Glocken, Glockengeläut in der Musik

  • Rodion Shchedrin: Slava! Slava! ("Ein festliches Glockengeläut", Rostropovich zum 70. Geburtstag gewidmet)

    Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks / Neeme Järvi (6:30, 10/2007, live, wahrscheinlich Alte Oper Frankfurt)

    (es wird das Material der Godunow-Krönungsszene verarbeitet)

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Charles Ives: Universe Symphony

    Von der sog. "Universe Symphony" von Charles Ives liegen vom Komponisten nur Skizzen vor. Ähnlich wie im Fall von Mahler X gibt es Rekonstruktionen/Vervollständigungen/Bearbeitungen, die das Material in eine aufführbare Form bringen, und zwar mindestens zwei, eine von Larry Austin, eine andere von Johnny Reinhard. Beide unterscheiden sich erheblich, sind eigentlich völlig verschiedene Stücke, was schon an den Aufführungsdauern deutlich wird (ca. 37 bzw. ca. 64 min., übrigens "an einem Stück" verlaufend).

    Einer Bemerkung im booklet der Reinhard-Version zufolge stammt in der Austin-Bearbeitung mehr von Austin als von Ives. Das kann gut sein; die Austin-Fassung ist jedenfalls für meine Ohren ein fulminantes Stück Musik geworden. In dieser Fassung spielt die Glocke eine große Rolle; es gibt eine Art Grundschlag, der alle acht Sekunden von einer Röhrenglocke ausgeführt wird (den gibt es auch bei Reinhard, wird dort aber ganz anders realisiert). Das ergibt - für meine Ohren zumindest - eine außerordentlich hypnotische Wirkung, die das ganze Stück über anhält (nach der 1. Hälfte tritt die Glocke zeitweise zurück, um sich später wieder zu melden). Besonders gut kommt das in dieser Aufnahme heraus:

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    (Dir.: Gerhard Samuel; Lautstärkeregelung muss man bei mir stark aufdrehen, die Glocke setzt ab gut 2 min. ein)

    in dieser Einspielungen derselben Fassung tritt die Glocke etwas mehr zurück, anderes hört man dafür vielleicht besser:

    Dieser Ives klingt (sowohl bei Austin wie bei Reinhard) anders als der, sagen wir, der "Three places" oder auch der 4. Sinfonie; die tonalen Collagen fehlen ganz, die Tonsprache würde man völlig in der 2. Hälfte des vorigen Jh. suchen, erinnert vielleicht an Scelsi.
    Es klingt auch nicht so "kosmisch", wie es der Titel vielleicht erwarten/befürchten läßt (ich mag so etwas nicht so sehr). Ein Kommentator bei yt findet: It sounds like hundreds of other "modern" works. No personality. Ich finde das nicht.

    Das Werk verdient eine viel gründlichere Behandlung, als sie hier geleistet werden kann.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Aktuell gehört:

    Heino Eller: "Die Glocken" Klavierstück

    Karol Szymanowski: "Veni Creator" für Sologesang, Chor und Orchester. Zum Schluß erklingen hier die Glocken. Diese Musik war sein Einstand als Rektor der staatlichen Musikhochschule im Jahre 1930, und dementsprechend ausladend mit etwas Pomp.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Charles Ives: From the Steeples and the Mountains

    Als Entstehungszeit für dieses kühne Stück wird in Wikip. engl. und anderen Quellen das unglaubliche Jahr 1901 angegeben.

    Besetzung: Trompete, Posaune, vier "sets of bells"

    Könnte man sich auch als Studie zur Universe Symphony vorstellen.

    Zitat

    Its inspiration probably arises from a real incident from the composer's youth as he walked on a Sunday in the local hills and heard the bells of four different churches in four different towns playing at the same time different music in different tempos and keys.

    "http://www.classical.net/music/recs/reviews/h/hyp55018a.php"

    Zitat

    Its effect is characteristically wild, with the polytonality simulating and extending the clangorous confusion of bell changes when completely disordered. Ives wrote on the score exultantly: ''From the Steeples—the Bells—then the Rocks on the Mountains begin to shout!''

    "http://www.gramophone.co.uk/review/from-th…d-the-mountains"

    Hierauf enthalten, diese und andere Einspielungen auch auf spotify:

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • halb off topic - verschiebefähig?

    Danke an zabki für diesen CD-Tipp. Ich dachte, ich hätte die Orchestermusik von Ives einigermaßen beieinander. Irrtum! :thumbup:

    Die Universe Symphony hat für mich den Nachteil, dass man nicht mehr wirklich sagen kann, Ives hätte sie "komponiert". Da spielt in meines Erachtens überdimensionierter Weise die Rekonstruktion von Entwürfen und bloßen Vorstellungen des Schöpfers eine entscheidende Rolle. Gut - der hochinteressanten Hörerfahrung tut dies keinen Abbruch.

    Einverstanden bin ich mit Deiner Sicht, dass man sich beim Hören dieser Musik entfernen muss von den Erwartungen einer naturalistisch-expressionistische Bilderwelt, wie sie etwa die vierte Sinfonie oder die Bilder aus Neu-England idealtypisch erfüllen. Es sind abstrakte, beinahe mathematisch errechnete Klangkonstrukte. Der Vergleich mit Scelsi gefällt mir gut.

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Die Universe Symphony hat für mich den Nachteil, dass man nicht mehr wirklich sagen kann, Ives hätte sie "komponiert"

    ich halte es schon auch für möglich, daß bei gründlicherem Hören einen eine Art Ungenügen anwandelt. Aber ich denke, sowohl in der Konzeption wie in der Klanglichkeit schlägt viel Ivessche Qualität durch, wenn auch weniger in der Art, wie wir es gewohnt sind.

    Es sind abstrakte, beinahe mathematisch errechnete Klangkonstrukte. Der Vergleich mit Scelsi gefällt mir gut.

    Den booklets zufolge soll ja tatsächlich eine Menge an mathematischer Kalkulation drinstecken. Es klingt aber m.E. gar nicht so, im Gegenteil, die acht-Sekunden-Röhrenglocke scheint mir ihre hypnotische Wirkung gerade dadurch zu haben, daß sie ihre unerbittliche Regelmäßigkeit in einer quasi chaotischen Umgebung behauptet.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Joseph Joachim: Abendglocken (1853)

    Das Stück ist das mittlere der Drei Stücke für Violine und Klavier op. 5, die beiden anderen sind Lindenrauschen und Ballade betitelt.

    Ich habe nur eine Aufnahme ermittelt, und die ist vergriffen:

    "http://www.tacet.de/main/seite1.ph…hp&bestnr=00560"

    Noten gibt's bei petrucci oder hier:

    "https://josephjoachim.com/2015/07/19/jos…cke-op-5-score/"

    Zu dem Stück gibt's noch etwas zu erzählen:

    Auf Grund von Gerüchten hatte Schumann voreilig Joseph Joachim zu dessen Verlobung mit Gisela von Arnim (einer Tochter von Bettina von Arnim) gratuliert. Als Antwort schickte Joachim an Schumann die Stücke op. 5, dazu schreibt er u.a.:


    (Brief vom 23.11.1853, in: Joseph Joachim, Briefe..., Bd. 1, Berlin 1911, S. 109):

    "http://kvk.bibliothek.kit.edu/view-title/ind…&showCoverImg=1"

    Bei den "3 andern Tönen", die Joachim anspricht, handelt es sich um die Folge gis-e-a, die ersichtlich für "Gisela" steht; die Tonfolge f-a-e ist eine Umkehrung davon. Beide Tonfolgen zusammen stellen die "Abendglocken" dar. "f-a-e" wurde dann bekanntlich in der sog. F.A.E.-Sonate verwendet, die Schumann gemeinsam mit Albert Dietrich und Brahms komponierte, um sie dem Freund Joachim zuzueignen. Insofern wäre auch die F.A.E.-Sonate ein Glockenstück, und schließlich auch Schumanns Dritte Violinsonate, die Schumann aus seinen beiden Beiträgen zur F.A.E.-Sonate und zwei weiteren Sätzen zusammenstellte. In dieser, m.E. überhaupt Schumanns kühnstem Werk, mag man denn auch vielfachen seltsamen Widerhall von Geläut wahrnehmen.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Alexander Alabieff (Alyabyev): "Abendglocken", Text von Iwan Iwanowitsch Koslow (nach Thomas Moore). Das Lied wurde insbesondere berühmt durch Serge Jaroff und seine Don Kosaken (ich konnte sie noch im Original hören...)

     

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Die jüngste CD des Pianisten Herbert Schuch "Invocation"

    enthält eine ganze Reihe von "Glockenstücken":

    Tristan Murail: "Cloches d'adieu, et un Sourire...in memoriam Olivier Messiaen"
    Ravel: "La Vallee des cloches"
    Messiaen: "Cloches d'angoisse et larems d'adieu"

    Bei den Liszt-Stücken müsste ich nachhören, ob es da Anklänge an Glockengeläut gibt - es ist aber vermutlich nicht leicht, ein Klavierstück von Liszt zu finden, bei dem man die Inspiration durch Glockenklang ganz ausschließen kann.

    In Scriabins Poème de'l Extase gibt es am Schluss einen ziemlich massiven Glockeneinsatz, der allerdings in zahlreichen Aufnahmen wegen der tumultösen Extase des Orchesters nur zu ahnen ist. Sehr deutlich aber in der Aufnahme der New Yorker Philharmoniker unter Boulez zu hören.

  • in der Etüde für Klavier Nr. 13 L'escalier du diable von György Ligeti gibts einen vom Komponisten selbst als "wild ringing of bells" bezeichneten Abschnitt. Im Grunde gehts dann in Abwandlungen bis zum Schluß.

    aus einer Gesamtaufnahme der Etüden mit Noten:

    https://www.youtube.com/watch?v=XHhZ2TzHlow

    bei 34:40 (Anfang der Etüde bei 32:35).

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Der erste Satz der Sonate für 2 Klaviere von Paul Hindemith, betitelt: "Glockenspiel".

    (Wie ich gerade zufällig herausgefunden habe, sollte dieses Werk in diesem Jahr auf den Schwetzinger Festspielen aufgeführt werden, von Andreas Grau und Götz Schumacher, die auch vor Jahren die obige CD eingespielt haben. Die Festspiele wurden aber wegen der Corona-Krise abgesagt.)

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Passend zur Klavier-CD von Post #72 hier weiter oben nun der Hinweis auf eine genau zu diesem Thread-Thema passende Klaviermusik-CD der Pianistin Irmela Roelcke, die CD erscheint allerdings erst im August.

    "Cloches et Carillons"

    Aktuelles | Irmela Roelcke

    In Deutschlandfunk Kultur wird in der Sendung "Die besondere Aufnahme" vom 02.07.2022 die CD besprochen, mit vielen Hörbeispielen:

    Die besondere Aufnahme
    Exemplarische Interpretationen klassischer Musik, besondere Sternstunden in der Besetzung, historisch gewordene Archivaufnahmen der jüngeren Zeit
    www.deutschlandfunkkultur.de

    Mir gefallen besonders gut die 2 zusammengefassten Stücke von erst Florent Schmitt und dann Louis Vierne ab 37:46

    Gibt es eigentlich einen Thread zu Musik, die zusammenhängt mit dem 1. WK, hier im Forum?

    Louis Vierne trauert in dem Stück um seinen im 1. Weltkrieg gefallenen Freund Alphons LeDuc (wie immer dieser korrekt geschrieben werden mag).

    (Habe nichts gefunden, aber das muss nichts heißen)

    :wink:

    amamusica

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Vielen Dank, Gurnemanz !

    Aber warum erscheint das nicht, wenn man bei der Suche eingibt "1. Weltkrieg Musik" und "erster Weltkrieg Musik"?

    Warum auch immer, jetzt Dank Deiner Hilfe gefunden,

    Viele Grüße

    amamusica

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


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