Capriccio-Presseschau

  • Und was geschieht dann mit den gefeuerten Musikern, die 20 Jahre in einem Orchester waren und mit dem Frischfleisch nicht mehr 100pro mithalten können? Die spielen dann unter den Brücken von London?

    Nebenbei: warum haben Orchestermusiker in UK wenig Zeit zum üben?


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Danke Rosamunde für die Informationen, zumindest was die Insel angeht. Wie so oft, scheint Talent nicht die primäre Rolle zu spielen.

    Es gibt eben den Unterschied zwischen Freelance und fester Stelle. Wenn man eine feste Stelle bekommen will, muss man ein offizielles Probespiel machen. Da kann theoretisch jeder antreten und Talent sollte entscheiden.
    Aber wenn es aber nicht hinter einem Vorhang und nicht anonym geschieht, dann können Vorurteile oder Beziehungen wieder mit in die Entscheidung eingehen. Es gibt auch schon eine Vorauslese, wer überhaupt zum Probespiel eingeladen wird. Da kann schon allerhand beeinflusst werden.

    Ich glaube, wenn mein Mann Leute einstellt, dann ist das Bewerbungsschreiben schon anonym. Kein Name, kein Geschlecht, kein Alter. Er kann also zu dem Zeitpunkt nicht diskriminieren. Aber vielleicht kommt es auch auf die Branche an.

    PS: In UK gibt es bei Orchesterstellen nach dem bestandenen Probespiel dann noch die Trial Phase, die darin besteht, dass man mehrere Proben und Konzerte oder Opern auf Freelance Basis, also ohne fest Angestellten Vertrag mitspielt. Als Streicher sitzt man dann abwechselnd neben verschiedenen Kollegen, an verschiedenen Pulten. Wenn die 3 oder 4 Konzerte oder Opern abgelaufen sind, stimmen alle, die zum Gremium gehören ab. Es geht hier um die Komponente, ob jemand in das Team passt und wie seine Arbeitsmoral ist. Hier kann also alles noch schief gehen. Es gibt auch meist mehrere Anwärter, die diese Trial Phase für dieselbe Stelle durchmachen. Nur einer schafft es dann. Manchmal bekommt niemand die Stelle.
    Nach der Trial Phase gab es bei mir noch ein Probejahr.

  • Und was geschieht dann mit den gefeuerten Musikern, die 20 Jahre in einem Orchester waren und mit dem Frischfleisch nicht mehr 100pro mithalten können? Die spielen dann unter den Brücken von London?

    Die waren ja nicht in einem Orchester. Sie waren freelance. Sie sind nicht gefeuert worden, sondern die Liste ist aufgelöst worden, bzw hat ihren Stellenwert verloren. Leider muss jeder Freelancer jederzeit damit rechnen, von der Liste zu fliegen. Im Praktischen ist das extrem hart, wenn man sich nochmal vergegenwärtigt, wie schwieirg es ist, als Freelancer Fuss zu fassen. Für diejenigen, die es diesmal erwischt hat, könnte es in der Tat end of the road bedeuten. Und deshalb hätte ich es auch nicht so ablaufen lassen, sondern ein offenes Probespiel abgehalten, sodass alle Betroffenen und alle neu interessierten sich unter relativ fairen Bedingungen bewerben können. Nun kam aber die Diversity Agenda hinzu.
    Ich möchte aber weiterhin vorsichtig sein, von meinem Sessel aus irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Wer weiss, was wirklich geschehen ist. Was in den Medien berichtet wird ist nur ein Teil der Geschichte.

    Nebenbei: warum haben Orchestermusiker in UK wenig Zeit zum üben?

    Mehrere Gründe. Man verdient weniger; man arbeitet mehr (als in Deutschland); Lebensunterhalt ist teurer; Wege zur Arbeit sind sehr lang; man ist dauernd auf Tour, was bedeutet, dass man sehr viel Zeit mit An- und Abreise verbringt. Ich war damals als Mitglied des ROH an vielen Tagen 4 Stunden mit commute to work beschäftigt. Dann 3 Stunden Probe und eine Vorstellung. Das sind schon 10 Stunden. Ausserdem: Wenn ich schon 6 Stunden am einem Tag gespielt habe, kann ich nicht noch viel üben. Es geht einfach nicht. Wenn ich dann noch Familie, also kleine Kinder habe, wird es sowieso nichts.

    in Freelance Fällen:......ein Beispiel aus meiner Zeit in den 90ger Jahren: Wenn ich in Wimbledon wohne und als freelancer eine Mucke 1 Stunde nördlich von London für eine Brahmsrequiem annehme und dafür 100 Pfund bekomme, bin ich aber fast den ganzen Tag unterwegs und kann mich gerade mal 10 Minuten vor der einen Nachmittagsprobe einspielen. Am Abend vorher war ich vielleicht in Manchester, bin also dann erst gegen 1 Uhr morgens zu hause gewesen. Kinder morgens 6.30Uhr Uhr aus dem Bett in die Schule, dann habe ich von 9 Uhr bis etwa 12 Uhr Zeit. Was mache ich? Üben, oder schlafen, Haushalt......Hm. Ich muss ja nachher noch proben und das Konzert spielen. Wenn ich schlecht spiele , werde ich nicht wieder eingeladen, fliege also von der Liste.

  • Immerhin weiss man ja zB, dass es mehr Frauen an Musikhoschulen gibt, als Männer. Aber in den Orchestern eben nicht.

    Ja, weil es in der Vergangenheit eben genau umgekehrt war: Da gab es mehr männliche Musikstudenten. Das war einfach...
    Bei heutigen Probespielen (und Wettbewerben) z.B. für Violine oder Viola nehmen mehr Frauen teil und gewinnen auch häufiger als ihre männlichen Kollegen. Das kann man ganz einfach an dem seit Jahren steigenden Frauenanteil in den entsprechenden Orchestergruppen ablesen.

  • Ja, eben, es war einfach so. Nun ist es aber an den Hochschulen schon länger als 20 Jahre anders. Irgendwann sollte es auf die professionelle Ebene durchsickern. Nur wie lange dauert so etwas? Die Statistik, die ich einstellte, fängt im Jahr 2000 an. Es sind also schon seit über 20 Jahren mehr Frauen an den Musikhochschulen. Wieso dann immer noch nicht in den Orchestern ? Ist schon bemerkenswert - Nachtrag : bemerkenswert, dass es so lange dauert.

    Aber ob es an Diskrimination liegt, weiss ich nicht. Es können andere Dinge wie Kinderkriegen eine Rolle spielen. Nur müsste man sich dann fragen, warum Familie Frauen vom Orchesterberuf fernhält. Es kann alles "freiwillig" sein, oder aber mit dem individuellen Rollenverständnis einer Frau zu tun haben. Weites Feld......

  • Die Statistik, die ich einstellte, fängt im Jahr 2000 an. Es sind also schon seit über 20 Jahren mehr Frauen an den Musikhochschulen. Wieso dann immer noch nicht in den Orchestern ? Ist schon bemerkenswert - Nachtrag : bemerkenswert, dass es so lange dauert.

    Aber ob es an Diskrimination liegt, weiss ich nicht. Es können andere Dinge wie Kinderkriegen eine Rolle spielen. Nur müsste man sich dann fragen, warum Familie Frauen vom Orchesterberuf fernhält. Es kann alles "freiwillig" sein, oder aber mit dem individuellen Rollenverständnis einer Frau zu tun haben. Weites Feld......

    Die Zahl der Studenten an den Hochschulen sagt gar nichts aus, weil es ja neben der Orchesterausbildung noch viele andere Studiengänge gibt. Auch die Differenzierung nach "Instrumentalisten" in der Statistik hilft nicht, weil darunter auch Pianisten, Organisten, Akkordeonisten usw. zählen. Die einzig relevante Statistik wäre die der männlich-weiblichen Bewerber im Vergleich zu den Gewinnern der Probespiele, und das auch noch nach Instrumenten getrennt. Solche Daten haben wir aber nicht. Alles andere ist Kaffesatzleserei.

  • Es ist schon erstaunlich, was für Kollateralschäden so eine Pandemie und der Lock-Down mit sich bringen.

    https://www.berliner-zeitung.de/news/cancel-cu…ke-um-li.182727

    :neenee1:

    Soll das so weitergehen? Sollen ... zum Beispiel ... alle literarischen Schätze der Vergangenheit auf diese Weise durchforstet und verbogen werden?

    So wird, was an der so genannten "politischen Korrektheit" seinen Sinn hatte und hat, auf jeden Fall zunichte gemacht. Ganz zu schweigen, dass die Verantwortlichen in ihrer Dummheit genau das gar nicht mehr zu bemerken scheinen.

    Ich fasse es nicht und möchte mich eigentlich noch deutlicher ausdrücken als Wieland. Für mein geistiges Wohlbefinden ist es auf jeden Fall besser, wenn ich mich mit diesen Dingen erst gar nicht mehr konfrontiere.

    Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Es ist schon erstaunlich, was für Kollateralschäden so eine Pandemie und der Lock-Down mit sich bringen.

    https://www.berliner-zeitung.de/news/cancel-cu…ke-um-li.182727

    :neenee1:

    Ich merke immer mehr, dass ich als alter Mensch dem Politisch-Korrekten nicht mehr folgen kann. Man will ja gerne, aber die Entwicklung überrennt einen. Was spricht denn nun gegen 'eingeborene', 'dunkelhäutig', 'afrikanisch', 'indisch' oder 'Knabe'? Man möchte so gerne up-to-date bleiben, aber ich schaffe es einfach nicht. Ich befürchte, ich brauche dringend eine App, die mir z.B. einen Stromschlag versetzt, wenn ich mich politisch unkorrekt ausdrücke. ^^

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Soll das so weitergehen?

    Aus dem Nigger wird ein Niemand . Die Erzählung : 'Der Nigger von der Narcissus' von Joseph Conrad heißt jetzt in einer völlig überflüssigen Neuübersetzug ;'Der Niemand von der Narcissus' . Ich dachte bisher , Creutzfeldt Jakob bräuchte ein Hirn .

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Aus dem Nigger wird ein Niemand . Die Erzählung : 'Der Nigger von der Narcissus' von Joseph Conrad heißt jetzt in einer völlig überflüssigen Neuübersetzug ;'Der Niemand von der Narcissus' .

    Was ja eine völlig andere Bedeutung hat. Unabhängig von dem Eingriff in ein Kunstwerk, wird hier etwas aufgrund sogenannter PC inhaltlich verfälscht. Der 'Nigger', so wie er gebraucht wird, sagt nämlich unendlich viel aus, der 'Niemand' dahingehend wirklich gar nichts.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Diese eifernden Gehirnakrobaten haben ungemein viel Zeit, jene neue modische Glattbügelei allumfassend durchzusetzen. Die Welt war noch nie vollkommen gerecht und wird es nie sein. Wenn man aber alles derzeit geschichtlich Unangenehme nachträglich tilgt, um eine angenehme Wohlfühlkorrektheit zu erreichen, vergisst man irgendwann, was gewesen ist - es ist schlicht perfide Geschichtsfälschung.


    Gruß
    Josquin

  • Wenn man aber alles z. Z. geschichtlich Unangenehme tilgt, um eine angenehme Wohlfühlkorrektheit zu erreichen, vergisst man irgendwann, was gewesen ist - das ist schlicht perfide Geschichtsfälschung.

    :top:

    'Wohlfühlkorrektheit' ist ein schönes, treffendes Wort.

    Man ändert die Begrifflichkeit, aber leider nicht das Verhalten, weil Ersteres anscheinend ausreicht. Aber jetzt gleite ich wohl langsam ins Politische ab. Von daher lieber Schluss. ;)

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Medien- und Journalistenpreise der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 2021

    Berlin, 29. September 2021. Der Medienpreis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung des Jahres 2021, dotiert mit 5000 Euro, geht an den Wissenschaftspublizisten Thomas de Padova aus Berlin für die herausragende Darstellung von Mathematik in seinen Publikationen, insbesondere in seinem Werk „Alles wird Zahl – wie sich die Mathematik in der Renaissance neu erfand“. Journalistenpreise mit einem Preisgeld von je 1000 Euro bekommen dieses Jahr Manon Bischoff aus Darmstadt für ihre fundierten Artikel zu mathematischen Themen, publiziert in der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“, und der freischaffende Hörfunkjournalist Aeneas Rooch aus Bochum, der mathematische Themen in Hörfunk-beiträgen unterhaltsam für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufbereitet, zum Beispiel für den Westdeutschen und den Südwestdeutschen Rundfunk.

    [...]
    Den DMV-Medienpreis, dotiert mit 5000 Euro, gibt es für herausragende Leistungen bei der Vermittlung und Popularisierung von Mathematik. Der diesjährige Preisträger Thomas de Padova, Jahrgang 1965, hat Physik und Astronomie studiert. Nach seiner Zeit als Wissenschaftsjournalist beim Berliner Tagesspiegel verfasste de Padova mehrere populärwissenschaftliche Bücher mit inhaltlicher Nähe zur Mathematik. Die Jury überzeugte er insbesondere mit seinem neuen Buch „Alles wird Zahl – wie sich die Mathematik in der Renaissance neu erfand“, das dieses Jahr im Carl Hanser Verlag erschienen ist.Manon Bischoff, geboren 1990, hat an der TU Darmstadt (theoretische) Physik studiert. Sie hat ihr wissenschaftsjournalistisches Handwerk in Heidelberg bei der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“ gelernt, wo sie seit 2019 Redakteurin ist. Sie schreibt häufig über mathematische Forschung und bekommt den diesjährigen Journalistenpreis speziell für ihren Artikel „Welcher Knoten hält am besten?“ zu einem Problem der Knotentheorie, erschienen in Spektrum der Wissenschaft im Juni 2020.
    Aeneas Rooch, Jahrgang 1983, hat Mathematik und Physik studiert und in Wahrscheinlichkeitstheorie promoviert. Er arbeitet in der Softwarebranche und ist als freier Fachjournalist für Naturwissenschaften und Technik tätig. Eines seiner Sachbücher wurde zum SPIEGEL-Bestseller. Die Jury lobte seine Hörfunkbeiträge und Podcasts zur Mathematik als fundiert und originell und zeichnet Rooch speziell für seinen Beitrag zur „Spanischen Weihnachtslotterie“ aus, gesendet am 20. Dezember 2019 auf WDR 5.

    Gibt es hier nicht gewisse Relationen zu einem unserer geschätzten Mitglieder? :fee:

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Hatte Beethoven afrikanische Wurzeln?

    Das wäre natürlich super: Dann könnte ich unzählige Fördertöpfe für PoC-Komponisten anzapfen Wenn sich dann noch herausstellen sollte, dass er schwul, bi- oder transsexuell, oder quer gewesen ist, dann wird sich ein warmer Geldregen über mich ergießen.

  • Zitat von ChKöhn

    Fördertöpfe für PoC-Komponisten

    Gibt’s solche Fördertöpfe für PoC-Komponist:innen tatsächlich oder war das Polemik? Dieses Posting erfolgt aus unschuldigem Interesse.

    Adieu
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!