noch (?) nicht der Fall ist.

    Aber vielleicht habe ich zur Applausfrage jetzt auch viel zu viel geschrieben – die Dauer und die Intensität des Applauses sollte ja nun nicht entscheidende Kriterium für die eigene Würdigung eines Konzertes sein (und diesen Eindruck habe bei euren beiden Beiträgen natürlich auch nicht!).

    Eins aber noch, worauf mich im Nachhinein erst die Kritik in der Hannoverschen Allgemeinen gebracht hat (die sich auch auf Freitag bezieht): Ich habe schon lange kein Konzert mehr mit so wenigen störenden Hustern erlebt - was ja doch für eine hohe Konzentration und Involviertheit des Publikums spricht, wobei die VI. freilich auch genügend pegelstarke Passagen zum unauffälligen Abhusten bietet ;) ...

  • Das, was Petrenko in seinem Perfektionsdrang vielleicht (noch) ein ganz klein wenig mit den Philharmonikern fehlt, ist eine Spur mehr Risikobereitschaft.

    Dieses manchmal ein wenig zu sehr auf Nummer sicher gehen

    Du bringst es auf den Punkt. Exakt das ist es, was mich störte bzw. was mir fehlte.

    Möglicherweise spielte hier im Fall der 6. Mahler auch der besondere Erwartungsdruck eine Rolle, da es ja das Stück war, dass er 2014 schon im dann abgesagten letzten Konzert vor der Wahl hätte dirigieren sollen.

    Hinzu kommt, dass Rattle sich 2018 mit diesem Stück vom Berliner Publikum verabschiedet hat. Bei denen, die in beiden Konzerten waren (ich war 2018 leider nicht vor Ort), konnte also unschwer der Vergleich zwischen den beiden Chefdirigenten gezogen werden.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Hinzu kommt, dass Rattle sich 2018 mit diesem Stück vom Berliner Publikum verabschiedet hat. Bei denen, die in beiden Konzerten waren (ich war 2018 leider nicht vor Ort), konnte also unschwer der Vergleich zwischen den beiden Chefdirigenten gezogen werden.

    Stimmt, das hatte ich vergessen! Ich war leider auch nicht dort (und war auch nie der ganz große Rattle-Fan), aber diese Aufführung rief ja glaube ich doch viel Begeisterung hervor. Vielleicht hole ich mir demnächst mal wieder einen Wochenzugang zur DCH für einen Vergleich von Rattle und Petrenko....

  • Die Rattle-Aufführung beim Abschied fand ich auch sehr gut (habe die im Kino live gesehen).

    Lieber music lover,

    ich kenne solche Enttäuschungen nach hoher Erwartungshaltung auch, kann Dich also gut verstehen. Ähnliches schrob ich ja kürzlich im Nelsons-Thread, dass ich da bei einigen Neuerscheinungen gefühlt enttäuscht war, weil ich mir das ganz große Wunder erhoffte. Mit etwas Abstand habe ich mich aber mit diesen Aufnahmen versöhnt und finde sie nun doch erstklassig.

    Ich denke, es liegt auch an unserem neuronalen Belohnungssystem, dass wir nicht immer wieder auf's höchste begeistert sein können, von der Tagesform mal ganz angesehen. Umgekehrt ist es dann natürlich kaum noch möglich, mit nur "durchschnittlicher" Qualität zufrieden gestellt zu werden.

    Mal als ein Analogbeispiel: ich liebe gewisse spezielle Rotweine. Da gibt es manchmal richtig tolle, nahezu euphorische Glückserlebnisse. Das führt einerseits dazu, dass man "versaut" ist und mit einfachen Qualitäten nicht mehr zu locken ist. (Da bin ich manchmal fast "neidisch" auf Freunde, die sich immer noch gerne das 5-Euro-Zeug mit Vergnügen reinschütten können.) Aber, andererseits gibt es diese extremen Glückserlebnisse auch bei erstklassiger Qualität insgesamt doch relativ selten, bei den gleichen Weinen. Und vielleicht auch gerade, weil sich eine große Erwartung aufgebaut hat. Eines von vielen, vielen Beispielen: so ca. um das Jahr 2000 habe ich mit meiner Freundin einen gespickten Lammbraten gekocht, dazu einen Barolo Marcenasco 1994 von Renato Ratti (vom Winzer mitgebracht). Die Kombination war an diesem Tag geschmacklich so absolut göttlich. Also ein Wochenende später das gleiche nochmal. An dem Tag war der Wein einfach nur noch "normal" (auf hohem Niveau), aber gefühlt war das ein ganz anderer Wein als eine Woche zuvor. Ich glaube sogar, wir haben nochmal das gleiche gekocht. Sowas habe ich immer wieder erlebt, und das hat oft zu Enttäuschungen geführt. Ich bin also davon überzeugt, dass sich solche euphorischen Glückserlebnisse weder erzwingen noch wiederholen lassen. Umso schöner ist es dann, wenn sie sich dann doch mal einstellen, wenn man es nicht erwartete. --- Ganz ähnliche Erfahrungen habe ich auch mit Musikaufführungen und -CDs.

    maticus

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    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
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