Rihm: Die Eroberung von Mexiko. Oper Köln im Staatenhaus. Premiere am 05.05.2016
Aus einem surrealen Theatertext (La conquête de Mexique) und einem weiteren Text des französischen Dramatikers und Theater-Theoretikers Antonin Artaud sowie einem Gedicht des mexikanischen Dichters Octavio Paz hat Wolfgang Rihm für seine Musiktheater-Komposition ein Libretto erstellt, das auf narrative Erzählweise völlig verzichtet. Allenfalls als Anhaltspunkt dient der Zusammenprall der Kulturen Spaniens und der Azteken, bedeutsamer die Übertragung auf den Kampf der Geschlechter - Artauds Text Séraphin wiederholt, wie Rihms Libretto, immer wieder die Worte "neutral - weiblich - männlich". So ist denn der Aztekenkönig Montezuma ein Sopran (dem ein tiefer Alt und ein hoher Sopran im Orchester zugesellt werden) und der spanische Conquistador Cortez ein Bariton (zugehörig zwei "Sprecher"). Peter Konwitschny (Regie) und Johannes Leickaer (Bühne und Kostüme; Dramaturgie: Bettina Bartz) bauen daraus eine nachvollziehbare Handlung, die sich in einem bürgerlichen Wohnzimmer abspielt; es balanciert allerdings über einem Autofriedhof. Dort erleben die Zuschauer mit, wie ein Beziehungsaufbau scheitert, in zunehmend gewaltsame Eroberung übergeht und zerstörte Existenzen zurücklässt. Oder geht am Ende doch noch was?
Ich habe selten eine so packende, spannende und bewegende Aufführung gesehen, abwechseln bedrückend, saukomisch und berührend. Dabei gelingt es der Regie, jede Wendung der hochemotionalen Musik Rihms aufzugreifen und auch dem ziemlich abgehobenen Text immer wieder eine zusammenhängende Bedeutung mitzugeben. Solisten, Orchester und ein fulminanter Bewegungschor (der nicht nur zu sehen, sondern umfangreich auch zu hören ist) setzen das in die Tat um, allen voran durch die mitreißende Darstellung der beiden Hauptdarsteller Ausrine Stundyte und Miljenko Turk. Aus dem Orchester greifen immer wieder die beiden Frauenstimmen (Susanna Andersson mit Tönen aus der äußersten Stratosphäre und Kismara Pessatti im tiefsten Alt) und die beiden Sprecher (Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz, fauchend, zischend, atmend) in das Spiel ein. Die Massaker des Eroberungskrieges laufen als Videospiel-Collage ab, ein sehr gelungener Einsatz der neuerdings arg inflationär eingesetzten Technik (verantwortlich: fettFilm).
Das vor der Bühne in die Breite gezogene Orchester, ergänzt durch zwei Soloviolinien jeweils am äußersten linken und rechten Bühnerand und drei Schlagzeug-Podeste links, rechts und hinter dem Publikum wird ergänzt durch Einspielungen von Chor und einem zweiten Orchester (Klangregie: Peter Böhm und Florian Bogner). Das alles passt perfekt zusammen unter dem Dirigat von Alejo Pérez (der vor drei Jahren in Köln auch schon Rihms "Jakob Lenz" geleitet hatte).
Großer und anhaltender Beifall, ein paar obligatorische Buhs für Peter Konwitschny, ein einzelnes sogar für den anwesenden Wolfgang Rihm, der sichtlich bewegt auf die Bühne kam und sich am liebsten bei allen Mitwirkenden einzeln bedankt hätte und später noch ein paar bedenkenswerte Worte zu seiner Komposition und der Aufführung sagte: wenn er mit seiner Arbeit fertig sei, sei ja noch nichts da! Es brauche jemand, der sich des In-Szene-setzens annähme; und auch dessen Arbeit ergäbe ja noch nichts - erst durch die Mitwirkenden an der Aufführung entstünde das Werk. Und er freue sich sehr, dass das jetzt 24 Jahre alte Stück mehrfach unterschiedlich neu interpretiert worden sei.
Wer zeitlich und örtlich die Gelegenheit hat, sollte sich das nicht entgehen lassen. Noch fünf Aufführung bis zum 29. Mai.