Daniil Trifonov - eine "singuläre Erscheinung am musikalischen Sternenhimmel"?
Vorletzte Woche stieß ich in der ZEIT auf eine Anzeige der Deutschen Grammophon, in welcher auf der linken Seite die "Complete Recordings" von Martha Argerich beworben wurden mit dem Satz "Keiner kann ihr das Wasser reichen!". Rechts davon stand in dieser Anzeige allerdings: "Oder vielleicht doch?". Neben diesem Satz erschien das Cover der jüngsten Rachmaninow-CD von Daniil Trifonov. Ist das nur Marketing-Lobhudelei, oder ist da vielleicht was dran?
Helmut Maurò von der Süddeutschen Zeitung hat sich festgelegt. Er bescheinigte in mehreren Jubelkritiken diesem jungen Pianisten "unerhörte Fähigkeiten" und "atemberaubende Fingerfertigkeit ", nennt ihn "Magier", "Klaviergenie" und "singuläre Erscheinung am musikalischen Sternenhimmel". Er scheute sich auch nicht, Trifonov in Beziehung zu setzen mit anderen Größen dieses Fachs, indem er z.B. in der Süddeutschen Zeitung vom 13. Mai 2013 behauptete, Trifonov habe "Altmeister Alfred Brendel das Staunen gelehrt", und das Ganze kulminiert dann in folgendem Satz in der Süddeutschen Zeitung vom 4. August 2012:
ZitatEr ist der unglaublichste Pianist, den man hören kann. Vergesst Horowitz, möchte man rufen, vergesst Pollini, Brendel, selbst Kissin und alle anderen erst recht
Wer ist dieser junge Pianist, der offenbar hausintern bei der Deutschen Grammophon Yuja Wang mächtig Konkurrenz macht? Ist er so gut, wie getan wird, und ist er womöglich gar besser als Vladimir Horowitz, Maurizio Pollini, Alfred Brendel und Jewgenij Kissin, was ja nun wahrlich eine ziemlich steile These ist?
Daniil Trifonov wurde am 5. März 1991 in Nischni Nowgorod geboren, ist also 24 Jahre alt. Seine Eltern sind beide Berufsmusiker, sodass er bereits früh im Elternhaus mit klassischer Musik in Kontakt kam. Er durchlief eine klassische Pianistenausbildung, studierte dann an der Gnessin-Musikakademie in Moskau bei Tatjana Zelikman (2000-2009) und anschließend (ab 2009) bei Sergej Babayan am Cleveland Institute of Music. Im Alter von 8 Jahren (!) gewann er den Ersten Preis beim Moskauer Artobolevskaya Wettbewerb für junge Pianisten (1999). Im Jahre 2003 errang er den Großen Preis beim Moskauer Internationalen Fernsehwettbewerb für junge Musiker. Es folgten Preise beim Kammerensemblefestival in Moskau (2005 und 2007), beim Festival der Romantischen Musik für junge Musiker in Moskau (2006) und beim 5. Internationalen Chopin-Wettbewerb für junge Musiker in Peking (2006). 2007 gewann Trifonov den Fünften Preis beim 4. Internationalen Scriabin-Wettbewerb in Moskau und den Dritten Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb in San Marino, wo er auch den Spezialpreis für die beste Wiedergabe einer Komposition von Chick Corea errang. Es schloss sich eine rege Konzerttätigkeit an, u.a. spielte er beim Eröffnungskonzert des Internationalen Klavierfestivals in Triest sowie beim Eröffnungskonzert der Wiener Festwochen (übertragen von der Eurovision). 2009 folgten Tourneen durch Italien und durch die USA. Im Mai 2009 debütierte er bereits - gerade mal 18-jährig - in der Carnegie Hall. 2010 gewann Trifonov den Dritten Preis sowie den Spezialpreis des Polnischen Rundfunks für die beste Wiedergabe einer Chopin-Mazurka beim XVI. Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau. Im Dezember desselben Jahres nahm er in Danzig sein erstes Album auf, nämlich mit dem Chopin-Klavierkonzert Nr. 1 in einer Bearbeitung des Dirigenten Wojciech Rajski, der auch am Pult dieser Einspielung stand, für Klavier und Streichorchester. Auf dem Programm stehen ferner vier Chopin-Werke für Klavier solo, nämlich die Barcarolle, die Tarantella und zwei Impromptus:
2011 erfolgte dann endgültig der Durchbruch dieses Pianisten. Innerhalb weniger Wochen gewann er zunächst den Ersten Preis beim Artur Rubinstein-Klavierwettbewerb in Tel Aviv (dort errang er gleichzeitig den Publikumspreis und den Pnina Salzman Preis für die beste Wiedergabe eines Chopin-Stücks) und dann schlussendlich den Ersten Preis sowie den Publikumspreis beim XIV. Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Ein Tschaikowsky-Wettbewerbsgewinner muss natürlich das Klavierkonzert Nr. 1 aufnehmen, und dies tat Trifonov auf diesem Album:
Weitere Alben mit Trifonov sind diese:
(beim Carnegie Hall-Recital auf DG handelt es sich um einen Mitschnitt vom 5. Februar 2013 und damit nicht - wie fälschlicherweise im Booklet dieser CD sowie auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite behauptet - um Trifonovs Carnegie Hall-Debüt. Dieses fand bereits im Mai 2009 statt, s.o.). Jüngst erschien außerdem ein DG-Album, das außer drei Rachmaninow-Variationszyklen zudem eine eigene Komposition von Trifonov enthält:
Es existiert auch ein Film von Christopher Nupen über Trifonov, erhältlich auf dieser DVD:
Eigene Eindrücke über Trifonov aus dem Konzertsaal kann ich noch nicht schildern, da ich ihn erstmals am 4. Februar 2016 in der Hamburger Laeiszhalle erleben werde. Was ich jedoch mehrfach gesehen habe, ist der Mitschnitt eines Klavierabends aus dem Maurice Ravel-Auditorium in Lyon aus dem Jahr 2014, der auf 3Sat ausgestrahlt wurde. Trifonov spielte nach einer Liszt-Transkription von Bachs BWV 542 und Beethovens letzter Sonate op. 111 (beides mit Jackett) die kompletten Douze Etudes d' exécution transcendantes von Franz Liszt (ohne Jackett) - und das war pianistisch der Hammer schlechthin. Eine der besten Klavieraufführungen, die ich in den letzten Jahren gesehen bzw. gehört habe. Einfach begeisternd!
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