MOZART, Don Giovanni, Theater an der Wien, 6. August 2009
Schon 2006 lief diese Produktion von Keith Warner mit großem Erfolg im Theater an der Wien, jetzt wurde sie mit veränderter Besetzung wieder ins Programm genommen und sorgte auch heute im ausverkauften Haus für einhellige Begeisterung.
"Hotel Universale" steht in Leuchtschrift auf dem Vorhang, und tatsächlich zeigt uns Keith Warner in seiner genialen Regie "Menschen im Hotel". Ich habe noch selten eine Inszenierung erlebt, wo die Verpflanzung der Handlung in eine andere Zeit und ein anderes Milieu derart perfekt aufgeht. Wie in einem Räderwerk greift ein Detail ins andere, man ist immer wieder verblüfft, wie "logisch" alles plötzlich wirkt. Wenn sich der Vorhang hebt, befinden wir uns im Foyer: Drei kakaobraune, flexible Wände mit schmalen Querstreifen aus Metall in der Bühnemitte bilden den Hintergrund, und das genügt völlig, um die Eleganz einer Hotellobby der Siebzigerjahre (?)vorzutäuschen. In die zwei rechten Felder sind Lifttüren eingelassen, im linken kann die obere Hälfte wie ein Rollladen hochgefahren werden, um die Rezeption freizugeben. Ansonsten zieren noch zwei stylische Lampen und gekreuzte Degen die Wand, rechts vorne kümmert eine Palme in ihrem Kübel vor sich hin. Wenn diese Wände zur Seite gleiten, sieht man zwei leicht schräg nach hinten führende Gänge eines Hotels mit vielen Zimmertüren, die sie trennende Mauer besteht aus zwei Teilen, die ebenfalls nach links und rechts verschoben werden können, dann an der äußeren Türwand andocken und plötzlich einen großen Saal bilden, der völlig mit Spiegeln ausgekleidet ist. Einige dieser Spiegel sind Drehtüren, die Auf- und Abtritte ermöglichen. Ein raffiniert einfaches Bühnenbild, das blitzschnell viele verschiedene Raumsituationen schaffen kann, ohne dass auch nur ein einziges Mal der Vorhang fallen muss.
Leporello, der Rezeptionist, hockt missmutig in seiner Klause und beklagt wohl zu recht seine miese Bezahlung. Dass er gerne den Herrn spielen will, glaubt man ihm aufs Wort. Plötzlich öffnet sich die eine Lifttüre, und eine reichlich aufgelöste Donna Anna stürzt heraus, auf der vergeblichen Flucht vor Don Giovanni, dem Hotelbesitzer, der offensichtlich über einige Nachschlüssel verfügt.... Sie wehrt sich wacker und reißt sogar einen der Degen von der Wand, aber das kostet ihren Verführer natürlich nur einen Lacher. Da kommt der zweite Lift herunter und entlässt den Komtur im Schlafrock, sichtlich auf der Suche nach seiner Tochter. Er packt den Degen und will dem Don an den Kragen, aber in dieser Sekunde passiert etwas in Donna Anna, wird sie sich wohl ihrer unterdrückten Gefühle für ihn bewusst, denn sie wirft ihm die zweite Waffe zu, bevor sie in den Lift springt, um ihren Verlobten zu holen. Als sie mit Don Ottavio wieder herunter kommt, ist schon alles vorbei. Don Giovanni kniet ehrlich bestürzt bei der Leiche, denn töten wollte er den Komtur offensichtlich nicht. (Ist ja auch nicht gut fürs Geschäft ;+) ) Dann aber geht eine Verwandlung in ihm vor, es scheint, als habe er mit diesem ersten (?) Mord eine Grenze überschritten, hinter der es keinerlei Skrupel mehr für ihn gibt. Er beseitigt schnell alle Spuren, die auf ihn als Täter hinweisen, und überlässt alles weitere Leporello. Während Donna Anna von ihrem Verlobten getröstet wird, ist die Spurensuche bereits aktiv, Tatortfotos werden angefertigt und die Umrisse der Leiche auf den Boden gezeichnet, wo sie bis zum Schluss sichtbar bleiben werden.
Ein neuer Hotelgast trifft ein, Donna Elvira. Ihr umfangreiches Gepäck erstaunt nicht nur Leporello, und als sie hektisch in allen Koffern nach einem Bild ihres flüchtigen amante sucht, ahnt er zu Recht Unheil.
Keith Warner betont in seiner Inszenierung das Dramma giocoso, so viel gelacht wurde bei einem "Don Giovanni" wahrscheinlich noch selten. Ich bin mir noch nicht ganz im Klaren darüber, ob ich das wirklich gut finden soll, mir war es manchmal ein wenig zu viel an Gags. Aber bei der Registerarie musste ich auch lachen: Leporello weist nämlich nicht nur das berühmte Buch vor, sondern zerrt auch einen riesigen Schrankkoffer mit vielen Lädchen herein, in welchen sich Souvenirs der Damen befinden. Da ergeben sich natürlich viele komische Momente, so z.B. wenn Donna Elvira frustriert einen XXXXlarge- BH mit ihrer eher spärlichen Oberweite vergleicht.
Später ist eine muntere Etagenparty im Gange, die Stubenmädchen und Hotelpagen feiern die Verlobung von Zerlina und Masetto. Es geht schon hoch her, als der Boss hereinplatzt und sich an die Braut heranmacht. Zerlina ist hier keine Unschuld vom Lande, sondern mit allen Wassern gewaschen und konnte als Stubenmädchen wahrscheinlich schon einschlägige Erfahrungen im Umgang mit "feinen Herren" sammeln. Sie fällt keine Sekunde auf Don Giovannis Liebesgesäusel herein, spielt vielmehr genauso mit ihm, wie er mit ihr spielt, und genießt den kleinen Flirt sichtlich. Besonders, als der Don ihr seine Rolex überstreift - da braucht's nicht mehr viel, damit sie ihm willig in eines der Hotelzimmer folgt. In Keith Warners Inszenierung hält sie in vielen Szenen die Fäden in der Hand, lässt die Puppen nach ihren Vorstellungen tanzen und ist ein liebenswürdiges Pendant zu Don Giovanni. Masetto ist ihr einerseits völlig hörig, fürchtet aber andererseits um seinen Job, sodass er seine Wut auf Don Giovanni nur pantomimisch auslebt. Zwar rückt er manchmal mit schwerem Hammer und düsteren Absichten an, im entscheidenden Moment lässt er die Hand aber wieder sinken. In der Beziehung zu Zerlina ist er der Unterlegene, auch in sexueller Hinsicht, denn das "Batti, batti, mio Masetto" bekommt hier eine ganz andere Bedeutung ;+) . Die Dame steht offensichtlich auf Sado-Maso-Spielchen in Softversion, das beweist sie auch später nach der Enttarnung des als Don Giovanni verkleideten Leporello, wo sie flugs nicht nur mit Handschellen zur Stelle ist, sondern auch mit anderen einschlägigen Gerätschaften.....
Nina Bernsteiner spielte und sang die Zerlina hinreißend, für mich war sie eigentlich der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Aufführung, die zumindest streckenweise "Zerlina" heißen sollte. Wie sie mit Don Giovanni Katz und Maus spielt, Masetto wie ein kleines Kätzchen umschmeichelt, dann aber gleich wieder die Krallen ausfährt und ihn zu Unterwerfungsgesten nötigt, das ist ganz großes Theater. Auch ihr silberheller Sopran, mit dem sie mühelos alle Koloraturketten und Höhen bewältigte, bot Anlass zur reinsten Freude.
Ja, wie setzt man nun in einem Hotel die Friedhofsszene um? Ganz einfach: Don Giovanni und Leporello flüchten sich ins Gepäcksdepot - es ist der fahl beleuchtete Spiegelsaal, in dem sich Kisten und Koffer stapeln, und ehrlich: Das wirkt unheimlicher als so manche Gräber-Schauerromantik!! Die beiden zerkugeln sich über ihr Abenteuer, als die Stimme des Komtur ertönt. Giovanni glaubt zunächst an einen Scherz und zerstört die Gegensprechanlage, geht dann den Lauten nach und öffnet eine Kiste, in der sich in einem Glaskasten der Bronzekopf des Komturs befindet. Es ist derselbe, den Donna Anna und Don Ottavio schon im ersten Akt herumgeschleppt haben, offensichtlich um dem Ermordeten ein Denkmal zu setzen. Damit haben sie natürlich kein Glück beim Hotelbesitzer, und das gute Stück wandert also ins Depot, wo es später ein Eigenleben entwickelt. Einfach und genial, oder einfach genial!!
Die Deutung des Schlusses durch Keith Warner stellt mich nicht ganz zufrieden: Er zeigt Giovanni und Leporello stark gealtert, ersterer schon ziemlich hinfällig und offensichtlich unter TBC leidend. Don Giovanni spielt noch immer, aber nun mit wirklichen Puppen, nachdem er sein ganzes Leben lang die Menschen wie solche behandelt hat. Sie sitzen lebensgroß, stumm und starr am Tisch, tragen die Züge von Donna Anna, Don Ottavio, Zerlina und Masetto, werden von DG immer neu gruppiert und gefüttert. Dazwischen wird er von Hustenanfällen geschüttelt und wirkt schon mehr tot als lebendig. Nur Donna Elvira erscheint ad personam, ebenfalls als gebrechliche, zittrige Greisin, und will ihn zur Umkehr bewegen. Dann taucht aus dem Boden zunächst der Kopf und dann der gesamte Komtur auf, Don Giovanni erleidet einen Blutsturz und taumelt nur mehr unkontrolliert umher, weigert sich aber trotzdem verbissen, seine Untaten zu bereuen. Der Komtur reißt das Tischtuch herunter, und der Tisch entpuppt sich als gläserner Sarg, in den Don Giovanni nach dem frevelhaften Handschlag förmlich hineingesaugt wird. Der Glaskasten richtet sich auf, Giovanni versucht verzweifelt zu entkommen, sein Blut besudelt das Glas, während im Hintergrund langsam die anderen hereinkommen. Dann erlischt das Licht, der Vorhang fällt, auf dem von der Inschrift "Hotel Universal" nur mehr die Buchstaben HO..E...LE aufleuchten.
Tja. Einerseits habe ich den Schluss noch selten so beklemmend erlebt. Diese Zombiegesellschaft, der nur auf seine Puppen und den halb blödsinnigen Leporello reduzierte einstigen Lebemann, das sich langsam im Glassarg ausbreitende Blut - das sind wirklich starke Bilder, die unter die Haut gehen. ABER: Für diesen Don Giovanni ist der Tod doch eine Erlösung, keine Strafe!
Natürlich kann man es so interpretieren, dass er sich schon zu Lebzeiten seine eigene Hölle geschaffen hat, in der Falle sitzt, die er sich gebaut hat: Wer Menschen nur als Werkzeuge benutzt, nur sich selbst liebt, ein Leben führt, das nur auf Lustmaximierung auf Kosten der anderen aus ist, der stirbt einsam und verlassen. Trotzdem.....
Doch nun zu den Sängern und zum Orchester!
Rinaldo Alessandrini, der vorgesehene Dirigent, musste leider krankheitshalber Absagen, und seinen kurzfristig eingesprungenen Ersatz Riccardo Frizza muss man demgemäß milder beurteilen. Trotzdem: Mehr als das Attribut eines guten Kapellmeisters bekommt er von mir nicht. Auch das RSO schien mir unter seiner Stabführung nicht sonderlich animiert aufzuspielen, dieses Orchester habe ich wesentlich besser im Ohr.
Dass für mich Nina Bernsteiner als Zerlina die beste Leistung des Abens bot, habe ich bereits oben erwähnt. Auch Veronique Gens als Donna Elvira gefiel mir sehr gut, sie meisterte ihre große Arie mit Bravour und spielte ganz ausgezeichnet. Letzteres kann man auch von Aleksandra Kurzak sagen, der Donna Anna, bei der ich aber stimmliche Abstriche machen muss. Das klang über weite Strecken nicht wie Mozart (zu "erdenschwer") und in den Höhen teilweise etwas angestrengt. Aber ich habe schon viel schlechtere Annas gehört!
Hanno Müller-Brachmann legt seinen Leporello zwischen devotem Gefolgsmann und Möchtegerncasanova an, der seinem Herrn nachzueifern versucht, aber trotzdem immer der Prügelknabe ist. Seine große, aber nicht sehr schöne Stimme führte er nicht sonderlich kultiviert, auch hier auf den Spuren eines Meisters....
Bernhard Richter, in dieser Inszenierung merkwürdigerweise mit Priesterkragen, verlieh seinem Don Ottovio männliches Profil, so gut das bei dieser Rolle halt möglich ist, und sang "Dalla sua pace" zwar recht gut, aber ohne an große Vorbilder (Araiza, Schade...) heranzureichen. Er sang es zu geradlinig, mit sehr wenig dolcezza in der Stimme, die es gerade bei dieser Arie braucht.
Den Titelhelden Don Giovanni habe ich mir bis zum Schluss aufgespart. Erwin Schrott spielte ihn großartig, mit allen Facetten dieses miesen Charakters, mal ganz charmanter Verführer, mal brutaler Macho, ein Zyniker, der mit Menschen spielt und sie weg wirft, wenn er sie nicht mehr braucht, der sadistische Lust empfindet angesichts ihres Schmerzes, ein Choleriker, dessen Stimmung blitzschnell umschlägt, worunter besonders Leporello zu leiden hat. Er ist der Blitzableiter für Giovannis Launen, wird in der einen Minute gönnerhaft umarmt, um schon in der nächsten gedemütigt und misshandelt zu werden.
Wie gesagt: Erwin Schrott spielt den Don oscarreif, auch die Rezitative habe ich noch nie so durchinterpretiert, so ausgefeilt gehört - da sitzt wirklich jeder Tonfall - leider enttäuschte er mich aber mit seinem Gesang. Natürlich verfügt er über eine schön timbrierte, durchschlagskräftige Stimme, aber was er damit macht, fällt für mich unter "unkultiviert". Sascha könnte natürlich genau analysieren, wo die Defizite liegen. Ich höre keine einheitliche Gesangslinie, sondern ein Stückwerk mit vielen Brüchen, das heißt ohne gleitende Übergänge, es gibt keinen Ausgleich zwischen lauten und leisen Passagen, wobei die lauten leider dominieren, auch dort, wo es nach meinem Geschmack nicht angebracht ist. Aber am meisten stört mich, dass Erwin Schrott es nicht versteht, alleine mit stimmlichen Mitteln eine Rolle zu zeichnen. So mitreißend er den Don Giovanni spielt, so eindimensional singt er ihn. Das schmerzte mich besonders beim "La ci darem la mano", wo kaum etwas von Sinnlichkeit oder gar Erotik mitschwang. Wenn ich da an einen Ruggero Raimondi oder Thomas Hampson denke, die in diesem Duett eine verführerische Sogwirkung erzeugten, der man sich nicht entziehen konnte, die man noch ganz oben auf der Galerie spürte und ein Kribbeln im Bauch auslöste, so ist der Klasseunterschied offensichtlich. Nicht einmal hier gelang Schrott ein wirklich inniges Piano, ebenso wenig wie später bei seinem Ständchen, und in mir kribbelte gar nix. Und das beim laut yellow press Don Giovanni mit dem größten Sexappeal aller Zeiten :wacko: Der enthülte sich mir nicht wirklich.... Kein Wunder, dass sich Don Giovanni von seiner Rolex trennt, denn mit seinen stimmlichen Verführungskünsten alleine hätte er Zerlina wohl kaum rumgekriegt......
Es wäre sehr zu wünschen, dass Erwin Schrotts stimmtechnische Entwicklung seine Fähigkeiten als Darsteller einholt, dann könnte er die würdige Nachfolge von Ruggero Raimondi antreten. Ich glaube, das Zeug dazu hätte er.
lg Severina