WAGNER: Die Meistersinger von Nürnberg – Verachtet mir die Meister nicht!
Über zwanzig Jahre arbeitete Richard Wagner an seiner – sieht man vom selten aufgeführten "Liebesverbot" ab – einzigen komischen Oper: Bereits 1845 fertigte Wagner erste Skizzen an, die er jedoch erst wieder 1861 aufgriff. Das Vorspiel zum 1. Aufzug wurde dann bereits 1862 vor dem späteren König Ludwig II. konzertant aufgeführt, doch vergingen dann noch sechs Jahre, ehe die gesamte, fast fünf Stunden lange Oper am 21. Juni 1868 in München zur Uraufführung gelangte.
Zwar entpuppte sich diese als Erfolg, doch die Premieren in Wien und Berlin 1870 verliefen – anders als man vielleicht annehmen könnte – vielmehr desaströs. In Nürnberg selbst wurde das Werk übrigens 1874 uraufgeführt.
Freilich erfreute sich die Oper, die im Zuge der Gründung des Deutschen Reiches von 1871 mehr und mehr als die deutsche Nationaloper schlechthin aufgefaßt wurde, immer größerer Beliebtheit. So wurden in der Folgezeit viele große Opernhäuser mit den "Meistersingern" eröffnet: Münchens Prinzregententheater 1901, das neue Nürnberger Opernhaus 1905, das wiederaufgebaute Münchner Nationaltheater 1963 sowie auch das Aalto-Theater in Essen 1988.
Die von Wagner im Schlußmonolog Hans Sachsens so eindrucksvoll propagierte "heil’ge deutsche Kunst" wollte er als eine vom Volke ausgehende und getragene wissen, das nationale Element gleichsam lediglich als dekoratives Element verstanden haben wissen. Sachsens Schlußansprache besagt folglich auch nichts anderes, als daß die deutsche Kunst auch das Ende des Heiligen Römischen Reiches überleben würde, welches zu Wagners Lebzeiten ja auch bekanntlich schon untergegangen war. Insofern sind Wagners Kunst-Ideen vielmehr revolutionär zu nennen, worauf auch die anfänglich eher verhaltene Meinung seitens konservativer Kreise zurückzuführen ist.
Nichtsdestotrotz sind "Die Meistersinger von Nürnberg" heute fester Bestandteil im Repertoire nahezu aller großen Opernhäuser. Entsprechend reichhaltig gestaltet sich auch die Diskographie.
Einen Mangel an guten bis sehr guten Aufnahmen gibt es in der Tat mitnichten. Eine eindeutige Referenz-Aufnahme zu bestimmen ist daher auch mit einigen Schwierigkeiten verbunden und wohl faktisch unmöglich. Deswegen will ich im Folgenden eine chronologisch geordnete Auswahl an Einspielungen und Mitschnitten liefern.
Dieser Mitschnitt von den "Kriegsfestspielen 1943" ist insgesamt eine sehr gelungene Aufnahme: Schöffler gilt vielen als "der" Sachs (mir übrigens nicht), mit Kunz als Beckmesser, Suthaus als Stolzing und Scheppan als Eva hat man eine erstklassige Besetzung der wichtigen Rollen, ideal auch Dalberg als Pogner und Kallab als Magdalene, mit Abstrichen auch Wittes David. Abendroths Dirigat darf als erstklassig gelten. Die Tonqualität ist für das Alter hervorragend, vielen Dank an Preiser!
Dieser Mitschnitt entstand genau einen Tag nach dem von Abendroth mit anderen Sängern. Furtwänglers Dirigat ist m. E. sogar noch besser als das schon sehr gelungene von Abendroth. Prohaska als Sachs ist sicherlich Geschmackssache und sehr zeittypisch interpretiert (wer einen "singenden Gauleiter" hören will, ist hier richtig), dasselbe gilt für den recht pathetischen Stolzing von Max Lorenz. Fuchs' Beckmesser gefällt mir ebenfalls gut, die Eva von Maria Müller braucht keine Vergleiche zu scheuen. Zimmermanns David fällt etwas ab.Der junge Greindl singt einen herausragenden Pogner, die Kallab wiederum die Magdalene. Was die Tonqualität betrifft, ist diese für das Alter gut, allerdings ist die Preiser-Bearbeitung vom Abendroth-Mitschnitt besser. Zudem fehlen leider einige Szenen.
Karajans frühe Live-Aufnahme besticht durch ein sehr gutes Dirigat. Otto Edelmann als Sachs ist vorbildlich, Kunz’ Beckmesser ebenso. Der Stolzing von Hans Hopf kann das hohe Niveau nicht ganz halten. Herausragend Ungers David, Geschmackssache die Schwarzkopf als Eva. Die Restbesetzung ist sehr gut.
Knappertsbuschs erstes Bayreuther Dirigat darf man als vorzüglich bezeichnen. Identisch mit der Besetzung des Vorjahres sind Edelmann als Sachs und Unger als David – und wiederum erstklassig. Auch Hopf singt wiederum den Stolzing, wieder etwas abfallend. Pflanzl gibt einen überragenden Beckmesser, della Casas Eva ist ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Als Pogner ist übrigens Kurt Böhme zu hören, ebenfalls sehr gut bei Stimme. Insgesamt gesehen eine sehr gute Aufnahme, der ich aber den späteren Bayreuther Mitschnitt unter Knappertsbusch vorziehe.
In dieser berühmten Studio-Aufnahme singt Ferdinand Frantz einen sehr guten Sachs, ihm zur Seite stehen Kusche als toller Beckmesser, Schock als sehr guter Stolzing, Grümmer als überragende Eva, wiederum der herausragende Gerhard Unger als David und Gottlob Frick als genialer Pogner. Kempes Dirigat verdient ein sehr gut.
Wer Hans Hotter in Bayreuth als Sachs erleben will, muß zu dieser Aufnahme greifen. Zwar bereits reichlich nasal, schafft er es dennoch, einen sehr gelungenen Sachs zustande zu bringen. An seiner Seite der m .E. beste Beckmesser überhaupt: Karl Schmitt-Walter. Auch über Windgassen (Stolzing), Brouwenstijn (Eva), Stolz (David), Greindl (Pogner) und Fischer-Dieskau (Kothner) braucht es nicht viele Worte: schlichtweg ideal. Cluytens' Dirigat ebenfalls auf diesem Niveau.
Cluytens' zweites Bayreuth-Dirigat ist besonders wegen Gustav Neidlingers (!) Sachs interessant, der ihm auch sehr gut gelingt. Die restliche Besetzung ist weitestgehend wie im Vorjahr, daher siehe oben. Lediglich Walter Geisler als Stolzing kam neu hinzu, vermag auch zu überzeugen, ohne ganz Windgassen zu erreichen. Dirigat hier m. E. sogar besser als im 1956.
Bei Cluytens' dritten Bayreuther "Meistersingern" gibt sich Otto Wiener als Sachs die Ehre. Relativ hell timbriert, darf auch er als mehr als solider Interpret gelten. Die restliche Besetzung auch hier beinahe gleich den Vorjahren. Ausnahmen sind der sehr gute Beckmesser von Blankenheim und der überragende Traxel als Stolzing. Cluytens auch hier wieder sehr gut.
Hans Knappertsbusch kann sich 1960 bei seinem zweiten (und letzten) Bayreuther "Meistersinger"-Dirigat auf die schon eingesungenen Bayreuth-Größen der Wieland-Wagner-Inszenierung, Schmitt-Walter (Beckmesser), Windgassen (Stolzing), Grümmer (Eva) und Stolze (David), stützen, die sich hier noch einmal selbst übertreffen und höchste Wertungen verdienen. Das besondere Highlight dieses Mitschnitts ist aber der Sachs von Josef Greindl, der mir absolut ans Herz gewachsen ist und bis dato mein liebster Interpret geblieben ist. Als Schmankerl ist der junge Theo Adam als Pogner mit von der Partie, ebenso das Bayreuth-Urgestein Ludwig Weber als Kothner. Knappertsbuschs Dirigat setzt Maßstäbe und ist m. M. n. bis heute unübertroffen. Für mich "die" Aufnahme.
Meine Nr. 1.
Die Kubelik-Aufnahme gilt nicht wenigen als heimliche Referenz-Einspielung, und das kann ich durchaus nachvollziehen: Stewarts Sachs stellt einen Meilenstein in der Interpretation des Nürnberger Schuster-Poeten dar. Hemsley als Beckmesser, Kónya als Stolzing, Janowitz als Eva und Unger als David bedienen höchste Ansprüche. Kubeliks Dirigat ist famos und darf zu den besten gerechnet werden.
Meine Nr. 2.
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Klobucar 1969
Berislav Klobucar dirigiert die Oper sehr unprätentiös und ohne jedes Pathos, doch weiß er auf seine Art durchaus zu überzeugen. Baileys Sachs ist um Welten besser als wenig später bei Solti im Studio, Hemsley als Beckmesser eine sichere Bank. Wirklich überragend ist Waldemar Kmentt in der Rolle des Walther von Stolzing. Der Rest ist mit Dernesch und Essen sehr gut besetzt.
Vor zwei Jahren galt sie mir schon als Referenz-Aufnahme, heute sehe ich es ein wenig anders. Die Rede ist von der berühmten Karajan-Studio-Aufnahme aus Dresden. Karajans Dirigat ist in der Tat vorzüglich und genügt höchsten Ansprüchen, die Staatskapelle der ideale Klangkörper für diese Oper. Adams Sachs ist für sich genommen sehr gelungen, allerdings kenne ich mittlerweile mindestens drei Rollenvertreter, die ihn noch überzeugender darstellen. Dasselbe gilt für den oft gescholtenen Sir Geraint Evans in der Rolle des Sixtus Beckmesser. Über Kollo (Stolzing), Donath (Eva), Schreier (David) und Ridderbusch (Pogner) braucht es dagegen nicht viele Worte, sind sind allesamt sehr, sehr gut. Summa summarum auf jeden Fall noch eine der Top-10-Aufnahmen.
Sehr feurig und impulsiv geht Silvio Varviso die Sache an in seinen "Meistersingern" von 1974 aus Bayreuth – ein sehr gelungenes Dirigat. Ridderbuschs Sachs würde ich ebenfalls ein "ausgezeichnet" zubilligen. Schwieriger wird es bei der Restbesetzung: Alle guter Durchschnitt, herausragend aber keiner (allenfalls noch Sotin als Pogner und Weikl als Nachtwächter).
Das große Problem bei Soltis ersten "Meistersingern" ist Bailey als reichlich überforderter Sachs. Auch das Dirigat kommt grob herüber – keine der großen Leistungen von Sir Georg. Dagegen brillieren Weikl als Beckmesser und Kollo als Stolzing, der Rest ist guter Durchschnitt.
Ich habe mir diese Aufnahme wegen Fischer-Dieskau als Sachs gekauft – viele würden sie wohl gerade deswegen meiden. Festzuhalten bleibt, daß ihm eine m. E. sehr gute Darstellung des Poeten gelingt, weniger des Schusters. Die restliche Besetzung ist sehr gut (Ligendza) bis überragend (Laubenthal, Hermann). Wäre Domingos Deutsch nicht so furchtbar, er könnte als idealer Stolzing gelten. Jochums Tempi sind für meinen Geschmack zu schnell.
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Sawallisch 1979
Dieser Premieren-Mitschnitt aus dem Münchner Nationaltheater zeigt uns einen überragenden Fischer-Dieskau, der die Partie des Sachs bis zum Schluß überzeugend wiedergibt. Der Rest ist gut bis hervorragend, insbesondere Schreier als David und Kollo als Stolzing. Sawallischs Dirigat ist famos.
In Sawallischs Studio-Aufnahme, die wiederum überragend dirigiert ist, brillieren Weikl als sehr menschlicher Sachs, Lorenz als Beckmesser, Heppner als Stolzing, Studer als Eva sowie van der Watt als David. Der altersweise Kurt Moll stellt einen überragenden Pogner dar, der junge René Pape den Nachtwächter. Für mich die beste Aufnahme der letzten zwanzig Jahre.
Meine Nr. 3.
Soltis zweite "Meistersinger"-Aufnahme ist besser dirigiert als seine erste. Das Problem ist wiederum der Sachs, diesmal der ältliche van Dam. Die restlichen Sänger bewegen sich auf gutem Mittelmaß, lediglich Heppner als Stolzing sticht heraus.
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Thielemann 2002
In diesem Mitschnitt aus Bayreuth zeigt Christian Thielemann, daß er einer der besten lebenden Wagner-Dirigenten ist. Robert Holls Sachs ist insgesamt ziemlich gelungen, Schmidts Beckmesser, Magees Eva und Biebers David ebenso. Am besten ist der junge Smith als Stolzing.
[Radio-Mitschnitt]
Weigle 2009
Das Problem dieses Bayreuther Mitschnitts ist der Dirigent: Selten hörte man die "Meistersinger" derart lieblos heruntergespielt. Weigles Dirigat ohne eigene Akzente läßt jede Größe vermissen. Sehr schade, wo doch mit Alan Titus einer der besten lebenden Sachs-Sänger dabei ist. Auch der Rest vermag zu überzeugen, insbesondere Vogt als Stolzing.