Carl Heinrich Carsten Reinecke - der lange Schatten Leipzigs

  • Seit wenigen Monaten sind die fünf Streichquartette auf dem Markt. Trotz der unleugbaren Anklänge an Schumann, Mendelssohn oder Brahms sind diese Kompositionen, verteilt auf das ganze Leben des Meisters zwischen seinem 19. Lebensjahr und der vorletzten Komposition überhaupt, recht unterschiedlich und recht wirkungsvoll, gewiss nicht blass oder akademisch, selbst wenn dies dem Komponisten immer wieder vorgeworfen wird. Naturgemäß erscheinen sie in den späteren Jahren ziemlich epigonal, nicht auf der Höhe der Zeit.

    Die Einspielungen der mir bislang nicht geläufigen Quartett-Formation können interpretatorisch wie klanglich überzeugen, ebenso das Booklet. Man erhält zwar, alles in allem, nicht so detaillierte Werkeinführungen wie in anderen Geheften des Labels - was mich nicht stört -, aber viel interessante Information zum Komponisten, der keineswegs borniert gewesen zu sein scheint und dem zu Lebzeiten nicht immer anständig mitgespielt wurde.

    Seltsamerweise unterschlägt der Wikipedia-Artikel die Streichquartette komplett, obwohl ein natürlich nicht annähernd vollständiger, aber doch repräsentativer Werküberblick gerade auch zur Kammermusik gegeben wird.

    Sehr engagiert zeigt sich hingegen die folgende Seite:

    http://www.carl-reinecke.de/Start/start.html

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Angeregt durch den obigen Beitrag gestern abend noch einmal op. 16, das 1. Streichquartett gehört, dass mir mit jedem Durchgang besser gefällt. Die anderen vier muss ich noch intensiver und wacher hören. Schön jedenfalls, dass es diese Repertoireerweiterung gibt. Vom Reinhold Quartett ist auch unbedingt die CD mit den beiden Beiträgen von Arnold Mendelssohn zu empfehlen.

    :wink: Wieland

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • War Carl Reinecke wirklich ein Epigone?

    Es weckt nicht gerade Interesse für einen Komponisten, wenn er, wie Carl Reinecke, von sich sagt: er wolle «nicht dagegen opponieren, wenn man mich einen Epigonen nennt». Auch war er gegen Ende seines langen Lebens überzeugt, dass seine Werke kaum überleben werden. Und das sagt einer, der mehr als 300 Kompositionen in allen Musikgattungen mit rauschhafter Energie komponiert hat. Leistung und Selbstbewusstsein stimmen da nicht überein. Denn als Pianist und als Dirigent machte er Karriere. Er hatte hochangesehene Stellungen inne: als Leiter des Gewandhausorchesters und als Kompositionslehrer und später Direktor des Konservatoriums in Leipzig. Gross ist die Liste seiner Schülerinnen und Schüler, doch kränkte ihn die nach 35 Jahren erfolgte Entlassung als Chefdirigent des Gewandhausorchesters. Er wurde durch einen jüngeren, durch Arthur Nikisch ersetzt.

    Unglücklich erging es ihm auch mit seinem Violinkonzert g-moll. Die Uraufführung spielte zwar Joseph Joachim am 21. Dezember 1876, doch übernahm es Joachim nicht in sein Repertoire, wahrscheinlich weil er schon bald in die Vorbereitung von Brahms Violinkonzert (1976-78) miteingebunden war. Und Brahms Violinkonzert brachte eine neue Dimension in die Gattung Violinkonzerte, und Reineckes Konzert wurde nicht mehr gespielt, weil alle anderen Geiger das Werk mieden, weil als im Besitz von Joseph Joachim war. Joachim aber spielte und propagierte jetzt nach dessen Uraufführung 1878 überall sein Brahmskonzert. Erst heute hat Reineckes Violinkonzert wieder eine Chance, gehört zu werden, wenigstens zunächst einmal auf Tonträgern. Das Konzert gehört denn auch zur Tradition der klassisch romantischen Geigenkonzerte von Mendelssohn (Uraufführung: 1845), Schumann (1853 entstanden, UA: 1937), Bruch (Uraufführung: 1866), Dietrich (Uraufführung: 1876). So epigonenhaft ist Reineckes Violinkonzert (1878) also gar nicht. Aber wie auch immer: Weder Vergessenheit noch Epigonentum sollte abhalten, die Qualität dieses Konzertes zu würdigen und sich in seine romantische Melodie- und Klangwelt hinein zu spüren!

    Weitere Informationen auf der Homepage:
    https://unbekannte-violinkonzerte.jimdofree.com/romantik/reinecke/



  • Schön und gut. Aber wer spielt heute Reinecke, wäre da nicht die Flötensonate, das Flötenkonzert und das Harfenkonzert?

    Sind denn die Instrumentalisten alle mit Scheuklappen ausgestattet, wenn sie sich anderem Repertoire zuwenden, und sei es noch so abgedroschen? Oder gibt es vielleicht doch Gründe, die in der Musik selbst liegen?

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Die dritte Sinfonie kenne ich (nach wie vor) nicht, sonst aber die beiden genannten Konzerte und diverse Kammermusik, zum Teil schon länger. Das lohnt allenthalben! :)

    Was die Undine-Sonate anbelangt, habe ich mir die auch erst vor rund einem Jahr zugelegt. Wirklich ein Prachtstück, mittlerweile mehrmals gehört! Eine Bekannte von uns hat Flöte studiert, ist aber nicht beruflich im musikalischen Sektor tätig. Sie hat das Werk auf Nachfrage gar nicht konkret gekannt, sondern hatte nur mal davon gehört. Liegt's am Reinecke?

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Eine Bekannte von uns hat Flöte studiert, ist aber nicht beruflich im musikalischen Sektor tätig. Sie hat das Werk auf Nachfrage gar nicht konkret gekannt, sondern hatte nur mal davon gehört. Liegt's am Reinecke?

    Das musst Du wohl die Bekannte fragen ... Schlecht1 Schlecht1 ... aber ja, manchmal kennen die Musiker das Repertoire ihres eigenen Instrumentes nur auschnittswiese ... Flöte im 19. Jhd. ... lohnt das einen Thread? Schubert, Variationen über "Trockne Blumen", Reineckes Fuchs, äh, Undine, eine zweifelhafte Bearbeitung der Franck-Sonate ... zwischen Mozart und dem 20. Jhd. ist es schwierig ...

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • [...] ... zwischen Mozart und dem 20. Jhd. ist es schwierig ...

    Auf die Schnelle fällt mir auch nichts Bedeutendes mehr ein ... Saverio Mercadante muss man nicht kennen. Da finde ich eine CD mit drei Flötenkonzerten, aber die sind nicht weltbewegend, vor allem für ihre Entstehungszeit.

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Es scheint im 19. Jahrhundert sehr viele Transkriptionen für Flöte gegeben zu haben aber wenige Neukompositionen. Schon seltsam, v.a. da das Instrument im Orchester ja weiterhin sehr beliebt war.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Es gibt da vor allem aus Frankreich schon einige Werke von gar nicht so unbekannten Meistern wie z.b. Saint-Saens (Romanze op. 37) oder Widor (Suite op.34). Auch das sehr hübsche Concertino op. 107 von Cécile Chaminade lässt sich, obwohl es 1902 komponiert wurde, im Hinblick auf die Klangsprache durchaus noch gut in die Schublade "19. Jahrhundert" stecken.

  • Saint-Saens (Romanze op. 37)

    Ah, danke - das Werkchen habe ich sogar auf CD und gleich aufgelegt. Hübsch! Zu seinem Pech kommt das Werk auf der CD (Einspielung von Ensemble Villa Musica, erschienen bei MDG) direkt nach den drei genialen späten Bläsersonaten (Oboe, Klarinette, Fagott). Da wirkt es dann doch etwas verloren im Vergleich....

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Und noch etwas:

    Eine Bekannte von uns hat Flöte studiert, ist aber nicht beruflich im musikalischen Sektor tätig. Sie hat das Werk auf Nachfrage gar nicht konkret gekannt, sondern hatte nur mal davon gehört.

    Wenn jemand, der Flöte studiert hat, Reineckes Undine nicht kennt, sondern "nur davon gehört hat", ist das nichts anderes als irre peinlich für den Betreffenden.

  • Die Romanze von Saint-Saens kenne ich, wenn auch wohl nur flüchtig, an sie habe ich jetzt nicht gedacht. Ebenso (bzw, ebenso nicht an) Cécile Chaminades Konzert, das ich sogar schon öfters gehört habe und dass in der Tat wirklich hübsch und recht eigenständig ist.

    Könnte ich nachher mal auflegen, Undine und Chaminade ... :thumbup:

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Und noch etwas:

    Eine Bekannte von uns hat Flöte studiert, ist aber nicht beruflich im musikalischen Sektor tätig. Sie hat das Werk auf Nachfrage gar nicht konkret gekannt, sondern hatte nur mal davon gehört.

    Wenn jemand, der Flöte studiert hat, Reineckes Undine nicht kennt, sondern "nur davon gehört hat", ist das nichts anderes als irre peinlich für den Betreffenden.

    Das habe ich in der Tat schon auch so gesehen - mich aber zurückgehalten ... :P

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Ich habe die Undine nur in einer Transkription für Klarinette. Vielleicht sollte ich mir mal das Original für Flöte besorgen. An und für sich ist mir der Klang der Klarinette näher, aber vielleicht verpasse ich etwas. Mendelssohns Melusine ist ja auch eine Flöte und keine Klarinette...

    So oder so: die Undine Sonate ist absolut erstklassig.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Erwähnen sollte man auch Reineckes Klaviertrios, die ich mir als Reineckefreund natürlich auch schon besorgt habe:

    Diese Werke haben mir ehrlich gesagt besser gefallen als die Streichquartette, die Wolfgang oben vorgestellt hat. Reinecke scheint mir - wie auch Saint-Saëns - ein ausgesprochen pianistischer Komponist zu sein, dessen Ausdruck sehr vom Klavier profitiert. Die Trios sind natürlich wieder schumannesk, aber auch eigen im Ausdruck. Ich wage zu behaupten, dass das erste Trio durchaus Vorbildwirkung auf andere ausgeübt haben könnte. Gefallen haben mir aber die beiden Serenaden, v.a. die zweite, am besten.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Wenn jemand, der Flöte studiert hat, Reineckes Undine nicht kennt, sondern "nur davon gehört hat", ist das nichts anderes als irre peinlich für den Betreffenden.

    Hätte ich mich so nie zu sagen gewagt ... aber: Ja! Auch ein Armutzeugnis für die Lehrenden ... immer nur Moyse kann es ja auch nicht sein.

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Erwähnen sollte man auch Reineckes Klaviertrios, die ich mir als Reineckefreund natürlich auch schon besorgt habe:

    Diese Werke haben mir ehrlich gesagt besser gefallen als die Streichquartette, die Wolfgang oben vorgestellt hat. Reinecke scheint mir - wie auch Saint-Saëns - ein ausgesprochen pianistischer Komponist zu sein, dessen Ausdruck sehr vom Klavier profitiert. Die Trios sind natürlich wieder schumannesk, aber auch eigen im Ausdruck. Ich wage zu behaupten, dass das erste Trio durchaus Vorbildwirkung auf andere ausgeübt haben könnte. Gefallen haben mir aber die beiden Serenaden, v.a. die zweite, am besten.

    Die Klaviertrios gefallen mir eigentlich auch noch besser. :)

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

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