WAGNER: Die Meistersinger von Nürnberg – Verachtet mir die Meister nicht!

  • Sicher wird Pogner die Möglichkeit bedacht haben dass Beckmesser sein Schwiegersohn werden könnte. Allein von dessen Reputation her käme er wohl gelegen. Das wäre dann aber eine sog. "Vernunftehe". Aber ob er wirklich davon ausgehen kann das seine Tochter diesen Bewerber wählen könnte? "Hör wohl, ein Meister Deiner Wahl". Ihm kommen ja auch durchaus Zweifel, die er in der 2. Szene des 2. Aufzugs auch äussert, wenn er sich am liebsten noch einmal mit Sachs beraten möchte.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Ihm kommen ja auch durchaus Zweifel, die er in der 2. Szene des 2. Aufzugs auch äussert, wenn er sich am liebsten noch einmal mit Sachs beraten möchte.

    Die hat er doch schon am Ende des 1. Aufzugs, wie bereiits dargelegt.

    Das wäre dann aber eine sog. "Vernunftehe".

    Und?

    War in früheren Zeiten wohl eher die Regel als die Ausnahme. Wenn eine Meisterstelle (oder ein "Amt" durch Todesfall ledig wurde und kein männlicher Erbe da war, mußte sich der Nachfolger üblicherweise verpflichen, die Witwe zu heiraten, oder die unverheiratete älteste Tochter. Die Causa Buxtehude, Händel, Mattheson und Schieferdecker läßt grüßen. Da war die Nachfolge ebenfalls an die Ehe mit der ältesten Tochter verknüft.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Das hätte Pogner ja haben können, wenn er Eva nicht gestattet hätte zu wählen. Daher gehe ich davon aus, dass er gerade keine Zweck- oder Vernunftehe stiften wollte. Aber einen Meistersinger als Schwiegersohn, dass war ihm wichtig.

    Peter

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  • Das hätte Pogner ja haben können, wenn er Eva nicht gestattet hätte zu wählen. Daher gehe ich davon aus, dass er gerade keine Zweck- oder Vernunftehe stiften wollte.

    Pogner hat Eva nicht die Wahl eingeräumt, sondern ein Vetorecht. Also wenn ihr der von den Meistern gewählte ganz zuwider ist, kann sie nein sagen und muß unverheiratet bleiben. Das widerspricht nicht dem, daß es sich primär um eine Vernunftehe handelt.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Es gibt ja auch noch den Unterschied zwischen der früher auch bei uns allgemein üblichen arrangierten Ehe, bei der die Verbindung primär als Wirtschaftsgemeinschaft und als legitimes Fortpflanzungsinstrument im Sinne eines allgemeinen (Groß-)Familienwohls angestrebt wurde und der Zwangsehe - letzteres wäre es gewesen wenn Pogner seiner Tochter kein Vertorecht eingeräumt hätte. Die Liebesheirat ist etwas, was in Europa erst im 18. und 19. Jahrhunderts in der Folge der Aufklärung üblich wurde. Auf dem Land (unter Bauern) waren arrangierte Hochzeiten zumindest in Südbayern noch um die Wende zum 20. Jh. absolut üblich. Wenn das eine zum anderen kam, war das natürlich eher wünschenswert, aber nicht Bedingung.
    Sozialgeschichte sollte man vielleicht bei der Interpretation von Operntexten (oder anderen fiktionalen Texten) nicht ganz ausblenden, schon gleich gar, wenn man, wie im Fall Wagner, weiß, daß sich der Autor eingehend mit dem Stoff vertraut gemacht hat.

    viele Grüße

    Bustopher


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    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Nun ja, allein die Tatsache das Pogner seiner Tochter vorschreibt unter welchen Bedingungen er einer Ehe zustimmen würde, zeigt natürlich über welche Macht er verfügt. Aber es handelt sich nicht um ein Vetorecht was er seiner Tochter einräumt. Im Dialog 2. Aufzug 2. Szene steht ausdrücklich "Meister Deiner Wahl". Die einzige Bedingung ist also dass es sich um einen Meister handeln muß. Pogner ist also in dieser Beziehung fortschrittlicher als es zu seiner Zeit üblich war.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Im Dialog 2. Aufzug 2. Szene steht ausdrücklich "Meister Deiner Wahl"

    ja, das verstehe ich jetzt auch nicht recht (schon wieder blamiert... :versteck1: ).

    Walther wiederum berichtet Eva:
    "'Ein Meistersinger muß es sein; nur wen ihr [Meister] krönt, den darf sie frei'n!' So sprach er [Pogner] festlich zu den Herrn, kann nicht zurück, möcht er auch gern!"

    und auf der Festwiese sind auch die Meister gefragt.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Leute, ist doch ganz klar. Es gibt von Pogner zwei Bedingungen für die Hand Evas:

    • Es muß der Sieger des Preissingens sein. Punkt.

    Das bedeutet zwingend, daß er ein Mitglied der Meistersinger sein muß; andere dürfen nicht antreten. Wie wir aus dem 3. Bild des 1. Aufzugs wissen: alles respektable Leute. Wer Sieger ist, bestimmen die Meister. Daß nur ein unverheirateter als Ehekandidat in Frage kommt ist überflüssig zu erwähnen.

    • Eva darf den Kandidaten als Ehemann ablehnen.

    Keiner im ganzen Stück sagt an irgend einer Stelle irgend etwas, was Anlaß zum Deuteln an diesen beiden Bedingungen gäbe. Das (und nur das) ist gesetzt. Die Stelle im 2. Aufzug ist keineswegs so zu interpretieren, daß die erste Bedingung ausgesetzt sei, und Eva freie Wahl hätte, solange es ein Meister sei. Wie möchte Pogner denn das begründen, wenn es auf der Festwiese "April, April" heißt, weil er mal eben schnell die Bedingungen geändert hat, die er zuvor groß angekündigt hat? Das zeigen Sachsens Auftritt in III/5 ("Euch macht Ihr's leicht, mir macht Ihr's schwer, gebt Ihr mir Armen zuviel Ehr'. [...] dass Nürenberg mit höchstem Wert die Kunst und ihre Meister ehrt.") und Pogners Reaktion darauf und vor allem: Pogners Reaktion auf den Sieg Walthers:

    Zitat

    POGNER
    mit grosser Ergriffenheit zu Sachs sich wendend
    O Sachs! Dir dank' ich Glück und Ehr'!
    Vorüber nun all Herzbeschwer!


    Weswegen hätte er Herzbeschwer haben sollen? Wie sag' ich's meinen Vereinsspezeln? Da hätte es keiner Herzbeschwer bedurft, denn wenn Eva nicht gewollt hätte, wäre das bedingungskonform gewesen. Doch wohl eher, weil er gefühlt hat, daß Eva (und er!) jemand ganz anderes hätte haben wollen, der aber (Stand vor Stolzings Auftritt im letzten Bild) nicht darf?
    Und was Sachs betrifft: Das war schon hoch gepokert. In mehrfacher Hinsicht.

    viele Grüße

    Bustopher


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    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Weswegen hätte er Herzbeschwer haben sollen?

    Weil er wusste dass Eva den Beckmesser nicht genommen hätte. Dadurch das durch Sachs Vermittlung Stolzing doch noch zum Zuge gekommen ist, der erkennbar für alle beider Wunschkandidat war, ist ihm ein Stein vom Herzen gefallen. In der Bayreuther Aufführung wird auch durch die Gestik von Pogner sehr deutlich, dass er Stolzing in jedem Falle Beckmesser vorziehen würde. Und ausserdem hatte er Zweifel, ob sein Ansinnen nicht doch zu kühn war. Zum Schluß hat es für alle (bis auf Beckmesser) eine glückliche Wendung genommen, da kann man ja als Vater nur froh sein.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Leute, ist doch ganz klar. Es gibt von Pogner zwei Bedingungen für die Hand Evas:
    Es muß der Sieger des Preissingens sein. Punkt.

    Ach, wirklich? Wo steht das? Es muss ein Meister sein. Aber es gibt auch noch mehr Meister. Wenn Eva den Sieger des Wettsingens ablehnt, kann es auch ein anderer sein. Nur ledig muss er sein. (Dass niemand teilnehmen kann, der schon oder noch verheiratet ist, versteht sich von selbst und wird außerdem im ersten Akt so, dass es möglicherweise untergeht, im dritten aber ganz deutlich ausgesprochen. Hier lässt sich keine Unklarheit konstruieren.)

    Das bedeutet zwingend, daß er ein Mitglied der Meistersinger sein muß;

    Das ist allerdings keineswegs dasselbe.

    Keiner im ganzen Stück sagt an irgend einer Stelle irgend etwas, was Anlaß zum Deuteln an diesen beiden Bedingungen gäbe.

    Natürlich nicht, weil sie so nicht stehen.

    Die Stelle im 2. Aufzug ist keineswegs so zu interpretieren, daß die erste Bedingung ausgesetzt sei, und Eva freie Wahl hätte, solange es ein Meister sei.

    Wie denn sonst?

    Wie möchte Pogner denn das begründen, wenn es auf der Festwiese "April, April" heißt, weil er mal eben schnell die Bedingungen geändert hat, die er zuvor groß angekündigt hat?

    Wo steht denn, dass Eva auf der Festwiese verheiratet werden muss? Wenn Sie den Sieger im Wettsingen ablehnt, wird eben erst mal nicht geheiratet. Und wenn sie dann den passenden Meister gefunden hat, heiratet sie eben den. Dass es eventuell »April, April!« heißen kann, hat Pogner ja schon angekündigt, und es ist ausführlich diskutiert worden. Wenn es mit der Heirat des Siegers nichts wird, ist das keineswegs eine vollständige Überraschung. Diese Möglichkeit räumt er ja ausdrücklich ein. Und dass er sich an dieser Stelle etwas arg weit aus dem Fenster gelehnt hat (»doch *nie* einen andern begehren«), ist ja eben das, was ihm Sorgen macht. Und wenn er Eva gegenüber die Sache anders darstellt (nämlich genau diesen Punkt), dann wird man daraus schließen müssen, dass er nicht daran denkt, diesen Punkt so streng zu handhaben, wie er es gesagt hat.

    Weswegen hätte er Herzbeschwer haben sollen? Wie sag' ich's meinen Vereinsspezeln? Da hätte es keiner Herzbeschwer bedurft, denn wenn Eva nicht gewollt hätte, wäre das bedingungskonform gewesen.

    Das ist richtig, aber er hat sich eben noch weiter aus dem Fenster gelehnt, und wenn er diesen unbedachten Satz (genau der, bei dem Sachs dazwischengeht) zurücknimmt, ist das jedenfalls eine Blamage. Aber wenn er dabei bleibt, endet seine Tochter als alte Jungfer. Ich finde, das sind genug Gründe für Herzbeschwer.

    Übrigens pokert Sachs nicht höher als nötig. Oder hat irgendjemand eine bessere Idee, wie er es hinkriegen soll? Immerhin scheint er seine Vereinskollegen gut genug zu kennen, um zu wissen, dass es gute Chancen gibt, dass sein Plan aufgeht. Und er irrt sich nicht, weil sie eben keine verknöcherten Bürokraten, sondern Künstler sind, also Menschen, die liebesfähig sind, ein Herz haben und sich rühren lassen können. Außerdem sind sie in der Lage, das gelungene Kunstwerk selbst dann zu erkennen und zu würdigen, wenn sie nicht recht verstehen, wie es zustandekommt. Das zeigt das Stück ja sehr deutlich. Ich finde, sehr hoch gepokert ist es nicht, wenn sich Sachs auf diese Qualitäten seiner Kollegen, die er schließlich sehr gut kennt, verlässt.

  • Wo steht denn, dass Eva auf der Festwiese verheiratet werden muss? Wenn Sie den Sieger im Wettsingen ablehnt, wird eben erst mal nicht geheiratet. Und wenn sie dann den passenden Meister gefunden hat, heiratet sie eben den

    hm, also wenn der diesjährige Sieger nicht behagt, wird im nächsten Jahr geschaut, ob der Sieger genehm ist ... usw.? Denn ein von den Meistern "gekrönter" muß es doch sein ..

    Aber dann bräuchte es der Stolzing doch nicht so eilig haben? Er könnte sich sicher sein, daß Eva alle ablehnen wird, bis seine Fähigkeiten im Meistersang fürs Siegertreppchen reichen - kann etwas dauern, aber man sagt doch "Liebe kann warten" ...

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Unklar, wie ernst es ihm damit ist und wie er es genau meint:




    POGNER

    Nicht so! Wie doch? Versteht mich recht!
    Wem ihr Meister den Preis zusprecht,
    die Maid kann dem verwehren,
    doch nie einen andren begehren.
    Ein Meistersinger muss er sein,
    nur wen ihr krönt, den soll sie frei'n.

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Aber dann bräuchte es der Stolzing doch nicht so eilig haben?

    Wenn man verknallt ist, dann möchte man möglichst bald zum Ziel kommen. :D Und ein spontanes Erfolgserlebnis ist immer noch besser als die vage Aussicht auf Erfolg.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Wenn man verknallt ist, dann möchte man möglichst bald zum Ziel kommen. :D Und ein spontanes Erfolgserlebnis ist immer noch besser als die vage Aussicht auf Erfolg.

    Peter

    das stimmt natürlich, aber es hätte nahegelegen, daß irgend jemand diese Möglichkeit ins Gespräch bringt...

    ---

    was die "Wahl" betrifft, von der Pogner spricht - vielleicht ist es mehr dieser Wortgebrauch:

    ich sage frei, ich kann den grafen Günther nicht zum mann erwählen, denn sieh, ich habe einen andern schon gewählt

    dazu aus Grimm-WB:

    wählen ist im lauf seiner entwicklung an die stelle des bedeutungsverwandten kiesen getreten, mit dem es sich im mhd. vielfach berührt. kiesen ist zunächst wahrnehmen, dann prüfen, gutfinden, sich dafür entscheiden; das bedeutungsmoment der freien auswahl unter mehreren, das bei wahl und wählen hervortritt, fehlt dem wort ursprünglich ganz. die verschiedene grundlage, auf der wählen und kiesen erwachsen sind, zeigt sich noch darin, dasz das erstere weit häufiger auch ohne object gebraucht wird. das bedeutungsmoment des prüfenden abwägens ist dann von kiesen auf wählen übergegangen.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • hm, also wenn der diesjährige Sieger nicht behagt, wird im nächsten Jahr geschaut, ob der Sieger genehm ist ... usw.? Denn ein von den Meistern "gekrönter" muß es doch sein ..

    Ein Meister muss es sein, und zwar ein Meister ihrer Wahl. Das ist es, was er ihr sagt. Es kann also auch einer sein, der schon Meister ist oder es noch wird. Dass es einer sein muss, der beim Wettgesang gewonnen hat, sagt er nicht. Jedenfalls nicht zu Eva. Wie er sich das genau denkt, weiß ich nicht. Da musst Du ihn selbst fragen. Ich weiß nur, was er sagt.

    Übrigens ist es sehr unwahrscheinlich, das Pogner seine Tochter noch einmal als Preis aussetzen würde. Er hat ja mit dieser Entscheidung so viele Bauchschmerzen, dass man eigentlich sicher sein kann, dass er es nicht wieder tut. Das ist ja durchaus unüblich.

    Aber dann bräuchte es der Stolzing doch nicht so eilig haben? Er könnte sich sicher sein, daß Eva alle ablehnen wird, bis seine Fähigkeiten im Meistersang fürs Siegertreppchen reichen - kann etwas dauern, aber man sagt doch "Liebe kann warten" ...

    Kann er da sicher sein? Woher soll denn die Sicherheit kommen? Kennt er Eva so gut, dass er weiß, dass sie sich gegen ihren Vater durchsetzen wird? Woher denn? Kennt er Pogner si gut, dass er weiß, dass er seine Tochter nicht zwingen wird? Woher denn? Und weiß er zu dem Zeitpunkt, wo er sich entschließt, Meistersinger zu werden, und diesen Entschluss Pogner mitteilt, dass Pogner dieses Vetorecht eingeräumt hat? Woher denn? Du nimmst da ziemlich viele Gespräche an, die Stolzing geführt haben muss, ohne dass man davon etwas erfährt. Ich finde, es ist eine etwas seltsame Art, ein Stück zu lesen, dass man alles mögliche liest, was nicht drinsteht und annimmt, dass ganz wesentliche Informationen dem Zuschauer einfach verschwiegen werden.

    Ganz nebenbei: Ein Sprichwort besagt gar nichts, man kann genügend entgegengesetzte finden. Dass Liebe warten kann, mag auf den einen oder anderen Fall zutreffen, auf andere trifft es nicht zu. (Ein berühmter und großartig dargestellter Fall, wo das nicht zutrifft, findet sich in Wielands »Oberon«). Woraus sich nun ergibt, dass dies ein Fall ist, wo Liebe warten kann, kann ich nicht erkennen. Die Dialoge zwischen Eva und Stolzing – vor allem der Schluss des ersten – scheinen mir zu zeigen, dass die Sache sehr dringlich ist. (Das steht freilich in der ersten Szene nicht im Text. Aber es ist ja auch eine Oper...)

  • Ein Meister muss es sein, und zwar ein Meister ihrer Wahl. Das ist es, was er ihr sagt. Es kann also auch einer sein, der schon Meister ist oder es noch wird. Dass es einer sein muss, der beim Wettgesang gewonnen hat, sagt er nicht.

    Pogner sagt:

    "Dem Sieger, der im Kunstgesang
    vor allem Volk den Preis errang
    am Sankt-Johannis-Tag,
    sei er, wer er auch mag, [Anm. MB: Hier steht nichts von "Meister" ...]
    dem geb ich, ein Kunstgewogner,
    von Nüremberg Veit Pogner,
    mit all meinem Gut, wie's geh' und steh',
    Eva, mein einzig Kind, zur Eh'.

    [ ... ]

    Wem Ihr Meister den Preis zusprecht,
    die Maid kann dem verwehren,
    doch nie einen andren begehren.
    Ein Meistersinger muss er sein: [Anm. MB: Ob man hier unterscheiden muss zwischen "Meistersinger" nach den Regeln der Meistersinger und dem o. g. "Meister" nach den Regeln des Handwerks, wage ich hier nicht zu entscheiden.]
    nur wen Ihr krönt, den soll sie frei'n."

    Ich lese das so, dass nur der Sieger des Wettgesangs am Johannistag als Kandidat für Evchen Hand in Frage kommt. Sie kann den ablehnen - stirbt dann aber als alte Jungfer.

    "Sieger" gibt es doch nur einen - oder?

    Insbesondere lese ich das nicht so, dass sie frei in ihrer Wahl wäre, solange es nur ein Meister ist.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Wem Ihr Meister den Preis zusprecht,
    die Maid kann dem verwehren,
    doch nie einen andren begehren.
    Ein Meistersinger muss er sein: [Anm. MB: Ob man hier unterscheiden muss zwischen "Meistersinger" nach den Regeln der Meistersinger und dem o. g. "Meister" nach den Regeln des Handwerks, wage ich hier nicht zu entscheiden.]
    nur wen Ihr krönt, den soll sie frei'n."


    und das berichtet Stolzing der Eva:

    Ein Meistersinger muß es sein; nur wen ihr [Meister] krönt, den darf sie frei'n!' So sprach er [Pogner] festlich zu den Herrn, kann nicht zurück, möcht er auch gern

    Eva gibt in keiner Weise zu erkennen, daß sie überrascht ist, sich eventuell vom Vater getäuscht fühlt.

    Und ein drittes Mal erläutert Sachs auf der Festwiese:

    Ein Meister, reich und hochgemut,
    der will heut' euch das zeigen:
    sein Töchterlein, sein höchstes Gut,
    mit allem Hab' und Eigen,
    dem Singer, der im Kunstgesang
    vor allem Volk den Preis errang,
    als höchsten Preises Kron'
    er bietet das zum Lohn.
    Darum, so hört und stimmt mir bei:
    die Werbung steh' dem Dichter frei.
    Ihr Meister, die ihr's euch getraut,
    euch ruf' ich's vor dem Volke laut:
    erwägt der Werbung selt'nen Preis
    und wem sie soll gelingen,
    dass der sich rein und edel weiss
    im Werben wie im Singen,
    will er das Reis erringen,

    Also dieselbe Bedingung, und zusätzlich Ermahnung an mögliche Bewerber zu prüfen, ob sie des außergewöhnlichen Preises würdig sind. Wiederum keine Überraschung oder Protest seitens Eva.

    Sieht mir alles klar und eindeutig aus. Kopfschmerzen macht nur diese Stelle:


    O Kind! Sagt dir kein Herzensschlag,
    welch' Glück dich morgen treffen mag,
    wenn Nüremberg, die ganze Stadt,
    mit Bürgern und Gemeinen,
    mit Zünften, Volk und hohem Rat
    vor dir sich soll vereinen,
    dass du den Preis,
    das edle Reis,
    erteilest als Gemahl
    dem Meister deiner Wahl?

    EVA

    Lieb' Vater, muss es ein Meister sein?

    POGNER

    Hör' wohl: ein Meister deiner Wahl.
    (Magdalene erscheint an der Türe und winkt Eva.)

    EVA
    (zerstreut)

    ja, meiner Wahl. Doch tritt nur ein -

    Hier ist nun m.E. ganz klar, daß Eva längst Bescheid weiß und alles schon besprochen wurde. Pogner erinnert sie nur daran, etwa in dem Stil "Kind, denkst du auch daran, was morgen ansteht?"

    Aus den o.g. Reaktionen bzw. Nicht-Reaktionen von Eva geht m.E. hervor, daß Pogner ihr keine anderen Regularien erzählt hat, als die wir kennen. Bleibt nur die Zeile "dem Meister deiner Wahl?". Wie schon oben angesprochen, scheinen mir die bestehenden Regularien durchaus mit Pogners Ausdruck "Wahl" verträglich. Es ist die "Wahl" zwischen ja und nein, nicht zwischen verschiedenen Meistern etc. Das ist nicht selbstverständlich, Pogner hätte sie auch zwangsweise verheiraten können, insofern läßt er ihr tatsächlich die "Wahl" und streicht das heraus. (Wir sind sozusagen Mehrparteiensystem gewohnt mit Auswahl fürs Kreuzchen, Eva ist in der Situation eines Einparteiensystems, sie macht's Kreuzchen oder läßts bleiben).

    Ich finde, mit dieser Deutung muß man die wenigsten Verbiegungen machen.

    edit
    daß Pogner mit seiner Wortwahl "Wahl" für das Vetorecht zudem die Lage etwas beschönigend beschreibt, ist ja auch verständlich.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Ich glaube, nicht nur Mauerblümchen und Zabki warten auf eine Stellungnahme des sich im Allgemeinen sehr schnell und - ich sage es freundlich: explizit - äußernden Argonauten.


    Ein Meister muss es sein, und zwar ein Meister ihrer Wahl. Das ist es, was er ihr sagt. Es kann also auch einer sein, der schon Meister ist oder es noch wird. Dass es einer sein muss, der beim Wettgesang gewonnen hat, sagt er nicht. Jedenfalls nicht zu Eva. Wie er sich das genau denkt, weiß ich nicht. Da musst Du ihn selbst fragen. Ich weiß nur, was er sagt.

  • Ich wurde auf eine Lesung des »Meistersinger«-Librettos aufmerksam gemacht […] Der Sprecher (Franz Winter) hat sich der ungewöhnlichen Aufgabe mit viel Liebe und beachtlicher Virtuosität angenommen.[…].Ich kann diese CDs nur sehr empfehlen.

    Und ich kann das nur unterstreichen und mich für diese Empfehlung bedanken.

    Das ist mein größter Einwand gegen Musik, dass Österreicher darin exzelliert haben.
    (Arno Schmidt: Das steinerne Herz)

  • Ich glaube, nicht nur Mauerblümchen und Zabki warten auf eine Stellungnahme des sich im Allgemeinen sehr schnell und - ich sage es freundlich: explizit - äußernden Argonauten.

    Ich fürchte, die Parteikontrollkommission wird auf die eingeforderte Stellungnahme [sic!] noch ein wenig warten müssen. Der Delinquent hat sich die Freiheit genommen, auch mal etwas anders zu tun. Im übrigen nimmt sich der Delinquent die Freiheit, sich zu äußern, wann er will und wenn er es für sinnvoll erachtet. Und nicht, wenn nicht.

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