Zumindest hat Sibelius in Sachen Form den Weg des 19. Jhds. verlassen.
Was war denn "der Weg des 19. Jahrhunderts"? Gerade die Sinfonik des 19. Jahrhunderts hat doch sehr viele Wege des Umgangs mit der (ohnehin theoretisch erst sehr spät kodifizierten) Sonatensatzform gezeitigt: Vermeidung von Themendualismus in der Durchführung (Schubert), "symphonische Fantasie" fast ohne Dualismus und auch ohne Reprise, dafür engste thematische Verknüpfung der einzelnen Sätze (Schumanns Vierte), Verschleifung des Themendualismus und Ersetzung des herkömmlichen Aufbaus durch "entwickelnde Variation" (Brahms). Dazu natürlich die (formalen, nicht nur programmatischen) Innovationen der Sinfonischen Dichtung von Liszt bis Strauss.
Oder überspitzt gesagt: Das scheinbar so feststehende Schema der Sonatensatzform ist, wie schon häufig gesagt, in manchen Punkten eher eine einflussreiche theoretische Abstraktion von Musikwissenschaftlern wie Riemann als irgendetwas im 19. (oder auch im 18.) Jahrhundert durchgehend Verbindliches. Sibelius findet einen individuellen Weg beim Umgang mit verschiedenen Traditionen, aber er ist nicht der erste und einzige, der sich gegen ein bis dahin scheinbar unumstößliches Formmodell gewandt hätte. Er geht in puncto Themendualismus eher den Weg von Brahms (von dem er sich sonst zweifellos sehr stark unterscheidet); er kämpft wie Tschaikowsky oder Mahler mit dem Problem der Finalschlüsse und findet neben Apotheosen (wie in der Zweiten) zu sehr eigenständigen "offenen" Lösungen wie in der Vierten; er rezipiert - wenn man Joachim Brügge folgt - in der siebten Sinfonie das Prinzip "Viersätzigkeit in der Einsätzigkeit", wie von Schubert entwickelt und in der Sinfonischen Dichtung seit Liszt kodifiziert.
Ich vermute oder postuliere, dass die Individualität des Umgangs mit der symphonischen Form bei Sibelius sicher gegeben ist, aber nicht das einzige oder auch nur wichtigste Charakteristikum der Unverwechselbarkeit seiner musikalischen Sprache darstellt.
Dass Schönberg seinerseits wieder andere Wege ging, ist sicher unbestritten.
Gemeint war weniger Schönbergs Musik als Schönbergs Analyse der Musikgeschichte und dort vor allem die Verschiebung der Aufmerksamkeit von der "Sonatensatzform" hin zum Prinzip der "entwickelnden Variation" seit Beethoven.
Viele Grüße
Bernd