Größen der Popmusik - Dave Matthews Band
Dass ich hier eine Band als "Größe der Popmusik" nenne, die viele womöglich nicht einmal kennen, mag verwundern. Ich halte es aber trotzdem für gerechtfertigt.
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Seit 1996 veröffentlicht eine amerikanische Band sechs Alben. Alle diese Alben schießen auf Platz 1 der Billboard Charts. Die Tourneen in Nordamerika sind seitdem die bestbesuchten und rentabelsten, weit vor Prince, Madonna, den Rolling Stones und allen anderen. Und was ist im Rest der Welt? Drei kleine Tourneen durch Australien und Südamerika, zwei Festival-Konzerte seit 1998 in Deutschland, kein Plattenvertrieb in Europa. Eine relativ einzigartige Angelegenheit ist es, dass die seit einem Jahrzehnt erfolgreichste Band der USA hier und anderswo ein Schattendasein fristet. Das alles wäre mir relativ egal, wäre die Dave Matthews Band nicht eine Truppe, die größere Aufmerksamkeit verdient hätte.
Woran mag es liegen, dass der Erfolg auf die USA beschränkt blieb? Vielleicht ist es der sperrige Mix aus Rock, Folk, Funk und Jazz, der zu amerikanisch ist, vielleicht die mangelnde Radiotauglichkeit. Der Erfolg in Amerika stellte sich, ähnlich wie bei R.E.M., über die "Grassroots" ein: Kleine College-Sender spielten die Musik, die sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Die Fangemeinde rekrutiert sich bis heute aus der College-Szene und ist so treu und mitreisend, wie es vergleichbar nur bei den Grateful Dead bekannt war (damals die "Dead-Heads", heute die "Dave-Heads").
Die Dave Matthews Band gründete sich Anfang der 90er Jahre in Charlottesville/Virginia. Neben dem ursprünglich aus Südafrika stammenden Sänger und Gitarristen Dave Matthews gehören ihr der Violinist Boyd Tinsley, der Saxophonist Leroi Moore, der Bassist Stefan Lessard und mit Carter Beauford der wohl großartigste Schlagzeuger der heutigen Rock/Pop-Welt an. Saxophonist Moore verstarb letztes Jahr an den Folgen eines Autounfalls. Was nun aber zeichnet diese Band aus? Für mich ist es dieser unbedingte Wille und diese unbändige Lust am Live-Spiel. Abend für Abend in den Stadien Amerikas gleicht kein Programm dem anderen. Der Fundus an Stücken wird bunt durcheinander gewürfelt, das selbe Stück kann bei einem Konzert 5 Minuten dauern, beim übernächsten auch schon mal 20 Minuten. Eigentlich arbeitet die Dave Matthews Band mit den Mitteln einer Jazzband, erfüllt aber dennoch die Erwartungen der Abend für Abend bis zu 80.000 Zuhörern herbeiströmenden Gefolgschaft. Matthews ist ein heinreißender Songwriter, verarbeitet reale Themen in teilweise surrealen Texten, die man aber entschlüsseln kann, sobald man seine Sprache einigermaßen kennt. Und die Band spielt einfach dermaßen vorzüglich, ohne dabei glatt zu sein.
Im Zentrum der Musik steht die eigenwillige Stimme Matthews', der nahezu alle Songs selbst schreibt. Flankiert wird das ganze von den jazzigen und am Bluegrass orientierten Violin- und Saxophonlinien, grundiert vom soliden Bass und veredelt vom vertrackten, aber stets schlüssigen und groovenden Schlagzeug. Oftmals treten die Musiker der Opener-Bands (Maceo Parker/ Bela Fleck/ Medeski, Martin & Wood u.a.) bei den Live-Konzerten mit auf.
Meine CD-Empfehlungen:
Under The Table And Dreaming
1994
Die erste "offizielle" CD nach vorherigen Eigenveröffentlichungen. Erinnert sich noch jemand an den Musiksender VH-1? Und an den Journalisten und Moderator Alan Bangs? Der stellte dort die Band vor, seitdem hat mich das viel Geld gekostet...
Crash
1996
Produzent Steve Lillywhite (U2, Stones) half der Band, ihren Stil zu verfeinern und aus der Live-Truppe auch hervorragende Studio-Ergebnisse hervor zu zaubern. Lohn: Ein paar Grammys und der erste große kommerzielle Erfolg. Ein paar der besten Songs der Gruppe stecken auf dieser CD.
Before these Crowded Streets
1998
Ein würdiger Nachfolger von Crash, noch kunstfertiger, noch kniffligere Songs, diesmal angereichert durch Gospel-Chöre und Banjo-Spiel.
Busted Stuff
2002
Nach Band-Krise und einem künstlerischen Flop eine gloriose Rückmeldung mit alten Tugenden und neuen Songs.
Stand Up
2005
Die Band am Scheideweg: Das Album hat große Momente, offenbart aber auch die Sackgassen und die Orientierungslosigkeit, wohin es nach einem überaus erfolgreichen Jahrzehnt hingehen soll. Erstmals ist der Band-Sound recht elektrifiziert: Dave Matthews hat von der Semi-Akustik-Gitarre umgesattelt auf den Strom...
Big Whiskey and the GrooGrux King
2009
Der große Befreiungsschlag! Nach dem Tod ihres Mitglieds Leroi Moore zog sich die Band nach New Orleans zurück. In die Stadt, in der seit jeher der Tod zelebriert wird, in der er seit Hurricane Katrina aber auch noch zu spüren ist. Die Mischung aus Trauer und dem unbedingten Willen nach Neuanfang, dem Hunger nach Leben, macht diese CD zu einer ganz besonderen im Gesamtwerk.
Ich könnte hier jetzt noch auf so vieles eingehen, z. B. auf die noch viel besseren Live-Alben und auch auf die Güte der Dichtkunst Dave Matthews'. Aber erst einmal würde mich interessieren, ob hier überhaupt jemand etwas mit der Band anfangen kann. Wie gesagt: Deutsche Fans sind einsam...
LG
C.