Interpretation und Instrumentalästhetik

  • immer schreibe ich, nicht zu wissen was Bach wollte

    Schön, dann sind wir uns also einig, dass wir das nicht wissen. Dann verstehe ich allerdings nicht, wie Du verlangen kannst, das was wir nicht wissen, zur Richtschnur der Interpretation zu machen:

    Wenn es doch darum geht, dem nahezukommen, was Bach gewollt hat

    Und noch etwas:

    jeder soll spielen, welches Instrument er beherrscht. Und doch nicht vergessen dabei, dass eine moderne Oboe eben ein völlig anderes Instrument ist als das damalige- ebenso das Clavier.

    Das stimmt so auch nicht. Ein moderner Flügel ist eine Weiterentwicklung eines alten Hammerklaviers, kein "völlig anderes Instrument". Er verwendet andere Materialen für Rahmen, Hammerköpfe, Dämpfer usw., hat einen anderen Tonumfang, eine komplexere Mechanik, aber die grundsätzliche Art der Tonerzeugung und -dämpfung ist gleich, in der Folge auch wesentliche Merkmale des Klanges (z.B. der impulsartige Beginn und das decresc. bei jedem Ton, die Unmöglichkeit der Klanggestaltung im Tonverlauf usw.). Bei der Oboe ist es ähnlich, auch die ist kein "völlig anderes" sondern ein weiterentwickeltes Instrument. Aber selbst, wenn man ein Werk auf einem völlig anderen Instrument spielen würde (z.B. die Goldberg-Variationen mit Streichtrio): Warum muss man sich dabei ständig daran erinnern, dass es "völlig anders" ist? Reicht es nicht, wenn man so gut spielt, dass das Ergebnis für sich überzeugt?

    Christian

  • Wenn Du das subjektiv so empfindest, ist dagegen natürlich nichts einzuwenden. Genausowenig wie gegen meine möglicherweise gegenteilige Empfindung... Will man es nicht beim Austausch von solchen Subjektivitäten belassen,

    mich würde schon interessieren, ob mein Versuch, zugegeben stark zugespitzt, einen Unterschied von tre corde und una corda zu beschreiben, irgendwie nachvollziehbar ist (ist klar, da spielt auch das zur Verfügung stehende Instrument eine große Rolle), weil - falls das nachvollziehbar ist - es ein Indiz für einen Verlust beim Fortschritt sein könnte
    .

    muss man aber sehen, was Schubert geschrieben hat, und da finde ich gerade bei ihm extreme Dinge, die weit über die Möglichkeiten jedes Instrumentes hinausgehen: Wenn er z.B. am Ende des Andante sostenuto der B-Dur-Sonate dreifaches ppp schreibt, gefolgt von einem fünftaktigen (!) diminuendo, in dem auch noch jeweils ganztaktig durchklingend das Akkordthema aus "Der Tod und das Mädchen" ziitiert wird. Ich stelle mir da ganz im Hintergrund, quasi aus größter Entfernung, einen choralartigen Gesang vor, in dichtester Verbindung und dadurch in größtmöglichem Kontrast zu den hingetupften Begleitfiguren darum herum. Und das alles auch noch immer weiter verschwindend bis zur Grenze der Hörbarkeit. Das wäre mein Ideal für diese Stelle, und zwar nicht einfach, weil ich das gerne so hätte, sondern weil es das ist, was ich in der Partitur sehe. Ich kann da nicht den geringsten Hinweis finden, dass Schubert sich in der Weite seiner künstlerischen Idee auf die Möglichkeiten des ihm zur Verfügung stehenden noch irgend eines anderen Instrumentes beschränkt hätte. Ich kenne auch bis heute kein Instrument, auf dem solche Stellen angemessen auszuführen sind.

    Stefan Litwin setzt sich ja mit einem den dynamischen Vorschriften nach ähnlichen Fall auseinander (1. Satz der Sonate G-Dur DV 894 von Schubert, T. 114/115, dort ebenfalls ppp + dim.), vgl. Stefan Litwin: Übersetzen am Klavier, in: In Ketten tanzen,hrsg. von Gabriele Leupold, 2008, S. 99-110, nachlesbar z. Teil in google books:
    "https://books.google.de/books?id=EH-s_7cr-aYC&pg=PA106".

    Er empfiehlt die Verwendung des zu Schuberts Zeiten gängigen "Moderator-Pedals" (durch das ein Filzstreifen zwischen Saiten und Hämmer geschoben u. eine sehr starke Dämpfung des Tons erzielt wird (auch noch in Schönbergs op. 11,1 gefordert).

    Litwin deutet außerdem die diminuendo-Vorschrift als decrescendo und ritardando zugleich, wodurch das decrescendo von der Aufgabe, das Verklingen allein darzustellen, entlastet wäre.

    ich würde weiterhin eine optimale Hörerposition voraussetzen , d.h. abgesehen vom Spielers selbst nur noch ein paar weitere Zuhörer in kleinem Raum.

    schließlich denke ich , daß es den "musikalischen Sinn" ("quasi aus größter Entfernung, einen choralartigen Gesang ... in dichtester Verbindung ... das alles auch noch immer weiter verschwindend bis zur Grenze der Hörbarkeit.") nicht wirklich (zer-)stört, wenn dieser ferne Choral ab und an nicht ganz "durchkommt". Wenn sich etwas an einer Grenze " bewegt , wäre es m.E. (in unserm Kontext jedenfalls) ein überflüssiger oder sogar schädlicher Perfektionismus zu verlangen , diese Grenze dürfe auf keinen Fall überschritten werden.

    wäre nun die Frage , ob unter all diesen Bedingungen nicht doch eine Realisierung der Schubert -Stelle möglich wäre, die vielleicht nicht perfekt , aber doch so "nahe dran" und angemessen wäre, daß die Frage nach einem anderen , "fortgeschrittenerem" Instrument sich erübrigen würde.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • mich würde schon interessieren, ob mein Versuch, zugegeben stark zugespitzt, einen Unterschied von tre corde und una corda zu beschreiben, irgendwie nachvollziehbar ist (ist klar, da spielt auch das zur Verfügung stehende Instrument eine große Rolle), weil - falls das nachvollziehbar ist - es ein Indiz für einen Verlust beim Fortschritt sein könnte

    Ehrliche Antwort: Ich kann an una-corda-Klängen nichts grundsätzlich "Erotischeres" Hören als an tre-corde. Wenn ich den klanglichen Unterschied zwischen beidem beschreiben sollte, würde ich nur ganz allgemein sagen: weicher, obertonärmer, weniger brillant, gedeckter. Aber die mit diesem Klang verbundenen Empfindungen ("erotischer") könnte ich nicht im Klang an sich festmachen.

    Stefan Litwin setzt sich ja mit einem den dynamischen Vorschriften nach ähnlichen Fall auseinander (1. Satz der Sonate G-Dur DV 894 von Schubert, T. 114/115, dort ebenfalls ppp + dim.), vgl. Stefan Litwin: Übersetzen am Klavier, in: In Ketten tanzen,hrsg. von Gabriele Leupold, 2008, S. 99-110, nachlesbar z. Teil in google books:
    "https://books.google.de/books?id=EH-s_7cr-aYC&pg=PA106".

    Er empfiehlt die Verwendung des zu Schuberts Zeiten gängigen "Moderator-Pedals" (durch das ein Filzstreifen zwischen Saiten und Hämmer geschoben u. eine sehr starke Dämpfung des Tons erzielt wird (auch noch in Schönbergs op. 11,1 gefordert).

    Litwin deutet außerdem die diminuendo-Vorschrift als decrescendo und ritardando zugleich, wodurch das decrescendo von der Aufgabe, das Verklingen allein darzustellen, entlastet wäre.

    Das Moderato-Pedal hilft in den wenigsten Fällen, weil es natürlich unterschiedslos alle Töne dämpft und in der Länge zusätzlich beschneidet, so dass die eigentlich durchklingenden Stimmen dadurch noch weniger verbunden wären. Ich fände seine Verwendung auch vor allem am Ende des langsamen Satzes der B-Dur-Sonate problematisch, weil der unvermeidliche extreme klangliche Bruch im Widerspruch zu dem allmählichen Verschwinden stünde. Bei der G-Dur-Sonate wiederum soll ja aus dem ppp-dim. dann durch cresc. wieder zur Reprise geführt werden, was ebenfalls ohne einen solchen Bruch viel stimmiger ist. Das wäre deshalb für mich keine Option, selbst wenn es ein solches Pedal an modernen Flügeln gäbe.
    Dass dim. bei Schubert oft auch rit. bedeutet, sehe ich aber genauso. Nur leider: Damit werden die Probleme der Verbindung durchklingender Töne noch größer...

    schließlich denke ich , daß es den "musikalischen Sinn" ("quasi aus größter Entfernung, einen choralartigen Gesang ... in dichtester Verbindung ... das alles auch noch immer weiter verschwindend bis zur Grenze der Hörbarkeit.") nicht wirklich (zer-)stört, wenn dieser ferne Choral ab und an nicht ganz "durchkommt". Wenn sich etwas an einer Grenze " bewegt , wäre es m.E. (in unserm Kontext jedenfalls) ein überflüssiger oder sogar schädlicher Perfektionismus zu verlangen , diese Grenze dürfe auf keinen Fall überschritten werden.

    Natürlich kann man dem musikalischen Sinn auch mit unzureichenden Mitteln nahe kommen. Für mich ist die Frage: Wie kann man ihm noch näher kommen? Ich kann das sicher nicht, indem ich bewusst auf die für mich besten Mittel verzichte.

    wäre nun die Frage , ob unter all diesen Bedingungen nicht doch eine Realisierung der Schubert -Stelle möglich wäre, die vielleicht nicht perfekt , aber doch so "nahe dran" und angemessen wäre, daß die Frage nach einem anderen , "fortgeschrittenerem" Instrument sich erübrigen würde.

    Es ist zweifellos eine Realisierung möglich, die mehr oder weniger "nahe dran" ist, aber warum sollte sich damit die Frage nach dem "noch näher dran" erübrigen?

    Christian

  • Was das "Moderator-Pedal" betrifft: Schubert unterscheidet zwischen con sordini (Moderator) z.B. in der Sonate D784 und mit Verschiebung (una corda bzw. due corde).
    Nun, D784 ist eine Sonate, die extrem viel vom Instrument fordert. Obwohl ich keine Religion habe, was moderne und alte Instrumente betrifft (unter meinen Lieblings-D960 z.B. findet sich sowohl ein Jörg-Ewald Dähler auf Hammerflügel als ein Radu Lupu auf modernem Klavier), habe ich keine Einspielung der D784 auf Hammerflügel gefunden (weder Badura-Skoda noch Bilson noch Vermeulen), die es mit Richter, Vedernikov, Ronald Smith oder Mikhail Rudy auf modernem Klavier aufnimmt, was Nuancierung, Farbigkeit, Klangperspektive betrifft. Obwohl sie kein Moderator-Pedal haben. Die Mechanik des modernen Konzertflügels muß wohl so raffiniert sein, daß sie dieses Extra-Pedal obsolet macht (J.-E. Dähler, der sein Instrument fabelhaft beherrschte, hat es bezeichnenderweise unterlassen, D784 aufzunehmen).

    Dass dim. bei Schubert oft auch rit. bedeutet, sehe ich aber genauso

    Füt mich bedeutet diminuendo : rallentando (ritardando) + decrescendo (wenigstens habe ich es so gelernt) und in Schuberts Musik macht es Sinn, zumal bei ihm oft ein a tempo nachher vorkommt.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ausgangspunkt war durchaus die Erfahrung, dass ein angeschlagener Akkord auf dem Cembalo schneller abklingt als auf dem Flügel ... ... allerdings war die Stichprobe bei "Cembalo" nicht größer als vier oder fünf.

    Gruß
    MB

    Physikalisch wäre wegen der geringeren Saitensteifigkeit (= weniger innere Dämpfung) wegen des deutlich geringeren Durchmessers eher das Gegenteil zu erwarten. Auf dem modernen Flügel hört man aus diesem Grunde in den obersten Tönen auch nur ein "plock, plock", da klingt nichts mehr nach - dort sind die Saiten bezogen auf Ihre Länge besonders dick. Tatsächlich klingen die hohen Cembalosaiten auch erkennbar länger.
    Bleibt die Frage nach dem Grund des Eindrucks, daß der Cembaloklang nicht so lange steht. Tut er das aber wirklich? Oder ist es nicht so, daß er tatsächlich länger steht, WENN DIE SELBE Anregungsenergie auf die Saite wirkt? Und da ist der Hund begraben: Beim Cembalo ist die Anregungsenergie vergleichsweise gering, wohingegen diese beim modernen Flügel in einer ersten Stufe nur von der Kraft des Pianisten abhängt - und in einer zweiten von der Belastbarkeit des Materials: Bei Beethoven sollen hin und wieder die Saiten der ihm damals zur Verfügung gestandenen Instrumente gebrochen sein. Da bleibt natürlich auch mehr, was sich auf den (schwereren) Resonanzboden und die übrigen Saiten verteilen läßt und was dann zum längeren Ton führt Dazu kommt, daß das Cembalo kein Dämferpedal hat. Läst man die Taste los, ist der Ton weg. Schraubt doch mal einem heutigen Pianisten das rechte und das mittlere Pedal ab, was dann noch vom "nachklingenden" Ton bleibt... ;)

    Schon die Zuweisung des Werkes an das "Clavicembalo" ist eine Bearbeitung der Werkidee durch den Komponisten.

    Einwand vom Semantiker: initial ist das keine Bearbeitung, sondern (wenn er's schon explizit wie bei den Goldbergvariationen hinschreibt) eine Entscheidung für einen spezifischen Klang im Rahmen eben seiner Werkidee - aus welchen Gründen auch immer. Er hätte diese Bemerkung ja auch einfach weglassen können, wenn's ihm wurscht gewesen wäre und wofür es ja auch viele Beispiele gibt. Bearbeitung ist dann alles andere, was daraus gemacht wird.

    daß die heutigen Möglichkeiten an Dynamik etc u.U. Fähigkeiten scheinbar überflüssig machen, die ein Cembalist haben musste, um ähnliche Differenzierungen mit anderen Mitteln zu erreichen, könnte einer der Nachteile sein, die neue Möglichkeiten mit sich bringen. Allerdings gibt es kein Naturgesetz, nachdem man auf einem modernen Flügel außer den nur da möglichen Differenzierungen in Dynamik und Kantabilität auch noch die alte Kunst der rhythmischen Phrasierung üben könnte.

    Stellen wir's doch einfach mal gegenüber:

    moderner Flügel
    - ist lauter, daraus als Folge: der Ton steht länger.
    - kann dynamische Abstufungen
    - wenns der Pianist kann: mehr Farbigkeit durch unterschiedliche Anschlagstärke einzelner Töne eines Akkordes
    - kann die Dämpfung für alle oder die Bereits angeschlagenen Töne unabhängig von gedrückten Tasten steuern

    Cembalo (zweimanualig, 8', 8', 4')
    - hat weniger Tastenweg
    - hat eine leichtere Auslösung
    - macht Spiel in Oktaven sehr leicht
    - die drei Register klingen jeweils anders (n.b.: 4' kann auch eine Oktave tiefer als 8' gespielt werden, wenn das auf dem selben Manual liegende 8'-Register nicht gezogen ist)
    - es gibt mindest einen Lautenzug als nichtklingendes Register

    die Aufzählung ist sicher nicht vollständig, aber es wird doch deutlich, daß die beiden Instrumente völlig unterschiedliche Möglichkeiten haben. Der Hauptvorteil beim modernen Flügel ist sicher die Möglichkeit zu dynamischen Differenzierungen: deswegen hieß dieses Teil ja auch mal Gravicembalo col piano e forte. Zu behaupten, ein ausdrucksvolles Spiel wäre nur unter dieser Voraussetzung möglich, geht aber sicher an der Sache vorbei (ich habe hier gelegentlich diesen Eindruck in der Diskussion, wobei ich mir sicher bin, daß das so niemand vertritt).
    Der Hauptvorteil des Cembalos, speziell bei polyphonen Stücken (wie z.B. die Goldbergvariationen) ist dagegen die klangliche Differenzierung über die unterschiedlichen Register, d.h. das Spiel wird einfach "von sich aus" transparenter, wobei der eher kurze Ton vermutlich auch nocht beiträgt. Ich habe es jedenfalls so gelernt, daß bei Polyphonie quasi "Lücken" bleiben müssen, damit die "dahinter" liegenden Stimmen durchdringen können. Spielt oder singt man zu breit, werden die anderen Stimmen zugedeckt, es wird akkordisch. (Das Beispiel einer meiner Lehrer waren die Kulissenvorhänge im Theater: Man muß von vorne noch auf die hintersten durchblicken können. Ist einer geschlossen, bleiben die dahinter unsichtbar)
    Für das praktische Beispiel hört Euch doch bitte man die Goldbergvariationen von Gustav Leonhardt und von Glenn Gould (1955) an, zwei Aufnahmen, die ich beide sehr schätze und die ich auch beide schon lange Zeit in meiner Sammlung habe (beides ist auch auf U-Rohr). Bei Leonhardt hört man immer, welche Stimme auf dem einen, und was auf dem anderen Manual gespielt wird, und jeder einzelne Ton ist separat zu hören. Bei Glenn Gould ist diese Transparenz nicht in dieser Form hörbar und gemeinsame Anschläge mischen sich auch schon mal gut, was aber nicht am Interpreten liegt, sondern an den Möglichkeiten des Instrumentes. Bei solchen Stücken läßt sich ja gerade nicht über die Anschlagsdynamik der einzelnen Töne differenzieren, wenn diese in unterschiedlichen, aber ansonsten gleichberechtigten Stimmen liegen, da dann die eine Stimme mehr Gewicht über die andere bekommen würde.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Auf dem modernen Flügel hört man aus diesem Grunde in den obersten Tönen auch nur ein "plock, plock", da klingt nichts mehr nach

    fairerweise sollte man dann aber dazusagen, daß diese Töne in einer Lage sind, wo beim Cembalo schon lang die Tastatur zu Ende wäre...

    Bleibt die Frage nach dem Grund des Eindrucks, daß der Cembaloklang nicht so lange steht. Tut er das aber wirklich?

    Deinen sehr informativen Ausführungen würde ich nur etwas ganz einfaches hinzufügen wollen:
    der Anschlag, das perkussive Element, der "Attack" ist halt beim gerissenen Cembaloton so deutlich abgehoben, daß im Verhältnis dazu der stehende Ton danach schwächer wirkt, zumal ja doch meistens andere angeschlagene Töne ihn ablösen...

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Ich habe es jedenfalls so gelernt, daß bei Polyphonie quasi "Lücken" bleiben müssen, damit die "dahinter" liegenden Stimmen durchdringen können.

    Danke für diesen Hinweis, lieber bustopher!
    Genau dieses Prinzip der "kurzen" Töne verwendet auch Grigory Sokolov bei seinen Bach-Interpretationen auf dem "modernen" Flügel - wohldosiert und im Verein mit anderen Techniken - mit dem Erfolg einer, wie finde, phänomenalen Durchhörbarkeit der Polyphonie.
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    Bach auf dem modernen Flügel - mit Sokolov für mich eine perfekte "Kombination" ...

    Liebe Grüße,
    Berenice

    Colors are like music using a short cut to our senses to awake our emotions.

  • ist lauter, daraus als Folge: der Ton steht länger.

    Ich bezweifle sehr, dass das an der Lautstärke liegt. Bei den höchsten Diskanttönen hast Du Recht, die sind auch auf modernen Flügeln beklagenswert kurz (wenn auch bei Spitzeninstrumenten keineswegs nur "plock"), aber wenn ich z.B. ein zweigestrichenes c mit der geringsten mir möglichen Intensität ohne Pedal anschlage, klingt es auf meinem Flügel (Steinway B) ca. 10 Sekunden hörbar nach, wenn ich das rechte Pedal zu Hilfe nehme ca. 13 Sekunden. Die Töne sind dann aber beim Anschlag leiser als bei jedem Cembalo.

    Christian

  • Ich bezweifle sehr, dass das an der Lautstärke liegt. Bei den höchsten Diskanttönen hast Du Recht, die sind auch auf modernen Flügeln beklagenswert kurz (wenn auch bei Spitzeninstrumenten keineswegs nur "plock"), aber wenn ich z.B. ein zweigestrichenes c mit der geringsten mir möglichen Intensität ohne Pedal anschlage, klingt es auf meinem Flügel (Steinway B) ca. 10 Sekunden hörbar nach, wenn ich das rechte Pedal zu Hilfe nehme ca. 13 Sekunden. Die Töne sind dann aber beim Anschlag leiser als bei jedem Cembalo.

    Christian

    theoretisch geschätzt, gefühlt oder gemessen? ;)
    Ich behaupte jetzt mal: ein c" ist auch auf Cembalo 10 Sekunden vernehmbar, zumindest bei gekoppelten Manualen und allen klingenden Registern, das kommt saitenzahlmäßig dem Klavier recht nah, auch wenn eine der Saiten eine Oktave höher klingt...

    Ernsthaft: In Deinem Experiment steckt mindestens eine unbestimmte Variable. Wie groß die von der Taste übertragbare Anregungsenergie auf eine Cembalosaite ist, hängt davon ab, wie der Springer intoniert ist und ist per se ziemlich begrenzt. Ob das mehr oder weniger ist, als das, was mit Deiner geringstmöglichen Anschlagsintensität auf die Saiten übertragen werden kann wissen wir nicht.

    Rein physikalisch gilt grundsätzlich der Energieerhaltungssatz: es kann nicht mehr Energie herauskommen, als hineingesteckt wurde. Hörbarer Schall bedeutet für das schwingende System im Instrument (Saiten, Resonanzboden [...]) Energieverlust. Eine gedachte isolierte Saite im Weltraum hat keine Möglichkeiten zur Energieabgabe und schwingt ewig, wenn man die innere Reibung vernachlässigt, egal auf welchem Wege sie angeregt wurde. Der Energieabfluß (genauer: die Schallleistung = Energie/Sekunde = J/s = Watt) an einer schwingende Saite ohne Resonanzboden auf die umgebende Luft ist wegen der geringen Fläche, an der eine Wechselwirkung stattfinden kann, nur sehr gering, der Ton ist also nur sehr leise (dieses Phänomen kennen wir alle), dafür steht er länger (pro Zeiteinheit fließt wenig Energie ab). Koppelt man eine Membran (d.h. Resonanzboden) an die Saite, vergrößert das die Fläche, an der eine Wechselwirkung stattfindet, pro Zeiteinheit fließt daher mehr Energie ab (J/s höher), die Schalleistung ist höher. Damit wird bei gleicher Anregungsenergie (d.h. bei gleicher initialer Auslenkung der Saite) der Ton lauter (das ist der Sinn des Resonanzbodens), klingt aber auch rascher ab - es kann ja nur die Energie zur Schallerzeugung hergenommen werden, die im System steckt, und die ist jetzt schneller "weg". Ist der Ton also bei zwei verschiedenen schwingenden Systemen (Saiten, Resonanzboden [...]) einem System bei gleicher Anfangslautstärke länger oder bei höherer Anfangslautstärke mindestens genauso lang, steckt initial mehr Energie im ersten System.

    Wenn Du also versuchst, auf dem B-Steinway den Ton genauso laut hinzubekommen, wie auf einem Cembalo und der Ton steht auf dem modernen Flügel länger, als auf letzterem, steckt initial mehr Anregungsenergie im Flügel (diese Abschätzung ist wegen der geringeren Resonanzbodengröße des Cembalos sogar auf der sicheren Seite). Von der inneren Dämpfung aufgrund unterschiedlicher Saitensteifigkeit und Resonanzbodendicke haben wir hier noch gar nicht gesprochen.

    Wenn wir also sicher sind, daß ein moderner Flügel bei gleicher Anfangslautstärke in dB (also gleicher Schalleistung; der Leistungspegel in dB ist nur eine logarithmische Umrechnung daraus) länger klingt, als ein Cembalo, dann wüßte ich gerne, wohin die Energie beim Cembalo verschwindet, wenn die Anregungsenergie in beiden Fällen identisch war und nicht vorher bereits mehr Energie in den Flügel gesteckt wurde. Der Energieerhaltungssatz gilt auch für Musikistrumente...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • theoretisch geschätzt, gefühlt oder gemessen?

    Gemessen.

    Ich behaupte jetzt mal: ein c" ist auch auf Cembalo 10 Sekunden vernehmbar, zumindest bei gekoppelten Manualen und allen klingenden Registern, das kommt saitenzahlmäßig dem Klavier recht nah, auch wenn eine der Saiten eine Oktave höher klingt...

    Wie gesagt: Ich habe die Taste mit der geringsten mir möglichen Intensität, also im pianissimo angeschlagen. Dem entspricht wohl kaum ein Cembalo-Ton mit gekoppelten Manualen und allen klingenden Registern.

    Christian

  • Wenn wir also sicher sind, daß ein moderner Flügel bei gleicher Anfangslautstärke in dB (also gleicher Schalleistung; der Leistungspegel in dB ist nur eine logarithmische Umrechnung daraus) länger klingt, als ein Cembalo, dann wüßte ich gerne, wohin die Energie beim Cembalo verschwindet, wenn die Anregungsenergie in beiden Fällen identisch war und nicht vorher bereits mehr Energie in den Flügel gesteckt wurde. Der Energieerhaltungssatz gilt auch für Musikistrumente...

    so ungefähr hatte ich mir's ja auch gedacht, auch wenn ichs soo nicht hätte ausführen können - aber dann beim "Selbstversuch" (#83) hatte ich eben auch den Eindruck, daß der Flügel länger klingt.

    Könnte es sein, daß beim Cembalo besonders viel Energie beim Anriß "verbraucht" wird, so daß der Ton relativ laut erklingt, dann aber nicht mehr so viel Energie für die Ausklingphase zur Verfügung steht?

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Könnte es sein, daß beim Cembalo besonders viel Energie beim Anriß "verbraucht" wird, so daß der Ton relativ laut erklingt, dann aber nicht mehr so viel Energie für die Ausklingphase zur Verfügung steht?

    das ist auch mein Eindruck...
    hängt sicher mit dem "Anreißpunkt" zusammen: würde der eher in der Mitte der Saite sein, wäre das Verhältnis zwischen Attack-Lautstärke und Release-Zeit sicher anders: der Ton würde weicher und länger klingen.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • ein c" ist auch auf Cembalo 10 Sekunden vernehmbar

    müßte hinkommen, auf meinem einfach besaiteten Nachkriegs -Eierschneiderkistchen sind's 5-6Sec.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Gemessen.

    Noch mal zur Klarstellung: Gemessen habe ich natürlich nicht die Anfangslautstärke sondern die Zeit zwischen Anschlag und Unhörbarkeit. Wenn man aber behauptet, dass die letztere allein von der ersteren abhängt (und darum ging es hier ja), weil nur die eingesetzte Energie entscheidend ist, müsste man auch die These vertreten, dass ein Holzblock genauso lange nachklingt wie ein Tamtam, wenn man beide mit derselben Intensität anschlägt. Das bezweifle ich auch ohne entsprechende Messung. Ich bin kein Physiker, aber da spielen doch offenbar noch andere Einflüsse eine Rolle. Im Übrigen habe ich zum Nachklang von Cembali kein Wort geschrieben. Sei mal so nebenbei erwähnt...

    Christian

    Ach ja, und noch was: Der Vergleich der drei gleichzeitig angeschlagenen Klaviersaiten mit den gekoppelten Registern beim Cembalo ist natürlich falsch, weil ja bei der Koppelung jede einzelne Saite mit derselben Energie angerissen wird wie beim Einzelregister, während die mehrchörigen Klaviertöne sich die Energie des einen Hammerkopfes teilen.

  • Der Vergleich der drei gleichzeitig angeschlagenen Klaviersaiten mit den gekoppelten Registern beim Cembalo ist natürlich falsch, weil ja bei der Koppelung jede einzelne Saite mit derselben Energie angerissen wird wie beim Einzelregister, während die mehrchörigen Klaviertöne sich die Energie des einen Hammerkopfes teilen.

    kommt drauf an: wenn ich die vom Finger eingesetzte Energie als Ausgangspunkt nehme, müssen sich die gekoppelten Anreißvorrichtungen auch die Energie teilen, die beim Klavier ein Hammer für sich hat und auf drei nsaiten verteilt....

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • die Ausgangsfrage war doch , wie es mit der Abklingzeit bei gleicher Anfangslautstärke aussieht. und da hat allem Anschein nach der Flügel die Nase vorn.

    Ich fände es daher interessant zu wissen , wie es aussieht , wenn man die allererste Zeit von Anriß/Anschlag ausklammert.
    Aber das ist wohl schon eine so ausgetüftelte Fragestellung, daß man dafür eine Spezialuntersuchung bräuchte.

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  • weil nur die eingesetzte Energie entscheidend ist, müsste man auch die These vertreten, dass ein Holzblock genauso lange nachklingt wie ein Tamtam, wenn man beide mit derselben Intensität anschlägt. Das bezweifle ich auch ohne entsprechende Messung.

    ich denke , daß da die sog. "Steifigkeit" eine Rolle spielt.
    Die sollte beim Flügel aber ja größer sein als beim Cembalo. Von daher wäre zu erwarten, daß der Flügel eher wie ein Holzblock, das Cembalo eher wie ein Tamtam klingt (was ja wohl mancher auch meint ...)
    ;)

    ---
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  • wenn ich die vom Finger eingesetzte Energie als Ausgangspunkt nehme, müssen sich die gekoppelten Anreißvorrichtungen auch die Energie teilen, die beim Klavier ein Hammer für sich hat und auf drei nsaiten verteilt....

    Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Energie, die ein Anriss beim Cembalo braucht, hängt ausschließlich vom Instrument ab. Bei zwei oder mehr Anrissvorgängen gleichzeitig (also bei gekoppelten Registern oder Manualen) vervielfältigt sich die benötigte Energie entsprechend, der Finger muss also mehr arbeiten. "Geteilt" wird da gar nichts. Wäre die Energie, die in die Schwingung der Saite mündet, von der abhängig, die vom Finger eingesetzt wird, wäre das Cembalo anschlagsdynamisch. In dem Fall würde sogar ich Interesse an dem Instrument entwickeln, weil man dann endlich nicht mehr diese furchtbaren falschen Betonungen spielen müsste :D .

    Ich fände es daher interessant zu wissen , wie es aussieht , wenn man die allererste Zeit von Anriß/Anschlag ausklammert.
    Aber das ist wohl schon eine so ausgetüftelte Fragestellung, daß man dafür eine Spezialuntersuchung bräuchte.

    Das Abklingverhalten von Tönen hat doch offensichtlich mit verwendeten Materialien, Resonanzen usw. zu tun, nicht nur mit ihrer Anfangslautstärke oder der eingesetzten Energie.

    ich denke , daß da die sog. "Steifigkeit" eine Rolle spielt.

    Dachte ich mir doch. Steifigkeit finde ich immer gut :versteck1: .

    Christian

  • Wäre die Energie, die in die Schwingung der Saite mündet, von der abhängig, die vom Finger eingesetzt wird, wäre das Cembalo anschlagsdynamisch.

    hast ja Recht, da ist mir ein Denkfehler unterlaufen...

    Steifigkeit finde ich immer gut

    aber immer schön aufs Abklingverhalten achten!

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  • Das Abklingverhalten von Tönen hat doch offensichtlich mit verwendeten Materialien, Resonanzen usw. zu tun, nicht nur mit ihrer Anfangslautstärke oder der eingesetzten Energie.

    eben

    ---
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