RAMEAU: Les Indes Galantes (1735)
Liebe Capricciosi,
wie ich an anderer Stelle kürzlich schrieb, sind einige Opern Jean-Philippe Rameaus in meinem persönlichen Ranking in kurzer Zeit von Null auf Hundert durchgestartet. Außerdem ist ja gerade mehrfach die Rede von den entsprechenden Suiten, nämlich hier: Rameau Suiten... Daher mal ein neuer Thread (wer in einem der Nachbarforen, i.e. "Das Klassikforum", liest, kennt den Text schon) zu einer Rameau-Oper (bisher vertreten: Platée; Hippolyte et Aricie). Da ich momentan nur die beiden auf dem Markt befindlichen DVDs dieser Oper kenne, aber keine der CD-Einspielungen, würde es mich sehr freuen, wenn es in dieser Richtung, also bzgl. der m.E. vier verfügbaren CDs, Empfehlungen oder Kommentare geben würde – oder hat gar mal jemand die Oper live gesehen? Sehr erfreulich ist im Übrigen, dass es in der aktuellen Opernsaison zwei Premieren dieses Werkes in D geben wird (Nürnberg, München).
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Les Indes Galantes ("Die galanten Indien", wobei "Indien" als Sammelbegriff für exotische Gefilde gebraucht wird ...) gehört zu Rameaus Ballettopern, ein zur Entstehungszeit (Uraufführung: 1735) in Paris sehr angesagtes Genre. Les Indes Galantes bestehen aus einem Prolog und vier Entrées (Aufzüge, die man auch als in sich abgeschlossene Kurzopern betrachten kann), in denen es nur so vor originellen Instrumentierungsideen und ohrwurmartigen Melodien wimmelt. Insgesamt ergeben sich etwa drei Stunden Spieldauer, wobei die Balletteinlagen eine exponierte Stellung einnehmen. Zur Uraufführung wurden nur die ersten beiden Entrées gegeben, später kam das dritte, noch später (1736) das vierte hinzu.
Zu Rameaus Zeit, nach anfänglichen Schwierigkeiten, ein erfolgreiches Bühnenwerk, zwischendurch vergessen, sagt die aktuelle Statistik (Operabase) Folgendes: Platz sechs unter neunzehn gelisteten Rameau-Opern bzgl. der Aufführungshäufigkeit (unangefochten auf Platz eins treffen wir, nicht ganz überraschend, die schräge Platée).
Das Libretto von Louis Fuzelier ist weniger schwierig zu durchschauen als man es von der einen oder anderen italienischen Oper der gleichen Epoche gewöhnt ist. Einige Quellen [1,2] kommen mit wenigen Sätzen pro Aufzug aus, um die jeweilige Handlung zusammenzufassen. Der anspruchsvollste Aspekt besteht wohl eher darin, sich auf immerhin siebzehn verschiedene Charaktere, die recht unterschiedlich tiefgründig gezeichnet werden, einzustellen. Das verbindende Element aller Aufzüge ist, dass jeweils ein amouröses Abenteuer dargestellt wird, das nach einigen Schwierigkeiten ein recht gutes Ende findet...
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Prolog ... Monologe bzw. Dialoge von / zwischen Hébé (Göttin der Jugend, Sopran), Bellone (Kriegsgöttin, Bariton), l’Amour (Amor, Sopran) mit dem Ergebnis, dass Letzterer seine Helferlein, die Amoretten, mit Pfeil und Bogen in allerlei fremde Länder schickt. Bellone und l’Amour sind als Travestierollen angelegt, was den Spaßfaktor des Prologs erhöht.
Le Turc généreux (Der großmütige Türke) ... Leichte Parallelen bzw. Antiparallelen zur Entführung aus dem Serail: Die junge Emilie (Sopran) wurde von Piraten entführt und soll einen Pascha namens Osman (Bass) beglücken, worauf sie logischerweise wenig scharf ist. Verständlich, denn ihr Liebster ist Valère (Tenor), der, so ein Glück, nach einem Schiffbruch gerade am nahen Strand angespült wird, samt diverser Kollegen. Die See ist stürmisch und Rameau setzt, bekanntermaßen nicht nur an dieser Stelle, die Naturgewalt eindrucksvoll in Töne. Das Liebespaar ist vereint, allerdings stellt sich heraus, dass Valère inzwischen auch von Osman (der zu allem Überfluss auch noch das Liebesgesäusel der beiden jungen Leute mithört) versklavt wurde. Osman gerät in Wut, bemerkt aber, dass er Valère irgendwoher kennt: früher war nämlicher sein Herr und schenkte ihm schließlich die Freiheit. Als nachträgliches Dankeschön verzichtet Osmin Emilie und beweist damit, um auf den Titel zurückzukommen, seinen Großmut.
Les Incas du Pérou (Die Inkas von Peru) ... Wieder eine Sopran-Tenor-Bass-Dreiecksgeschichte, die, als einzige der vier Geschichten, kein uneingeschränktes Happy End hat: Wir begegnen dem Spanier Don Carlos (nein, hier sind absolut keine Assoziationen zu einer bekannteren Oper angezeigt), der die Inkaprinzessin Phani liebt und heiraten will, was auf Gegenseitigkeit beruht. Phani ist der culture clash, den so eine Sache mit sich zieht, bewusst und sie ist demzufolge ängstlich. Dafür gibt es auch einen weiteren Grund, denn der einheimische Inka Huascar hat ein Auge auf Phani geworfen und findet, dass er wesentlich besser zu der jungen Frau passt als ein Europäer, spürt aber auch, dass Phani wohl tatsächlich Don Carlos liebt. Im Übrigen ist Huascar Sonnenpriester und zufällig wird auch gleich das Sonnenfest begangen, während dessen es zu einem Erdbeben kommt und der nahe gelegene Vulkan auszubrechen droht (die nächste Naturgewalt, die Rameau in erschütternde Töne setzten konnte...). Huascar glaubt, dass er die Lage im Griff hat und fordert Phani auf, seine Frau zu werden, sonst werde sie Opfer der Naturkatastrophe. Aber vergebens, Don Carlos entreißt dem verdatterten Huascar Phani und entkommt mit ihr, während der Sonnenpriester Opfer des Vulkanausbruches wird. Seinen letzten Worten kann entnommen werden, dass ihm das sogar recht ist ...
Les Fleurs - Fête persane (Die Blumen - Ein persisches Fest) ... Zur Abwechslung eine Vierecksgeschichte, am besten man zeichnet sich das auf einem Stück Papier auf: Zwei verkumpelte persische Haremsbesitzer (Tacmas, Ali -- Tenor, Bariton), von denen jeder auf eine Schöne (Zaire, Fatime -- jeweils Sopran) aus dem Harem des jeweils anderen scharf ist. Die beiden angebeteten Untergebenen erwidern diese Zuneigung sogar prinzipiell. Daraus ließe sich nun noch keine Oper, auch kein Akt machen, daher verkleiden sich einer der Herren (als Haremshändlerin!! -- wieder eine Travestie und was für eine ...) und eine der Damen, um einen kleinen Test (Assoziationen zu Cosi fan tutte sind nicht von der Hand zu weisen ...) auf Treue und Wahrhaftigkeit vorzunehmen, was zwischendurch in eine Fast-Messerstecherei mündet und sich nach Enttarnung der Verkleideten doch in Wohlgefallen bzw. in einem "Blumenfest", im Zuge dessen natürlich ausgiebig getanzt wird, auflöst. Was soll man, mehr noch frau, dazu sagen? -- Ein Riesenklamauk, der lieber nicht aus feministischer Sicht durchleuchtet werden sollte, oder doch?
Les Sauvages (Die Wilden) ... Das Entrée mit der vermutlich bekanntesten Musik! Wir sind bei den Eingeborenen Nordamerikas, repräsentiert durch Adario (Anführer der Stammeskrieger, Bariton) und Zima (Tochter des Häuptlings, Sopran) und den Chor. Die Europäer sind leider auch schon da, vertreten durch Don Alvar und Damon (Anführer spanischer und französischer Truppen resp. - Bariton, Tenor), die, wie könnte es anders sein, beide ein Auge auf Zima geworfen haben. Jegliche militärische Aktionen sind zum Glück schon beigelegt, nur Zima muss sich noch gegen die Avancen der beiden Europäer wehren, ihr wahrer Liebling Adario kommt ihr dabei erfolgreich zur Hilfe. Alles löst sich in Wohlgefallen und einem Friedensfest mit viel Tanz zu unwiderstehlich energiegeladener Musik auf.
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Wie bringt man das Werk im 21. Jh. auf die Bühne? Als barockes Spektakel und Fest für Auge und Ohr, opulent bebildert? Oder baut man die sich geradezu schreiend aufdrängenden aktuellen Bezüge (Rechte von Frauen, Zerstörung der Natur, ...) ein? Es gibt aktuell zwei Inszenierungen dieser Oper, die auf DVD verewigt wurden, in denen jeweils eines der genannten Konzepte verfolgt wird. Alles in allem finde ich beide Arbeiten schlüssig und empfehlenswert:
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Barockes Spektakel: Paris 2003, Regie -- Andrei Serban; Les Arts Florissants / William Christie
Hier wurde aus dem Vollen geschöpft, auch personell: Bis auf eine Ausnahme ist keine Rolle doppelt besetzt! Es singen:
Hébé ... Danielle de Niese
Bellona ... Joao Fenandes
Amour ... Valérie Gabail
Emilie ... Anna Maria Panzarella
Valère ... Paul Agnew
Osman ... Nicolas Cavallier
Phani ... Jaël Azzaretti
Don Carlos ... François Piolino
Huascar ... Nathan Berg
Zaïre ... Gaële Le Roi
Fatime ... Malin Hartelius
Tacmas ... Richard Croft
Ali ... Nathan Berg
Zima ... Patricia Petibon
Adario ... Nicolas Rivenq
Damon ... Christoph Strehl
Don Alvaro ... Christophe Fel
Bühne und Kostüme sind farbstark, phantasievoll, teils stilisiert, teils an das jeweilige exotische Land angepasst. Die Balletteinlagen (Choreografie: Laura Scozzi) langweilen keine Sekunde, sind mal abstrakt, illustrieren dann wieder die Beziehungen zwischen den Geschlechtern... Sängerisch (und meist auch typenmäßig) sind die Rollen durchweg passend besetzt und der Clou kommt ganz am Ende: "Forêts paisibles" wird wiederholt, dazu tanzt die gesamte zum Schlussapplaus versammelte Mannschaft – ich beneide aufrichtig alle Zuschauer, die bei diesem "Event" dabei waren.
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... hier die nicht ganz so spaßige Variante:
Barockoper mit aktuellen Bezügen: Bordeaux 2014, Regie -- Laura Scozzi; Les Talens Lyriques / Christophe Rousset
In dieser Produktion wurde mit weniger Solisten gearbeitet, die entsprechend in bis zu vier Rollen auftraten:
Hébé, Fatime, Phani ... Amel Brahim-Djelloul
Bellone, Don Alvar ... Benoît Arnould
Roxane ... Eugénie Warnier
Amour, Zima ... Olivera Topalovic
Emilie, Atalide ... Judith van Wanroij
Osman ... Vittorio Prato
Valère, Tacmas, Carlos, Damon ... Anders Dahlin
Huascar ... Nathan Berg
Adario ... Thomas Dolié
Dass die Figuren z.T. andere Namen haben, hängt damit zusammen, dass hier mit einer späteren Version (sog. "1750 Toulouse Version") gearbeitet wurde. Hätte diese Aufnahme meine Erstbegegnung mit der Oper dargestellt, wäre ich wahrscheinlich sehr zufrieden gewesen. Da ich nun aber die o.g. opulente Barockspektakelversion vorher kannte, bleibt es beim ehrenwerten zweiten Platz. Ein dreisprachiges Booklet zu dieser Produktion, in dem Christophe Rousset und Laura Scozzi zu Wort kommen, ist übrigens im Netz zu finden [5], ebenso ein DVD-Teaser hier:
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Quellen:
[1] "https://de.wikipedia.org/wiki/Les_Indes_galantes
[2] "http://www.opera-guide.ch/opera.php?id=302&uilang=de
[3] "http://www.tamino-klassikforum.de/index.php?page…d&threadID=2199
[4] "http://www.eroica-klassikforum.de/index.php?page=Thread&threadID=169
[5] "http://www.outhere-music.com/de/albums/les-…pha-710/booklet
Amaryllis