Infiziert durch einen Experten, vor ein paar Tagen, München, Beck am Rathauseck...
Gran Torso, die erste Musik für Streichquartett, entstand ja 1971/72 und wurde 1978 noch einmal revidiert. Ausgangspunkt, so Lachenmann in seinen Erläuterungen die man im Booklet der Aufnahme des Arditti String Quartets lesen kann, ist die Energie bei der Klangerzeugung, „klingend, rauschend, gehaucht, gepresst“. Das traditionelle Quartettspiel ist nur mehr eine Variante. In diesem Booklet findet sich auch eine von Martin Kaltenecker verfasste Verlaufsbeschreibung des Werks. Habe mich entschieden, sie zwar vor dem Hören durchzulesen, dann aber beim Hören selbst nicht als Anhaltspunkt zu verwenden. Wollte damit auch das Vorurteil hinterfragen, Musik wie diese sei willkürlich, zu gewollt, mehr konstruiert als inspiriert. Insofern – gerne auf die Suche nach der Spiritualität darin, nach der Dimension jenseits des Originellseinwollens.
Beginne mit der Aufnahme des Arditti String Quartets (CD Kairos 0012662KAI, aufgenommen im Beethovenhaus Bonn, 26. bis 28.6.2006): Geräuschmusik also. Außermusikalische Assoziationen wollen sich bei mir zunächst nicht einstellen. Der Verlauf entwickelt sich aber spannend, keineswegs langatmig. Je länger die Musik dauert, desto intensiver gewinnen die Momente der Stille (der erste, nach etwa einer Minute, kommt noch ziemlich „plakativ“) zwischen und hinter den Geräuschen an Gewicht. Die spannendste Passage, in der Mitte des beim Arditti String Quartets 23:04 Minuten langen Werks, erzeugt eine Klangfläche wie eine Mischung aus Besenkehren des Putzdienstes und ständigem sanftem Hauchen, eine Harmonie verströmende Passage von ganz eigenem Reiz. Gegen das Ende hin wechselt die Stimmung in Richtung Geräuschparodie oder Gruselkabinett. Und ganz zum Schluss fesselt wieder dieser Kontrast zwischen Geräuschpunkten und völliger Stille.
Es entpuppt sich für mich als ein Werk, das ich durchaus neugierig gleich ein zweites Mal höre, in der interessanterweise wie die erste Aufnahme auch vom WDR koproduzierten und bald nach der ersten entstandenen weiteren Einspielung mit The JACK Quartet vom 7.11.2008 aus dem Funkhaus Saal 2 in Köln (CD mode 267). Die Spielzeit die angegeben ist (21:38 Minuten) stimmt nicht, statt kürzer ist diese Aufnahme länger, nämlich 24:15 Minuten. Mag sein man ist nun eingehört und empfindet es deswegen, aber diese Aufnahme erscheint mir plastischer, lebendiger gegenüber der vielleicht distanzierteren, analytischeren, intellektuelleren Arditti String Quartet Aufnahme.
Bin nun gespannt auf die beiden weiteren Streichquartette dieses Komponisten und wenn es so weiter geht ernsthaft gefährdet, mich bald endgültig nicht mehr Lachenmanns „Mann“ nennen zu dürfen sondern den armen Komponisten wohl unter die Gürtellinie schlagen zu müssen.
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