George Enescu - ein Multitalent mit vielen Stilen?

  • Dinu Lipatti hat einige Einspielungen seines Taufpaten (!) George Enescu hinterlassen. Zunächst einmal sind die Aufnahmen der Sonaten für Violine und Klavier Nr. 2 op. 6 und Nr. 3 op. 25 mit dem Komponisten an der Violine zu nennen. Beziehbar in dieser Edition, in welcher sich zusätzlich noch eine "Gemeinschaftsaufnahme" der Suite Nr. 2 für Klavier op. 10 findet, in welcher Enescu die ersten beiden Sätze und Lipatti den dritten Satz spielt:
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    Bei EMI ist ferner die Sonate für Klavier Nr. 3 D-Dur op. 24 in einer Lipatti-Aufnahme vom 18.10.1943 erhältlich:

    Auf YouTube findet sich diese Aufnahme in einer "pitch-corrected version"::
    "

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    "
    Auf die Anmerkungen des YouTube-Veröffentlichers zum "wrong pitch" der EMI-Ausgabe nehme ich Bezug.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Celibidache hat immerhin sein Urteil revidiert.
    In einem Interview für Radio Free Europe im Jahre 1995 sagt er:

    Zitat

    Ich habe nie gesagt - wie ich in [Iosif Savas] Buch lese - , daß ich Enescu verachte. In meinem Leben habe ich ihn nie verachtet, er war ein großer Komponist; er war nicht der größte rumänische Komponist, meiner Meinung nach. [...] Ich habe absolut nichts gegen Enescu, nur wird gesagt, daß Celibidache nicht informiert ist, daß er Enescu nicht kennt. Ich möchte wissen, wer von Ihnen behauptet, er kenne Enescu besser als ich. Oder welches Werk Enescus ich nicht studiert habe, welches ich nicht ernst genommen habe.
    [...]
    Enescu war ein außerordentlicher Mensch! [...]. Für mich, mit meiner begrenzten Erfahrung - wie jede individuelle Erfahrung ist - ich mit meiner Erfahrung, für das wenige, das ich ihn kenne, ich kenne rumänische Komponisten, die tiefgründiger sind als Enescu. Ich vermeide zu sagen, welche es sind, da du dir vorstellen kannst, welche Probleme so eine Aussage schafft. Daß ich sage, daß ich Enescu verachte. Gott bewahre, Gott bewahre!!
    [...]
    Enescu. Mit Enescu habe ich Violinklänge gehört, die ich von keinem gehört habe, niemand auf der Welt! Das heißt, eine ganz besondere, ihm spezifische Form. Eine noble Sensualität, die Wörter können nicht ausdrücken, was ich für ihn gefühlt habe, von diesem Sichtpunkt her. Aber das ist nicht alles. Meiner Meinung nach hat er für Rumänien sehr wenig gemacht. Genauso wie ich. Ich fühle mich sehr schuldig Rumänien gegenüber ....

    (nicht einfach zu übersetzen, da es transkribiert und nicht redigiert wurde und Celibidaches Worte seinem Gedankenfluß folgen).
    Das ganze Interview hier: http://www.europalibera.org/a/1842599.html

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ich verstehe nicht, weshalb Celibidache glaubt, Enescu hätte wenig für sein Land getan? In Wikipedia findet man z.B.: "1917 gründete er das George-Enescu-Sinfonieorchester in Iași sowie schließlich die Gesellschaft rumänischer Komponisten." Was kann man denn sonst von einem Musiker erwarten? Dass er keine Lust dazu hatte, unter den Stalinisten in Rumänien zu bleiben, kann ich bestens verstehen.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Celibidache zieht sich selber auch den Schuh an. Er meint wohl, Enescu mit seinem internationalem Ansehen hätte von draußen mehr für Rumänien machen können (wie er, Celi, selber auch).

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Was er sich genau darunter vorstellte, werden wir wohl nie erfahren. Etwas für Rumänien zu tun war wohl nicht so einfach, da das Land schon vor dem WKII politisch unerträglich war.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Mit anderen Worten: wem nicht ins Ohr springt (... ähem, das tut es allerdings in der Tat nicht), dass das Werk von George Enescu von allerhöchster Qualität ist, dem ist (nicht) zu helfen

    Geht es nicht auch mal ohne solche apodiktischen Behauptungen à la »wer nicht so denkt wie ich, hat keine Ahnung«? Es kann so viele Gründe geben, warum man einen Komponisten ablehnen kann, wer will das so schnell überblicken? Es kann sein, dass es eine Geschichte mit einer Freundin war (eher unwahrscheinlich), es kann aber auch sein, dass Celibidache als Rumäne diese Musik nicht mochte, die er möglicherweise als durch und durch französisch mit einigen rumänischen Ornamenten, die ein bisschen exotischen Reiz liefern sollten, empfand. Das ist immerhin eine Kritik am Enescus Kompositionen, die man erst einmal in Erwägung ziehen und ernst nehmen könnte. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Musik unoriginell ist, könnte aber die Abneigung erklären, die dann keine rein geschmäcklerische wäre. (Soweit ich weiß, wäre Celibidache nicht der einzige, der einziger, der das so gesehen hätte, unter seinen Landsleuten gib und gab es noch einige mehr.)

  • An Felix Meritis: Man beachte den Zusammenhang. Es war das gefühlbetonte Interview (1993 in Radio Free Europe) eines Menschen, der sich mit Taktstock besser als mit Worten ausdrückte, keine wissenschaftliche Auseinandersetzung.
    Im allgemeinen: das vorher besprochene Interview in Bukarest im Jahre 1990 fand in einer noch stärker gefühlsbeladenen Atmosphäre.
    Ich habe in den rumänischen Medien keine Spur von seinen angeblichen Worten über Enescu gefunden, wohl aber starke Kritik an das dortige Musik-Establishment und die Weigerung, "das System ist (bzw. war) daran Schuld", als Ausrede zu nehmen.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Sicher gibt es noch mehr "interessante" Urteile von Dirigenten über Komponisten. Spontan fällt mir HvK ein, der zum Finale von Mahlers 6. Sinfonie "Kapellmeistermusik" sagte. Ausgerechnet zu diesem Satz, einem der formal komplexesten wie gelungensten ... wenn's ja das Adagietto gewesen wäre ... Ist das ein Thema für einen Thread? Gibt's da noch mehr?

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Mit anderen Worten: wem nicht ins Ohr springt (... ähem, das tut es allerdings in der Tat nicht), dass das Werk von George Enescu von allerhöchster Qualität ist, dem ist (nicht) zu helfen: Man lege sich das Oktett auf, ein geniales Werk des 18-Jährigen - und gebe sich diese Dusche mit ehrlich empfundenem Melos. Zum Niederknien! http://youtube.com/watch?v=Ugv_o2XsJoE

    Wenn man diesen Absatz ganz zitiert und nicht verkürzt, fällt er - jedenfalls für mich - nicht unter

    à la »wer nicht so denkt wie ich, hat keine Ahnung«

    , sondern ich lese ihn als emphatische Werbung für ein Werk, einer Werbung, der ich gern gelegentlich mal nachgehen werde. Danke, lieber Walter!

    [Enescus] Musik kommt mir vor wie Reger auf LSD mit schillernden Halluzinationen von Pariser Boudoirs...

    Oha, das macht mich noch neugieriger! ;)

    Aber alles zu seiner Zeit. :tee1:

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Werter Argonaut, ich grüsse Dich.
    Deine Beiträge sind eine Bereicherung für das Forum. Sie zeichnen sich aus durch grosse Sachkenntnis und Beredsamkeit. Ich freue mich, dich zu lesen.

    Nun insinuierst Du mir indirekt ein elitäres Urteil, welches Du meiner etwas flapsigen Bemerkung (sowas kommt bei mir öfters vor - ist nicht ganz ernst zu nehmen - soll der Unterhaltung dienen, wie auch etwa die Sache mit der "Freundin") entnehmen möchtest. ("... dem ist (nicht) zu helfen"). Das sei Dir grundsätzlich unbelassen. Ich möchte Dich aber gerne darauf hinweisen, dass das "nicht" in meiner von Dir beanstandeten Bemerkung sehr bewusst in Klammer steht. Mein unmittelbar darauf erfolgender Hinweis auf das fulminante Oktett soll eine Hilfestellung sein (die ich nicht von oben herab verkünde...).

    Nun, ich will mich gar nicht rechtfertigen und fühle mich auch nicht persönlich angegriffen, nur etwas gepiekst (smile). Man schreibt halt doch so Vieles, wenn der Tag lang (und heiss) ist, oder nicht?

    (Wenn ich Zugriff auf die Emoticons hätte, würde ich Dir jetzt ein Doppel-Prost-Dingens widmen)

    In der Sache könntest Du durchaus recht haben. Vieles von Enescu mag für rumänische Ohren vielleicht etwas gar französisch klingen, insbesondere für diejenigen, die ihr Augenmerk besonders auf die Bedeutung der Folklore legen. Wie man`s macht...

    Jedenfalls traue ich es dem ollen Celi zu, dass er ein Gespür hatte für die Tiefe dieser Musik. Es kann allerdings auch sein, dass er seine Kammermusik nicht kannte. Umso mehr dürfte er sich kein Urteil erlauben.
    Philbert hat ja verdankenswerterweise eine Relativierung des monierten Zitats beigebracht.

    Möge es hier weiterhin primär um Enescu gehen und nicht um Celibidache.

    Herzlich grüsst Walter

  • Das habe ich heute ebenfalls in "Eben gehört" noch gefunden. Über nähere Anmerkungen zu den genannten Werken und Aufnahmen würde ich mich freuen!

    Ohje. ^^ Aber so direkt angesprochen, will ich doch versuchen, im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas dazu zu sagen.

    Die gestern Abend von mir gehörten Stücke der ersten CD (außer dem Poème roumain noch die beiden Rumänischen Rhapsodien op.11 und die Suite Nr.3 D-Dur op.27 "Villageoise") gehören wohl alle mehr oder weniger zum folkloristisch orientierten Teil von Enescus Schaffen. Die zwei Rhapsodien (1901) scheinen mir die unmittelbar folkoristischsten. Im Poème roumain (1897, mit vokalisierendem Männerchor) werden die Volksmusikelemente zu einer "nationalromantischen" beinahe halbstündigen Tondichtung verarbeitet. Das Werk ist allerdings bei allem Effekt (rumänische Nationalhymne am Ende) nicht derart üppig-pathetisch, wie man zunächst vermuten könnte. Die gegenüber den anderen Stücken deutlich später entstandene Suite villageoise (1938) integriert die volksmusikalischen Einflüsse in eine (unter Vorbehalt gesprochen) impressionistische Satzfolge, eventuell irgendwo zwischen französischer Schule und Kodály?
    Dir, Gurnemanz, würde ich von den drei Stücken vielleicht am ehesten die Suite nahelegen. Die Wiedergaben durch das Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo mit Lawrence Foster am Pult wirken auf mich naiv hörend gelungen, ich habe aber weder Alternativaufnahmen noch gar Noten zum Vergleich.

    Daneben habe ich noch die Symphonien mit Foster, gekoppelt mit der 3. Violinsonate, über die sich Agravain viel eloquenter, als ich es könnte, bereits geäußert hat, und die Klavierquartette. Diese Werke müßte ich nochmals genauer hören, aber in diesen scheint mir das folkloristische Element gegenüber den oben genannten Stücken meist mehr oder weniger zurückgenommen:

    Interessieren würden mich noch die ersten beiden Violinsonaten, z.B. auf Hyperion Helios:

    Kennt jemand die Aufnahme?

    :wink:

  • Aber so direkt angesprochen, will ich doch versuchen, im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas dazu zu sagen.

    Dafür, lieber EK_BT, herzlichen Dank - ebenso natürlich allen anderen Tipgebern!

    :wink: :wink: :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Gern geschehen, soweit es mir möglich ist. :)


    Da dies ja auch ein informierender Faden sein soll: die Vierte (1934) wurde von Enescu nur teilweise orchestriert. Die vollständige Instrumentation übernahm 1996 Pascal Bentoiu ebenso wie die Ausarbeitung der Skizzen zur fünften Symphonie, die Enescu im Jahre 1941 skizziert hat. Beide Werke kenne ich nicht.


    Da die von b-major abgebildete CD eine "Study Symphony No.4" nennt, bin ich mir nicht sicher, ob das die selben Stücke sind. Enescu hat laut Wiki zwischen 1894 und 1898 vier frühe Symphonien komponiert, die er nicht in seine "gezählten" Opera aufgenommen hat.

    :wink:

  • Da die von b-major abgebildete CD eine "Study Symphony No.4" nennt

    Du hast recht. Diese Sinfonie ist auch in Es-dur und somit eines der Frühwerke. Ich war bisher nur bei der 1. und habe mich um dieses Werk nicht gekümmert. Und irrtümlich angenommen, es wäre die eigentlich unvollendete 4. Sinfonie. Danke, daß Du das bemerkt hast.

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • es kann aber auch sein, dass Celibidache als Rumäne diese Musik nicht mochte, die er möglicherweise als durch und durch französisch mit einigen rumänischen Ornamenten, die ein bisschen exotischen Reiz liefern sollten, empfand.

    etwas englisches höre ich da auch, in den polyphonen Fortspinnungen des Impressionismus ..

    Aber auch - zumindest in der 3. Symphonie, die ich gerade das erste Mal höre - eine gewisse Höhepunktlosigkeit, die vielleicht dem Bruckner-Dirigenten aufstößt.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Fantastisch ist dann die Zweite, die die wohl vernachlässigtste des Triptychons ist. Allein zu verfolgen wie Enescu den Weg von den ersten schumannesken Takten hin bis zu einer irisierenden Klanglichkeit à la Ravel beschreitet und sich dann bis zu geradezu Mahlerscher Grübelei vortastet, ist höchst spannend. Wenn er dann im zweiten, elegischen Satz eine Oboenmelodie anheben lässt, die Rachmaninow nicht hätte schöner komponieren können, dann ist man sprachlos angesichts der Tatsache, dass das kaum jemand hört.

    Schumannesk? die ersten Töne sind purer Mendelssohn (Italienische), aber nur einen irritierenden Takt lang...

    Ansonsten höre ich viel Raveleskes, allerdings ohne die pointierte Dichte Ravels....

    Danke jedenfalls für die Beschreibung, die mich jetzt schon in die Zweite gelockt hat...

    Was mir allerdings zunehmend irritierend auffällt, ist, wie oft die Musik zu versiegen scheint: ich denke, es kommt ein neuer Satz, aber irgendwie im piano mäandert es weiter...

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Wer den Pianisten Enesco hören möchte, hat bei dieser Rundfunkaufnahme von 1952 Gelegenheit dazu :

    [Blockierte Grafik: http://www.forgottenrecords.com/images/covers/cache/ENESCO%20BRAHMS%20SCHUMANN%20%20SERGE%20BLANC%20GEORGES%20ENESCO..%20front_192.jpg]

    Enesco : Violinsonate No.3; Brahms Violinsonate No.3; Schumann Violinsonate No.2 .
    Serge Blanc, Violine
    Georges Enesco, Klavier

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Da dies ja auch ein informierender Faden sein soll: die Vierte (1934) wurde von Enescu nur teilweise orchestriert. Die vollständige Instrumentation übernahm 1996 Pascal Bentoiu ebenso wie die Ausarbeitung der Skizzen zur fünften Symphonie, die Enescu im Jahre 1941 skizziert hat. Beide Werke kenne ich nicht.
    Sie wurden aber beide unter der Leitung von Peter Ruzicka für jpc eingespielt:

     

    :wink: Agravain

    Lieber Agravain,

    die Scheibe mit der Symphonie 5 und dem Symphonischen Adagio Isis ist seit kurzer Zeit mein Eigentum. Und ich muss zugeben, dass mir der Exotismus der 1923 für seine spätere Gattin Maruca Cantacuzini geschriebenen 'vokalsinfonischen Dichtung' Isis deutlich mehr gefällt als die 5. Symphonie von 1941. An beiden Aufführungsausgaben war Pascal Bentoiu beteiligt, über deren Ausmaß an Vervollständigung ich dem Beiheft wenig entnehmen kann.

    Isis ist ein Stück, zu dem nach ca. 7 (von knapp 20) Minuten ein vokalisen-singender Frauenchor hinzutritt: ungemein farbige Musik, mit wenig klaren Entwicklungsrichtungen, aber sehr gut anhörbar, wie ich finde. Mich hat vieles an die von mir sehr geschätzten Musikteile Debussys zum Martyre de Saint Sebastien erinnert. Warum Enescu das Stück nicht zu Ende geführt hat, scheint nicht klar zu sein.

    Die Symphonie Nr. 5 D-dur entstand wohl in der vorliegenden Form Enescus in der ersten Jahreshälfte des Jahres 1941, er setzte die Orchestrierung nach dem Beginn der Reprise im Kopfsatz nicht weiter fort. So sehr ich Isis in der eingespielten Version mag, so sehr mag mich die 5. Symphonie in den ersten drei Sätzen nicht zu überzeugen. Mit dem Einsatz des Tenorsolos des Gedichts 'De-oi adurmi curând' von Michail Eminescu, in der Nachdichtung des Beiheftes 'ich habe nur noch ein Streben' gewinnt das Stück deutlich mehr an Richtung: Todessehnsucht. Die Gegenüberstellung einer recht männlichen Tenorpartie mit einem vokalise-singenden Frauenchor ist eher süßlich: der Schluss des Stückes ist dann eher einfach gestrickt.

    Da finde ich dann vieles auf meinen anderen Enescu-CDs deutlich überzeugender, insbesondere den Oedipe, der in der Einspielung unter Foster ein echter Knaller ist.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Eine kleine Bemerkung zur Ausstattung dieser CD:
    Warum Enescu diese mit gutem Grund verworfene Entwurfs-Fassung des Eminescu-Gedichts*) gewählt hat, ist vermutlich nicht mehr zu ermitteln und eigentlich auch nicht weiter wichtig. (Falls er meinte, damit dem Problem zu entgehen, dass man einen schon gesprochen wie Musik klingenden Text kaum vertonen kann, hat er sich jedenfalls geirrt, wie man hören kann.) Viel seltsamer ist, dass im Beiheft zur CD nicht die Übersetzung dieses Textes, sondern eine wahrhaft fürchterliche Nachdichtung der definitiven Version des Gedichts abgedruckt ist, die nicht nur das rumänische Original in pathetisch-semtimentalen Kitsch verwandelt (und anscheinend in einer Art Pidgin-Deutsch verfasst ist), sondern vor allem einen Text bringt, der sich vom gesungenen so stark unterscheidet, dass er fast nichts mit ihm zu tun hat. Offensichtlich hat man die geringe Mühe gescheut, jemanden zu suchen, der von diesen wenigen und sprachlich sehr schlichten Versen eine wörtliche Übersetzung hätte liefern können. Und es ist wohl auch niemandem aufgefallen, dass da etwas nicht stimmen kann, was sich schon daran zeigt, dass Original und »Übersetzung« verschieden viele Verse haben. Das ist eine erstaunliche Schlamperei und legt den Verdacht nahe, dass auch die Ausführenden (bis auf Sänger natürlich) nicht wussten, worum es da eigentlich geht. »Todessehnsucht« ist es jedenfalls nicht, ganz im Gegenteil...

    *) »Mai am un singur dor« ist sicherlich Eminescus schönstes Gedicht und ein in jeder Hinsicht erstaunliches Werk. Es ist kein Wunder, dass er daran lange zu schleifen hatte, bis die fast unbegreifliche Perfektion dieses – in keine andere Sprache übertragbaren – Textes erreicht war. Der Herausgeber der ersten Sammlung der Gedichte Eminescus, die dieser nicht beaufsichtigen und autorisieren konnte, entschied sich – wohl wegen der großen Bedeutung dieses Gedichts, aus Pietät für den Freund und zur Dokumentation des Arbeitsprozesses –, drei Entwurfsfassungen mit abzudrucken, von denen Enescu seltsamerweise die schwächste gewählt hat, der er übrigens vier Verse der definitiven Fassung einfügte.

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