Versatzstücke im 6. Symphoniekonzert in Dresden
Wie weiter unten gewünscht wurden die bis dahin als neue Threads angebotenen Beiträge zum Dresdner Konzertleben und die sich darauf beziehenden Antworten nun hier eingefügt.
AlexanderK, Moderation
Der Dramaturg der Staatskapelle Dresden Tobias Niederschlag, hat als Konzertplaner des Orchesters für das 6.Symphoniekonzert seinen Musikern ein doch außergewöhnliches Programm zusammengestellt.
Vier Werke, alle mit einer Aufführungsdauer unter 25 Minuten, von Alexander Zemlinsky (1871-1942), Erwin Schulhoff (1894-1942), Bohuslav Martinů (1890-1959) sowie Leoš Janáček (1854-1928) haben einem Bezug zum Abgesang der k. u. k.-Donaumonarchie.
Als Dirigent der Konzerte war Vladimir Jurowski im Einsatz. Für die beiden Streichkonzert-Kombinationen konnte das Moskauer Borodin Quartet gewonnen werden. Nun haben wir, meine Frau, ein befreundetes Ehepaar und natürlich ich, uns zur Gewohnheit gemacht, für die Konzerte der Staatskapelle in Dresden, stets die Generalproben und mindestens eines der Konzerte zu besuchen.
Es ist schon hoch interessant, wie unterschiedlich sich die Orchesterleiter mit dem Orchester verständigen und was sich im Konzert dann daraus entwickelt.
Als erster Beitrag im 6. Saisonkonzert wurde Alexander Zemlinskys „Sinfonietta für Orchester op.23“ geboten. Ich hatte bisher wenig Musik von Zemlinsky gehört. Bekannt war er mir vor allem als der Musiklehrer und Liebhaber der Alma Schindler-Mahler-Werfel.
Jurowski erwies sich als hervorragend vorbereitet Selbst die Probe erarbeitete er ohne Partitur nur mit Hilfe eines Notizheftes, mit dem er sich durch die Musiker bewegte und diese in ausgezeichnetem Deutsch direkt ansprach.
Leider stehen mir zum Vergleich nur CD- und You Tube-Aufnahmen der Musik Zemlinskys zur Verfügung, um zu beurteilen, ob sich das reichlich einstündige Sezieren des 20-Minuten-Werkes auch gelohnt hat. Die Musik erwies sich dann aber erfreulich als recht melodisch und eingängig sowie bis zu einem gewissen Grade auch erfrischend.
Dem folgte das „Konzert für Streichquartett und Blasorchester WV 97“ von Erwin Schulhoff, einer der schillersten Komponisten-Persönlichkeiten der 1920er Jahre.
In seiner Dresdner Zeit von Reger, Strauss bis Mahler beeinflusst, wandte er sich unter dem Einfluss des George Grosz einer Art Musik-Dada, dem Jazz sowie nordamerikanischen Tanz-Rhythmen, wie Boston oder Shimmy, zu.
Das aufgeführte Werk ist 1930 entstanden, als sich Schulhoff bereits dem Kommunismus angenähert hatte.
Die Komposition folgte ziemlich formal dem Hegelschen dialektischen Prinzip. Im Allegro moderato übernahmen die 15 Blasinstrumente eine These-Funktion, allerdings mehr in Form einer Stakkato-Provokation. Das ausgezeichnete Steichquartett hielt quasi als Antithese beruhigend entgegen.
Im Largo arbeitete vorwiegend das Streichquartett den Konflikt auf, wobei mehrfach einzelne Bläser oder Bläsergruppen den Streichern als Gesprächspartner dienten.
Mit dem Allegro con brio-Finale wurde dann, gewissermaßen als Synthese, eine Versöhnung von Streichern und Bläsern ausgeführt. Aber immer wird das Stakkato beibehalten.
Letztlich also ein Ausdruck der marxistischen Denkweise des Komponisten.
Bohuslav Martinů hat es trotz seiner Bedeutung für die Musik des zwanzigsten Jahrhunderts kaum in das breite Bewusstsein der Musikfreunde geschafft. Auch hier im Forum habe ich keinen Faden zu diesem produktiven Komponisten gefunden.
Seine Tonsprache umfasst Elemente der Musik seiner Böhmischen Heimat und des frühen Jazz. Fremd blieben ihm die expressiven und konstruktiv bestimmten Partituren der Wiener Schule sowie die akademisch geprägte Tradition der Prager Schule.
„Ich war nie Avantgardist“ beharrte er. Sein „Konzert für Streichquartett mit Orchester
H 207“ ist 1931 in Paris entstanden.
Das Allegro vivo kommt ziemlich derb daher, das Adagio recht im Gegensatz eher tragisch-melodisch und das Finale volkstümlich aufgelockert. Aber das Gesamtwerk bleibt letztlich recht traditionell.
Die zweifelsfrei bekannteste Komposition des Konzertes war Leoš Janáčeks„Sinfonietta für Orchester op.60“. Zunächst als Auftragskomposition „Fanfare des Sportvereins Sokol“ konzipiert, hat Janáček 1926 das Thema zu einem 5-Sätzigen Werk gestaltet.
Im ersten Allegretto boten 21 Blechbläser (davon 12 Trompeten) und massive Pauken einen so strahlenden Auftakt, dass man fürchten musste, die Saaldecke stürze ein.
Dem folgte im Andante eine an mährische Folklore angelehnte Töne-Flut. Dann am Beginn des Moderato ein beklemmendes wundervolles Posaunen-Solo.
Darauf weiter im 4. Satz, eine Allegretto-Klangfülle, die eine Beschreibung der Burg Špilberk, ein zur k.u. k.-Zeit gefürchteter Kerker, darstellen sollte.
Hört man genau, so drängt sich der Gedanke auf, dass Jurowski eigentlich für jeden der Fünfminuten-Sätze eine eigene Orchesterbesetzung benötigt hätte.
So erklärt sich dann auch, die Aufbietung des gewaltigen Orchesters. Einhundertein Musiker halfen dem Dirigenten, die Spannung aufrecht zuhalten bis dann im abschließenden Allegro das überbordente Fanfaren-Thema wieder aufgenommen wurde.
So erhielten dann doch noch der präzise sowie mit ordentlichem Körpereinsatz „arbeitende“ Dirigent und das Orchester den verdienten Schlussapplaus.