Stimmen die zu früh schwiegen

  • Katia Ricciarelli ist auch eine meiner Lieblingssängerinnen, aber bei ihr kann man nicht von einer kurzen Karriere sprechen.
    Ihr Début fand 1969 als Mimí in Mantua statt, ihre letzte Desdemona sang sie 1999 in Palermo.
    Daß ihre Glanzzeit verhältnismäßig kurz war, ist eine andere Sache und auch stark selbstverschuldet.
    Die 80er Jahre waren die Zeit, wo sie totale Katastrophen (1986 als Norma in Triest, 1989 als Luisa Miller in der Scala), aber auch Erfolge - etwa als Lucrezia Borgia 1984 in Bologna oder Ninetta in La Gazza Ladra 1989 in Pesaro - erlebte.
    Sie ist jetzt 70 und taucht vorrangig in Talk- und Reality-Shows auf, hat aber auch als Filmschauspielerin Aufsehen erregt (sie bekam den Nastro d'argento in Venedig für die weibliche Hauptrolle in La seconda notte di nozze von Pupi Avati).

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ein sehr wichtiges Thema - hauptsächlich tragisch, aber auch tröstlich, weil somit an diese Künstler erinnert wird:

    Ich möchte vier Sänger anführen, die hier noch nicht genannt wurden:

    • Johan Botha (1965-2016): ohne Worte - für mich einer der allerallerbesten Tenöre. Ich bin froh, dass ich ihn 19mal in neun Rollen erleben durfte, und ich bin dankbar für alles, was er uns geschenkt hat und noch schenken wollte (geplant waren Tristan und Peter Grimes).
    • Goran Simić (1953-2008): langjähriges Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, ebenfalls an schwerer Krankheit verstorben. Ich habe ihn live knapp verpasst, aber das ganz Wenige, das ich auf Aufnahmen aufgeschnappt habe, gefällt mir sehr gut. Mir wurde erzählt, dass Simić eine wunderbare Bassstimme gehabt, aber eben daraus gar nichts gemacht haben soll - das hat dann schon sogar Aggressionen im Publikum heraufbeschworen ("Der steht unten und leiert die Gremin-Arie so teilnahmslos herunter, was könnte er aus sich machen, wenn er wollte...").
    • Martti Talvela (1935-1989): Ihn habe ich natürlich nie live gehört, aber was ich an Aufnahmen von ihm kenne, begeistert mich sehr. Eine wunderbare Stimme, die er sehr klug einsetzt, und zwar in einer sehr großen Bandbreite (Schuberlieder über Mozart zu Wagner und zu Mussorgski etc.). Tragisch, dass er gerade im besten Alter eines Bassisten plötzlich aus dem Leben gerissen wurde.
    • Juha Uusitalo (*1964): Wiener Staatsoper im Juni 2004: Franz Grundheber ist als Fliegender Holländer angesetzt, sagt aber ab. Einspringer ist der völlig unbekannte Juha Uusitalo, der einen Sensationserfolg für sich verbuchen kann. Die Vorfreude ist groß, als derselbe Juha Uusitalo im Dezember 2007 als Wotan in der Walküren-Premiere angesetzt ist. Am Tag der Aufführung befällt ihn eine Indisposition, er konsultiert einen Arzt, von dem er die Auftrittserlaubnis bekommt. Uusitalo wird nicht als indisponiert angesagt, geht im zweiten Akt aber komplett ein und muss Buhrufe einstecken. Vor Beginn des dritten Aktes tritt der damalige Staatsoperndirektor vor den Vorhang und hält eine sehr seltsame Ansage, der im wesentlichen zu entnehmen war: "Er hat eh gesagt, dass er krank ist, aber selber schuld, wenn er trotzdem singt, aber MIR ist es gelungen, einen Ersatz zu finden.". Ergebnis war, dass im 3. Akt Uusitalo stumm auf der Bühne agierte und Oskar Hillebrandt von der Seite sang, der vom Würstelstand am Westbahnhof stracks in die Oper geholt wurde, und wenn die Würstelstand-Geschichte nicht stimmt, ist sie zumindest gut erfunden. Die unangenehme Frage, wieso um Himmels willen kein Cover organisiert worden war, wenn sich der Wotan-Sänger indisponiert gefühlt hatte, ist bis heute nicht beantwortet.
      Ich selbst habe Uusitalo erst 2010 kennengelernt (als Cardillac und Holländer) und kann mich daran offengestanden nur mehr insofern erinnern, als mir seine Stimme etwas zu leise vorgekommen ist. Im April 2011 habe ich ihn als Rheingold-Wotan gehört, und obwohl in meiner Nähe alle begeistert waren, habe ich deutliche Verschleißerscheinungen wahrgenommen (ich denke, großteils verursacht durch Überforderung durch falsche Rollenwahl). Ein halbes Jahr später war er außer Gefecht, aus gesundheitlichen Gründen (Wiederkehr seines Hirntumors). Ende 2011 tauchten Gerüchte von einem Ableben Uusitalos auf, die sich glücklicherweise nicht bestätigten. Im Juni 2012 Auftritt im Budapester Ring als Wotan/Wanderer, die Anlass zur Hoffnung gaben (wenngleich noch körperlich und stimmlich beeinträchtigt). Anfang Mai 2013 Rückkehr an die Wiener Staatsoper in seiner Debütrolle, als Holländer. Ich war nicht drinnen, aber alle berichteten von einer total grauenhaften Darbietung Uusitalos in der ersten Vorstellung. Ich war in der dritten = letzten Aufführung und war nach den vernichtenden Berichten positiv überrascht, denn Uusitalo tönte zwar nicht so wie in alten Zeiten, aber trotzdem sehr solide, und jedenfalls klang die Stimme nicht irrepabel beschädigt (es fiel im teilweise schwer, sie richtig zu fokussieren), das ließ wieder hoffen. Allerdings haben sich einige unsensible Idioten im Publikum dadurch hervorgetan, dass sie Uusitalo nicht nur bei den Schlussvorhängen, sondern auch während der Aufführung ausbuhten.
      Diese Rückkehr nach Wien war aber nur von kurzer Dauer, denn er ist seitdem hier nicht mehr aufgetreten, es ist still um ihn geworden. Ich habe keine Ahnung, wie es ihm jetzt geht, weiß da jemand vielleicht etwas? Hat der Hirntumor wieder zugeschlagen? Seine Homepage (finnischsprachig, aber Google translator hilft) listet derzeit unter "Calendar" einige Termine aus dem Jahre 2018 auf (Liederabende, Messen, Meisterklassen), aber ob diese Termine auch realisiert wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch weiß ich nicht, in welcher Qualität die Darbietungen stattgefunden haben, so sie überhaupt stattgefunden haben. Jedenfalls ist er 2018 offenbar nur in seinem Heimatland Finnland aufgetreten. Operabase führt als letzten Opernauftritt den Fra Melitone (Forza del destino) im Feb. 2016 in Tampere (Finnland), und was seitdem passiert ist, weiß ich nicht. Kann jemand Auskunft geben? Auf Youtube kursiert ein Mitschnitt von Strawinskis Oedipus Rex vom August 2014, in dem Uusitalo als Kreon zu hören ist. Naja. Er kommt mit den Tücken gut zurande, aber ich komme nicht darum herum, die Stimme im Vergleich zu früher fahl und kraftlos zu finden.
      Ich halte das alles unter anderem deshalb für besonders tragisch, weil Uusitalo eine Stimme besaß, die zu großen Hoffnungen berechtigte. Wer ihn nicht kennt, stöbere bitte auf Youtube und höre sich die Aufnahmen aus seiner frühen Zeit an. Meiner Meinung nach ausgezeichnet: "Schwarzer" Stimmklang, gute Tiefe, aber stählerne Höhe, dazu eine sehr saubere Artikulation, allerdings fällt mir in der Mittellage eine Art "Drücken" auf die Stimme und Röhren auf. Wirklich ein Jammer, dass seine Karriere so früh beendet werden musste - ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich behaupte, dass Juha Uusitalo heute DER Heldenbariton / Bassbariton sein könnte. Übrigens heißt Juha Uusitalo auf Deutsch Johannes Neuhaus.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Ja, das habe ich in meinem vorigen Beitrag auch erwähnt, allerdings stützt sich diese Auskunft ja nur auf seine Homepage und auf sonst keine Belege. Für 2019 habe ich keine Daten gefunden.
    Ich hoffe natürlich, dass er bei möglichst guter Gesundheit ist und nach wie vor auftreten kann, aber zumal ja seine internationale Karriere bzw. seine Opernkarriere beendet ist, sehe ich durchaus Gründe, ihn unter "Stimmen, die zu früh schwiegen" einzureihen. :) Wenn er jetzt nur mehr im vergleichsweise kleinen Kreis in Finnland auftritt, ist seine Stimme ja für viele, die ihn früher gehört haben, verstummt.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Ich glaube die Zahl der Opernsänger/innen, die nach hoffnungsvollen Beginn oder nach großer Karriere zu früh verstummten, sei es durch Tod, Krankheit oder anderen Gründen, ist schier endlos.

    Mir fallen so ganz spontan Bernd Aldenhoff ein, der 51-jährig an Lebensmittelvergiftung starb, Robert Schunk, von dem man eigentlich eine langanhaltende Karriere erwartete und der dann irgendwann auf den Spielplänen nicht mehr auftauchte, Uwe Heilmann, der aus welchen Gründen auch immer, sich frühzeitig aus dem Geschäft zurückzog, Ernst Koszub, der sich von einem Autounfall nicht mehr erholte, Lucia Mazzaria, die für kurze Zeit an großen Häusern sang und von der dann nie mehr etwas gehört habe, Meta Seinemeyer, die mit 33 Jahren an Leukämie starb, Anita Cerquetti, die sich so schnell zurückzog.

    Und was ist mit Sylvia Sass? Warum diese Karriere nicht anhielt, weiß ich eigentlich nicht. Aber da gibt es sicherlich jemanden hier, der darüber Bescheid weiß.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • In diesem Zusammenhang fallen mir Ileana Cotrubas und Janet Baker ein. Beide leben noch, soweit ich weiß. Sie haben aber ihre Karriere zu einem frühen Zeitpunkt beendet.

    Schöne Grüße
    wegan

  • ... hatte ich kürzlich ein spannendes Feature im swr gehört. War auch von der schönen Stimme fasziniert. Leider kam dann eine Erkrankung dazwischen.

    https://www.swr.de/swr2/programm/…-swr-27982.html

    Danke für den Hinweis. Die Stimme hatte wirklich 'Wunderlich-Qualitäten'. Einzig bei der Eloquenz konnte er mit ihm nicht mithalten. Aber ansonsten! Was für ein Tenor ist uns da verloren gegangen.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

  • Regelmäßig kommt mir auf YouTube die französische Sopranistin Alexia Cousin unter:
    Mit 18 Jahren: "

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    "
    8 Jahre später hat sie ohne Angabe von Gründen ihre Karriere beendet. Schade.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

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