Daniil Trifonov - eine "singuläre Erscheinung am musikalischen Sternenhimmel"?

  • vielleicht sollte Trifonov zur Vermeidung des Virtuosenstempels einen ähnlichen Weg beschreiten wie Arcadi Volodos. Dessen Deutung der pianistisch eher simplen Werke von Mompou ist überirdisch.

    Volodos hat auch schon vor dem Mompou-Album dem Virtuosenstempel entgegengewirkt, indem er z.B. bei seinem ersten Hamburger Klavierabend Schuberts so gut wie nie gespielte unvollendete Sonate E-Dur DV 157 auf das Programm setzte. Schubert war es auch, der mir - worauf ChKöhn dankenswerterweise bereits hingewiesen hat - am besten beim Trifonov-Klavierabend gefiel. Es würde mich interessieren, ob unter den Capricii jemand beim Stuttgarter Recital zugegen war, wo er Schuberts Sonate op. 78 spielte. Wie war sein Schubert dort?

    MBs selektives Lesen meiner kleinen Konzertrezension wundert mich, habe ich dort doch ausdrücklich gerade nicht nur die rein technische Meisterschaft Trifonovs gelobt:

    Er hatte beide Werke geradezu atemberaubend interpretiert, ihre technischen Schwierigkeiten gemeistert und dazu noch Klangwunder geschaffen, wie insbesondere ein glockenspielartiges Klingeln beim Liszt aus dem Flügel herauszuzaubern, das ich überhaupt noch nie vorher wahrgenommen habe.

    Gelobt habe ich ferner die Architektur seines Programms, die mir sinnfällig wie selten erschien. Ein Schmarrn wie "möglichst viele Tasten in möglichst kurzer Zeit drücken, sodass man am besten gleich Cluster spielen sollte" war natürlich von MB nicht ernst gemeint. Pianistik besteht für mich zuallererst in dem Hervorrufen von Klängen, in dem Herstellen eines bestimmten Tons, einer spezifischen klanglichen Atmosphäre. Das gelang Trifonov so meisterlich, dass ich ganz bewusst von "Klangwundern" sprach. Aber wenn schon solch hochvirtuose Brocken auf dem Programm stehen, muss man natürlich auch die rein manuellen Anforderungen bewältigen. Ich habe es z.B. damals nicht verstanden, warum Swjatoslaw Richter im hohen Alter, von seiner Herzkrankheit schwer gezeichnet, immer noch seine Auswahl aus Liszts Douze Etudes d'exécution transcendante (Nr. 1, 2, 3, 5, 7, 8, 10 und 11) auf Konzertprogramme setzte und sogar deren Mitschnitte authorisierte, obwohl er den rein technischen Anforderungen mancher Nummern nicht mehr gerecht zu werden vermochte. Aber solange man noch im Vollbesitz seiner manuellen Kräfte ist und auch enormste Anforderungen bewältigen kann - wie es zweifellos bei Trifonov oder bei Wang oder bei Berezowsky oder bei Hamelin oder bei Kissin oder bei Volodos oder bei Li oder bei punktpunktpunkt der Fall ist -, dann sollte man sich diesen Werken ruhig stellen, ohne dass das einem gleich wieder - wie ChKöhn zurecht bemerkt - zum Vorwurf gemacht wird. Wann soll man denn die Douze Etudes d'exécution transcendante spielen, wenn nicht im noch einigermaßen jungen Alter (ich habe sie mal vom noch minderjährigen Dimitris Sgouros - oder war er gerade eben volljährig geworden sein? Mag sein - in der Hamburger Musikhalle beeindruckend live erlebt)?

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Trifonov ist exzellent im schichten von Klangebenen (...) Bei Trifonov ist aber so viel mehr. Er kann mittlerweile fast tot-gespielte Werke neu aufleben lassen, einen frischen Interpretationsansatz finden und (vielleicht das Wichtigste) sein Spiel unterscheidet sich ganz einfach von dem anderer Pianisten, wenn man sein Alter bedenkt. Und genau das ist für mich wahres Können

    Das hast Du sehr schön beschrieben, lieber Tichy.

    Trifonov als Kammermusiker - mit Leonidas Kavakos - kann man übrigens in diesem Mitschnitt vom Verbier Festival 2014 erleben:
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    Eine mir persönlich bisher unbekannte Seite dieses Musikers. Eusebius hatte etwas weiter oben allerdings schon von einem Konzert mit Trifonov und Kavakos berichtet:

    Allerdings hatte ich vor einiger Zeit per Zufall auf Arte in ein Konzert gezappt, wo er zusammen mit Leonidas Kavakos die Sonate von Strauss gespielt hat. Das hat mir ausgesprochen gut gefallen. Er hat sich hier sehr zurückgenommen, und die beiden haben eine überzeugende Ensemble-Leistung geboten.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Trifonov als Kammermusiker - mit Leonidas Kavakos - kann man übrigens in diesem Mitschnitt vom Verbier Festival 2014 erleben:
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    Das ist übrigens eine ganz bemerkenswerte Aufnahme, die ich vor längerer Zeit einmal gesehen habe (gab es mal bei Arte). Besonders die Sonate von R. Strauss finde ich sehr gelungen. Der jugendliche Überschwang wird hier wunderbar wiedergegeben. So gefällt mir Trifonov ausgezeichnet. :wink1:

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Was ich jedoch mehrfach gesehen habe, ist der Mitschnitt eines Klavierabends aus dem Maurice Ravel-Auditorium in Lyon aus dem Jahr 2014, der auf 3Sat ausgestrahlt wurde. Trifonov spielte nach einer Liszt-Transkription von Bachs BWV 542 und Beethovens letzter Sonate op. 111 (beides mit Jackett) die kompletten Douze Etudes d' exécution transcendantes von Franz Liszt (ohne Jackett) - und das war pianistisch der Hammer schlechthin. Eine der besten Klavieraufführungen, die ich in den letzten Jahren gesehen bzw. gehört habe. Einfach begeisternd!

    Das habe ich gestern Abend auf ZDF Kultur gesehen und kann ganz ehrlich gesagt Deine Begeisterung nur teilweise nachvollziehen. Schon bei Bach/Liszt fand ich sein Spiel merkwürdig artifiziell, ohne innere Freiheit, mehr kalkuliert als erlebt und auch technisch überkontrolliert. Natürlich beeindruckend konsequent und mit extremem Können, vor allem in der Fuge, aber mit einer eigenartigen emotionalen Distanz, die sich bis zum eher wirkungslos verpufften Schlussakkord durchzog.
    Beethoven fand ich dann am wenigsten gelungen: Der erste Satz zwar vordergründig "dramatisch", aber wieder zu unfrei und dadurch mit zu wenig innerer Spannung (z.B. bei den riesigen Sprüngen vor dem Seitenthema) bzw. Entspannung (beim Seitenthema selbst). Das Arietta-Thema fand ich zu wenig kantabel (vor allem zu wenig geatmet) und auch klanglich eher "normal" als "singulär" (z.B. den a-moll-Teil zu wenig vom C-Dur unterschieden). Das Problem der Ambivalenz des Auftaktes (der ja eher wie ein Volltakt klingt), hat Trifonov einfach ignoriert (oder gar nicht als solches erkannt) und spielte ihn ganz einfach volltaktig. Die Idee, die ersten vier Variationen so in einem einheitlichen Tempo zu spielen, dass auch bei den Taktartwechseln der Dreier-Grundpuls unverändert bleibt, fand ich hingegen im Prinzip gut, aber doch zu unflexibel realisiert. Vor allem der vierten Variation fehlte es dadurch an Atmosphäre, und der synkopische Rhythmus war als solcher überhaupt nicht hörbar. Die Ekstase der dritten Variation fand ich merkwürdig gebremst, die synkopischen Akzente (18 Sforzati in drei Takten!) spielte Trifonov zuerst halbherzig, dann überhaupt nicht mehr. Die Trillerketten waren zu laut, der anschließende Abstieg zu gerade und erneut mit dieser etwas zwanghaften Unfreiheit. Dadurch konnte auch die anschließende Wiederkehr des Themas nicht so richtig zur Wirkung kommen. Die folgende Steigerung gefiel mir dann im Prinzip gut, allerdings überspielte er einiges von der vorgeschriebenen Dynamik (vor allem die immer wiederkommenden plötzlichen p-Einschübe). Insgesamt trotzdem keine wirklich "schlechte" Darstellung, aber eine, wie man sie hundertfach hören kann.
    Ganz in seinem Element war Trifonov dann natürlich bei den Liszt-Etüden. Das ist eine wirklich außerordentliche Leistung, diesen extrem schweren Zyklus mit solcher Risikobereitschaft und solchem Können live zu spielen, und zwar nicht nur mit schierer Brillanz sondern auch mit Klangfarbenreichtum. Hier gab er auch endlich etwas diese "Überkontrolle" auf, die den Abend bis dahin für mich durchzogen hatte. Es ist ja gut, wenn jemand genau weiß, was er will (und noch besser, wenn er das dann auch noch realisieren kann :) ) , aber das größte künstlerische Erlebnis stellt sich für mich doch erst dann ein, wenn er das mit der Risikobereitschaft verbindet, im Moment des Konzertes zu vergessen, was er wollte und es dadurch quasi neu entstehen zu lassen. Diesen Eindruck hatte ich bei Trifonov in diesem Konzert nur nach der Pause.


    Christian

  • Da schließe ich mich vorsichtig an. Die Fantasie, ok, der romantische Ansatz liegt wohl schon in der Bearbeitung, aber die Fuge ... irgendwann hat mich das permanente non-legato genervt.

    Dem Beethoven konnte ich nicht viel abgewinnen. Nicht schlecht, keine Frage, aber gestalterisch fand ich es nicht überwältigend, vorsichtig gesagt. Ohne es jetzt so differenziert wie Christian sagen zu können.

    Aber der Liszt war schon großartig und war das Sehen wert. Das ist wohl sein Ding ... auch die Zugabe fand ich klanglich spektakulär.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Die DG hat für den 7. Oktober 2016 ein neues Doppelalbum von Daniil Trifonov angekündigt:

    Ausweislich dieses Artikels
    http://www.klassikakzente.de/daniil-trifono…ov-angekuendigt
    werden auf dem neuen Album nicht nur die Études d'exécution transcendantes von Franz Liszt zu hören sein, sondern auch dessen Grandes Études de Paganini, welche Trifonov bei seinen Deutschland-Recitals im Februar 2016 dargeboten hat.

    Vorbestellbar ist das Album bei Amazon. Bei jpc hat man (Stand heute) offenbar noch nichts von dieser Neuerscheinung mitbekommen.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Gestern und noch einige Tage nachhörbar

    Live at BBC Proms: The Staatskapelle Dresden, chief conductor Christian Thielemann and pianist Daniil Trifonov perform Mozart's Piano Concerto No.21 and Bruckner's Third Symphony.
    Live from the Royal Albert Hall, London
    Presented by Tom Service
    Mozart: Piano concerto No.21 in C, K467

    Man findet es hier: http://www.bbc.co.uk/radio/player/b07sxtbm

    Ich fand den Mozart wirklich gelungen! Allerdings "Old School" Zugriff mit vollem Orchestersound bei Thielemann. Gestört hat mich das kein bißchen.
    Trifonov fand ich sogar ausgezeichnet, (allerdings welche Kadenzen er da spielte? Vielleicht hilft mir da jemand auf die Sprünge?...)
    Ah, gut wenn man die Ansagen noch mal hören kann. Er spielt im 1. und 3. Satz eigene Kadenzen.

    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Er spielt im 1. und 3. Satz eigene Kadenzen.

    Das ist interessant! Endlich einmal jemand, der sich von dem üblichen Kadenzen-Einerlei abhebt und was Neues macht.

    Laut der aktuellen Ausgabe des Gratishefts "Concerti" (Ausgabe Hamburg, S. 10 ff.) hat Trifonov beim diesjährigen Verbier Festival ein eigenes Klavierkonzert präsentiert. Seine Aktivitäten als Komponist lässt er sich also trotz steiler Karriere als Pianist auch nicht nehmen. Man muss sich immer vor Augen halten, dass er erst 25 ist.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Laut der aktuellen Ausgabe des Gratishefts "Concerti" (Ausgabe Hamburg, S. 10 ff.) hat Trifonov beim diesjährigen Verbier Festival ein eigenes Klavierkonzert präsentiert.


    Voilà: => "

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    Liebe Grüße,
    Berenice

    Colors are like music using a short cut to our senses to awake our emotions.

  • Ich danke Dir sehr herzlich für diesen Link, liebe Berenice! Diesen Mitschnitt kannte ich noch nicht. Man sollte eben öfter mal bei YT hineinschauen...

    Die Zugabe nach dem Klavierkonzert ist ebenfalls eine Eigenkomposition Trifonovs: Er spielte einen Satz aus seiner Sonate für Klavier. In diesem Video ab 4:35 min. zu sehen und hören:
    https://www.youtube.com/watch?v=RpYp8C2nVeg

    Möglicherweise war die erste Zugabe Trifonovs bei seinem Hamburger Recital am 4. Februar 2016 ebenfalls ein Satz aus dieser Sonate:

    Trifonov quittierte den frenetischen Jubel des Hamburger Publikums zunächst mit einer Miniatur als Zugabe, die ich noch nie zuvor gehört habe. War sie vielleicht von ihm selbst? Da er auch komponiert, halte ich das für ziemlich nahe liegend.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Und noch ein TV-Programmhinweis in Sachen Daniil Trifonov:

    3Sat sendet am Samstag, den 10. September ab 22.45 Uhr einen 80-minütigen Konzertmitschnitt vom Verbier Festival 2015.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (13. April 2022 um 21:54)

  • Ich danke Dir sehr herzlich für diesen Link, liebe Berenice!

    Ja, in der Tat, unsere liebe Berenice ist eine wandelnde musikalische Akasha-Chronik, und eine hochpoetische und feinfühlige obendrein! Welch ein Geschenk für das Forum! Auch ich danke ihr für den Link.

    An Trifonov fasziniert mich die unbedingte, schon fast sexuelle Hingabe an sein Medium, den schwarzen Tastenkorpus, welcher unter seinen Händen von einer Tonmaschine in einem Klangbrunnen verwandelt wird. Neben Yuja Wang, ist er mE das zweite pianistische Wunder, welches (wie sie) Musikgeschichte schreiben wird, vorausgesetzt, die Gesundheit bleibt ihm erhalten.

    Gruss aus Bern von Walter

  • Die DG hat für den 7. Oktober 2016 ein neues Doppelalbum von Daniil Trifonov angekündigt:

    Ausweislich dieses Artikels
    http://www.klassikakzente.de/daniil-trifono…ov-angekuendigt
    werden auf dem neuen Album nicht nur die Études d'exécution transcendantes von Franz Liszt zu hören sein, sondern auch dessen Grandes Études de Paganini, welche Trifonov bei seinen Deutschland-Recitals im Februar 2016 dargeboten hat.

    Vorbestellbar ist das Album bei Amazon. Bei jpc hat man (Stand heute) offenbar noch nichts von dieser Neuerscheinung mitbekommen.

    Dann schaun mer mal, ob die Studioaufnahme der "Transzendentalen" genauso hinreißend gelang wie der Live-Mitschnitt fürs Fernsehen. Bin sehr gespannt! Wegen Berman und Berezowsky ackert Trifonov freilich auf bestelltem Feld.

    Gruß
    MB

    :wink:

    [EDIT]
    Hier der Trailer der DG: https://www.youtube.com/watch?v=8Oy7lebHkDU
    [/EDIT]

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe


  • Laut der aktuellen Ausgabe des Gratishefts "Concerti" (Ausgabe Hamburg, S. 10 ff.) hat Trifonov beim diesjährigen Verbier Festival ein eigenes Klavierkonzert präsentiert. Seine Aktivitäten als Komponist lässt er sich also trotz steiler Karriere als Pianist auch nicht nehmen. Man muss sich immer vor Augen halten, dass er erst 25 ist.

    https://www.youtube.com/watch?v=KbKlBt9Cow0

    Lieber music lover

    Ich habe mir soeben das Trifonov-Konzert angehört. Respekt, Respekt!

    Ein wundervoll mystischer Beginn, fast schon eine sinfonische Exposition (die mich von der Stimmung her irgendwie an den Anfang der 2. Sinfonie von Furtwängler erinnert) wird abgelöst von Piano-Rasereien, wie sie nur ein Trifonov bewerkstelligen kann. Ich muss mir das Ganze aber nochmals anhören, um etwas wirklich Fundiertes darüber schreiben zu können. Zunächst nur so viel: man hört gerne zu, die Musik ist nachvollziehbar, sie ist dramatisch, emphatisch, hat etwas Opernhaftes. Es gibt aber durchaus auch gewisse Schwülstigkeiten, und na ja, bisweilen auch etwas "art pour l`art", virtuoser Selbstzweck halt, um nicht (unangemessen von oben herab) von gelegentlichen Längen zu sprechen. Jedenfalls liess meine Aufmerksamkeit zwischendurch immer wieder nach, wurde aber auch immer wieder geweckt. Der Stil? Das ist "Trifonov" - oder dann halt eben ein bunter Mix aus ... ach, ich schweige lieber, denn legitim ist ein solcher Eklektizismus allemal, und Trifonov findet durchaus auch neue Töne.

    Ein solch genialer Wurf, wie etwa Rachmaninoff`s Erstling op.1, ist es wohl eher nicht, aber allemal ein erstaunliches Werk eines jungen Menschen mit schier grenzenlosem Potential. Ich bin voller Bewunderung, vor allem einmal mehr für sein unbedingtes Sich-Verbohren ins Instrument. Die ersten 9 Minuten des ersten Satzes haben mich packen können, dann wird das Geschehen imho etwas leichter und mainstreamiger und gerät an den Rand zum Süsslichen (9.15-10.50). Aber warum denn nicht: die Musiker im Orchester lächeln und schmunzeln jedenfalls. Darauf folgt eine heftige fugierte Passage, welche sehr gut gemacht ist, schliesslich droht die Entwicklung gegen Ende des Satzes etwas ins Beliebige zu gleiten und kann meiner Meinung nach die stringente Logik der ersten Hälfte nicht ganz halten. Möglicherweise täte dem ersten Satz eine leichte Straffung gut, er dauert ja immerhin über 15 Minuten. Aber wer bin ich denn, so etwas anzuregen? Es war halt mein erster Eindruck. Ein zweiter und dritter mag ihn verifizieren oder nicht.

    (Auch ein Rachmaninoff hat gekürzt und gestrafft, etwa sein 4. Klavierkonzert, und damit insbesondere den dritten Satz gleichsam amputiert und ihn seines fulminanten Stretta-Schlusses beraubt - zu hören in der Aufnahme mit Sudbin/Llewellyn - zugunsten eines hollywoodesken Aufwallens. Kürzungen sind also auch nicht der Weisheit letzter Schluss und ich möchte mich explizit von meinem eigenen Vorschlag distanzieren, denn er ist letztlich ungehörig.)

    Der angemessene Respekt vor einer solchen umfassenden Künstlerschaft fordert eine unbedingte Verbeugung. Soweit meine ersten Höreindrücke zu diesem Strum-und-Drang-Werk eines Genies. Zu Satz zwei und drei kommt vielleicht später mehr von mir.

    (OT: Kann es sein, dass Stefan Arzberger am ersten Pult des Verbier Festival Orchestra sitzt? Erfreulich!)

    Gruss von Walter

  • ein erstaunliches Werk eines jungen Menschen mit schier grenzenlosem Potential. Ich bin voller Bewunderung, vor allem einmal mehr für sein unbedingtes Sich-Verbohren ins Instrument.

    Das hast Du schön ausgedrückt, lieber Walter.

    Ich habe zwei Hördurchgänge des Trifonov-Klavierkonzerts hinter mir, möchte es aber noch einige Male mehr durchhören, bevor ich etwas im www darüber schreibe. Ohne die Qualität der Komposition vorab beurteilen zu wollen, möchte ich aber jedenfalls zum Ausdruck bringen, dass ich es als eine großartige Entwicklung empfinde, dass einige Pianisten der jungen oder mittleren Generation inzwischen Wert darauf legen, sich mit ihren eigenen Kompositionen für ihr Instrument an die Öffentlichkeit zu begeben, statt immer nur Werke anderer Komponisten wiederzugeben. Die faszinierende Pianistin Gabriela Montero tat dies vor einigen Jahren mit ihrem sehr beeindruckenden Werk "Ex Patria" für Klavier und Orchester op. 1 ebenfalls:
    https://www.youtube.com/watch?v=81ogb1b-0kU
    Marc-André Hamelin und Fazil Say sind weitere Beispiele für diese schöne Entwicklung.

    Noch ein weiterer Hinweis auf ein You Tube-Video zum Thema "Trifonov plays Trifonov": Trinofov spielt seine "Rachmaniana" in dem New Yorker Club "The Greene Space":
    https://www.youtube.com/watch?v=n-ndPi…=em-subs_digest

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • ... (ich) möchte es aber noch einige Male mehr durchhören, bevor ich etwas im www darüber schreibe

    Das ist sehr weise, lieber music lover. Auch ich habe in meinem Sponti-Bericht betont, dass erst ein wiederholtes Hören ein Urteil legitimiert. Das Werk ist ja bei aller Erkennbarkeit der traditionellen Tonsprache doch ziemlich komplex. Was ich als gelegentliche Längen empfinde, ist vielleicht nur meine Unfähigkeit, die Architektur zu durchschauen, also die Länge meiner eigenen verstopften Leitung zu transzendieren ;)

    Zuerst einmal freue ich mich auf die nächsten Hördurchgänge, und dieser Umstand spricht doch schon sehr für die Qualität der Neuschöpfung. Abgesehen vom Erstaunen über die Hingabefähigkeit Trifonov`s (der übrigens einen Bösendorfer-Flügel bespielt) ist es eine Freude, dem Enthusiasmus des Dirigenten Takacs-Nagy zu folgen und sich vom Engagement des jugendlichen Orchesters anstecken zu lassen. Verbier ist schon ein feines Festival.

    Für Deine Hinweise zu Say und Montero und zu deren kompositorischem Engagement bin ich dankbar. Das ist in der Tat eine erfreuliche Entwicklung (auch wenn mir die Sachen von Say nicht so recht gefallen wollen). Das Konzert von Montereo (die ich anhimmle für ihre Improvisationskunst) kenne ich noch nicht.

    Jedenfalls wünsche ich den ForianerInnen viel Spass beim Erkunden eines durchaus bedeutsamen Klavierkonzerts der "Post-Postmoderne" (oder wie man das Ding denn benennen soll... aber vielleicht sollte man eben nicht, vielleicht sind solche Einordnungen obsolet geworden.)

    Gruss von Walter

  • Voilà:
    Gabriela Montero - Klavierkonzert "Ex Patria" => "

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    sowie ihr "Latin Concerto" (Uraufführung 20.03.2016 Leipzig) => "
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    Vielleicht hat ja einer unserer Experten Zeit und Lust, einen Thread über "composer pianists" zu eröffnen?!

    Liebe Grüße,
    Berenice

    Colors are like music using a short cut to our senses to awake our emotions.

  • Klavierabend (Frankfurt, Alte Oper, 7.10.16)

    Zu Beginn Schumanns Kinderszenen. Von fremden Ländern und Menschen hat mich schon etwas verstört: klanglich verschleiert, sehr langsam, zu den Phrasenenden jeweils zusätzlich mit einem erheblichen Ritardando versehen, so dass die einzelnen Töne der Triolen in Zeitlupe heruntertropften. Die Absicht war klar, aber das war mir dann doch zu dick aufgetragen. So etwas wiederholte sich nur im letzten Stück (wo eine solche gedankenschwere Interpretation m.E. aber besser passt), bei Kind im Einschlummern konnte ich der Klangschönheit, mit der Trifonov die verschwimmenden Harmonien geradezu zelebrierte, nicht widerstehen. Sonst viel weniger Exzentrisches, natürlich auf hohem Niveau, Träumerei erschien mir sogar exzeptionell. Das Diminuendo am Ende von Wichtige Begebenheit fand allerdings fast gar nicht statt, dabei liegt darin doch eine Pointe des Stücks, meine ich.

    Nach der brachial gespielten Schumann-Toccata, einem Stück, mit dem ich nicht soviel anfangen kann, folgten die Kreisleriana. Hier beeindruckten mich mit einer Ausnahme weniger die raschen Stücke: die spielte Trifonov natürlich mit enormer Virtuosität, das Außer-Sich-Geraten am Ende von (3) oder bei (7) habe ich aber schon exzessiver gehört. Fantastisch aber die Differenzierung der Stimmen und die Anschlagskultur in (2), die meditative Versenkung in (4), die Kontraste und besonders das Timing des Übergangs zu "Etwas bewegter" in (6). Überraschend die Interpretation von (8): weniger "Schnell und spielend" als "Gebremst und schwankend", was ein neues Licht auf das Stück warf und Trifonov im Mittelteil die Möglichkeit gab, halb vom Hocker aufstehend wirklich "mit aller Kraft" diesen Ausbruch in die Tasten zu hämmern. Insgesamt eine beeindruckende Interpretation. Das Publikum wirkte nach soviel Schumann etwas erschöpft.

    Nach der Pause dann vier Stücke aus Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen (A-dur und -moll, D-dur und -moll). Die kenne ich zu wenig, um ihre Interpretation auch nur ansatzweise einschätzen zu können. Unbestritten, dass die endlos monumentale Steigerung im d-moll-Stück Effekt macht. Sodann schließlich Strawinskys Drei Sätze aus Petruschka. Hier war Trifonov in seinem Element: nicht nur wegen seiner - hier ist das Wort wirklich angebracht - atemberaubenden Virtuosität, sondern noch mehr wegen der der Formung der Klangcharaktere bei dieser bildhaften Musik. Toll! Für Frankfurter Verhältnisse recht enthusiastischer Applaus, zwei Zugaben (in Berlin und München gab's wohl jeweils drei), Liszts Sospiro-Etüde und ein mir unbekanntes Stück.


    Viele Grüße

    Bernd

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