Vom Konzertleben in Dresden

  • Danke für den interessanten Quellenhinweis. Aber ich bin weder Lateiner noch beherrsche ich das Spanische. Ich kann nur die Zuordnung in meinem Text löschen.

  • „Aqui esta encerrada el alma de ….“

    ist aber eher spanisch.

    Dann bitte korrekte Akzente: "Aquí está encerrada el alma de ..."

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Harmonik der Vergeblichkeit- Sonderkonzert des Capell-Compositeurs der DD-Staatskapelle Georg Friedrich Haas mit „in vain“ im europäischen Kulturzentrum Hellerau

    Nachdem sich im Österreich der 1990-er Jahre die Führungen der Österreichischen Volkspartei und die Sozialdemokratischen Partei Österreichs in einer dreizehnjährigen „Großen Koalition“ gegenseitig aufgerieben hatten, konnte der Wahlsieger SPÖ der Nationalratswahl im Oktober 1999 mangels Koalitionspartner keine Regierung bilden. So kam es im Januar des Jahres 2000 zur Bildung einer Koalitionsregierung der ÖVP mit der Europa-kritischen, rechtspopulistischen Freiheitlichen Volkspartei Österreichs. In der Europäischen Union löste das ob der Infragestellung europäischer Werte unter den Mitgliedsländern die erste veritable Krise aus und führte zu „bilateralen Maßnahmen“ der damals weiteren vierzehn EU-Länder, zu einer begrenzten Isolation Österreichs.

    Besonders dürfte den 46-jährigen Georg Friedrich Haas, nachdem er sich mühevoll von völkischen Ideologien emanzipiert hatte, schockiert haben, dass die nationalistische FPÖ, zur zweitstärksten Kraft in der österreichischen Wählergunst, wenn auch hauchdünn, wieder aufgestiegen war.

    Der Capell-Compositeur der Saison 2013/2024 Georg Friedrich Haas wurde im Jahre 1953 in einer der deutschnational- nationalsozialistischen Ideologie verhafteten Familie in Graz geboren und wurde in ein von Lieblosigkeit und Gewalt geprägtes Umfeld im Vorarlbergland gebracht. Sein Großvater, der Architekt Fritz Haas (1890-1968) war eine der Schlüsselfiguren der ohne jedes Schuldbewusstsein agierenden Grazer Altnaziszene. Er dominierte mit einer bis zu seinem Tode ausgelebten austrofaschistischen Gesinnung die Entwicklung des Jugendlichen Georg Friedrich. Auch sein Vater stützte diese Formung in dieser Parallelgesellschaft, so dass erst die Konfrontation des Studenten mit der politischen Wirklichkeit des Österreichs der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Georg Friedrich Haas in einer regelrechten Schocktherapie zu einer eigenständig denkenden Persönlichkeit werden ließ. Seine Erinnerungen an diesen Entwicklungsprozess hatte Haas in den Jahren 2014 und 2015 niedergeschrieben. Aus diesen mit emotionaler Stärke niedergeschriebenen Texten gestalteten der Historiker Oliver Rathkolb und der Musikwissenschaftler Daniel Ender im Jahre 2022 mit dem beklemmenden Buch „Durch vergiftete Zeiten- Erinnerungen eines Nazibuben“ eine Autobiografie des Georg Friedrich Haas.

    Es hat lange gedauert, ehe die Kompositionen des Georg Friedrich Haas in der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Mittlerweise hat er sich aber in aller Stille in der Spitzenklasse der renommiertesten lebenden Komponisten Österreichs etabliert. Schon bald empfand er die klanglichen und harmonischen Möglichkeiten der etablierten harmonischen Klangpaletten als fesselnde Beschränkungen, so dass er in seinen Werken immer wieder versucht, musikalisches Neuland zu erobern. Besonders setzt er sich mit der Mikrotonalität auseinander, wobei er mit Intervallen die kleiner als ein Halbtonabstand sind, arbeitet. Damit schafft Haas magische Klangwelten abseits der wohltemperierten Harmonien, seine Spektralmusik. Auf der Vergangenheit des Komponisten beruht auch die Dunkelheit seiner Musik. Die massiven Schuldgefühle, die er aufgrund seiner Familienherkunft empfindet, sind ihm gewichtige Motivationsquellen.

    Mit seinen Mitteln und Möglichkeiten wollte Haas deshalb beitragen, dass eine kritische Masse von 30 Prozent rechts Orientierter nicht an die Macht komme, denn danach könnten sich Situation unaufhaltsam verändern. Mit einem radikal an der obertönigen Klanglichkeit orientierten Orchesterstück stemmte er sich mit „in vain“ gegen diese Entwicklung, legte aber mit der Titelwahl eine leise Vergeblichkeit in diese Musik, dass der perfekte Zusammenklang, geschweige denn das harmonische Zusammenleben aller Menschen jemals zu erreichen wäre. Mit der Kollision harmonischer Strukturen ließ Haas extreme mikrotonale Reibflächen entstehen, die er immer wieder in vorsichtig tastende, suchende kreisende Klangschleifen mündet, aber ohne nirgend zielgerichtet hinzuführen scheinen.

    Zu unserer Freude gab uns der für die Vorbereitung der Uraufführung eines neuen Werkes im 9. Symphoniekonzert der Staatskapelle aus New York angereiste Georg Friedrich Haas selbst eine Einführung in sein Werk. Der Komponist ließ uns in seine Gedankenwelt der Zeit um das Jahr 2000 blicken und abstrahierte auf gegenwärtige Verhältnisse. Nachdem er die Generalprobe besucht hatte, konnte Haas auf wesentliche Besonderheiten der folgenden Aufführung eingehen.

    Der 1969 im kalifornischen Hollywood geboren Dirigent Jonathan Stockhammer brachte am 2. Februar 2024 im „Europäischen Kulturzentrum Hellerau“ das Werk mit 24 Musikern der Sächsischen Staatskapelle zur Aufführung. Stockhammer lebt seit einem Vierteljahrhundert in Deutschland und bemüht sich, die Musik in ihrer Universalität zu erfassen. Klassisches sowie zeitgenössisches Repertoire in ungewöhnlicher Interpretation, experimentelle oder unkonventionelle Konzertformen, eigentlich alles, was verkrustete Strukturen aufbricht und neue Hörerfahrungen vermittelt, gehört zu seinem Betätigungsfeld.

    Offenbar vertraute Klänge trafen vom Beginn an auf mikrotonale Systeme und formierten eine irreale Welt, die sich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Realität und unklarer Zukunft kaum zuordnen ließ. Mehrfach glaubte man auf bekannte Melodien zu stoßen, aber nichts ließ sich greifen.

    Harmonische Strukturen kollidierten auf extreme Weise und bildeten Folgen mikrotonaler Disharmonien, die ihrerseits einen Sinn zu suchen schienen. Vorsichtig, regelrecht tastend, suchten kreisende Klangschleifen vergeblich ein Ziel. Die verzerrten, verflüssigten und abdriftenden musikalischen Schönheiten sprachen das Unterbewusstsein an.

    Zwei nicht unwesentliche Teile der Darbietung fanden bei völliger Abdunkelung des Konzertsaals statt. In der Dunkelheit waren die Ursprünge des Klanges kaum zu lokalisieren. Die Musiker änderten scheinbar ihre Verortung im Raum, schienen zu schweben oder spielten hinter den Hörenden.

    Die Wechselwirkungen zwischen den Instrumentalgruppen blieben in der Dunkelheit ob des fehlenden Dirigenteneinsatzes lockerer. Auch spielte eine Gruppe schneller oder wurde leiser. Das Konzert wurde zum Sinnabenteuer, als man auf das Sehen verzichten und den Ohren vertrauen musste. Die widersprüchlichen Stimmungen entwickelten sich im Dunkeln ausgeprägter. Vor allem wurden gegenläufige Emotionen zwischen Enthusiasmus und Verzweiflung bis zur absoluten Resignation ausgelöst. Die in der zweiten Dunkelphase stochastisch, für den Hörer unerwartbar eingestreuten Lichtblitze gestalteten das Hörerlebnis stellenweise regelrecht brutal.

    Das Orchester bewahrte trotz der partiellen Finsternis eine erstaunliche Kommunikation und sicherte in jeder Phase der Aufführung eine glanzvolle Intensität.

    Das Rückgrat der Auslegung Stockhammers der vor fast einem Vierteljahrhundert entstandenen Komposition des Georg Friedrich Haas bildeten zwar die politischen Verhältnisse des Österreichs der Jahrtausendwende. Die Interpretation erfasste aber auf beklemmend aktuelle Weise den Zustand unserer derzeitig zunehmend fragmentierten gesellschaftlichen Zeitumstände, so dass Stockhammer damit eine hochaktuelle Aufführung geschaffen hatte.

    Mit frenetischem Jubel dankte das, trotz des Streiks der Nahverkehrsgesellschaft im etwas abgelegenen Hellerau nahezu vollbesetzten Auditorium, den 24 Musikern, dem Dirigenten und vor allem dem Komponisten.

    Credits:

    Europäisches Zentrum der Künste Hellerau-2. Februar 2024

    Sonderkonzert des Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle Dresden

    Georg Friedrich Haas: „in vain“ für 24 Instrumente

    Dirigent: Jonathan Stockhammer

    Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden

  • 4. Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle am 8. Februar 2024 mit Werken von Anton Arensky und Dmitri Schostakowitsch in der Semperoper:

    Der aus dem russischen Nowgorod stammende Anton Stepanowitsch Arenski (1861-1906) gehört zu Unrecht zu den weitgehend vergessenen Komponisten, obwohl er sich als Freund Tschaikowskis im Umfeld der prominentesten Vertreter des russischen Musiklebens um Skrjabin und Rachmaninow bewegte. Am ehesten bekannt ist seine Freund-Feindschaft mit Nikolaj Rimskiy-Korsakow, der ihn um seine finanzielle Ausstattung beneidete. Arenskis Wohlhabenheit führte aber leider zur Spiel- und Trunksucht, so dass er seine Begabung nur begrenzt in kompositorisches Schaffen auch in der Tradition der russischen Kirchenmusik als auch mit Opern, Chorwerken und Liedern umsetzte, dabei noch an Tuberkulose erkrankte, so dass er mit 45 Jahren verstarb.

    Sein zweites a-Moll-Streichquartett op. 35 gehört noch zur frühen Phase seines Schaffens, als er noch nicht seine Werke lyrisch-elegisch, mit makelloser eleganten salonartigen Glätte ausstattete. Arensky komponierte das dreisätzige Werk unter dem Eindruck des Todes Peter Tschaikowskys (1940-1893) im Jahre 1894 mit der von seiner Trauer geprägten Besonderheit der Doppelbesetzung der Celli, so dass ein düsteres Klangbild eines russisch-orthodoxen Psalms mit besonderer Tiefe entstand.

    Die sieben Variationen eines als „Legend“ bezeichneten Themas aus Tschaikowskis „sechszehn Lieder für Kinder“ wurden kurzweilig mit reichen instrumentalen Farben in Arenskys unverwechselbarem rhythmischem Stil vom einfachen Kanon der ersten Variation bis zu schwungvoll gebrochenen Rhythmen getrieben, um dann in ein ruhiges Tschaikowsky-Thema abzugleiten. Der Finalsatz begann mit einer klagenden feierlichen Stimmung, bevor die Musiker mit einem bekannten patriotischen Volkslied die Gelegenheit zu einem virtuosen Ausbruch nutzten.

    Häufiger ist in Kammerkonzerten Dmitri Schostakowitschs „Klavierquintett g-Moll op.57 aus dem Jahre 1940 zu hören. Das fünfsätzige Werk zeichnet sich durch einen Überfluss an Einfällen aus. Alle Eigenschaften der traditionsverbundenen Musiksprache Schostakowitschs wurden vom vierunddreißigjährigen Komponisten eigentlich erstmalig mit dieser Konsequenz einander verschmolzen.

    Das Kammerkonzert wurde von den Vioinisten Matthias Wollong und Jörg Faßmann, den Bratschern Sebastian Herberg und Anya Dambeck, den Cellisten Sebastian Fritsch, Friedrich Thiele und Matthias Wilde von der Staatskapelle Dresden sowie den Gastmusikern Lenka Matĕjáková (Violine) und Dariya Hrynkiv (Klavier) gestaltet.

  • Uraufführung des Auftragswerkes „Die Jüdin von Toledo“ von Detlev Glanert am 10.Februar 2024 in der Semperoper

    Das Toledo der zwölften Jahrhundertwende war ein Schmelztiegel dreier Glaubensrichtungen. Die Grenzsituation zwischen dem muslemischen südlichen Teil der Iberischen Halbinsel und dem christlich geprägten nördlichen Teil führte zu einer Bevölkerung, die aus muslimischen Mauren, Christen und Juden bestand. Jede dieser Gruppen hatte neben ihren religiösen Grundlagen auch eigene wirtschaftliche und kulturelle Prägungen, die sich mit einem seltsamen Ineinandergreifen mit viel Toleranz dank gegenseitigen Abhängigkeiten gegenseitig beeinflussten. Juden waren in Toledo seit langer Zeit zu Hause. Sie lebten ihren Glauben und bereicherten das intellektuelle und künstlerische Leben. Während der geteilten Herrschaft der Muslime aus Nordafrika im südlichen und der Macht christlicher Könige im nördlichen Teil der Iberischen Halbinsel vermittelten sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten innerhalb von Muslimen und Christen.

    Zwischen den Christen und den Muslimen tobte allerdings der vom Papsttum befeuerte Verdrängungskampf um die Machtverschiebung auf der iberischen Halbinsel. Mit der sich von 722 bis 1492 hinziehenden „Reconquista“ wurde die maurische Besiedelung des jetzigen Spaniens im Rahmen von Kreuzzügen äußerst zäh rückgängig gemacht. Eine in der Crónica General des Alfonso el Sabio (1223-1284) historisch gut gesicherte Episode in diesem sporadisch verlaufenden Prozess war das Verhältnis des Königs Alfonso VIII. von Kastilien (1155-1214) mit der Tochter seines jüdischen Ersten Ministers, der Rahel Esra la Fermosa (um 1165-1195). Der österreichische Dramatiker Franz Grillparzer (1791-1872) erkannte Parallelenzwischen der historischen Überlieferung der problematischen Beziehung der beiden und dem skandalträchtigen Verhältnis des Bayerischen Königs Ludwig I. (1786-1868) mit der irischen Tänzerin Lola Montez (1821-1861). Obwohl die tragische Episode nicht nur Lope de Vegas früher bereits inspirierte, hatte sich Grillparzer im Jahre 1812 schon mit dem Sujet, zunächst ohne den aktuellen Bezug, beschäftigt. Die Münchner Ereignisse von 1846 bis 1847 im Bayerischen Königshaus veranlassten Grillparzer offenbar, zwischen 1848 und 1855 das Trauerspiel „Die Jüdin von Toledo“ zu schreiben. Er hielt aber das Ergebnis seiner Recherchen und Schlussfolgerungen bis zu seinem Tode unter Verschluss, so dass eine Uraufführung seines Werkes erst 1872 möglich wurde. Für die Opernkomposition Detlev Glanerts nutzte der Germanist und Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel gemeinsam mit dem früheren Dramaturgen des Hauses Kai Weßler Grillparzers Arbeit als Leitfaden ihres Librettos:

    Die verwaisten Töchter des ehemaligen jüdischen Finanzministers des Königs von Kastilien Rahel und Esther dringen vom Übermut der Jüngeren getrieben in die königlichen Gärten Toledos ein und werden von Alfonso VIII. aufgebracht. Der König hatte sich im Garten eine Pause vom mit Staatsgeschäften verwobenen Bankett seiner Gattin gegönnt. Während der König dem Liebreiz der jungen Rahel verfällt, bestürmt die in den Garten nachdrängende Hofgesellschaft den König, sich und seine Kampftruppe auf eine Schlacht gegen die Toledo belagernden Muslime vorzubereiten. Besonders die Königin Eleonore erkennt im Streit um ein von Rahel abgelegtes Tuch die Gemütslage des Königs und damit die Gefahr für das Land. Alfonso entzieht sich aber der Entscheidung und lädt die Schwestern in sein Landhaus. Selbst die Granden Graf Manrique von Lara und dessen Sohn Don Garceran vermögen ihn mit der Nachricht über den drohenden Kriegsausbruch nicht zu sofortigem Handeln zu bewegen.

    Die Truppen der Mauren stehen an den Landesgrenzen und die zwischen dem Kalifen und Alonso vereinbarte Friedenspflicht nähert sich dem Ende. Aber über sieben Monate verbrachte der König in politischer Untätigkeit mit der Rahel im Liebesnest, als die Königin wegen Alfonsos Passivität den Staatsrat einberuft. Eleonore de Castilla (1162-1214) ist immerhin die selbstbewusste Tochter Heinrich II. von England und der legendären Herzogin Eleonore von Aquitanien. Die Königin Eleonore erklärt den Ausnahmezustand und beantragt beim Staatsrat Alfonsos Absetzung. Außerdem bezichtigt der Graf von Lara Manrique die Jüdin der Spionage. Vor allem befürchtet Eleonore, dass eine Schwangerschaft Rahels, ein männlicher Nachkomme der Jüdin, die königliche Nachfolgerschaft ihres kränklichen Sohnes gefährden könnte. Nach einer dramatischen Auseinandersetzung einigten sich die Eheleute über die Machtverteilung: für die Überschreibung der Hinterlassenschaften von Eleonores Erbe, ihrer Liegenschaften samt deren Erträge, erklärt Alonso seine Bereitschaft zum Kriegsbeginn, bestätigt die Tötung der „Spionin Rahel“ und erteilt die Erlaubnis zu einem Judenpogrom. Unsicher bezüglich ihrer Situation, verpassen die Schwestern eine Gelegenheit zur Flucht und werden von den Schergen aufgebracht. Esther kann sich verstecken aber Rahel wird umgebracht. Das Landhaus wird geplündert bis der König erscheint. Angesichts der Leiche Rahels zeigt er noch eine begrenzte und zweifelhafte Gefühlregung.

    Der Schluss der Oper folgt der Logik der Entwicklung: In der Kathedrale werden die Waffen gesegnet, während Esther die Schwester betrauert und den König verflucht. Auf dem Schlachtfeld treffen die christlichen Kämpfer auf die muslimischen Krieger, bis alle vernichtet am Boden liegen. Eine Videoinstallation symbolisierte die Auseinandersetzung mit Elementen gegenwärtiger Kriegsführungen und lässt mit dem Bild eines zerstörten Wohngebietes das Ergebnis des Geschehens als Parabel enden..

    Die Historie berichtet, dass Alonso VIII. die Schlacht tatsächlich verloren hat.

    Hans-Ulrich Treichels Libretto-Handlungsfaden ist deutlich schmaler, als der des als Quelle angegebenen Dramas Franz Grillparzers. Von der komplexen Durchdringung des Sujets in Lion Feuchtwangers gleichnamigen Romans ist hier völlig abzusehen. Dennoch enthält Treichels Operntext deutlich mehr, als eine Darstellung der schwierigen Gestaltung einer Übereinstimmung von politischer Pflichterfüllung mit privatem Glück. Er gibt Einblicke, wie Machtstrukturen funktionieren, wie simpel politische Entscheidungen getroffen werden können und dass Machterhaltung sowie Machterweiterungen emotional geprägte Entscheidungen überdecken. Aber auch, dass ein Interessenausgleich Konflikte beenden könnte, selbst wenn dessen Ergebnisse nicht allen moralischen Ansprüchen genügen mögen. Im vorliegenden Fall befeuerte der Interessenausgleich aber sogar einen Kriegsbeginn, weil außenstehende Kräfte im Machtspiel nicht einbezogen sind.

    Dem aufgeschlossenen Opernbesucher bleibt durchaus überlassen, dass in der Semperoper erlebte, auf sein gesellschaftliches Umfeld zu extrapolieren und für sich Denkmuster zu entwickeln. Denn was bei Feuchtwanger mit „gedanklicher Präzision und psychologischer Konsequenz“ ausgeführt, wie Kriege vorbereitet und verloren, wie Wohlstand erarbeitet und vernichtet werden können, ist in der Oper durchaus angelegt.

    Für seine Tondichtung der „Die Jüdin von Toledo“ hatte Detlev Glanert eine leidenschaftliche Musiksprache mit einer Instrumentierung für ein klassisches Orchester und einer am Bühnengeschehen orientierte Klanglandschaft entwickelt. Mit einer kraftvollen Schlagwerkausstattung mit zum Teil seltener zu hörender Klangerzeuger wurde einerseits das Primat der christlichen Bevölkerung Toledos durch Glockenklänge hervorgehoben. Andererseits setzte Glanert, um auch dem im Libretto ausgesparten Teil der muslimischen Bevölkerung in der Oper zumindest eine akustische Stimme zu geben, eine im mittelalterlichen vorderen Orient vorherrschende Kurzhalslaute, eine „Oud“ ein. Das sonor eingestimmte Zupf-Instrument wurde von dem aus dem Libanon stammenden Nassib Ahmadieh gespielt. Glanert betrachtete seine Komposition dabei aus einer zeitgenössischen Perspektive, um sie für ein möglichst breit aufgeschlossenes Publikum auch erschließbar zu gestalten. Einem Einsatz elektronischer Klangerzeuger verweigert sich Glanert.

    Die Inszenierung der Erstaufführung der Dresdner Auftragskomposition hatte der Kanadier Robert Carsen übernommen. Von ihm stammte auch das Bühnenbild, wie auch die Licht- und Kostümgestaltung. Dabei wurde er von seinen langjährigen Arbeitspartnern Peter Van Praet und Luis F. Carvalho unterstützt.

    Die Bühnenbilder wurden von wuchtigen Säulen- und Deckenkonstruktionen dominiert, um auch optisch zu manifestieren, dass es auf der Bühne um Herrschaftsausübung sowie Machterhalt geht. Selbst im Liebesnest dominierten Säulenstrukturen den Raum und demonstrierten, dass Machtstrukturen das Geschehen selbst in den intimsten Situationen unterschwellig beeinflussten.

    Um den Zeitbezug der Grundaussage des Opernstoffes auch optisch zum Ausdruck zu bringen, ließ Carsen den Chor und die Solisten in zeitlos-schwarzer Kleidung agieren. Nur der Titelfigur war ein Sommerkleid zugesprochen worden. Eine ideenreiche und sensibel differenzierte Personenregie verband die äußere Handlung mit dem Innenleben der treffend charakterisierten handelnden Personen. Robert Carsen inszenierte die Handlung zwar vor allem realistisch, nahm aber im zweiten Akt eine geniale symbolische Anleihe: im Zeitraffer ließ er die sieben glücklichen Monate des Paares im Liebesnest mit einem Zwischenspiel überbrücken. Hinter den Liebenden pflegten in der Säulenkonstruktion Vertreter der christlichen, jüdischen und muslimischen Stadtgesellschaft friedlichen Umgang, wickelten Geschäfte miteinander ab und „brachen ihr Brot“.

    Das überschaubare Solistenensemble spielt seine Rollen mit großem Engagement und bis ins Detail überzeugend.

    Die US-Amerikanerin Heidi Stöber entwickelte für die Titel-Heldin ein außerordentlich berührendes Rollenportrait. Sie entfaltete die Persönlichkeit der Rahel mit ihrer markanten lyrischen Stimme eindrucksvoll und erreichte selbst die hohen Töne mit wenig Mühe ohne auf Kosten der Aussprache. Mit ihrer unbeschwerten Darstellung war sie nicht einfach eine erotische Projektionsfläche. Als sie begreifen musste, dass Alonso ihre Beziehung der Staatsraison opfern werde, legte sie in ihrer Stimme eine tiefe Traurigkeit.

    Als die auf innere Kontrolle konzentrierte vorsichtigere, warnende und etwas vorausschauende ältere Schwester Esther bestach die Norwegerin Lilly Jørstad. Ihr Mezzosopran strahlte in schlichter, natürlicher Schönheit und zeigte, wie mit geschmeidiger Stimmführung eine phänomenale Ausdrucksstärke sicht- und hörbar werden konnte, wenn ihre Stimme zwischen den höheren und tieferen Lagen wechselte.

    Christoph Pohl entwickelte seine Darstellung des Königs Alonso von der Steigerung dessen Emotionen bis zum Verlust deren Kontrolle. Aus der arrangierten Ehe mit Eleonore, einer nicht sonderlich innigen, dem Erhalt der Dynastie sichernden Beziehung, geriet er in eine Phase leidenschaftlicher Sexualität. Sie blieb aber letztlich dank seiner Erziehung und seines konträren Weltbildes unerfüllt, so dass er moralisch versagen musste. Mit seinem dunklen Bariton gab er eine grandiose Vorstellung eines von seinen Gefühlen besessenen Mannes, die er angesichts des drohenden Machtverlustes frei von Skrupeln zur Seite zu verwischen vermag. Seine stimmlich stets kontrollierten emphatischen Ausbrüche blieben immer exzellent phrasiert.

    Die Königin Eleonore wurde von der Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner zur die Handlung vorantreibenden und die Aussage der Oper bestimmenden Person gestaltet. Ihr historisches Vorbild war geboren und erzogen um zu herrschen. Ihre wichtigste Aufgabe in diesem Kontext, mit dem gebären eines männlichen Nachfolgers den Erhalt der Dynastie zu sichern, war aber ihr schwacher Punkt, denn ihr einziger Sohn ist geistig beeinträchtigt. Die mit ihrem unerbittlich strengen Auftreten und ihrem satten, beinah autoritärem stimmlichen Volumen aufwartende Tanja Ariane Baumgartner zeigte ganz klar, wer die Richtung der weiteren Entwicklung bestimmte. Ohne Gefühlsregung, bar jeder Mütterlichkeit war sie bereit den kranken Sohn als Schachfigur auf den Thron zu setzen, um selbst zu herrschen. Andererseits umgarnte sie voller Sinnlichkeit in der Stimme den Alonso, um so die machtorientierten ehelichen Beziehungen wieder herzustellen. Eine hervorragende Rolleninterpretation, die aber in Carsens zeitgenössischer Inszenierung doch etwas problematisch blieb.

    Den widersprüchlichen Part des Grafen von Lara Manrique meisterte Markus Marquardt auf das vortrefflichste. Vom Erzieher und Freund des Königs vermag er alle Emotionen der Staatsraison zu opfern. Seit dem Jahre 2000 dem Ensemble des Hauses verbunden, setzte er seinen reifen wohlklingenden Bassbariton und seine darstellerischen Fähigkeiten mit einer Mischung von Erfahrung und stilsicherer Darstellung ein. Der Tenor Aaron Pegram wirkte als Don Garceran, dem Sohn des Grafen von Lara, als Ausführender dessen Anweisungen jenseits moralischer Überlegungen.

    Musikalisch und darstellerisch wirkte in allen Phasen der Sächsische Staatsopernchor auf das Hervorragendste.

    Als Grandios erwies sich die musikalische Leitung des im Hause bestens eingeführten Jonathan Darlingtons bei der Umsetzung der Partitur. Was Darlington und die Musiker der Staatskapelle an diesem Abend leisteten war beeindruckend. Die Musiker der Sächsischen Staatskapelle bewältigten die anspruchsvolle Partitur mit gewohnter Präzision und Klangfülle.

    Darlington gelang eine Feinjustierung des Taktes, die an jeder Stelle mitriss, das Orchester auflodern ließ, aber stets rücksichtsvolle Dynamik und achtsame Akkuratesse des Chores sicherte und die Solisten nicht überforderte..

    Besonders in den Zwischenspielen trieb Darlington die Musiker durch die Partitur, allerdings ohne Virtuosität und differenzierte Interpretation zu vernachlässigen. Vor allem in den leisen Momenten konnte er für Gänsehaut sorgen.

    Die brisant-hochpolitische Uraufführung wurde vom Publikum ob der Leistungen des Chores der Solisten, für die Qualität der Inszenierung aber möglicherweise auch wegen ihrer tagespolitischen tragischen Aktualität frenetisch gefeiert.

    Credits:

    Die Jüdin von Toledo-Oper von Detlev Granert

    Uraufführung am 10. Februar 2024 in der Semperoper Dresden

    Inszenierung: Robert Carsen

    Bühnenbild und Kostüme: Robert Carson und Luis F. Carvalho

    Choreografie: Marco Berriel

    Choreinstudierung: Jonathan Becker

    Musikalische Leitung: Jonathan Darlington

    Sächsische Staatskapelle Dresden

  • Kammerkonzert der Giuseppe-Sinopoli-Akademie der Sächsischen Staatskapelle in der SEMPER ZWEI am 11. Februar 2024

    Die Orchesterakademie der Sächsischen Staatskapelle hatte mit Unterstüt -zungder Gesellschaft der Freunde der Staatskapelle zu einem Kammerkonzert in die Spielstätte Semper Zwei eingeladen. Mit diesem Konzert galt es einmal mehr, die Leistungsentwicklung der jungen Musiker der Akademie einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen. Die Akademien der führenden Orchester sind heute zu einer wichtigen Säule der Ausbildung hochqualifizierten Nachwuchses geworden. Dabei steht nicht nur das spieltechnische Leistungsvermögen im Vordergrund, sondern auch die Entwicklung der Fähigkeit, sich in die Beson –derheit des Orchesters einzuhören, einzufühlen und den orchestertypischen Klang in Konzerten und Aufführungen mitzugestalten. So ist es möglich, dass die Besten der Sinopoli – Akademie ein Engagement für die Staatskapelle erhalten und den Wunderklang, den Geist und die Virtuosität des Orchesters mit in die Zukunft tragen.

    Kammerkonzerte sind Gradmesser der Qualität jedes mitwirkenden Musikers.

    So konnte man sehr gespannt sein auf das Konzert am Sonntagvormittag, zumal sich das Programm durch eine interessante Vielfalt auszeichnete.

    Neben Werken von Schubert, Ravel und Françaix standen Kompositionen von

    Pasculli, dem italienischen „Paganini der Oboe“ und Castérède auf dem Pro –

    gramm, die hierzulande nur selten oder gar nicht aufgeführt werden.


    Die „Omaggio a Bellini“ für Englischhorn und Harfe von Antonio Pasculli (1842 – 1924) eröffnete das Konzert. Pasculli war ein hervorragender Oboist und Komponist, der im ausgehenden 19. Jahrhundert besonders in Italien sehr populär war. Damals war es üblich, Themen aus bekannten Opern z. B. von Bellini, Donizetti, Rossini und Verdi für eigene Werke bearbeiten. So nutzte auch Pasculli die halsbrecherischen Koloraturen und die herrlichen Belcanto –

    Passagen der Bellini – Opern „Il Pirata“ und „La Sonambula” für seine fantasievolle, hochvirtuose „Omaggio a Bellini“. Robert Schina (Englischhorn) und Margot Gélie (Harfe) sorgten für eine werkgerechte und klangvolle Inter -pretation.


    Es folgte ein „Concertino für Trompete und Posaune” von Jaques Castérède (1926 – 2014). Castérède war Schüler von Tony Aubin und Olivier Messiaen. Er gewann u.a. den begehrten Prix de Rome. Neben dem Komponieren widmete er sich vordergründig dem Unterrichten am Conservatoire de Paris. Interessant ist seine Einladung zu einer Gast - Lehrtätigkeit nach Peking 1988 und1998. Er wurde 1992 Präsident der französischen Société Nationale de Musique. Auch als Klaviervirtuose war er international unterwegs. Er komponierte Werke unter -schiedlichster Genres, u. a. 1986 eine Komposition zum 100. Geburtstag der New Yorker Freiheitsstatue. In seiner Kompositionsweise machte er sich frei von allen bestehenden Systemen, wie z. B. der Zwölftontechnik. Für ihn sind eine durchgängige thematische Grundlinie, Rhythmus (auch mit Jazzeinfluss) und eine sehr reiche Harmonisierung typisch.

    Aljoscha Schlesier (Trompete), Tomer Schwartz (Posaune) und als Gast

    Sebastian Jaenichen (Klavier) boten dieses Werk sehr lebendig, in gebotener Leichtigkeit und in hervorragender klanglicher, dynamisch und intonatorischer Übereinstimmung dar.


    Das „Bläserquintett Nr. 1“ von 1948, eine der zahlreichen Kompositionen von Jean Françaix (1912 – 1997) für Bläser, stand als Nächstes auf dem Programm. Die Werke dieses französischen Komponisten zeichnen sich durch Witz, rhythmische Raffinesse und durchsichtige Instrumentierung aus. Neben verschiedenen Instrumentalkonzerten, Vokalwerken, Opern und Kammer - musiken schrieb er die Musik zu zwölf Filmen. Auch als Klaviervirtuose war er sehr gefragt.

    Marta Cabañero Filgueira(Flöte), Robert Schina (Oboe), Mátyás Ábrahám (Klarinette), Hannah-Katharina Philipp (Fagott) und Damien Muller (Horn)

    brachten das Werk nach einem etwas unsicheren Anfang sehr engagiert und virtuos zu Gehör. Hervorheben möchte ich dabei Marta Cabañero Filgueira

    (Flöte) und Hannah-Katharina Philipp (Fagott).


    Nach der Konzertpause hörten wir „Le Tombeau de Couperin“ von Maurice Ravel (1875 – 1937). Ravel schrieb nur wenige Kammermusikwerke, darunter 1914 das Klaviertrio a-moll, eine Reihe wunderbarer Klavierstücke. Auch „Le Tombeau de Couperin“ ist ursprünglich eine Komposition für Klavier, 1917 fertiggestellt, deren sechs Sätze jeweils einem seiner im 1. Weltkrieg gefallenen Kriegskameraden gewidmet sind, jetzt zu hören in einer Bearbeitung

    von Mason Jones für Bläserquintett nach der von Ravel erstellten viersätzigen Orchesterfassung des Werkes. Ravel war neben Claude Debussy Hauptvertreter des Impressionismus in der Musik. Dennoch unterscheidet sich Ravel, stark beeinflusst u.a. von Eric Satie, deutlich von Debussy. Nicht impressionistisch verschwimmend, sondern scharf zeichnend ist sein Kompositionsstil, überwältigend im Farbenreichtum seiner Orchesterwerke, klar auch in Distanz zum Stil Richard Wagners.

    Das Bläserquintett Marta Cabañero Filgueira, Robert Schina, Mátyás Ábrahám, Hannah-Katharina Philipp und Damien Muller gelang eine stimmungsvolle, auch klanglich gut ausbalancierte Darbietung.


    Den Abschluss des Konzertes bildete das „Streichquintett C – Dur op. post.163, D 956“ von Franz Schubert (1797 – 1828). Zwei Monate vor seinem Tode komponiert, wurde dieses Werk zu einem Hauptwerk der gesamten Kammermusikliteratur. Schubert selbst hat eine Aufführung seiner Komposition nicht mehr erlebt. Erst gut 20 Jahre später interessierte sich ein Verlag dafür, und noch lange musste das Werk mit seiner Fülle an Emotionen und seiner Spieldauer von ca. 50 Minuten auf die gebührende Anerkennung warten. Bis

    heute ist eine Aufführung diese großartigen Werkes eine echte Herausforde –rung. Ähnlich wie die drei letzten Klaviersonaten oder die „Große“ C-Dur Sinfonie ist das Spätwerk Schuberts aber kein „Schwanengesang“, sondern ein Schritt in die Zukunft, die Auseinandersetzung mit Beethoven.

    Charlotte Thiele (Violine), Taras Zdaniuk (Violine), Anna Helgert (Viola),

    Sebastian Mirow (Violoncello) und als Gast Matthias Wilde (Violoncello)

    ließen dieses Werk zum Höhepunkt des Konzertvormittags werden. In sich ruhend, dynamisch und in den Farben fein schattiert, technisch grandios,

    herausragend Charlotte Thiele, ließ die Interpretation keine Wünsche offen. Zu Recht bekamen die Musiker begeisterten Applaus. Bravi!


    Gastbeitrag von Bernd Runge

  • Haas war schon in den 1990ern führender Komponist in Ö und jetzt schon sehr lange nicht mehr in Ö

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • In der Semperoper dirigiert ja heute und morgen Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle und dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden das Brahms-Requiem.

    Johannes Brahms "Ein deutsches Requiem" op. 45 mit Julia Kleiter (Sopran) und Markus Eiche (Bariton)

    Sollte jemand von unseren Dresdner Freundinnen oder Freunden vor Ort mit von der Parte sein, so wäre ich sehr dankbar für einen gelegentlichen Höreindruck, da für mich das Brahms-Requiem einen sehr hohen Stellenwert hat und ich mir gut vorstellen kann, dass Thielemann einen "guten Zugang" findet und mit seiner Interpretation (vielleicht) Zeichen setzt.

    Habe bislang keine Einspielung von ihm gehört und werde dies vorab auch nicht tun, um unbefangen eventuell "aus erster KennerInnen-Hand" am Live-Erlebnis teilzuhaben. Besten Dank schon vorab!

  • Zur Erinnerung der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945: Johannes Brahms- Ein deutsches Requiem

    Seit den angloamerikanischen Luftangriffen des 13. Februar des Jahres 1945 auf die bis zu dieser Zeit unzerstörte Barockstadt Dresden mit einer bis Dato nie exakt bestimmten Zahl von Todesopfern ist inzwischen mit den 79 Jahren ein Menschenalter vergangen. Jene Menschen, die das Grauen des Feuersturms bewusst erlebten, versterben zunehmend und den derzeit weltweit Entscheidenden fehlt diese Erfahrung, so dass sie unbeschwert von „Kriegstauglichkeit“ palavern können.

    Bei den in meinem familiären Umfeld betroffenen Menschen sind die psychischen Auswirkungen des Irrens durch den Feuersturm von den vielfältigen Eindrücken langer Lebenszeit bis zu einem gewissen Umfang überdeckt. Trotzdem bleibt es uns ein Bedürfnis, an jedem 13. Februar das Konzert der Sächsischen Staatskapelle zum „Gedenken an die Zerstörung Dresdens“ zu besuchen und die Augen Betroffener wurden auch nach der langen Zeit noch immer feucht.

    In diesem Jahr hat letztmalig in seiner Amtszeit als Chefdirigent des Orchesters Christian Thielemann das Konzert mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms geleitet.

    Als der 33-Jährige Johannes Brahms im Juli 1856 seinen Mentor und wichtigsten Freund Robert Schumann an den Tod verlor, begann er, nachdem er bis zu dieser Zeit ausschließlich mit Kompositionen „kleinerer Formen“ an die Öffentlichkeit getreten war, aus dem Stand heraus an einem Chorwerk zu arbeiten. Im Nachlass Schumanns war Brahms auf ein Projekt seines Freundes zu einem „Deutschen Requiem“ gestoßen, was er als Anregung aufnahm und umgehend mit der Arbeit begann. Der Zusammenhang der Entstehung der späteren ersten zwei Sätzen des Brahms´schen „Deutschen Requiems“ mit Schumanns Versterben wird in der Musikliteratur zwar oft bezweifelt, aber die vom bekennenden Agnostiker Brahms verwendeten Bibeltexte stützen den Zusammenhang. Brahms ist gewiss kein Atheist gewesen, aber den klugen Worten der Texte des Jahrtausende alten Kompendiums der „Heiligen Schrift“ konnte sich der religiöse Freigeist nicht entziehen. Auch die liturgische Form der katholischen Totenmesse hatte den Glaubens-Skeptiker offenbar angesprochen. Die Texte aus der Hamburger evangelischen Luther-Bibel entnahm Brahms vermutlich recht zügig und formulierte daraus ein Art Prosagedicht. Brahms wollte auf keinen Fall eine herkömmliche Totenmesse. Mit dem Grundgedanken, dass am Ende jedes Lebens der Tod steht, aber nicht die Verstorbenen die Bitte um Erlösung benötigen, sondern die Zurückgelassenen, die Weiterlebenden des Trostes bedürfen, reklamierte er seine Weltanschauung.

    Nach dem euphorischen Beginn der Arbeit unterbrach Brahms die Arbeit an der Komposition und suchte über zehn Jahre mit unterschiedlicher Intensität nach der ihm entsprechenden Form der Gestaltung der Chor- und Orchestermusik. Die Uraufführungen seiner Arbeitsergebnisse in drei Phasen sind der Nachweis, dass sich Brahms mit dieser Unvereinbarkeit des ewigen Kreislaufs von Werden und Vergehen, dem Kontrast von Leben und Tod richtiggehend abgearbeitet hat.

    Die Arbeit an den ersten vier Sätzen schloss er 1865 ab und ließ 1867 eine Aufführung in Wien zu. Die Sätze sechs und sieben entstanden im Zeitraum bis 1866. Erst als nach deren Präsentation der sechs Sätze 1868 in Bremen bei Aufführungen Arien von Georg Friedrich Händel beziehungsweise aus dem „Freischütz“ dazwischen gesungen worden waren, beendete Brahms diese Unsitte und schob für die Leipziger Gewandhaus-Uraufführung im Februar des Jahres 1869 das auf starke Kontraste verzichtende Sopransolo ein, das er als fünften Satz in das Werk eingruppierte.

    Trotz der komplexen Entstehungsgeschichte erlebten wir am 13. Februar 2024 in der Semperoper eine in sich geschlossene Aufführung des „Deutschen Requiems“ voller spannungsgeladener Intensität.

    Bereits die ersten Töne aus der scheinbar absoluten Stille im Raum veränderten die Empfindungen, als die Celli mit einer berückend schönen Melodie verhalten begannen und diese den Bratschen übergaben. Der vom Staatsopernchor im zartesten Pianissimo übernommene zentrale Gedanke „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“, ließ uns dann in die Musik eintauchen.

    Ebenso Verhalten begann auch der Trauermarsch des zweiten Satzes bis der Chor seine düstere deprimierende Verkündung „Denn alles Fleisch ist wie Gras“, nämlich dass alles irdische Leben vergänglich sei. Wie zur Bekräftigung schrie der Chor bei der zweiten Wiederholung diese Aussage regelrecht heraus.

    Im dritten Satz vereinten sich der Bariton Markus Eiche und der Chor zur Bitte „Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss“ und zur Erkenntnis, dass unser Leben und Tod dicht beieinander liegen.

    Mit seiner leichten und angenehm zügigen Interpretation vermied Christian Thielemann mit dem der Chorsatz „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth“ eine schwülstige Vision der Schönheit eines jenseitigen Lebens. In der Folge konnte er mit traumhaften Piani des Orchesters der Sopranistin Julia Kleiter für ihr mit wunderbarem Timbre gesungenes „Ihr habt nun Traurigkeit“ den Boden bereitet.

    Der dramatische Höhepunkt wurde erreicht, als der Chor „Denn wir haben hier keine bleibende Statt“ vom Solisten mit „Siehe ich sage euch ein Geheimnis…“aufgenommen, weiter zum „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“ getragen worden war. Mit den gewaltigen Chorfugen „Herr, du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft“ sowie unmittelbar im jüngsten Gericht „zu der Zeit der letzten Posaune“ füllten Chor und Orchester das Haus mit einem hochfahrenden Klanginferno.

    Der Finalsatz nahm noch einmal die Stimmung des Kopfsatzes auf und ließ ihn melodisch reich aufblühen bis zur tröstlichen Gewissheit „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben mit der Abrundung des Bogens. Folglich blieb der Höhepunkt der Interpretation auf dem Wort Kraft erreicht, wenn der Chorsatz „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt“ endet.

    Bei aller Klangschwelgerei blieb das Konzert frei von Sentimentalität. Mit der leichten und angenehm zügigen Interpretation Christian Thielemanns war eine wichtige Voraussetzung für eine glaubhafte Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens gesichert worden.

    Der von André Kellinghaus einstudierte fantastische Staatsopernchor blieb mit der bezwingenden Schönheit seiner Leistung der Hauptdarsteller des Konzerts. Mit seinem kraftvoll frischen Timbre sowie einer dramatisch betonten Aussprache wurden den Hörern alle Facetten von Leid, Tod, Vergänglichkeit, aber auch von Tröstung, Leben und Ewigkeit regelrecht ins Herz gesungen.

    Die Musiker der Staatskapelle erwiesen sich mit ihrem transparenten wandlungsfähig-zurückhaltendem Ton als verlässliche Stütze für den Chor und die Solisten. Ihr Spiel lebte aber auch von den musikalischen Gegensätzen, wenn im jüngsten Gericht „zu der Zeit der letzten Posaune“ das Haus mit einem hochfahrenden Klanginferno zu füllen war.

    Der Solopart des Baritons war mit Markus Eiche glänzend besetzt. Mit wunderbarem Legato verkündet er seine Verse und rundete das exakt ausgesteuerte vokale Bild ab.

    Dieser Abend beinhaltete alles, was diese Musik ausmacht: Erhabenheit, Andächtigkeit, Beseeltheit, Trost und inneren Frieden, so dass eine Überleitung zur Gedenkminute den Hörern auch ohne dem Anlass des Konzertes zum Bedürfnis wurde.

    Semperoper Dresden, 13. Februar 2024

    „Zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945“

    Johannes Brahms: „Ein deutsches Requiem nach Worten der Heiligen Schrift“ für Sopran, Bariton, Chor und Orchester op. 45

    Julia Kleiter, Sopran

    Markus Eiche, Bariton

    Sächsischer Staatsopernchor Dresden

    Sächsische Staatskapelle Dresden

    Dirigent: Christian Thielemann

  • Thielemanns Interpretation des Brahms-Requiems muss wirklich überzeugend gewesen sein. Ich werde mich nun mit seiner Interpretation des Werkes beschäftigen.

    Das ist sicherlich ein lohnendes Unterfangen. Thielemann hat das "Deutsche Requiem" im letzten Sommer bei den Salzburger Festspielen aufgeführt (mit singverein und Philharmonikern aus Wien). Ich habe die Aufzeichnung Allerheiligen im Fernsehen gesehen und war ziemlich beeindruckt davon. Das war eine tolle, sehr berührende Aufführung. Man merkt, dass das ein Stück ist, zu dem Thielemann etwas zu sagen hat.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Man merkt, dass das ein Stück ist, zu dem Thielemann etwas zu sagen hat.

    So war meine Vermutung. Vielen Dank für Deine Hinweise. Vielleicht ist die Einspielung bei den Salzburger Festspielen ja ein guter Einstieg für Thielemanns Deutung.

  • Ich danke dem User Bernd sehr herzlich für dessen (mir allemal nachvollziehbare) Hymne auf den überaus berührenden Bericht von unserem trefflichen Sachverständigen aus Ost-Venedig, thomathi, der sich in der Tat damit selbst übertroffen hat:

    das ist mit Abstand der persönlichste, ausführlichste, fundierteste und nachhaltigste Konzertbericht, der mir je untergekommen ist.

    Tränen fliessen mir ob thomati's Worte - ganz ohne die brahms'sche Musik überhaupt zu hören, welche mir die ausgewählten Worte aber sinnlich imaginierbar machen. Grossartig! Danke!

  • Tränen fliessen mir ob thomati's Worte - ganz ohne die brahms'sche Musik überhaupt zu hören, welche mir die ausgewählten Worte aber sinnlich imaginierbar machen. Grossartig! Danke!

    Guten Morgen lieber Walter! Nachdem ich dieser Tage in einem Thread darauf hingewiesen habe, dass ich mich - ausgelöst durch eine Anregung von Dir (kann im Moment - noch - nicht "abrufen", worum es ging) - zu einem Thread-Thema zu Wort gemeldet hatte, freue ich mich sehr, Dich bei dieser ebenso traurigen wie ergreifenden Gelegenheit nun so "persönlich" kennenlernen zu dürfen. Auf solche Weise, wie Du das gestern getan hast, hier im Forum Rückmeldung zu erleben, tut in diesen Zeiten richtig gut.

    Nicht ohne, sondern mit Brahms (vor allem bei V: "Ihr habt nun Traurigkeit") und den Schilderungen von thomathi über den 13.Februar 1945 sind auch bei mir Tränen geflossen. Und könnten es weiter angesichts der Reaktion (vor allem aber Nicht-Reaktion!) auf diese in der Tat so persönliche Konzert-Besprechung...

    thomathi als "Sachverständiger aus Ost-Venedig" - eine köstliche Formulierung, die dann doch wieder aufheitert. Danke nicht nur dafür und LG! :wink:

  • Ist Bezeichnung "Ost-Venedig" für Dresden höre ich zum ersten Mal und halte sie auch für Quatsch, denn Dresden hat keine Kanäle und liegt zwar deutlich nördlicher, aber kaum östlicher als Venedig.

    Gebräuchlich ist für Dresden hingegen die Bezeichnung "Elbflorenz".

    Beste Grüße vom Stimmenliebhaber

  • Elbflorenz… 👍👍

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Nach Beginn meiner Thielemann-Exkursion aufgrund der Schilderungen von thomathi über die Konzerte mit ihm in Dresden beginne ich zu begreifen, was auch hier gemeint war und was ich vermutete:

    Man merkt, dass das ein Stück ist, zu dem Thielemann etwas zu sagen hat.

    Hier in diesem Thread nur 2:53 aus Johannes Brahms "Ein deutsches Requiem" op. 45

    Berliner Philharmoniker, Christian Thielemann

    Siobhan Stagg, Sopran

    Christian Gerhaher, Bass

    Gijs Leenaars, Chor-Einstudierung Rundfunkchor Berlin

    Berlin Philharmonie, 24. Januar 2015 - 2.Satz "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras"

    Das ist für mich sehr überzeugend, es deckt sich mit den aus Dresden beschriebenen Eindrücken und macht Vorfreude auf weitere Beschäftigung mit Thielemanns Werk-Deutung! Wie gesagt, im Thread über das Konzertleben in Dresden nur dieser Ausschnitt von 2:53, da es um Christian Thielemann geht.

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  • Gastkonzert des „Hong Kong Philharmonic Orchestras“ als vorab-Eröffnung der Dresdner Musikfestspiele 2024:

    Das Hong Kong Philharmonic Orchestra feiert mit der derzeitigen Saison sein 5o-jähriges Bestehen als professionelles Orchester. Bereits im Jahre 1947 hatte sich eine Gruppe des „Sino-British-Clubs“ zu einem Amateurorchester für klassische Musik zusammengefunden. Der „Sino-British-Club“ war gegründet worden, um das kulturelle Auseinanderstreben der chinesischen und der britischen Bevölkerungsgruppen in der damaligen britischen Kronkolonie einzuschränken. Nachdem sich die Musiker 1957 vom Club gelöst und in „Hong Kong Philharmonic Orchestra“ umbenannt hatten, konnten sie sich im Jahre 1974 dank einer finanziellen Ausrüstung durch die Administration der britischen Kronkolonie zum professionellen Klangkörper formieren. Seit dieser Zeit entwickelte sich das „HKPO“ zu einem der führenden klassischen Orchester des Asiatischen Kontinents. Seit Jaap van Zweden in der Saison 2012/2013 die musikalische Leitung der Kapelle übernommen hatte, erreichte der Klangkörper auch weltweite Anerkennung durch seine Höhen der künstlerischen Qualität.

    Sein Jubiläum begeht das Hong Kong Philharmonic Orchestra mit einer Tournee durch fünf europäische Länder. Das erste Gastkonzert der Reise fand am 24. Februar 2024 als vorab-Eröffnung der 47. Dresdner Musikfestspiele im Konzertsaal des Kulturpalastes Dresden statt.

    Zum Beginn des Konzertes stellte das Orchester die europäische Erstaufführung „Asterismal Dance“ des 1986 in China geborenen und in Großbritannien ausgebildeten Komponisten Daniel Lo Ting-cheung vor. Mit nur wenigen Minuten leidenschaftlicher und energischer Rhythmen entführte uns sein „Scherzo fantastique“ in das fernöstliche Herkunftsland. Mit ihrer Entfaltung von unterschiedlichen, nichtlinearen Betrachtungen durchquerten seine Themen die unterschiedlichen Instrumentengruppen und entwickelten aus der musikalischen Substanz unterschiedlichste Formen. Auf vielfältige Weise variiert, erweitert und überlappt verflochten sich Anklänge der chinesischen Folklore zu einem komplexen Tanz und bildeten eine interessante Einstimmung in das folgende etwas inhomogene Konzertprogramm.

    Das Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58 ist wahrscheinlich das folgenreichste, nachhaltigste der Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens (1770-1827), schon weil sich ob seiner atmosphärischen Dichte Komponisten wie Robert Schumann, Felix Mendelssohn Bartholdy und Frederic Chopin an ihm orientierten.

    Beethoven komponierte das Konzert in den Jahre 1805 und 1806 als das Ringen um seine symphonische Sprache der „Eroica“ sowie der 4. Symphonie überwunden, sein lyrischer Ton mit dem Violinkonzert und dem Streichquartett op. 59 gefunden worden waren. So konnte er ein Klavierkonzert als ein im Einklang stehendes Gespräch zwischen Partnern ohne das überlieferte „Schwarz-Weiß-Prinzip“ von Solist und Orchester entwickeln.

    Das keineswegs zu den beliebtesten Klavierkonzerten Beethovens gehörende G-Dur- Werk wurde im Konzert von einem niederländischen Dirigenten geleiteten fernöstlich geprägten Orchester und einem französischen Solisten dargeboten. Der 1997 in Clermont-Ferrand in eine Musikerfamilie geborene Alexandre Kantorow hat 2019 den ersten Preis sowie die Goldmedaille des Moskauer Tschaikowskiwettbewerbs gewonnen und ist seit dieser Zeit zu einem der aufregendsten Ausnahme Pianisten geworden.

    Sensibel, aber ohne Scheu näherte sich Kantorow dem Beginn des ersten Satzes, um dann leicht auseinandergefächert feinfühlig das Hauptthema zu vollenden. Von diesem Moment an bestimmte die Anmut und Leidenschaft seines Spiels die Wirkung des Konzerts. Mit einer lyrischen Grundstimmung übernahmen die feinfühligen Streicher des Orchesters den duftigen Zauber der verblüffenden Farbenspiele der Harmonik, bis Jaap van Zweden bewusst überbordente Energieschübe im Kontrast mit betont überdehnten Generalpausen kombinierte: eine Vorgabe, auf der sich Kantorow nachdenklich entfaltete. Wie selbstverständlich wuchsen der Solopart aus den Orchesterstimmen heraus und umgekehrt. Ein begeisternd ausgeglichener Dialog zwischen den Partnern mit wahren Wundern der Wandlungsfähigkeit durchliefen das Hauptthema und entwickelten glanzvolle. Emotionen. Faszinierend, mit nie versagender Phrasierungskunst gestaltete Kantorow die Kadenz.

    Ohne aufgesetzte Dramatik führte Jaap van Zweden das Orchester in das Andante con moto und spielte ganz bewusst den betonten Gegensatz zum Klavierpart aus. Es war eine interessante Erfahrung, die Beethovenkomposition mit einem Orchesterklangbild, das dem gewohnten Dresdner Klang ziemlich konträr war, zu hören. Fast flehend besänftigend setzte sich Kantorow den schroffen Einwänden des Orchesters entgegen. Seine Töne und Harmonien ordnete und wendete er zu kostbaren Klangfolgen, gestaltete individuelle Schattierungen bis zum atemlosen Pianissimo am Satzausklang

    Mit dem „Rondo vivace-Finalsatz“ waren die Diskussionen beendet und die Meinungsverschiedenheiten offenbar überwunden, so dass Kantorow mit dem Beethoven-typischen Brio in rasenden Läufen brillierte. Der hervorragende Solocellist mit einer sinnenden Gesangslinie, die Hörner mit glitzernd markanten Einwürfen und herrlich strahlende homogene Streicher beendeten Beethovens revolutionäre Verschmelzung von Solopart und Orchester in Jaap van Zwedens und Alexandre Kantorows Interpretation auf das Prachtvollste wie selbstverständlich.

    Mit dem sensibel interpretierten Intermezzo op. 118/2 von Johannes Brahms bedankte sich Alexandre Kantorow für den stürmischen Applaus des Dresdner Publikums.

    Für uns Heutige bleiben deshalb die Querelen der Uraufführung des G-Dur Klavierkonzerts am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien unerklärlich. Der 38-Jährige Beethoven hatte die erste öffentliche Präsentation seines Opus 58 in ein regelrecht überfrachtetes Mamut-Konzert hineingepackt. Das mit seiner fünften und sechsten Symphonien, drei Teilen der C-Dur-Messe op. 86, einer Konzertarie „Ah, perfido sowie der Chorfantasie op. 80 kombinierte Klavierkonzert überforderte das Orchester, so dass Beethoven sich bei den Proben mit den Musikern überwarf und nur aus einem Nebenraum dem verängstigten Dirigenten Korrekturvorschläge machen konnte.

    Im dritten Teil des Programms folgte Dmitri Schostakowitschs „Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70“.

    Als Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) zum Jahreswechsel auf 1945 angesichts der Fortschritte der Roten Armee im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht gefragt wurde, wie er den bevorstehenden Sieg besingen wolle, reagierte er, dass er zwar an eine neunte Symphonie denke, und, falls er einen entsprechenden Text fände, dieses Werk für Chor, Solisten und Orchester komponieren wolle. Er befürchte aber, dass man ihn dann unbescheidener Analogien verdächtigen könne. Der zurückhaltende „Dima“ wollte keinesfalls vom zu erwartenden Siegestaumel profitieren. Deshalb bleibt nicht verwunderlich, dass Schostakowitsch am 30. August 1945 ein kleines rein instrumentales Werk mit fünf Sätzen beendete und bald darauf aufführen ließ. Die gesamte neunte Symphonie war nicht länger, als die Kopfsätze seiner „Leningrader“-siebten von 1942 oder der tragischen achten Symphonie von 1943.

    In den letzten Kriegswochen hatte Schostakowitsch tatsächlich an einer Exposition und der Durchführung eines Ersten Satzes gearbeitet, brach aber die Weiterführung ab, um im Sommer 1945 innerhalb von fünf Wochen seiner Erleichterung und seinen Hoffnungen auf die Zukunft mit diesen fünf Sätzen Ausdruck zu verleihen.

    Vom sowjetischen Publikum war die Symphonie differenziert aufgenommen worden. Wegen des fehlenden Heroismus und ob ihrer Bescheidenheit waren viele enttäuscht. Aber ansonsten wurde das Werk überwiegend als „Ausdruck der Freude über den Sieg, als lakonische, lebensbejahende Reaktion der Erinnerungen an die schrecklichen Stürme des Krieges und deren Überwindung“ mit Begeisterung gefeiert.

    Die vermeintlich dicke KGB-Akte des Komponisten ist uns noch nicht zugänglich, so dass Analysen seiner Arbeiten, Äußerungen von Zeitzeugen auch über seine psychischen Probleme noch immer Spielflächen von Spekulationen bleiben. Sicher ist aber, dass er sich im problematischen Bereich eines staatlich gut alimentierten Künstlers bewegte, dessen Werke vom Publikum sowie von seinen Fachkollegen überwiegend hoch geschätzt wurden, der aber von der offiziellen Kulturpolitik argwöhnisch beobachtet blieb. Ob und bis zu welchem Umfang er politisch und gesellschaftlich reglementiert worden war, bleibt aber zumindest für mich offen.

    Der erste Satz ist vollständig von der Attitüde des sorglos Heiteren geprägt, ist humorvolle und amüsante Musik, während ihm der zweite Satz durchaus nachdenklichere und der vierte Satz sogar tragische Töne gegenüber stehen, bevor das Finale die komödiantischen Züge des Kopfsatzes, allerdings mit einigen ins grelle überspitzten Aspekten wieder aufnimmt. Schostakowitsch lässt für Jenen der genau hinhört, keinen Zweifel aufkommen, dass er angesichts dessen, was der Krieg und der Sieg gekostet haben, keine Freude zu empfinden vermag.

    Ob man deshalb die Symphonie zu jenen Grabdenkmälern zählen sollte, zu denen Schostakowitsch die meisten seiner Symphonien erklärt hatte, bleibt für mich fraglich.

    Der 1960 in Amsterdam geborene und seit 1995 als Dirigent tätige Jaap van Zweden ging die 9. Symphonie Dmitri Schostakowitschs wie ein echter Kosmopolit unvoreingenommen an.

    Der erste Satz begann mit humorvoller, amüsanter Musik und schien vollständig von sorgloser Heiterkeit geprägt. Die harmlosen, fast spielerisch-fröhlichen Anklänge erwiesen sich aber im Satzverlauf zunehmend als aufgesetzt und schlossen einen möglichen Siegesjubel aus.

    Ein nachdenklicher Klagegesang im zweiten Satz erinnerte an die problematischen ersten Kriegsjahre und die spürbaren seelischen Narben. Die traurigen Klänge des glänzenden Flötensolos zogen eine nüchterne Bilanz und vermitteln den Eindruck von Einsamkeit. Die Zähigkeit am Ende des Satzes mag an die Strapazen des Kampfes und die endlosen Märsche durch Matsch und Schnee erinnern.

    Verzweifelt-hysterisch hetzt das Presto des dritten Satzes voran. Der im Tempo angezogene Marsch tobte regelrecht, ohne dass ein erlösendes Ziel in Sicht wäre.

    Das konnten auch die eher sarkastischen Fanfaren des vierten Satzes mit ihrem überzogenen militärischen Klang nicht versprechen. Die tragischen Bläsersignale gingen fast ins Leere, so dass das berückende Fagott-Solo wieder eine Klage übernehmen muss, um von der Allgegenwart des Todes und der Trauer zu künden. Ohne Pause schloss sich der fünfte Satz mit einem Fagott-Übergang an, bevor das Finale die komödiantischen Züge des Kopfsatzes allerdings mit einigen grell überspitzten Aspekten wieder aufnehmen konnte.

    Die Interpretation Jaap van Zwedens der Schostakowitsch-Symphonie war so zu einem Appell gegen jede Freude einer Kriegsvorbereitung geworden. Sein hochengagiertes Dirigat und das hervorragende Hong Kong Philharmonic Orchestra entlockten der vielschichtigen Partitur all die Facetten und Färbungen, die Schostakowitsch den Musikern vorgegeben hatte.

    Natürlich kann man Schostakowitschs 9. Symphonie auch als anti-stalinistisches Werk definieren.

    Angesichts der derzeitigen geopolitischen Weltlage und unserer gesellschaftlichen Stimmungen war eine erfrischende und entspannte Interpretation die bessere Lösung.

    Für die Erfahrung , den Konzertsaal mit einen anders geprägten Orchesterklang erlebt zu haben , dankte das aufgeschlossene Publikum mit heftigen Beifall den deutlich im Durchschnitt jüngeren Musikerinnen und Musikern des Hong Kong Philharmonic Orchestra, die uns mit dem Furiant der Slawischen Tänze Antonin Dvořáks gelöst in die Nacht entließen.

    Credits:

    Gastkonzert des „Hong Kong Philharmonic Orchestras“ als vorab-Eröffnung der Dresdner Musikfestspiele 2024

    24. Februar 2024 im Konzertsaal des Kulturpalastes Dresden

    Daniel Lo Ting-cheung: „Asterismal Dance“ (Europäische Erstaufführung)

    Ludwig van Beethoven: „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58

    Dmitri Schostakowitsch: „Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 7o

    Solist: Alexandre Kantorow, Klavier

    Dirigent: Jaap van Zweden

    Hong Kong Philharmonic Orchestra

  • Bartók, Dvořák und Honegger mit Jakub Hrůša und Augustin Hadelich im 7. SYKO der Staatskapelle

    Den Auftakt des Konzertes bildete Béla Bartóks „Violinkonzert Nr. 2 Sz 112“: Bartok komponierte sein zweites Violinkonzert in den Jahren 1937 bis 1938 für seinen Freund und langzeitigen Konzertpartner Zoltán Székely (1903-2001) erst nach einigem Zögern. Er fürchtete, dass der in Holland lebende Geiger keine Zeit für eine Konzerttätigkeit finden könne und sein zweites Violinkonzert ein ähnliches Schicksal erleidet, wie seine Komposition der Jahre 1907/1908. Bartók hatte zu dieser Zeit eine Liebesbeziehung mit der ungarischen Violinistin Stefi Geyer (1888-1956). Als Stefi das Verhältnis im Februar 1908 beendete, schickte Bartók mit seinem Abschiedsbrief der Geigerin das Autograf der ihr gewidmeten Komposition. Diese hielt ihr hymnisch aufschwingendes musikalisches Idealbild unter Verschluss, so dass Bartóks „erstes Violinkonzert Sz. 36“ erst nach ihrem Tode und damit 13 Jahre nach dem Versterben des Komponisten uraufgeführt werden konnte.

    Auch sein zweites Violinkonzert konnte Béla Bartók nur einmal, im Oktober 1943 in New York, hören. Denn Bartók war vor der Uraufführung mit Székely am 23. März 1939 bereits emigriert.

    Der 1984 als Sohn deutscher Eltern in Italien geborene hochbegabte Violinist Augustin Hadelich war bereits in jungen Jahren nach New York gegangen und ist zunächst vor allem in Nordamerika aufgetreten. Inzwischen hat er sich zunehmend die europäischen und fernöstlichen Konzerthäuser mit deren Publikum erschlossen. Über neun Jahre bis zum Jahre 2020 spielte Augustin Hadelich ein Instrument aus der Werkstatt von Antonio Stradivari (um 1644-1737), die so benannte „ex-Kiesewetter“ aus dem Jahre 1723. Seit dem wurde ihm die legendäre „Guarneri Leduc/ ex Henryk Szeryng“ von 1744 zur Verfügung gestellt. Die Violine gilt als die letzte Arbeit des Bartolomeo Giuseppe Guarneri „del Gesù“ (1698-1737). Es wird sogar vermutet, dass erst seine aus Wien stammende Frau Katarina das Instrument nach dem Versterben des Cremonenser Meisters fertiggestellt habe. Gegenüber der „ex-Kiesewetter“, die einen raffinierten hellen Klang anstrebt, bevorzugt die von Simon Leduc (1742-1777) sowie Henryk Szeryng (1918-1988) fast zwanzig Jahre gespielte Guarneri eine dunklere, lebendigere, menschliche Klangfarbe. Mit ihrer Fülle und Komplexität füllt sie mühelos die größten Konzertsäle.

    Mit Jakub Hrůša hat Augustin Hadelich bereits mehrfach Konzerte und Einspielungen bestritten. Für die Sächsische Staatskapelle war das siebte Symphoniekonzert das erste Zusammenwirken mit dem Violinisten.

    Beim Hören des „zweiten Violinkonzerts Sz 112“ von Béla Bartók (1881-1945) sollte man sich seine Themen bei deren ersten Erklingen einprägen, um im weiteren Verlauf die Umkehrungen, Erweiterungen oder Konzentrierungen bewusst verfolgen zu können. Nur dann kann man der Gefahr eines verwirrenden Eindrucks der Darbietung entgehen und Bartóks Gedankenentfaltung einigermaßen erfassen.

    Acht Anschläge der Solo-Harfenistin Johanna Schellenberger eröffneten und Augustin Hadelich zeigte mit der Vorstellung des melodischen Hauptthemas des Kopfsatzes seinen Gestaltungswillen, übernahm seine Verantwortung als Führender. Jakub Hrůša ließ das Orchester zunächst beschwichtigend folgen. Vehement ausbrechende, aufrüttelnde Passagen wechselten sich mit Beruhigtem ab. Das Konfliktbeladene, Sperrige und Aufrüttelnde der Musik bestimmte, ohne dass der Solist ins Extreme abdriftete. Hadelichs Tongebung blieb immer dem Schönklang verbunden, mied das allzu Schrille ebenso wie das ganz Fahle. Zunächst nur zurückhaltend mischte sich das Orchester ein. Mit zunehmender Länge des zerklüfteten Satzes schien der Fortgang der musikalischen Entwicklung verloren zu gehen, als Bartók dem robusten Anfangsthema eine Zwölftonmelodie zur Seite gestellt hatte. Die Orientierungslosigkeit mündete in eine Vierteltonpassage der Sologeige. Die gefürchtete hochvirtuose Kadenz brachte den Solisten wieder auf den richtigen Weg und führte ihn sicher zum Schluss des Satzes.

    Andere Facetten erforderte der zweite Satz „Andante tranquillo“ vom Solisten und vom Orchester. Hadelich mied mit seiner Darbietung des lyrischen Soloparts alles demonstrativ Aufgesetzte und entwickelte die sechs freien Variationen. Die Staatskapelle bot mit ihrem kompakten und facettenreichen Klang dem Solisten die musikalische Basis für sein herrliches Spiel, ergänzte das Solo, unterstützte mit zarten Streichern oder stellte sich als satter Klangkörper daneben. Jakub Hrůša ließ. großartige Klangbilder erstehen und erwies sich als ein Dirigent, der keine Show brauchte. Viel Kommunikation zwischen Solist und Orchester war im dritten Satz „Allegro molto“ gefragt. Hrůša ließ die Staatskapelle sehr präzise, dabei keinesfalls zurückhaltend musizieren, während Hadelich mit kraftvollem, energischem Spiel mit den Themen des Kopfsatzes antwortete.

    Augustin Hadelich und Jakub Hrůša interpretierten die magische Klangfülle des Violinkonzertes emotional hinreißend. Das klangliche Hin und Her, die rhythmischen Besonderheiten, die folkloristischen Züge, alles konnte man hören. Das logisch aufgebaute Gefüge musikalischer Elemente, besonders die für Bartók typischen gesanglichen Passagen mit ihrer speziellen Harmonik waren auf das Wunderbarste zum Strahlen gebracht.

    Für den frenetischen Applaus des Auditoriums bedankte sich Hadelich mit der Zugabe "Por una cabeza" des Carlos Gardel.

    Die zweite Komposition des Konzertprogramms, das „Nocturne für Streichorchester H-Dur op. 40“ von Antonin Dvořák (1841-1904) weist uns nach, dass auch kleine und kurze Werke eine verrückte Entstehungsgeschichte aufweisen können. Als 28-Jähriger Orchestermusiker experimentierte der „Feierabend-Komponist“ Dvořák mit einem e-Moll Streichquartett „der klassischen Vielsätzigkeit in der Einsätzigkeit“, das bedeutete, dass die vier Sätze ineinander übergingen. Dieses als viertes Streichquartett ohne Opus in Dvořáks Werkgeschichte Eingegange, wurde zu seinen Lebzeiten nie gespielt. Er hat dieses Formexperiment auch nie wiederholt, rettete aber aus dem Versuchsverband das „Andante religiosi“, um es 1875 im zweiten G-Dur-Streichquintett op. 18 zu verwenden. Mit geändertem Schluss und einer zusätzlichen Kontrabass-Stimme bildete es in dieser Urfassung einen zweiten langsamen Satz. In einer Überarbeitung des G-Dur-Quintetts entfernte er vor dessen Drucklegung diese Wiederverwendung und veränderte damit das Streichquintett zu seinem zum op. 77.

    Das mehrfach verschobene „Andante religiosi“ fand dann im Jahre 1883 mit zwei Neufassungen, für Streichorchester bzw. für Violine und Klavier, seinen Weg als selbstständiges Stück „Nocturne H-Dur op. 40“in die Konzertsäle sowie in die Salons.

    Die exzellent eingespielte Streichergruppe der Sächsischen Staatskapelle spielte das „Nocturne“ ästhetisch, stilvoll und formbewusst. Dabei betonten die hervorragenden Musiker den Dresdner Klang. Aus dem andachtsvollen Schreiten des „Andante religioso“ der Urfassung von 1870 war inzwischen dank der mehrfachen Überarbeitung des Entwurfs das Stück zu einem sehr behaglichen „Molto adagio“ gewandelt.

    Ob des Suchens Dvořáks, wie er sich mühte, seinen musikalischen Einfall von 1869 irgendwie einem breiteren Hörerkreis erschließen zu können, hatte mich zum Nachdenken über den Menschen Antonin Dvořák gebracht. Wie er sich als Prager Orchester-Bratscher vergeblich abplagte, erfolgreiche symphonische Werke zu schaffen, bis ihm dann der ältere erfolgreiche Johannes Brahms (1833-1897) die richtigen Impulse vermittelte. Dvořák wird uns als bescheidener umgänglicher Familienmensch mit tiefer Religiosität nahe gebracht. Er war aber auch Naturliebhaber und den technischen Neuerungen seiner Zeit gegenüber aufgeschlossen. Die Eröffnung des Teilstücks Prag-Lobositz der k.k. Nördlichen Staatsbahn am 1. Juni 1850, die der neunjährige Antonin auf dem Bahnhof seines Heimatortes Nelahozeves erlebte, weckte in ihm eine lebenslang anhaltende Begeisterung für das Eisenbahnwesen. Die Geräusche mit Dampf betriebener Lokomotiven und Schiffe, aber auch die Kennzeichnungssystematik der Bahnunternehmen und die Präzision der Einhaltung der Fahrpläne haben ihn fasziniert und bei seinen Kompositionen oft inspiriert.

    Im dritten Konzertteil lernten wir mit Arthur Honegger (1892-1955) einen weiteren begeisterten Anhänger der mit Dampf betriebenen Eisenbahnen kennen, der sich von ihrem Anblick und den Arbeitsgeräuschen hat anregen lassen. Er verdankte seinen Durchbruch als Komponist dem Portrait der bis Mitte der 1920-er Jahre europaweit und in den USA eingesetzten schnellsten Lokomotive der Welt. Ihre Ausstattung mit vorauslaufendem zweiachsigen Drehgestell, drei Kuppelachsen und seitenbeweglicher Nachlaufachse führte dank ihrer Systematisierung bei der französischen Eisenbahn zur Bezeichnung der Lokomotive zu „Pacific 231“. Das 1923 entstandene neunminutige „Mouvement symphonique“ wurde von der Tschechischen Philharmonie unter Serge Kussewizki (1874-1931) im Mai 1924 fast tagesgleich dem Publikum in Paris sowie in Prag vorgestellt und machte Honegger auf Anhieb bekannt. Im Konzert hörten wir allerdings Honeggers dritte Symphonie „Symphonie liturique“ von 1946:

    Der Neoklassizist Arthur Honegger gilt als Schweizer Komponist, obwohl er in Le Havre geboren ist und die meiste Zeit seines Lebens in Frankreich verlebte. Dank seiner Eltern verfügte er über die Schweizer Staatsbürgerschaft. Selbst die Zeit der deutschen Besatzung von Paris im zweiten Weltkrieg konnte er mit Kontakten sowohl zur Resistance als auch der Kollaboration dank seines Schweizer Passes überleben. Besonders in seiner unter dem Eindruck des Geschehens des zweiten Weltkriegs geschrieben zweiten Symphonie fühlte er sich mit seiner Musik gleichsam den Tätigkeiten der Kathedralen als auch der Fabriken verbunden, so dass sich in seinen Kompositionen die Welt der Maschinen mit der von Altarwänden und Kirchenfenstern vermischten. Honeggers dritte Symphonie mit dem Beinamen „Liturgique“ entstand in der unmittelbaren Folge des Völkermordens des zweiten Weltkriegs. Jedem der Sätze des Werkes sind Textworte aus der katholischen Totenmesse vorangestellt, ohne dass in der Musik die in der Liturgie gebräuchlichen Themen verwendet worden waren.

    Der erste Satz „Dies irae“ schilderte die Gewalt und die Verwüstungen, die der Welt widerfahren sind. Mit einem grellen, von markanten Rhythmen begleiteten Aufschrei, eröffnete Jakub Hrůša das „Tag des Zorns“, vermied aber, dass die Musiker in einen plakativ stampfenden Takt verfallen konnten und stets die klangliche Transparenz wahrten. Regelrecht maschinell ließ Hrůša mit ständigen Wiederholungen das Chaos des Krieges symbolisieren, wobei die Holz- und Blechbläser alarmierend kreischten.

    Das „De profundis clamavi“ des zweiten Satzes war Ausdruck der Verzweiflung über das Geschehene, aber auch der Hoffnung, die trotzdem im Herzen der Menschheit erhalten bleibe. Ein dumpfes Gebet aus den Tiefen der Instrumentengruppen stieg am Beginn des „ich rief aus der Tiefe“ auf und wurde von den Violinen mit voller Schönheit aufgenommen. Jakub Hrůša ließ das Orchester klangvolle Melodien entwickeln. Vor allem die Klarinetten und Celli dominierten in diesem gesanglichen Teil, der einer dramatischen Entwicklung zustrebte. Mit dynamischen Steigerungen intensivierte Hrůša die Musik und wechselte drohende Passagen mit süßlicher Sphärenmusik. Doch das Grollen im Bassregister des Klaviers kündigte den weiteren emotionalen Aufruhr, so dass der Dirigent das Orchester gnadenlos bis an die Schmerzgrenze voran schreiten ließ, bevor die Klänge mit einem Flötensolo in Verlorenheit verhallten.

    Im dritten Satz tobt der Kampf gegen die Verbohrtheit der Mitwelt, gegen alle Plagen, die die Menschheit quälen und zu ihrer Verzweiflung führen. Die menschliche Gesellschaft kämpft und wehrt sich mit dem Aufschrei „Dona nobis pacem“. Die innere Ruhe aus dem Glauben, der Friede des Herzens, die Natur, das Leben, wie es sein könnte, wenn die Völkerfamilie guten Willens wäre, deuteten sich an. Aber solange Ideologen die Gesellschaften bestimmen, bleibt diese Hoffnung ohne Erfüllung. Mit einem steigerndem Rhythmus setzte das „Dona nobis pacem“ ein. Jakub Hrůša entwickelte das marschartige Tempo des „Herr gib uns Frieden“ zu einem erdrückenden, dissonanten Höhepunkt, den die Staatskapellen-Blechbläser kraftvoll vortrugen. Hrůša blieb auch in dieser teils lärmigen Beklemmung klar strukturiert und formend. Die versöhnlichen Klänge konnten sich nicht durchsetzen. Vermeintliche Freude vermag nicht zu strahlen und wurde durch Dissonanzen der Holzbläser und die grummelnden Pauken kupiert. Der Versuch des Cellos von Sebastian Fritsch und der Violine der Yuki Janke, einen Hoffnungsschimmer zu setzen, konnte einfach nicht durchdringen.

    Mit seiner kompromisslosen Interpretation sicherte Jakub Hrůša mit einer hervorragenden Partnerschaft mit der Staatskapelle die Emotionen, die von Arthur Honeggers Komposition ausgingen. Ihm gelang, die Spannung eine halbe Minute zu halten, bevor der Applaus losbrach.

    Das spannende vielschichtige Konzert hatte beeindruckende Werke wirkungsvoll kombiniert. Zugegebener weise war das keine leichte Kost, aber eine überaus lohnenswerte, nachhaltige und bereichernde Erfahrung.

    Credits:

    Matinee des 7. Symphoniekonzerts der Sächsischen Staatskapelle

    3. März 2024; Semperoper Dresden

    -Béla Bartók: Violinkonzert Nr. 2 Sz 112

    -Antonín Dvořák: Nocturne für Streichorchester H-Dur op. 40

    -Arthur Honegger: Symphonie Nr. 3 „Symphonie liturgique“

    Solist: Augustin Hadelich, Violine

    Dirigent: Jakub Hrůša

    Sächsische Staatskapelle Dresden

    Einmal editiert, zuletzt von thomathi (5. März 2024 um 09:17)

  • Christian Măcelaru mit Werken von Witold Lutosławski, Wolfgang Amadeus Mozart und Antonin Dvořák bei der Dresdner Philharmonie

    Am vergangenen Wochenende gastierten der Dirigent Christian Măcelaru und der Pianist Colin Pütz mit Werken von Witold Lutosławski, Wolfgang Amadeus Mozart sowie Antonin Dvořák bei der Dresdner Philharmonie.

    Das Leben des interessanten Komponisten Witold Lutosławski (1913-1994) spiegelt die wechselvolle Geschichte seines polnischen Heimatlandes wieder. Im „russischen Warschau“ geboren, gehörte er zur ersten Generation Heranwachsender, die nach dem russischen Bürgerkrieg und dem Frieden von Brest Litowsk mit der „Zweiten Republik“ eine Wiederherstellung einer polnischen Staatlichkeit miterlebte. Von 1939 erfuhr er die Besetzung seines Heimatlandes im zweiten Weltkrieg und nach 1945 die Schwierigkeiten der Volksrepublik Polen mit ihren stalinistischen Auswirkungen. Lutosławskis Planung, in Paris zu studieren, scheiterte am Ausbruch des Krieges. Kriegseinsatz, Gefangenschaft und Flucht, dazu überdauern mit einer Kabarett-Truppe, prägten seine Zeit bis Kriegsende. In den 1950-er Jahren bemühte sich seine Tonsprache, Elemente der heimatlichen Folklore in neuartigem musikalischem Gewand auf individuelle Weise einzubeziehen. Versuche mit Zwölfton- und anderen neuartigen Kompositionstechniken brachten ihm im stalinistischen Polen Formalismus-Vorwürfe der offiziellen Kulturpolitik ein.

    Die im Konzert gebotenen „Symphonischen Variationen für Orchester“ waren von 1936 bis 1938 entstanden. Bereits zu dieser Zeit hatte der 25-jährige Lutosławski durchaus komplexe Strukturen mit Brillanz und Vitalität in sein Orchesterwerk einbezogen. Die handwerklich perfekte Komposition erwies bereits, dass er als praktizierender Musiker mit den Künsten seines Metiers vertraut war.

    Christian Măcelaru gestaltete Lutosławskis „Pariser Bewerbung“ mit den Musikern der Dresdner Philharmonie zu einem erfrischenden und interessanten Auftakt, an dem auch konservative Besucher ihre Freude haben konnten.

    Mit seinem c-Moll-Klavierkonzert KV 491 war Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) im Jahre 1786 besonders weit in künftige musikalische Bereiche vorgestoßen. Die große thematische Intensität, die Tiefe der musikalischen Charakteristik und der vielfältige Einsatz der Chromatik zeugte schon von großer Reife des dreißig jährigen Mozarts. Deshalb sah ich es schon als Wagnis an, dieses komplexere der beiden Moll-Klavierkonzerte Mozarts dem jungen Pianisten Colin Pütz zu überlassen. Aber immerhin bestreitet Măcelaru seit fast drei Jahren Konzerte mit dem im 17. Lebensjahr befindlichen Pianisten. Seine hervorragende Virtuosität ist unbestritten, der Anschlag erwies sich aber wenig sensibel und in der Kadenz sogar hart. Damit fehlte der Interpretation die pathetische Anmutung und sie wirkte wie ein Holzschnitt-Abzug. Dabei war faszinierend, wie Pütz seine Verbindungen zum Orchester aufbaute. Er ließ sich vom Orchester regelrecht umspielen, auch umschwärmen. Auch genoss man Mozarts Aufgebot des üppigen Bläsersatzes, der den Flöten, Oboen, Fagott und Klarinetten der Philharmoniker reiche Gelegenheit bot, ihr hervorragendes Können zu zeigen.

    Für den langanhaltenden freundlichen Beifall bedankte sich Colin Pütz bei den Besuchern mit Antonin Dvořáks „Humoreske Nr. 7 op. 101.

    Nach der Pause folgte die „Symphonie Nr. 6 D-Dur op. 60“ des tschechischen Meisters:

    Antonin Dvořák (1841-1904) bemühte sich neben seiner Tätigkeit als Orchester-Bratschist um eine kompositorische Sprache und um einen individuellen Stil. Obwohl seine frühen Symphonien voller musikalischer Einfälle waren, und sich zunehmend handwerkliche Meisterschaft entwickelte, stellte sich kein rechter Erfolg ein. Erst als der Wiener Kritiker Eduard Hanslick (1825-1904) Johannes Brahms (1833-1897) auf das aufstrebende Talent aus Böhmen aufmerksam gemacht hatte und der acht Jahre ältere bereits Arrivierte, Dvořák bei seinem Verleger Simrock einführte, sowie ihm Kontakte in die Musikwelt vermittelte, riss der Knoten. Aus dieser Unterstützung entwickelte sich eine zunehmend freundschaftliche künstlerische Zusammenarbeit, die ihre Spuren in den fünften und sechsten Symphonien Dvořáks hinterließen. Die „Symphonie Nr. 6 D-Dur op. 60“ komponierte Dvořák im Jahre 1880 eigentlich auf eine Bitte des Dirigenten Hans Richter (1843-1916) für die Wiener Philharmoniker. Eine Erkrankung Richters und Querelen im Orchester verhinderten eine Wiener Uraufführung. Der Komponist vermutete aber die anti-tschechische Stimmung im Wien der damaligen Zeit als Ursache der Zurückweisung.

    Mit seinem Dirigat der „Symphonie Nr. 6 D-Dur op. 60“ verschaffte Christian Măcelaru mit der Dresdner Philharmonie der Komposition Antonin Dvořáks einen ganz eigenen Glanz und besonderen Schwung, gab ihr eine seltene Ausdruckskraft, ohne dass er dabei eine besondere Interpretationsagenda verfolgte. Seine Auslegung wurde aber dem Grundcharakter der Symphonie, dank großer Akribie und Feinarbeit im Detail, in vollendeter Weise gerecht.

    Măcelarus Ansatz zum ersten Satz war temporeich und erfasste die mehrfach wechselnden Perspektiven. Trotz der Wiederholungen bewältigte er die starken Tempokontraste zwischen dem ersten und zweiten Thema, beherrschte geschickt die Übergänge und führte die Philharmoniker zum grundlegenden Allegretto-Thema zurück.

    Im Adagio ließ Măcelaru vor allem den glänzend aufspielenden Streichern des Orchesters viel Raum. Die Wirkung seines langsamen Satzes profitierte von der langen und leicht entlang schwimmenden Melodie, so dass das der Klang eher wie ein unbeschwertes Lied daherkam. Besonders gelungen war der Scherzo-Furiant, bei dem die Philharmoniker ungemein temperamentvoll und mit rhythmischer Energie agierten.

    Im Finale „Allegro con spirito“ wurden zwei frische und fröhliche Themen vorgestellt, die Christian Măcelaru harmonisch dicht und brillierend mit dem Orchester verarbeitete. Die Lebensfreude dieses letzten, mit einer effektvollen Stretta abgeschlossen Satzes, kennzeichnete damit die geschlossene Leistung des Orchesters dieser rundweg gelungenen Interpretation.

    Credits:

    Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes-Matinee am 10. März 2024

    Witold Lutosławski: Symphonische Variationen für Orchester

    Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll KV 491

    Antonin Dvořák: Symphonie Nr. 6 D-Dur op. 60

    Solist: Colin Pütz, Klavier

    Dirigent: Christian Măcelaru

    Dresdner Philharmonie

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