Reger, Max: Streichquartett A-Dur op. 54 Nr. 2
Als letztes Werk vor dem Umzug von Weiden nach München im Jahre 1901 entstand das Streichquartett in A-Dur op. 54 Nr. 2, das Schwesterwerk zum vorangegangenen g-Moll-Quartett. Es ist ein gutes Stück leichter verständlich als dieses, insbesondere als dessen Kopfsatz. Die Sätze sind wie folgt überschrieben:
I. Allegro assai e bizarro
II. Andante semplice con Variazioni
III. Allegro vivace con spirito
Die Spielzeitangaben beziehen sich auf die Einspielungen des Pfeifer-Quartetts bei Da Camera Magna, des Berner Streichquartetts bei cpo und des Mannheimer Streichquartetts bei MDG (in dieser Reihenfolge).
Geradezu clownesk beginnt der Kopfsatz mit dem herbeipurzelnden ersten Thema, welches einen kleinen Narrentanz vollzieht. Die Überleitung (T. 26, 0:35/0:32/0:30, eventuell schon zwei Takte vorher) fügt mit Bordunklängen exotisches Parfüm hinzu. Eine Zäsur markiert den Beginn des in d-Moll beginnenden zweiten Themas in (T. 51, 1:12/1:06/1:02), das – in Oktaven geführt – mit seinen nachdenklichen Tönen einen starken Gegensatz bildet. Die Schlussgruppe (T. 76, 1:43/1:35/1:29) nimmt wieder die in der Satzüberschrift erwähnten „bizarren“ Klänge auf, insbesondere ein Motiv aus der Überleitung. – Pizzicati leiten zur Durchführung über und eröffnen dieselbe (T. 100-106, 2:14/2:08/1:59). Geheimnisvoll geht es über grummelnden Pizzicati im Cello weiter, bis die Musik wieder aktiver wird und tatsächlich beginnt, mit den Themen und Motiven der Exposition zu arbeiten. Man überhöre nicht das zweite Thema im Cello ab T. 177, 3:47/3:45/3:27. Orgelpunktartige Tonrepetitionen im Cello (T. 186, 3:58/3:56/3:37) bereiten schon auf den Schluss der Durchführung vor. In T. 197, 4:12/4:11/3:50 ist man dann eventuell verwirrt: Ist das jetzt die Reprise? Aber nein: Erst in T. 210, 4:29/4:27/4:05 ist der charakterische aufsteigend gebrochene Dominantseptakkord zu hören, der das erste Thema einleitet und die Reprise eröffnet. Wie gehabt die Überleitung (T. 235, 5:02/4:58/4:35) und das zweite Thema, nun beginnend in g-Moll (T. 256, 5:32/5:25/5:02). Den Beginn der Coda mag man dann mit den Pizzicati bei T. 300, 6:29/6:22/5:58 oder erst beim nächsten arco-Einsatz ansetzen. Überraschend der Schluss – der Clown verlässt uns lächelnd, doch mit rätselhaft-verschmitztem Gesichtausdruck. – Glänzt da eine Träne?
Nach Auskunft des Beiheftes der MDG-Einspielung ist der zweite Satz ein Variationensatz mit Thema, fünf Variationen und Reprise des Themas. So weit, so gut – außergewöhnlich ist, dass das Thema in d-Moll gesetzt ist, während die fünf Variationen in fis-Moll, Des-Dur, D-Dur, G-Dur und fis-Moll stehen. Liest man Des-Dur als Cis-Dur, so wird die Quintverwandtschaft von 1./2. und 3./4. Variation klarer und der Bezug zur Haupttonart A-Dur des Quartetts erkennbar. Ganz am Schluss folgt dann nochmal das Thema, das von der ersten Violine etwas ausgeziert wird. – Das Thema selbst ist 13taktig (exotisch genug) – Die Variationen auseinander zu halten wird keinem Hörer Probleme bereiten:
- Pfeifer-Quartett: Thema: 0:00 / Variationen: 0:44/2:07/3:53/4:35/5:23 / Reprise: 6:12
- Berner Streichquartett: Thema: 0:00 / Variationen: 0:34/1:27/2:55/3:34/4:19 / Reprise: 5:01
- Mannheimer Streichquartett: Thema: 0:00 / Variationen: 0:39/1:28/3:03/3:44/4:26 / Reprise: 5:02
Reger baut in den Variationen nicht einfach die 13 Takte des Themas immer wieder neu, die Anzahl der Takte variiert von Variation zu Variation.
Das Thema erklingt im homophonen Satz, anfangs eigentlich wie ein Choral. Die erste Variation beginnt imitatorisch und setzt fort wie ein mit dem Anfangsmotiv figurierter Choral. Die zweite Variation steht dem Choraltypus schon wieder näher, wie manchmal in Regerschen Choralvorspielen ist sie mit komplexer Harmonik angereichert, mit viel chromatischer Bewegung in allen nicht-Melodiestimmen. Das Schluss-Des im Bass wird enharmonisch umgedeutet zum Leitton Cis in D-Dur und leitet über zur dritten Variation, die ganz licht erscheint, mit heller, sanft beschwingter Bewegung, immer von oben kommend. Terzenselig wie Volksmusik (auch die Pizzicati im Cello erinnern daran) beginnt die vierte Variation, doch mancher chromatische Gang irritiert. Ein Pizzicato aller Instrumente beendet diese Variation. Die letzte Variation schiebt dunkle Wolken auf den Synkopen der Mittelstimmen heran. Attacca folgt die Reprise des Themas.
Das Finale steht in Sonatenhauptsatzform. Das erste Thema gemahnt wieder an die ausgelassene Stimmung des Kopfsatzes und hat Perpetuum-Mobile-Charakter. Eine kurze Cello-Kantilene mündet in Pizzicati (T. 25, 0:50/0:48/0:44), auf die das zweite Thema folgt, ruhig und mit ausholenden Gesten beschwichtigend. Nicht lange hält diese Stimmung vor, die Schlussgruppe knüpft diesbezüglich wiederum an das erste Thema an. – Wieder sind Pizzicati das Scharnier zum nächsten formalen Abschnitt: Ab T. 54, 1:53/1:47/1:39 leiten sie zur Durchführung über und eröffnen diese auch. Dunkle Töne dominieren zunächst, ein zaghafter Versuch, die Stimmung aufzulockern, scheitert, die Musik kommt immer wieder ins Stocken, arbeitet sich aus der Tiefe nach oben und nimmt dann auch wieder Bewegung auf. Ein letzter lyrischer Ruhepunkt (T. 100, 3:22/3:25/3:07), dann folgt bei T. 102, 3:29/3:35/3:18 die Reprise. Wie als Ausgleich für die Kürze der Durchführung ist die Coda (ab T. 157, 5:25/5:25/5:00) um so länger – und sie täuscht eingangs vor, die Durchführung zu wiederholen, um dann geradezu eine Grabesstimmung zu verbreiten, doch dies nur als Sprungbrett zur wirkungsvollen Neuentfaltung des ersten Themas. Ein wirkungsvolles Unisono führt dann zum letzten Abschnitt des Satzes, ein letztes Antäuschen des ersten Themas, Schlusskadenz.
Ein faszinierendes Werk, das viel Hörspaß bereiten kann und deutlich zugänglicher als das komplexe g-Moll-Quartett ist. Herzlich zur Hörlektüre empfohlen!