vielleicht sollte Trifonov zur Vermeidung des Virtuosenstempels einen ähnlichen Weg beschreiten wie Arcadi Volodos. Dessen Deutung der pianistisch eher simplen Werke von Mompou ist überirdisch.
Volodos hat auch schon vor dem Mompou-Album dem Virtuosenstempel entgegengewirkt, indem er z.B. bei seinem ersten Hamburger Klavierabend Schuberts so gut wie nie gespielte unvollendete Sonate E-Dur DV 157 auf das Programm setzte. Schubert war es auch, der mir - worauf ChKöhn dankenswerterweise bereits hingewiesen hat - am besten beim Trifonov-Klavierabend gefiel. Es würde mich interessieren, ob unter den Capricii jemand beim Stuttgarter Recital zugegen war, wo er Schuberts Sonate op. 78 spielte. Wie war sein Schubert dort?
MBs selektives Lesen meiner kleinen Konzertrezension wundert mich, habe ich dort doch ausdrücklich gerade nicht nur die rein technische Meisterschaft Trifonovs gelobt:
Er hatte beide Werke geradezu atemberaubend interpretiert, ihre technischen Schwierigkeiten gemeistert und dazu noch Klangwunder geschaffen, wie insbesondere ein glockenspielartiges Klingeln beim Liszt aus dem Flügel herauszuzaubern, das ich überhaupt noch nie vorher wahrgenommen habe.
Gelobt habe ich ferner die Architektur seines Programms, die mir sinnfällig wie selten erschien. Ein Schmarrn wie "möglichst viele Tasten in möglichst kurzer Zeit drücken, sodass man am besten gleich Cluster spielen sollte" war natürlich von MB nicht ernst gemeint. Pianistik besteht für mich zuallererst in dem Hervorrufen von Klängen, in dem Herstellen eines bestimmten Tons, einer spezifischen klanglichen Atmosphäre. Das gelang Trifonov so meisterlich, dass ich ganz bewusst von "Klangwundern" sprach. Aber wenn schon solch hochvirtuose Brocken auf dem Programm stehen, muss man natürlich auch die rein manuellen Anforderungen bewältigen. Ich habe es z.B. damals nicht verstanden, warum Swjatoslaw Richter im hohen Alter, von seiner Herzkrankheit schwer gezeichnet, immer noch seine Auswahl aus Liszts Douze Etudes d'exécution transcendante (Nr. 1, 2, 3, 5, 7, 8, 10 und 11) auf Konzertprogramme setzte und sogar deren Mitschnitte authorisierte, obwohl er den rein technischen Anforderungen mancher Nummern nicht mehr gerecht zu werden vermochte. Aber solange man noch im Vollbesitz seiner manuellen Kräfte ist und auch enormste Anforderungen bewältigen kann - wie es zweifellos bei Trifonov oder bei Wang oder bei Berezowsky oder bei Hamelin oder bei Kissin oder bei Volodos oder bei Li oder bei punktpunktpunkt der Fall ist -, dann sollte man sich diesen Werken ruhig stellen, ohne dass das einem gleich wieder - wie ChKöhn zurecht bemerkt - zum Vorwurf gemacht wird. Wann soll man denn die Douze Etudes d'exécution transcendante spielen, wenn nicht im noch einigermaßen jungen Alter (ich habe sie mal vom noch minderjährigen Dimitris Sgouros - oder war er gerade eben volljährig geworden sein? Mag sein - in der Hamburger Musikhalle beeindruckend live erlebt)?