Helmut Lachenmann - Rattern, Kratzen, Schaben, Quietschen, Hauchen - Musik!!

  • Helmut Lachenmann - Rattern, Kratzen, Schaben, Quietschen, Hauchen - Musik!!

    Helmut Lachenmann, geboren 1935, ist mir namentlich zwar seit Jahrzehnten bekannt, aber um seine Musik habe ich bislang immer einen großen Bogen gemacht, denn ich konnte mit dieser Art von Geräuschmusik nicht viel anfangen: zu fern ist das einer Ausdrucksästhetik, die mit traditionellem Material arbeitet, selbst wenn man "traditionell" sehr weit faßt, etwa bis hin zu den Klangkonstruktionen eines Pierre Boulez.

    Beim Durchhören und Erforschen Neuer Musik und deren prominentesten Vertretern, geleitet vom Interesse, auch Grenzbereiche der Musik kennenzulernen, war es allerdings unvermeidlich, irgendwann auch einmal auf die spröde, zunächst abweisend wirkende Musik dieses Geräuschkomponisten zu stoßen - und bei mir hat es kürzlich "gezündet", was zur Anschaffung einiger CDs führte. Momentan erlebe ich eine Lachenmann-Phase, die ich als erregend, begreichernd, ja geradezu beglückend erlebe!

    À propos "Geräuschkomponist": In den letzten Jahren hat Lachenmann eine Wandlung vollzogen, indem er verstärkt tonhöhenfixierte Klänge (was gemeinhin als Musik bezeichnet wird) in sein Werk integriert hat. Paradigmatisch kann die Entwicklung an den drei Werken für Streichquartett beobachtet werden:

    Nr. 1 Gran Torso (1972) scheint dabei das zunächst am eheseten unzugänglich zu sein, weil es sich vertrauten musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten am meisten entgegenstellt. Nr. 2 Reigen seliger Geister (1989) setzt diesen Weg fort, ist aber insgesamt zarter, lyrischer, vor allem im verhauchten Schluß. Nr. 3 Grido (2000-01) dagegen ist geradezu melodisch, meditativ. Der Komponist hat dieses Quartett auch für Streichorchester bearbeitet, das klingt noch sinnlicher.

    CD-Empfehlung: Die Einspielung durch das Jack Quartet, aufgenommen 2007, 2008 und 2011 (WDR-Aufnahmen beim Label Mode):

    Gefällt mir gut, wobei als Alternative auch, gelegentlich als "Referenz" bezeichnet, die Einspielung des Arditti Quartet (Kairos, 2006) in Frage kommt, die kenne ich noch nicht.

    Ein interessanter Aspekt ist auch die grundsätzliche Intention des Komponisten, der bereits 1971 äußerte (Quelle: Booklet der o. a. CD), er wolle "immer das gleiche: Kunst als Vorgeschmack von Freiheit in einer Zeit, in der es an Freiheit mangelt", also ein gesellschaftspolitischer Anspruch, der das Widerständige seiner Musik legitimiert. Ob dies zum Verständnis seiner Musik notwendig ist? Ich weiß es nicht, jedenfalls empfinde ich beim Anhören Lachenmannscher Musik immer wieder eine ganz besondere Art von Schönheit, die ich anderswo nicht finde. Allerdings kenne ich vieles an zeitgenössischer Musik noch nicht.

    Soviel fürs Erste. Weitere Hörerfahrungen bei Gelegenheit.

    Zu einem Werk gibt es übrigens bereits einen Faden: LACHENMANN: "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" - die bedeutendste Oper seit "Die Soldaten" von Zimmermann? Diese Oper, bzw. "Musik mit Bildern" hoffe ich im September in Frankfurt zu erleben.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich war schon am Beginn meiner Studienzeit ein Lachenmann-Fan, wobei mich diese Klang- und Geräusch-Reisen mehr gefesselt haben als sonst etwas, das war wirklich ein gebanntes Lauschen und jedes akustische Ereignis ein Ereignis. Geräusche haben ja viele gemacht, aber die Art, wie sie aufeinander reagieren ist bei Lachenmann eben ganz besonders.

    Die gesellschaftlichen oder sonst irgendwie kritischen theoretischen Überlegungen finde ich nach wie vor uninteressant, ich höre das sozusagen wie Berlioz, als Revolution der Klanglichkeit, die massenhaft Komponisten beeindruckt und beeinflusst hat. Er hat quasi für seine Kollegen und Nachfolger untersucht, was man alles für Geräusche mit den traditionellen Instrumenten fabrizieren kann.

    Was das Theoretische betrifft ist wohl das Wichtigste zum Verständnis, dass er die Klänge katalogisiert nach akustischen Eigenschaften, insofern dem Elektronik-Pionier Pierre Schaeffer vergleichbar, dem es auch wichtig war, dass wir beim Anhören einer Aufnahme nicht das Muhen einer Kuh hören, sondern den so-und-so-Klang mit diesen und jenen Eigenschaften. Bei Lachenmann ist beim Hören manchmal klar, warum hier diese Klänge zusammen auftreten und dort jene, manchmal nicht. Was er dann als z.B. "Kadenzklang" bezeichnet und warum, ist für den Hörer wohl nicht so wichtig, aber dass da ein ordnender und strukturierender Geist dahintersteckt, und keiner, dem es nur um besondere Effekte geht, sollte schon klar sein.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Geräusche haben ja viele gemacht, aber die Art, wie sie aufeinander reagieren ist bei Lachenmann eben ganz besonders.

    [...] dass da ein ordnender und strukturierender Geist dahintersteckt, und keiner, dem es nur um besondere Effekte geht, sollte schon klar sein.

    So klar finde ich das nicht, intuitiv erscheint es mir aber ebenso, insofern gebe ich Dir recht. Paul Griffiths (Booklet-Text, s. o.) behauptet gar: "Es ist eines von vielen Paradoxen des Gran Torso, dass die neuartigen Klänge es scheinbar erlauben, dass Form so elegant wie in einem Quartett von Haydn gebildet werden kann."

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Der typische Lachenmannstil scheint sich so um 1970 etabliert zu haben. Während Intérieur I für einen Schlagzeugsolisten (1965-66) oder Notturno für kleines Orchester mit Violoncello-Solo (Musik für Julia) (1966-68) für mich noch durchaus Verwechslungspotenzial mit anderen Komponisten haben, scheinen mir Pression für einen Cellisten (1969-70/2010), Dal niente (Intérieur III) für einen Solo-Klarinettisten (1970) und Guero Studie für Klavier (1970/88) Marksteine zu sein im Sinne einer Aufgeräumtheit und Konzentriertheit der Musik.

    Die Tradition kommt ja dann schon wieder bei Accanto. Musik für einen Soloklarinettisten mit Orchester (1975-76) mit Mozart-Zitaten dazu. Eines meiner Lieblingsstücke war immer Tanzsuite mit Deutschlandlied. Musik für Orchester mit Streichquartett (1979-80), da die Tanzsuite durchaus bemerkbar ist, das hat schon etwas Mitreißendes. Es wurde hier mal die Kritik zitiert, dass Lachenmann immer nur einfache Rhythmen verwendet, also im Wesentlichen Sechzehntel. Einfachheit wird besonders in Ein Kinderspiel. Sieben kleine Stücke für Klavier (1980) zelebriert, Hänschen klein kann man auch hindurchhören, obwohl die Tonhöhen durch eine Chromatik abwärts ersetzt wurden, was ja nun auch einfach ist.

    Auch in besonderem Maße typisch ist seine Stotter-Rezitiererei wie in „...zwei Gefühle...“, Musik mit Leonardo für Sprecher und Ensemble (1991-92), meinem zweiten Lieblingsstück. Wenn man Beat Furrers Narcissus-Fragment für 26 Musiker und zwei Stimmen (1993) hört, kommt einem das wie eine Stilkopie vor, ich habe überhaupt mit Lachenmann-Nachfolgern etwas Probleme, da ich bei ihnen zu viel Lachenmann zu hören vermeine.

    So richtig populär wurde Lachenmann dann mit Das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Musik mit Bildern (Musiktheater; 1988–96), einer zwei-Gefühle-Ausdehnung für die Opernbühne mit semantischer Aufladung der Lachenmannklänge als Zündholzanreibung etc., eigentlich eine Art Selbstabwertung zur Geräuschkulisse, damit es das Publikum schlucken möge (auch wenn's vielleicht nicht so gemeint war).

    Seither habe ich ihn etwas aus den Augen verloren, Got Lost... Musik für Stimme und Klavier (2007-08) habe ich mehrmals live gehört und genossen, große Änderungen gegenüber seinen älteren Werken sind mir nicht aufgefallen.

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  • Pression - Dal niente - Allegro Sostenuto + Bonusstück

    Ich bin doch etwas überrascht über die Üppigkeit der Diskographie!
    Ich habe z.B. eine Kopplung Pression - Dal niente - Allegro Sostenuto - Wiegenmusik auf dem Label Accord mit Pierre-Laurent Aimard, Alain Damiens und Pierre Strauch (wobei ich noch die Version aus den 90ern habe, also anderes Cover):

    fast ident gekoppelt (wegen der Triobesetzung von Allegro Sostenuto naheliegend) gibt es auch Bernhard Wambach, David Smeyers und Michael Bach mit dem Kinderspiel statt dem Wiegenlied

    sowie Massimiliano Damerini, Eduard Brunner, Walter Grimmer und Johannes Beer mit Interieur I statt Wiegenmusik resp. Kinderspiel

    und das Ensemble phorminx mit temA und toccatina statt ...

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  • Danke, lieber putto, für Deine interessanten Hinweise zu Werk und Diskographie!

    Ich liste hier mal meine Lachenmann-Schätze auf, allesamt erst kürzlich erworben:

    "... Zwei Gefühle...", Musik für Leonardo (1991-92)
    Wiegenmusik (1963)
    Pression (1969-70)
    Guero (1970)
    Ein Kinderspiel (1980)

    Accanto (1975-76)
    Consolation I (1967)
    Kontrakadenz (1970-71)

    Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Musik mit Bildern (1988-96)

    Salut für Caudwell (1977)
    Les Consolations (1967-68, 1977-78)
    Concertini (2005)

    Allegro sostenuto (1987-88)
    Serynade (1998-2000)

    NUN (1997-99)
    Notturno (Musik für Julia) (1966-68)

    Schreiben (2003)
    Double (Grido II) (2004)

    Meine Favoriten nach den ersten Eindrücken, neben den Werken für Streichquartett: Allegro sostenuto, NUN, Double, "... Zwei Gefühle...".

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • So richtig populär wurde Lachenmann dann mit Das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Musik mit Bildern (Musiktheater; 1988–96), einer zwei-Gefühle-Ausdehnung für die Opernbühne mit semantischer Aufladung der Lachenmannklänge als Zündholzanreibung etc., eigentlich eine Art Selbstabwertung zur Geräuschkulisse, damit es das Publikum schlucken möge (auch wenn's vielleicht nicht so gemeint war).


    ... welches wohl schon zu den bedeutendsten Musiktheater-Werken aus den zweiten Hälfte des 20. Jhds. gezählt wird (was immer das heißt).

    Immerhin gibt es schon zwei Aufnahmen, beide aus dem Südwesten Deutschlands:

     

    Die zweite gibt eine für Tokyo modifizierte Konzertfassung wieder.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Man könnte sich jetzt fragen: Ist das Mädchen Lachenmanns Jonny?
    :hide:

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  • Man könnte sich jetzt fragen: Ist das Mädchen Lachenmanns Jonny?

    ...dazu ist es denn doch viel zu sperrig, in jeder Hinsicht - zumindest für das "normale" Opernpublikum, nicht für eine spezialisierte Neue-Musik-Zuhörerschaft. Bei der Stuttgarter Produktion (bzw. der Vorstellung, die ich dort erlebt habe) sind eine ganze Reihe von Leuten während der Aufführung rausgegangen. Die Hamburger Uraufführungsserie war tatsächlich ein Riesenerfolg mit "Suche-Karte"-Schildern usw. - das lag wohl auch an einem gewissen (nicht negativ gemeinten) Eventcharakter, an dem enormen Medienecho und an der sehr atmosphärischen Regie von Achim Freyer.

    Wir haben übrigens auch einen Thread zu Accanto mit einer sehr schönen Einführung von Tharon:

    Lachenmann - Accanto


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Geiler Thread !!! l-l

    Nr. 1 Gran Torso (1972) scheint dabei das zunächst am eheseten unzugänglich zu sein, weil es sich vertrauten musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten am meisten entgegenstellt. Nr. 2 Reigen seliger Geister (1989) setzt diesen Weg fort, ist aber insgesamt zarter, lyrischer, vor allem im verhauchten Schluß. Nr. 3 Grido (2000-01) dagegen ist geradezu melodisch, meditativ. Der Komponist hat dieses Quartett auch für Streichorchester bearbeitet, das klingt noch sinnlicher.

    So unterschiedlich können Reaktionen auf Mucke ausfallen...

    ... ich halte sein 1. Streichquartett für eins seiner zugänglichsten Mucken... also dies Fugenkratzen in Duschkabinen mit Spachtel oder Schraubendreher, Fingernägel auf Tischen...etc .... kommt mir viel sinnlicher bzw. „somatischer“ rüber, als seine anderen beiden Quartette... Gran Torso ist einer meiner Lieblingslachenmänner..
    ..auch vom Verlauf bzw. „Dramaturgie“ der Mucke wirkt Gran Torso eingängiger/"übersichtlicher"..
    aber das ist höchst subjektiver Lachenmann-Mucken-Eindruck ..

    Neben den supertollen Jacks quälte auch Asasello am 02.07.11 in Kölle richtig geilen Gran Torso.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ich bin wahrscheinlich zu sehr und zu lange dem Belcanto verfallen, um das Gestammel, Ächzen, Stöhnen, Bellen ( sic! ) und Kreischen des " Got Lost - Liederzyklus" goutieren zu können, den ich vor ein paar Jahren live in Bad Wildbad durchlitten habe. Nach Berg und Zimmermann hört`s bei mir auf. Und damit muss ich leben...Irgendwie jedoch beneide ich Euch Lachenmann-Versteher!

    Ciao. Gioachino :hide:

    miniminiDIFIDI

  • Und damit muss ich leben

    musste nicht, wenn du's nicht möchtest...

    .. vielleicht wäre reine Instumental-Mucke ein leichterer Lachenmann-Zugang, als Got Lost
    .. z.B. sein Streichtrio (das kommt noch nicht so ganz typisch lachenmännisch rüber, aber dennoch geil ) oder seine Quartette...
    .. prinzipiell halte ich Lachenmann-Mucke für weniger sperrig als z.B. Mucke B.A.Zimmermanns, Bergs Kammerkonzert oder Schönbergs Violinkonzert.....

    Irgendwie jedoch beneide ich Euch Lachenmann-Versteher!

    Schumanns Liederkreis oder Sinfonische Etüden sind mir nicht minder rätselhaft. Verstünde ich Lachenmann-Mucke, würde sie mich nicht interessieren..

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ja, Amfortas, rätselhaft sind Schumanns Liederkreis op. 39 oder dessen Es-Dur Klavierquintett ganz gewiss, dazu aber auch s c h ö n!
    Nicht, dass ich im 19. Jahrhundert hätte leben wollen, mit der Musik jener Epoche allerdings schon.
    Darüber darfst Du gern lachen, Mann! :wut2:

    Ciao. Gioachino :o:

    miniminiDIFIDI

  • s c h ö n

    Ja, Amfortas, rätselhaft sind Schumanns Liederkreis op. 39 oder dessen Es-Dur Klavierquintett ganz gewiss, dazu aber auch s c h ö n!

    ...und dabei kommts drauf an, wie mit dem Begriff Schönheit - und was alles so darunter fällt - operiert wird (wurde bereits mal im Musik-oder-kakophonie-thread erörtert). Deine Wertschätzung eben auch der Mucke Alban Bergs und B.A. Zimmermanns bildet doch klaren Hinweis, dass Schönheit sich nicht auf unveränderliche Kriterien oder Stile festnageln lässt, sondern prozessual sich entfaltet.

    Zu Verdeutlichung dazu zwei - mir ganz besonders nahe - Beispiele aus Schumanns Liederkreis
    http://www.youtube.com/watch?v=G2yvo3VoAGQ“
    http://www.youtube.com/watch?v=Q-rTDYSdrFs“

    wenn ich hierzu posten würde, dass ich beide Lieder ausschließlich des Wohlklangs der Gesangslinie wegen als schön erlebe, dann würdest du mit Recht einwenden, dass mit dieser einseitigen Haltung man dem Liederkreis nicht gerecht werden würde, sondern diesen auf bloß gefällig-galantes Reinziehn verkleinerte und zudem noch der Klavierpart unterm Tisch fiele ...

    Nun ein Beispiel aus Bergs Wozzeck:
    http://www.youtube.com/watch?v=FUTFQuOezpk“
    1:16:05
    nachdem Wozzeck Marie abgestochen hat, kommen vom Orchester wieder diese Quinten rüber und dann als ungeheuerliches Zwischenspiel und auch quasi als Kommentar ein beklemmendes Crescendo vom H bekräftigt durch unbarmherzige Trommelschläge, nach dem 2. Crescendo plötzlich ein voll krasser Film-Cut zur Kneipe.. der gesamte Wozzeck besteht für mich durchgängig (also in jedem kleinsten Augenblick) aus sog. „schönen“ Stellen, gilt eigentlich für alle geile Mucke.

    Also will sagen, die Wozzeck-Mucke ist doch auch schön, aber Schönheit kommt da in anderer Gestalt/Form/Ausdruck rüber als in Schumanns op. 39.................

    Manche zeitgenössische Komponisten legen durchaus auch Wert auf gesangliche und lyrische Elemente, wie z.B. im fetzigen Cellokonzert vom späten Dallapiccola:
    http://www.youtube.com/watch?v=_hFj0B4jip4“
    Megageil also „schön“ bei Dallapiccola das Cello im Zusammenspiel mit Orchester ...

    Oder Bernd Alois Zimmermanns Solokantate ‘Omnia Tempus Habent”
    http://www.youtube.com/watch?v=6y5kUbVufAs”

    Kantatentext aus der Vulgata:
    http://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/biblia-sacra-vulgata/lesen-im-bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/21/30001/39999/ch/f182a2e60a496952f249dc6eef928161/”

    Übersetzung:
    http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel-1984/bibeltext/bibelstelle/pred3,14/”

    ich halte Bazis Solokantate für sperriger als Lachenmann. Jedoch die ausdrucksvolle Behandlung der Singstimme innerhalb strenger Gefugtheit dieser Bazi-Mucke könnte für dich nachvollziehbar sein; und damit die Kantate in ihrer Strenge. Strenge bildet beim Reinziehen großen Reiz und ist damit auch Bestandteil von Schönheit.

    Oder der höchst expressive Sopran-Part - gleichsam mit offenen Visier - in Nonos ‘Como una ola de fuerza y luz’ (für Orchester, Klavier, Tonband und Sopran):
    http://www.youtube.com/watch?v=BY4iCqLYMWU”
    ab 2:30
    und ab 6:33 der mitreißende Einsatz des Klaviers...
    Text (und Erläuterungen): „http://www.toddtarantino.com/hum/nono.html“

    Dallapiccolas oder Nonos Mucke wäre dir vermutlich näher, als Lachenmanns „Geräuschpissereien“ (Zitat Edwin), weil beide Italiener auch Wert auf sanglichen, lyrischen Ausdruck legen ...

    Ich erlebe allerdings Lachenmanns Geräuschpissereien auch als schön....

    Die ebenfalls auch höchst anschauliche/unterhaltsame Metapher von Berndt (Arundo Donax) zur Lachenmann-Mucke ist mir leider nicht mehr komplett auf Schirm...

    Nicht, dass ich im 19. Jahrhundert hätte leben wollen, mit der Musik jener Epoche allerdings schon.

    Ich will beides...Gegenwart und sog. Tradition ...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ich gebe Dir Recht : SCHÖN greift zu kurz. Got Lost geht mich nichts an, weil mich die Musik nicht berührt, sondern ärgert. Bergs Wozzeck hingegen trifft mich mitten ins Herz, nein : in den Bauch, wo ich Musik grundsätzlich verorte. Das ist auch der Grund, weshalb ich z. B. den sinnlichen Händel über den verkopften Bach stelle, womit ich mich als Banause oute. Aber damit kann ich leben, gut sogar.

    Ciao. Gioachino :wink:

    miniminiDIFIDI

  • Liebe Leute, ich habe diesen Thread eigentlich eröffnet, um über Helmut Lachenmann zu diskutieren. Über Schönheit, Neue Musik, J. S. Bach u. a. m. gibt es doch bereits schon andere Baustellen...

    :S

    (Deshalb sind einige Beiträge vor und nach diesem hierher ausgegliedert worden, wo man über Schönheit, Neue Musik, J. S. Bach u. a. m. weiterdiskutieren darf. Hier bitte weiter mit Lachenmann! - Areios)

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Einen interessanten Einführungstext in die Ästhetik und musikalische Denkweise Lachenmanns hat Hans Peter Reutter (Professor für Musiktheorie in Düsseldorf) geschrieben:

    "http://www.satzlehre.de/themen/lachenmann.pdf"

    Eine Aufführung des im Text ausführlich analysierten Stücks "Mouvement" kann man hier hören - und auch sehen. (Letzteres ist aufschlussreich, wenn man sich für die eingesetzten Spieltechniken zur Erzeugung der verschiedenen "Sounds" interessiert):


    "

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    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Danke, lieber EinTon, für den Lesehinweis! Werde dem gelegentlich gern nachgehen.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Hi,

    unter folgendem Link verbirgt sich "Proms 2013: Helmut Lachenmann – Tanzsuite mit Deutschlandlied (UK Première) " im Flac-Format zum kostenlosen Download. Es spielen das Arditti Quartet und das Bamberg Symphony Orchestra unter Jonathan Nott.

    "http://5against4.com/2013/07/16/pro…ed-uk-premiere/
    Auch zum Reinhören bei YT: "

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    Helli

  • Ich möchte auf das zur Zeit laufende Festival "musica" in Strasbourg, hinweisen, das zeitgenössischer Musik gewidmet ist. In diesem Jahr wird hier auch einiges von Lachenmann gespielt.

    Am kommenden Donnerstag kann man hier z.B. das Stück "Mouvement (- vor der Erstarrung)" live hören, gespielt vom Ensemble Linea:

    "http://www.festivalmusica.org/manifestation/1565/ensemble-linea"

    Am 3.10 kann man "Tableau" hören, gespielt vom WDR Sinfonieorchester Köln:


    "http://www.festivalmusica.org/manifestation/…adio-de-cologne"

    zwischen nichtton und weißem rauschen

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