WAGNER: Die Meistersinger von Nürnberg – Verachtet mir die Meister nicht!

  • Hallo!
    Die in diesem Thread von vielen geäußerte Abwertung der vokalen Leistung von Theo Adam (dünne Stimme, wenig tragfähig, unsteter Ton etc.) habe ich früher auch geteilt.

    Bis ich ihn live erleben durfte.

    Das erste Mal war es 1987 in Hamburg als Holländer, noch in einer alten Wieland-Wagner-Inszenierung.

    Seitdem höre ich ihn völlig anders und er wurde sogar ein Lieblingssänger von mir.

    Theo Adam hatte eine sehr voluminöse, tragfähige Stimme, die ihre Qualitäten erst im Raum richtig entfalten konnte. Er kam locker über das Wagnerorchester rüber und SANG selbst gegen Ende seiner langen Karriere (was für eine solide Technik spricht) noch einen bezwingenden Holländer.

    Das Problem ist glaube ich eher das ungewöhnliche Timbre seiner sehr hellen, dabei aber durchaus schweren Bassstimme.

    Wenn man den "Live"-Klang der Stimme im Ohr hat, dann kann man den ungemein differenzierten Gesang Adams auch richtig genießen. Er war ein überaus ingelligenter und sehr musikalischer Sänger und ein hervorragender Darsteller.

    Für mich der beste Sachs der Nachkriegszeit.

    Gruß von der Ostsee

    Dieter

  • Meine einzige Einspielung der Meistersinger ist diese hier:



    Ich hatte sie mir sorgfältig ausgesucht, habe viele Rezensionen bei amazon - aber auch in den verschiedensten Klassikforen :yes: :yes: :yes: - darüber gelesen und alles an Hörmöglichkeiten genutzt, die angeboten wurden.

    Als ich sie dann hörte, war ich wirklich sehr zufrieden. :thumbup:

    Zwar ist es meine einzige Einspielung bis heute geblieben (ich höre generell nicht sehr viel Oper), aber mir hat sie auf Anhieb gefallen. Karajan stimuliert das Orchester zu einer herrlichen Leistung, und bei den Sängern kann er sich auch nicht beklagen.

    Was Theo Adam betrifft, fiel mir auch auf, daß er nicht ganz so durchdringend wirkt, wie es zum Orchester und der Rolle passen würde; das bezieht sich aber eher auch die "Lautstärke", nicht so sehr auf seine stimmliche Gestaltung. Technische Schwierigkeiten fielen mir nicht auf. Sachs kommt als Charakter durchaus zum Zuge, wie ich finde, aber er wirkt wie ein "Underdog" (anders kann ich es nicht beschreiben).

    Geraint Evans - ein seltsames Timbre, nicht wahr? Aber diese seltsam karikaturistische Note, die er dem Beckmesser dadurch gibt, macht diesen Charakter erst richtig lebendig. Beckmesser ist ein Karikatur, ein Schmierenkomödiant, und ich bin mir sicher, Wagner hatte sowas auch im Sinn gehabt. Evans war Waliser? Sein - ganz leichter - Akzent bringt eine zusätzliche Dimension in den Beckmesser. Das paßt. Mir gefällt Evans auf jeden Fall.

    René Kollos energischer Art paßt zu Stolzing wie der Pott zum Deckel, Peter Schreier ist gewohnt großartig, und die anderen haben in meinen Ohren auch sehr viel Klasse in ihren Rollen gebracht.

    Diese Einspielung hat vollkommen meinen Erwartungen entsprochen: sie hat mir die Oper äußerst lebendig nähergebracht. Ich weiß, ich weiß - ich beschränke mich damit nur auf eine Sichtweise, aber was soll's...man kann nicht Alle(s) haben... 8+)


    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Was den Beckmesser der Dresdner Karajan-Aufnahme betrifft, ist es mir schon irgendwie unverständlich, dass man in diesem sonst so idiomatischen deutsch-deutschen Ensemble Geraint Evans gewählt hat. Er war ein hervorragender Sänger, aber als Beckmesser ist er mir doch zu karikaturenhaft überzeichnet. Nun hätte aus der DDR mit Günther Leib ein ziemlich optimaler Beckmesser zur Verfügung gestanden, der auch sehr gut in das musikalische Gesamtkonzept gepasst hätte. Dann wäre die Aufnahme wirklich perfekt gelungen.


    Gruß von der Ostsee

    Dieter

  • Einen "Kommentierte Diskographie"-Thread gibt es für die "Meistersinger" anscheinend noch nicht, deshalb stell ich's hier rein. Seit kurzem gibt es die aktuelle Inszenierung aus dem Staatstheater Nürnberg auf DVD:

    • Musikalische Leitung: Marcus Bosch
    • Inszenierung: David Mouchtar-Samorai
    • Bühne: Heinz Hauser
    • Kostüme: Urte Eicker
    • Choreographie: Joshua Monten
    • Chor: Tarmo Vaask
    • Dramaturgie: Kai Weßler

    Albert Pesendorfer (Hans Sachs -Schuster)
    Guido Jentjens (Veit Pogner - Goldschmied)
    Christoph Wittmann (Kunz Vogelgesang - Kürschner)
    Kurt Schober (Konrad Nachtigall - Spengler)
    Jochen Kupfer (Sixtus Beckmesser - Stadtschreiber)
    Martin Berner (Fritz Kothner - Bäcker)
    Martin Platz (Balthasar Zorn - Zinngießer)
    Philip Carmichael (Ulrich Eißlinger - Würzkrämer)
    Martin Nyvall (Augustin Moser - Schneider)
    Yong Jae Moon (Hermann Ortel - Seifensieder)
    Vladislav Solodyagin (Hans Schwarz - Strumpfwirker)
    Daeyoung Kim (Hans Foltz - Kupferschmied)
    Michael Putsch (Walther von Stolzing)
    Tilman Lichdi (David - Lehrbube von Hans Sachs)
    Michaela Maria Mayer (Eva - Tochter von Veit Pogner)
    Leila Pfister (Magdalena - Amme)
    Randall Jakobsh (Ein Nachtwächter)

    Chor und Extrachor des Staatstheaters Nürnberg

    Staatsphilharmonie Nürnberg

    DiO :beatnik:

    "Wer Europa in seiner komplizierten Verschränkung von Gemeinsamkeit und Eigenart verstehen will, tut gut daran, die Oper zu studieren." - Ralph Bollmann, Walküre in Detmold

  • weil 1. Otto Wiener überhaupt nicht rauschebartmäßig klingt,


    Allerdings trifft er die richtigen Töne nicht oft genug, als daß ich mir diese Aufnahme behalten hätte. Röhrende Hirsche sind im Wald ja ganz schön, auf der Opernbühne finde ich sie etwas deplatziert.

    Prinzipiell neige ich auch sehr zu Theo Adam - und ob Ridderbusch wirklich überlegen ist, halte ich für fraglich. Ich habe beide Sänger live erlebt, und das sehr oft, da die "Meistersinger" zu meinen Lieblingsopern gehören, und in Wien in wechselnden Besetzungen stets im Repertoire waren.

    Ich spreche jetzt ausschließlich vom Live-Eindruck: Ridderbusch war ein eindimensionaler Schuster durch und durch, Adam ein Poet mit Abgründen. Ridderbusch hatte ein enorm klangvolles Mittelregister, war aber in der Tiefe ziemlich flau und in der Höhe glanzlos, er konnte brüllen, war oft textunverständlich, und drei Akte durchgehalten hat er nur, wenn ein Dirigent dem Orchester Sparflamme verordnete. Adam hatte das zweifellos weniger klangschöne Material, aber er disponierte seine Kräfte besser und war vorbildlich in der Textdeutlichkeit. Ein dritter Sachs, den ich live mehr schätzte als Adam und Ridderbusch zusammen, war Rudolf Holtenau, dessen Karriere aufgrund eines Unfalls leider in dem Moment endete, als sie international beginnen sollte. Seine Stimme erinnerte stark an die Noblesse Schöfflers, war jedoch etwas körniger - und Holtenau hatte keinerlei Mühe, die Rolle durchzuhalten. Leider gibt es kein Tondokument, das seine Leistung als Sachs festgehalten hat.

    Nun zu der Karajan-Aufnahme: Ich halte sie für erstklassig in jeder Beziehung. Sie ist für Karajans Verhältnisse sehr vital dirigiert und frei von seinem sonst so störenden Sfumato, die Hauptrollen sind vorzüglich besetzt, an die Akzente von Kelemen und Evans gewöhnt man sich meiner Meinung nach schnell - und man hat hier eine sehr genau gelesene, frische und, vor allem im ersten Bild des dritten Aktes, ungewöhnlich moderne, entschlackte Aufnahme des Werks. Ich persönlich ziehe dennoch die Einspielung von Kubelik vor, da mir Stewart als Sachs besser gefällt als Adam, und ich mag obendrein diese fast etwas grelle Frische, die Kubelik in das Werk einbringt.

    Wer übrigens "Meistersinger" im Höllentempo erleben will, muß zu - ja, ausgerechnet zu Knappertsbusch greifen. Seine Münchner Aufnahme kann ich, trotz aller Mankos, wie sie (sicherlich wenig geprobte ;+) ) Live-Aufführungen nun einmal mit sich bringen, gar nicht genug rühmen, so klar, schlank, vital ist keine andere Einspielung. Ihr größtes Manko sind allerdings die Sänger. Ferdinand Frantz orgelt den Sachs verzichtbar, Gottlob Frick als Pogner ist mit seiner nachdrücklich dunklen und keineswegs immer korrekt intonierenden Stimme schwer genießbar und Hans Hopf als tenorschreiender Stolzing ist ebenso nicht mein Fall. Aber wenn man sich aufs Orchestrale konzentriert - ein Wahnsinn! Nur im Moment für eine nicht rundum perfekte Aufnahme schlicht wesentlich zu teuer.

    Na sdarowje! (Modest Mussorgskij)

  • Meien Lieben!

    Bei mir ist es das Pech, dass ich zwar "Meistersinger LPs und CDs" habe, jedoch ich gerade bei dieser Oper die DVD vorziehe. Ich muss auch gestehen diese Oper nur in der Oper nur immer optisch genossen habe [auch als ich noch bei den Lehrbuben war]. Man kann mich jetzt als Nebochant bezeichnen! Ich muss auch gestehen, eine der Aufnahme die ich besonders schätze ist diese hier:

    Hier sticht mir Karin Matilla als blendendes Evchen hervor, auch Ben Heppner ist als Walther von Stolzing kaum zu übersehen, aber er hat einen herrlichen Tenor. James Morris war als Sachs damals bei recht guter Stimme. Das Großartige ist aber der Beckmesser des Sir Thomas Allen, eine richtige Zwiderwurzen dass die Milch sauer wird, wie man in Süddeutschland und Österreich sagt, dabei mit wundervoller Stimme gesegnet [ich weiß nicht was dieser Ausnahmekünstler nicht kann]. René Pape ist ein würdevoller Pogner sein "Fest Johannistag"wirkt durch die Einfachheit seiner Stimme beeindruckend. Matthew Poklenzoni singt einen jugendlichen frischen David und Jill Grove ist eine passende Magdalene und so gar nicht matronenhaft.

    Es ist eine Aufnahme der MET LIVE unter James Levine. Otto Schenk wird oft negativ beurteilt, aber für mich ist er der Opernregisseur der eine Oper nicht "vergewaltigt"! Die Bühnenbilder von Günther Schneider-Simmsen sind bezaubernd, wie sie auch in der selben Art in Wien sind [waren - ich war schon länger in keiner Aufführung der WStO].

    Liebe Grüße sendet Euch Euer Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Lieber Peter,

    warum so defensiv? Ich finde die MEISTERSINGER - DVD ebenfalls eine der besten Produktionen der MET mit einer Spitzenbesetzung in der Sängerriege. Selbst Matthew Polenzani, der seinen David eher phonetisch gelernt hat, ist ein hervorragender David, obwohl er natürlich den Muttersprachlern Peter Schreier oder Gerhard Unger nicht ganz das Wasser reichen kann.

    Otto Schenk ist natürlich auch hier eher ein Illustrator als ein Regisseur, aber immerhin hat man sich mit ersichtlichem Erfolg viel Mühe gegeben, die Sänger auch spielen zu lassen, und Thomas Allen gibt einen der besten Beckmesser überhaupt, weit abseits jeder überzogenen Karikatur. Diese Produktion könnte sich wirklich sehen und vor allem hören lassen, wenn nicht der kleine Wermutstropfen Levine wäre, der wieder einmal ordentlich aber zu pauschal dirigiert. Früher, bei seinen Verdi-Aufnahmen, war er wirklich einmal Gestalter. Jetzt ist er aber meist nur noch ein ordentlicher Begleiter.

    Aus diesem Grunde würde ich trotz des bescheideneren Star-Faktors die australische DVD unter der Leitung von Charles Mackerras vorziehen, der ein zügig spielendes, immer aber gut durchhörbares Orchester leitet und in Donald McIntyre, dem großartigen Wotan des Chérau-Rings und dem wohl besten DVD-Holländer, einen optimalen Hans Sachs hat. Die Inszenierung Michael Hampes ist ähnlich konservativ wie die von Otto Schenk. Diese DVD gibt es kjetzt auch bei Arthaus zu einem relativ günstigen Preis:

    In meinen Augen und Ohren sind beide Mitschnitte der wiener Prodsuktion unter Christian Thielemann in der sichtlich abgestandenen Inszenierung von Otto Schenk, die ich noch vom Fernsehen kenne, in fast allen Belangen (besonders aber Botha und Struckmann) weit überlegen.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Lieber Rideamus!

    Danke für Deine Vorstellung einer anderen DVD - nur ist mir die leider weitaus zu teuer, die 2er MET DVD habe ich geschenkt bekommen.

    Sir Thomas Allen ist aber so ein traumhafter Beckmesser und selbst wenn er auf der Festwiese die Zeile des Liedes verwechselt hat er das mit Können so gut herausgebracht ["Es naht die holde Braut"], hat er halt die 2. Zeile zweimal gesungen.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter aus Wien, seit gestern ein Halb-Wagneriner wieder. :wink:

  • Zitat

    Otto Schenk ist natpürlich auch hier eher ein Illustrator als ein Regisseur,

    Kann sich ein Regisseur grundsätzlich nur noch als *Regisseur* definieren, indem er ohne grobe Verfremdungen der ursprünglichen Szenerie nicht mehr auskommt? Armes Deutschland! -

    Peters Beschreibung der MET-DVD würde mich zum sofortigen Kauf animieren - wenn da nicht das MET-Orchester wäre. Ich weiß, dass das so gut wie niemand versteht, aber der Holzbläserklang ist mir gerade in den Meistersingern genaus so wichtig wie die Qualität der Sänger. Die Oboen und Klarinetten der MET ertrage ich leider klanglich nur schwer bis gar nicht; dieser Micky-Mouse-Sound tut mir in der Seele weh!

    Beste Grüße

    Bernd

  • Meine Lieben!

    Es passt zwar nicht ganz da herein, aber in einer Fernsehshow konnte man sehen,

    Ben Heppner ißt gern und kann nicht kochen - und Sir Thomas Allen kocht und ißt gern, das passt zwar nicht ganz zu den "Meistersingern" eher zu den "Meisterköchen oder Meisteressern" :klatsch: :klatsch:

    Liebe Grüße sendet Euch Euer Peter. :wink:

  • Wiener Staatsoper, Live-Aufnahme 1955, ORFEO

    Der größte Einwand, den man gegen diese Aufnahme erheben kann, ist ihr derzeitiger Preis. Ansonsten ist sie mehr als beachtlich, und alle Kritik, die ich äußere, ist nur relativ zu verstehen..

    Fritz Reiner liefert eine denkbar antipathetische Wagner-Interpretation. Er nimmt alles hohle Gedröhne heraus und dreht nur dort auf, wo er muß, ohne aber je in bloßen Schall zu geraten. Seine Tempi sind daher oft gedehnt, preziös und elegant, er holt zarte Nuancen heraus, die man sonst kaum je hört. Die Stimmen sind entsprechend dazu ausgesucht.

    Paul Schöfflers Hans Sachs war schon zu meiner Jugendzeit eine der berühmtestenn Staatsopernlegenden. Hier kann man hören, warum ein solcher - berechtigter! - Mythos entstand. Mag sein, daß diesem Sachs für heutige Begriffe zu viel Klischee anhaftet, aber ich empfinde das nicht so sehr. Er ist gleichzeitig ein Mensch mit Herz und ein Mensch mit geistiger und seelischer Noblesse, die ich bis jetzt unerreicht fand (ich kenne aber natürlich nicht alle Interpreten der Rolle), in manchem wirklich wie ein Fürst, wenngleich mit durchaus natürlichem Edelmut und Sinn für Spaß.

    Die Eva ist ja nicht gerade die Rolle, die man sich a priori für Irmgard Seefried vorstellt. Daß ihre Mozartorgan hier zu sehr gefordert wird, spürt man bei der Wortdeutlichkeit, die mitunter zu wünschen übrig läßt. Aber trotzdem war die Seefried an diesem Abend prachtvoll bei Stimme und liefert wiederholt wunderschöne Momente. Daß sie manchmal zu teenagerhaft wirkt, daran gewöhnt man sich (und darüber ließe sich ja auch durchaus diskutieren).

    Den Stolzing singt Hans Beirer sehr gut, eher zurückhaltend-nobel als mit der Stimme prunkend - fast mehr ein intellektueller Walther, in dem der strahlende Heldenjüngling gar nicht so dominiert. Das ist eine durchaus ansprechende Auffassung, auch wenn man sich vielleicht wünscht, daß er ein bißchen mehr an Persönlichkeit einbringt (das ist aber nur als Pitzel-Argument geäußert). Seine Konsonanten könnten allerdings manchmal etwas deutlicher sein.

    Großartig ist Erich Kunz als Beckmesser - wie gewohnt gibt er ihn als Menschen, nicht als Karikatur, für dessen Verbiegungen man fast so etwas wie Rührung verspürt. Kunz läßt auch durchschimmern, daß Beckmesser unter normalen Umständen durchaus künstlerische Leistungen zu erbringen imstande ist. Das kommt der Glaubwürdigkeit der Rolle sehr zugute.

    Recht interessant der David Murray Dickies: Stimmlich eher an seinen Grenzen sich bewegend, aber trefflich das Ironisch-Bübische charakterisierend, überzeugt als das unreife Bürschchen, das seine erwachsenen Augenblicke hat.

    Gottlob Frick singt den Pogner, Rosette Anday die Magdalene - das waren eben Zeiten! Und auch der Nachtwächter (Frederick Guthrie)! Da wackelt beinahe sogar das Preisargument.

    Die Tonqualität entspricht nicht hundertprozentig. Die Mikropohone waren offenbar zu sehr aufs Orchester konzentriert, die Stimmen kommen manchmal wie von fern oder verschleiert - allerdings ist es nicht übermäßig arg. Letztlich kann man durchaus zufrieden sein.

    Insgesamt für mich eine der klassischen Aufnahmen dieser Oper.

    Liebe Grüße

    Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Live-Mitschnitt, Buenos Aires,Teatro Colón, 1968
    TKM Living Stage 2003

    Trotz 1968 keine Stereo-Aufnahme, die Tonqualität recht schwankend. Mitunter deckt das Orchester die Sänger zu sehr zu, auch tönt das Blech manchmal seltsam. Inwieweit die nicht gerade hochprofessionelle Technik an manchen Mängeln beteiligt ist/war, vermag ich nicht zu entscheiden.
    Ferdinand Leitner dirigiert für mein Empfinden zwar gut, hat aber das Problem, daß sich ein Teil der Musiker mit Wagner offenbar nicht leicht tut. Das Ergebnis fällt nicht so gut aus, wie es auf Grund von Leitners Routine sein müßte. Die Besetzung klingt sehr prominent, aber wirklich herausragend ist nur Gerhard Unger als David. No na net. Mit dem Sachs Gustav Neidlingers habe ich Schwierigkeiten. Natürlich ist er ein ausgezeichneter Sänger, aber nicht in dieser Partie, sondernn in Charakterrollen. Zu oft gewinne ich das Gefühl, daß er ein viel besserer Beckmesser wäre. besonders im 1.Akt wirkt er beiläufig und entwickelt zu wenig vokale Farbe. Später geht es besser, einige Stellen geraten gut, aber insgesamt verleiht er der Partie zu wenig Profil, ist weder ein überzeugender Freund noch ein überzeugender Onkel. Mangelndes Profil muß ich diesmal ausnahmsweise auch meiner sonst so verehrten Claire Watson als Evchen zuschreiben. Franz Crass als Pogner: Nichts Besonderes, aber auch nicht schlecht. Der Beckmesser Carlos Alexanders stellt übertriebene Karikatur dar, zu loben ist allerdings die gute Aussprache. Bleibt Sándor Konya als Walther. Er hatte anscheinend keinen guten Tag. Die Stimme strahlt zu wenig, verhangene Vokale und undeutliche Konsonaten fallen zu oft auf, wiederholt verfällt er in leichten Akzent, und einmal haut ihm - wie wir in Wien sagen - der Ungar ins G'nack: "ischt mein Meister gewesen". Das kann natürlich passieren, wenn man nicht im Studio, sondern auf der Bühne steht, und ich weiß, daß er ganz anders singen kann. Trotz meiner Magyarophilie bin ich unterm Strich unzufrieden.
    Das Coverbild mit Zigarettenspitz ist ein Schulbeispiel für Stilbruch.
    Insgesamt keine Empfehlung, sorry!

    Liebe Grüße
    Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Lieber Bernd,

    Wenn Du eine klanglich besonders gute neuere Bayreuther Aufnahme suchst, dann wäre noch diese offiziell bei Teldec erschienene von 1999 eine Option (auch als DVD erhältlich):

     

    Es dirigiert Barenboim, singen tun u. a. Holl und Seiffert. Ich muß dazu sagen: Ich selber kenne diese Aufnahme aber nicht, wäre daher auch über eine kurze Stellungnahme eines Berufenen erfreut.

    Die zitierte Bitte um eine Stellungnahme ist schon etwas älter, aber gerade läuft eben die Aufnahme bei mir, in der CD-Ausgabe, die es inzwischen nachgerade spottbillig gibt:

    Und auch wenn (der erstaunlich heldische) David gerade erst dem armen Stolzing erklärt hat, wer der Merker sei, so kann ich doch sagen: Das Bayreuther Orchester und der Klang sind phänomenal. Und der spezifische Orchesterklang, den ich bei den Meistersingern ebenfalls sehr wichtig finde, kommt hier sehr gut rüber. Okay, die beiden Damen in der ersten Szene (Magee und Svendén) waren jetzt nicht der Knaller, aber Seiffert und Wottrich sehr sehr ordentlich. Gerade biegt Beckmesser, gesungen von Andreas Schmidt um die Ecke, der macht ebenfalls einen guten Eindruck, was man von Matthias Hölles Pogner (nicht?) mehr sagen kann...

    Hören wir mal, wie es weitergeht.

    Beste Grüße,

    C.

    P.S.: Irritierend im Beiheft ist der Hinweis "Recorded live at the Bayreuth Festival in June 1999" - im Juni 1999 gab es gar keine Aufführungen der Meistersinger, die fanden - wie jedes Jahr - erst ab Juli statt. Weiß jemand, was es damit auf sich hat?

  • Auf Anregung von zabki wurde die hier beginnende Diskussion aus dem Thread zu den Bayreuther "Meistersingern" 2017 in diesen Thread verschoben.
    Alexander K, Moderation

    Diese ganze antisemitische "Kulturtheorie" wie sie Wagner, personifiziert durch Beckmesser, vertreten hat, ist heute historisch. Wie gesagt, Gott sei Dank...

    Selbst wenn man das annähme, wäre es weiterhin von Bedeutung, sich damit zu befassen, weil es nun einmal zur Geschichte gehört, also zu den Ereignissen und Phänomenen, die die Gegenwart geformt haben. Darüber hinaus gibt es nach wie vor nicht wenige, die unbeirrt behaupten, Wagner sei zwar Antisemit gewesen, in seinen Werken fände sich davon aber keine Spur – die Diskussion ist also keineswegs am Ende (auch wenn Brembecks Behauptung, das wäre der Tenor der Wagner-Literatur natürlich Unsinn ist). Und schließlich ist es zwar so, dass sich der Antisemitismus in Deutschland aus den »bürgerlichen« Kreisen weitgehend (keineswegs vollständig) zurückgezogen hat, das ändert aber nichts daran, dass er in anderen Gegenden nach wie vor kraftvoll blüht, und es ändert nichts daran, dass in den hiesigen »bürgerlichen« Kreisen an die Stelle des Antisemitismus andere, heute salonfähige, Formen des Rassismus getreten sind.

    Eine ganz andere Frage ist, ob die »Meistersinger« das geeignete Stück sind, diese Fragen zu diskutieren. Da habe ich starke Zweifel, wenn auch selbstverständlich klar ist, dass man sich mit dem Stück nicht auseinandersetzen kann, ohne diese Punkte zur Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu verhalten.

  • Tot natürlich noch lange nicht, aber vor allem von anderen Leuten vertreten als dazumal, sprich nicht mehr vom deutschen Bürgertum. Diese ganze antisemitische "Kulturtheorie" wie sie Wagner, personifiziert durch Beckmesser, vertreten hat, ist heute historisch. Wie gesagt, Gott sei Dank...

    Einspruch, weder personifiziert oder repräsentiert er diese antisemitische Kulturformel noch ist Beckmesser der jüdische Karikatur. Da ist schon alleine seiner Stellung im Stücke wegen ausgeschlossen.

    Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.

    Parsifal ohne Knappertsbusch ist möglich, aber sinnlos!

  • Selbst wenn man das annähme, wäre es weiterhin von Bedeutung, sich damit zu befassen, weil es nun einmal zur Geschichte gehört, also zu den Ereignissen und Phänomenen, die die Gegenwart geformt haben. Darüber hinaus gibt es nach wie vor nicht wenige, die unbeirrt behaupten, Wagner sei zwar Antisemit gewesen, in seinen Werken fände sich davon aber keine Spur – die Diskussion ist also keineswegs am Ende (auch wenn Brembecks Behauptung, das wäre der Tenor der Wagner-Literatur natürlich Unsinn ist). Und schließlich ist es zwar so, dass sich der Antisemitismus in Deutschland aus den »bürgerlichen« Kreisen weitgehend (keineswegs vollständig) zurückgezogen hat, das ändert aber nichts daran, dass er in anderen Gegenden nach wie vor kraftvoll blüht, und es ändert nichts daran, dass in den hiesigen »bürgerlichen« Kreisen an die Stelle des Antisemitismus andere, heute salonfähige, Formen des Rassismus getreten sind.

    In seinen Werken findet sich auch keine Spur davon, nicht im Beckmesser, auch nicht im Alberich oder in anderen Figuren.

    Gib dich nicht der Traurigkeit hin, und plage dich nicht selbst mit deinen eignen Gedanken. Denn ein fröhliches Herz ist des Menschen Leben, und seine Freude verlängert sein Leben.

    Parsifal ohne Knappertsbusch ist möglich, aber sinnlos!

  • Und schließlich ist es zwar so, dass sich der Antisemitismus in Deutschland aus den »bürgerlichen« Kreisen weitgehend (keineswegs vollständig) zurückgezogen hat, das ändert aber nichts daran, dass er in anderen Gegenden nach wie vor kraftvoll blüht, und es ändert nichts daran, dass in den hiesigen »bürgerlichen« Kreisen an die Stelle des Antisemitismus andere, heute salonfähige, Formen des Rassismus getreten sind.

    Eine ganz andere Frage ist, ob die »Meistersinger« das geeignete Stück sind, diese Fragen zu diskutieren. Da habe ich starke Zweifel, wenn auch selbstverständlich klar ist, dass man sich mit dem Stück nicht auseinandersetzen kann, ohne diese Punkte zur Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu verhalten.

    Dem kann ich mich vollinhaltlich anschließen!

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • In seinen Werken findet sich auch keine Spur davon, nicht im Beckmesser, auch nicht im Alberich oder in anderen Figuren.

    Lässt sich diese Aussage auch irgendwie begründen? Oder muss man sie einfach als Befehl nehmen und künftig auf eigenes Nachdenken verzichten? Und wenn ja, warum? Und schließlich die letzte Frage: Wie kommt das? Liegt es daran, dass bei Wagner überhaupt keine Gedanken in seine Werke eingegangen sind, oder gab es einen besonderen Mechanismus, der lediglich die antisemitischen herausgefiltert hat? Und wenn Letzteres, wie war dieser Mechanismus beschaffen?

  • kleine Statements:

    0. Wagners Konzeption des Beckmesser ist mir persönlich das Unangenehmste, was ich in den Opern Wagners so kenne.

    1. Streng im Handlungsrahmen des Librettos scheint mir VonHumbolts Argument mit der Position des Beckmessers zwingend - Beckmesser ist nicht Jude in dem Sinne, wie Sachs ein Schuster und David ein Lehrbub ist.

    2. Nun drängen sich allerdings bekanntlich Künstleridentifikationen und Allegorien in den Meistersingern auf (Identifikation Wagners mit Stolzing, Eva als "Muse"). In diesem Sinne wäre es m.E. nicht ausgeschlossen, daß in die Figur des Beckmesser alle möglichen aus Wagners Sicht negativen Züge zusammengerührt sind, darunter auch sein Bild vom "Judentum".

    3. Ein wenig gelesen habe ich vor einiger Zeit Literatur, in der ein musikalischer Nachweis versucht wurde. Das ist m.E. nicht geglückt. Die dort herangezogenen Beispiele von Synagogalmusik im Vergleich zum Werbelied zeigten m.E. ein völlig anderes Bild (dabei sehe ich normalerweise von Bezügen und Anlehnungen eher zuviel als zuwenig).

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

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