SUPPÉ: Boccaccio – Kommentierte Diskografie
Meine Lieben,
Die 1879 uraufgeführte Operette "Boccaccio" zählt textlich wie musikalisch zu den anspruchsvollsten Werken dieser Gattung. Wahrscheinlich auch deshalb hört bzw. findet man man viel öfter einzelne Arien oder Ensembles als Gesamtaufnahmen. Zwei sind unbedingt hörenswert, die Schüchter-Einspielung von 1949 mit Rupert Glawitsch und Rita Streich sowie die Boskovsky-Version mit Hermann Prey und Anneliese Rothenberger. Doch fehlt beiden trotzdem die letzte Vollendung. Boskovsky ist bei allen anerkennenswerten Subtilitäten zu sehr akademisch und Schüchter etwas zu zahm (trotzdem möchte ich beide nicht missen!). Obwohl leider nur als großer Querschnitt zu haben, übertrifft die Interpretation von Anton Paulik die genannten Aufnahmen zumindest in einigen - wichtigen - Punkten.
Sie stammt aus einer Zeit, als Österreich noch besetzt war, worauf im Stil der Wiener Volkskomödie auch mit einigen neugetexteten Aktuell-Strophen angespielt wird. Anton Paulik, der später mehrfach zu routinierter, aber mehr oberflächlicher Interpretation neigte, bietet hier mit Chor und Orchester der Wiener Staatsoper ein Dirigat von Klasse. Anfangs nimmt er noch einige Tempi sehr schnell (später nicht mehr), bleibt aber dabei immer präzis und transparent und läßt differenziertes Hören zu. Herrliches Rubato und die richtige Mischung zwischen Schwung und Eleganz zeichnen seine Leistung aus. Sein Ensemble ist mit hörbarem Vergnügen und Engagement bei der Sache.
An erster Stelle ist Elisabeth Roon als Fiametta zu nennen (über diese Sängerin weiß ich nur, daß es nicht viele Aufnahmen von ihr gibt; sie heiratete den Schauspieler Peter Ehrlich): Eine glockenreine, sehr höhensichere und gut geführte Stimme mit perfekter Artikulation, berückendem Vibrato und jenem süßen, fast erotischen weichen Beiklang, der für die Wiener Operette so wichtig ist (Marta Eggert oder Hilde Güden besaßen ihn), aber auch einige Volksopernstars in deren goldener Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg). Waldemar Kmentt ist ihr Partner als Boccaccio und trifft den richtigen Ton zwischen Draufgängertum und schmachtendem Liebhaber, zwischen übermütigem Hallodri und geläutertem Anbeter, also sowohl sinnlich im Schmelz und kräftig-warm in der Attacke. Ihr großes Duett singen die beiden hier italienisch ("Mia bella Fiorentina" - so auch bei Schüchter, während man bei Boskovsky "Florenz hat schöne Frauen" gewählt hat; alle drei sehr schön, aber unter Paulik klingt es schönsten). Ideal eingesetzt auch Gerda Scheyrer als Beatrice. Die restliche Besetzung ist nicht weniger luxuriös, u.a. Walter Berry, Laszlo Szemere, Kurt Preger, Kurt Equiluz, Ljubomir Pantscheff, Leo Heppe usw. Tja, bei diesem Werk sind eben die besten Stimmen gerade gut genug.
Liebe Grüße
Waldi