Vom Konzertleben in Dresden

  • Zum 2. Symphoniekonzert in der Saiso 2021/22 der Sächsischen Staatskapelle Dresden


    Im ersten Teil des Konzertes stand Ludvig van Beethovens „Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op.56“ auf dem Programm.

    Dem, umgangssprachlich schlicht als Beethovens Tripelkonzert bezeichneten, in der Originalausgabe von1807 aber als „Grand Concerto Concertant“ betitelten Konzert für Klavier, Violine und Violoncello C-Dur op. 56 wird oft die unausgeglichene Behandlung der drei Solo-Partien vorgeworfen. In der solistischen Triogruppe fällt der unproblematische flüssig gehaltene Klavierpart im Gegensatz zum differenzierten Streicherduo auf. Noch immer kann man lesen, Beethoven habe mit der geradlinigen Gestaltung des Klavierparts seinem prominenten Klavierschüler Erzherzog Rudolph (1788-1831) die Möglichkeit eines solistischen Auftritts verschaffen wollen, während als Streicher Berufsmusiker vorgesehen waren.

    Inzwischen gilt diese Anekdote als vom zeitweiligen Sekretär und späterem Biographen Beethovens Anton Schindler (1795-1864) gut erfunden, denn in früheren Quellen gibt es keine diesbezüglichen Hinweise. Auch habe der Komponist den Erzherzog erst 1808 kennen gelernt. Offenbar wollte nämlich Beethoven das Konzert vom Klavier aus leiten und trotzdem die Übersicht behalten.

    Es besteht auch der Verdacht, dass der unkonventionelle Beethoven das Tripelkonzert überhaupt nicht für das Konzertrepertoire gedacht habe und eigentlich nur ein Paradestück für den Geiger Carl August Seidler (1778-1840) und vor allem dem ihm befreundeten Cello-Virtuosen Antonín Kraft (1749-1820) komponieren wollte.

    Auch konnte ich keine Hinweise finden, ob und wie das Tripelkonzert unmittelbar nach der Entstehung 1804 in Wien aufgeführt worden ist. Erst, nachdem ein Klaviertrio eine kammermusikalische Aufführung vorgestellt hatte, kam mit einem Konzert am 18. Februar 1808 im Gewandhaus zu Leipzig eine Uraufführung zustande. Aber auch dann verblieben weitere zwölf Jahre bis zum nächsten Einsatz des Werkes.

    Häufig wird die Überbetonung der Solisten gegenüber einem schwunglosen Orchesterpart erwähnt und dass andererseits die Streicherpartien „mehr schwierig als dankbar“ seien

    Der Cello-Solist unseres Konzertes, Norbert Anger, reklamierte die Komposition folglich für sein Instrument als „verstecktes Cellokonzert“, übernahm umgehend die Führung des Solisten-Trios. Hatte ihm doch Beethoven in der Partitur mit der Vorstellung der meisten Themen und dem zweiten Satz „Largo“ exzellente Vorlagen geliefert.

    Sein Cello aus der Werkstatt des ersten bekannten neapelionischen Instrumenten-Meisters Alessandro Gagliani (1660-1725) begeistert mit seinem faszinierenden Klangbild.

    Trotzdem missbrauchte der Cello-Virtuose seine komfortable Position nicht und ließ seinen Partnern ausreichend Platz für ihr Spiel. Unser Konzertmeister und inzwischen als Solist bewährter Matthias Wollong war ihm dabei mit seinem Instrument aus der Werkstatt von Andrea Guarnari (um 1626-1698) aus dem Jahre 1676 gleichberechtigter und immer wacher aufmerksamer Partner.

    Mit der Doppelfunktion von Myung-Whun Chung als Klaviersolist und Orchesterleiter war mit der Aufführung die Komposition auf ihre Ursprünge zurückgeführt worden, auch wenn er als Dirigent von Thomas Meining und Holger Grohs hervorragend unterstützt wurde.

    Es war faszinierend, zu erleben, wie konzentriert und gleichzeitig entspannt unsere „Hausgewächse“ miteinander musizierten. Ihr Zusammenspiel baute die Spannungen zwischen den drei oft kammermusikalisch gefärbten ausdrucksstarken Solopartien auf, ohne dem Orchesterpart seiner Bedeutung zu berauben.

    Mit schlanker Klanggebung, sensiblen Tempovariationen und perfekt gesetzten Akzenten brachte sich das Orchester als vierter Partner ins Spiel

    Letztlich war eine spannende und zugleich entspannte kompakte Aufführung entstanden, die der “Viererkonferenz“ im Konzertrepertoireihre Daseinsberechtigung bescheinigte. Welches Orchester kann eine derartige Leistung aus eigener Kraft aufbringen?

    Für mich stellte das gestrige Konzert damit in einem gewissen Gegensatz zur oft zitierten „Referenzeinspielung“ des Herbert von Karajans von 1969 dar, über deren Entstehung der dort als Cellist tätige Mstislav Rostropowitsch in seinen Memoiren spottete: „Ich habe versucht Beethoven zu spielen. David (Oistrach) hat geglaubt er spielt Beethoven. Svjatislav (Richter) spielte wie immer nur sich selbst und Karajan glaubte, er sei Beethoven.“

    Eine packende Interpretation der vierten Symphonie von Johannes Brahms des Ersten Gastdirigenten mit einer begeisternden Leistung des Orchesters rundete das Konzert ab.

  • Von Wagner, über Mahler zu Sibelius.

    Eigentlich hatten wir uns auf Wagner-Musik aus "das Liebesmahl der Apostel" gefreut. Denn noch immer haben wir die Aufführung vom Mai 2013 im Rahmen der Dresdner Wagner-Geburtstagsfeiern im Ohr. Christian Thielemann hatte vier Chöre und Musiker im Kuppelraum der Frauenkirche verteilt, so wie das Richard Wagner zum Abschluss des Sängerfestes 1843 mit 1200 Teilnehmern und 100 Musikern eingerichtet hatte.
    Leider spielten aber im Konzert des 16. Oktober 2021 im Konzertsaal des Kulturpalastes die eigentlich Wagner-unwürdige Ouvertüre zum Liebesverbot. Letztlich ist die Programm-Änderung nur als Demonstration der Entwicklung Wagners von diesem Bums zum Parsifal zu akzeptieren. War aber trotzdem ärgerlich.
    Im weiteren Konzertverlauf bot uns Gerhild Romberger wunderbare Mahler-Lieder eines fahrenden Gesellen und die DD-Philharmoniker Jean Sibelius erste Symphonie in einer ordentlichen Interpretation unserer ersten Begegnung mit dem Dirigenten Mark Wigglesworth.

  • Leider spielten aber im Konzert des 16. Oktober 2021 im Konzertsaal des Kulturpalastes die eigentlich Wagner-unwürdige Ouvertüre zum Liebesverbot.

    Und? Ist auch das ganze Werk "Wagner-unwürdig"?
    Ich finde ja, es steht uns nicht zu, so zu urteilen, auch wenn Richard Wagner selbst das Werk als "Jugendsünde" bezeichnet hat.

    Zitat "Der Opernfreund":

    Doch Wagners „Jugendsünde“, eine Karnevalsoper mit Hintergrund, die von den Musikwissenschaftlern zurecht für ein bedeutendes Werk gehalten wird, muss nicht entschuldigt werden.

    Das dachte wohl auch Wolfgang Sawallisch, der das Stück im Münchner Nationaltheater im Rahmen der Aufführungen des Gesamtwerks Richard Wagners anläßlich dessen 100. Todestags in der Inszenierung von Jean- Pierre Ponelle aufgeführt hat.

    Und immerhin hat es jetzt der Richard-Wagner-Verband München anläßlich seines 150- jährigen Jubiläums auf die Bühne gebracht, mit großem Erfolg, wie einige Kritiken zeigen:

    http://www.lawchenmann.de/das-liebesverb…ere-16-10-2021/

    https://deropernfreund.de/muenchen-sonstige.html

    https://www.sueddeutsche.de/muenchen/wagne…ritik-1.5442757

    https://www.wochenanzeiger-muenchen.de/sendling/junge…erk,137124.html


    Dazu Karl Russwurm, der Vorsitzende des RWVM:

    Wir setzten auf "PLATZ" und es wurde ein "SIEG" - so sehen die Rezensenten das Ergebnis unserer Zusammenarbeit mit Opera Incognita bezüglich der Aufführung von "Das Liebesverbot" im Sugar Mountain.

  • Christian Thielemann rezitiert Clara und Robert Schumann sowie Johannes Brahms

    Am gestrigen Abend bot uns Klassik novum im DD-Löwensaal ein außergewöhnliches Event.
    Christian Thielemann rezitierte aus Briefen von Clara und Robert Schumann sowie Johannes Brahms.
    Christa Mayer sang, begleitet von Jobst Schneiderat und Holger Grohs Lieder von Clara Schumann und Johannes Brahms. Dazu erklang noch weitere Musik von Robert Schumann und Johannes Brahms, dargeboten von Danae Dörken (Piano), Robert Oberaigner (Klarinette), Lukas Stepp und Michael Schmid (Violine), Holger Grohs (Viola) sowie Friedwart Dittmann (Violoncello).
    Ein Format, das Lust auf Erweiterung machte und, trotz der stressigen, vom Sturm bedingten An- und Abfahrten, ein tolles Erlebnis war.

  • Schön, dass es etwas musikalische Begleitung von ein paar Nobodies zur außerordentlichen Leistung von Maestro Thielemann gab.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Werter Philbert, ich spüre den beißenden Spott in Deiner Zeile und kann ihn durchaus nachvollziehen. Die neue mediale Manier halt, der er sich hier befleißigt, der brave thomathi - bitte nur als milden Spott meinerseits verstehen :) :) . Dabei bräuchte er ja nur die seinigen Zeilen ein wenig umzustellen und vielleicht noch die Überschrift auszutauschen.

    Vielleicht hat er's allenthalben wirklich gut gemacht, der Thielemann. Bekannte Schauspieler genießen ja unsere Verehrung ebenso, etwa kurz vor Weihnachten.

    Das war jetzt noch ein sanfter Rest-Schuss Spottes.

    Auf jeden Fall nichts für ungut, ebenso werter thomati!

    PS: Schreibt man das nicht Nobodys - wo wir doch in Deutschland sind? :P Aber ich bin raus aus dem Englischlehrer-Geschäft seit einiger Zeit und war auch stets lieber im Deutschlehrer-Geschäft drin. :versteck1:

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Nee, ich reibe mich nicht gerne an Dir. Ich lese viel lieber Postings, von denen ich etwas Richtiges lernen kann als Ausführungen, die nach Zurechtstellung regelrecht schreien.
    Oder einen Artikel, der uns im Titel groß eine Rezitation von einem Amateur-Leser anbietet, um dann en passant zu erfahren, dass auch Profi-Musiker da waren, die im Schatten des Amateurs ihr Bestes gegeben haben.
    Und wenn ich Hilfe brauchte, wüsste ich, von wem ich sie bekommen kann, ohne hier in diesem Thread zu suchen.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Don Carlo im dritten Anlauf


    Vera Nemirova bringt ihre 2020 verhinderte Osterfestspiel-Inszenierung nach Dresden


    Sieben Versionen hat Guiseppe Verdi von seinem „Don Carlo“ geschrieben. Zum Teil belanglose Änderungen begleiteten den die historischen Gegebenheiten sehr freie folgenden Roman von César Vichard de Saint-Réal seit 1673 und die daraus entstandene TextvorlageFriedrich Schillers von 1787, das dramatische Gedicht „Dom Karlos, Infant von Spanien“, bis zur in Dresden vorgestellten italienischen Fassung von 1884 mit einem Vorspiel von Manfred Trojan.

    Wechselvoll ist aber auch die Geschichte der Inszenierung von Vera Nemirova: bereits im April 2019 erfolgten Bühnenproben der Entwürfe von Heike Scheele im Großen Festspielhaus in Salzburg, da die Inszenierung als Kernstück der Osterfestspiele 2020 unter der Musikalischen Leitung von Christian Thielemann vorgesehen war. Wurden die Festspiele ein Opfer der Corona-Pandemie, so sollte an der geplanten Übernahme der Inszenierung, allerdings mit dem Rollendebüt von Anna Netrebko als Elisabeth de Valois und der Musikalischen Leitung Thielemanns an der Semperoper festgehalten werden.

    Folglich begannen im Frühjahr 2020 auch die Proben mit Anna. Als auch Corona-bedingt die Premiere am 23. Mai 2020 nicht stattfinden konnte, stellte der Komponist und Solorepetitor des Hauses Johannes Wulff-Woesten eine kammermusikalische Fassung von Höhepunkten der Oper zusammen und brachte diese im Juni 2020 mit Anna Netrebko, Elena Maximova, Yusif Eyvazov sowie Mitgliedern des Hausensembles mit großem Erfolg zur Aufführung.

    In der Zeit des Probenbeginns des dritten Anlaufs war dann noch die Mutter und künstlerische Beraterin der Regisseurin, die Opernsängerin und Gesangspädagogin Sonja Nemirova (1942-2021), verstorben.

    Da bereits de Saint-Réal und Schiller recht frei mit den historischen Gegebenheiten der Zeit um 1560 umgegangen sind, sei es der gebürtigen Bulgarin Nemirova nachgesehen, dass ihre Inszenierung mit dem Sujet von Joseph Méry und Camille du Locle nicht zimperlich verfährt, um ihr Anliegen den Dresdner Besuchern zu vermitteln.

    In der aufgeführten Fassung der Oper fehlen bekanntlich die Szenen im Wald von Fontainebleau mit der ersten Inkognito-Begegnung des Don Carlo mit Elisabeth. An dessen Stelle erlebten wir die Uraufführung eines orchestralen Prologs von Manfred Trojan (*1949), der moderne Musik im Verdischen Sinne komponierte. In einem stilisierten „Wald von Fontainebleau“ treffen die Beiden als die 14-jährigen in einer Tanzszene aufeinander, verlieben sich und werden auseinandergerissen. Das bietet einen eigenständigen aber durchaus schlüssigen Auftakt des Abends.

    Für die folgenden Abläufe hat Heike Scheele eine gewaltige und prachtvolle Bibliothek des Klosters von San Yuste, jenes Rückzugsorts des amtsmüden Karl V., gemäß der Zeit um 1560 entstehen lassen.

    Der ob der Unregierbarkeit der Welt verzweifelte Kaiser war zwar 1558 verstorben, die Bibliothek blieb aber mit ihren 5200 Büchern als Zentrum der Hortung vom Wissen der Zeit ein Machtzentrum.

    Die Handlung führte uns in die revolutionäre Zeit des Übergangs von den ausschließlichen Abschriften der Mönche zum im Vielfachen verfügbaren Gedruckten. Denn damit war nicht nur Wissen breiter verfügbar, sondern auch unerwünschtes, verbotenes Gedankengut zunehmend zugänglich.

    Den Umgang der Mächtigen mit verbotenem und staatlich legitimiertem Wissen bis in unsere Tage machte Vera Nemirova zum Kernpunkt ihrer Inszenierung. Die Bibliothek blieb deshalb auch omnipräsent. Selbst als die Prinzessin Eboli die Hofdamen bespaßte, schaute die Bücherwand bedrohlich über die Abtrennung. Der zweite Akt war in die leergeräumte Bibliothek, allerdings vor den Bücherwänden, verortet.

    Selbst der gefangene Carlo empfängt Posa vor allerdings leergeräumten Bücherregalen, aus denen heraus dann der Marquis Posa folgerichtig erschossen wird.

    Zuvor ist aber noch das große Autodafé zu absolvieren: hier kippt die Inszenierung wieder in die Unsitte des Regietheaters, indem uns politisch Mitdenkenden begreiflich gemacht werden muss, dass bestimmte Entwicklungen nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern auch in Zeitnähe ablaufen. Die Bühne verschiebt uns in die Zeit der dreißiger des letzten Jahrhunderts und wir erleben die Machtergreifung einer totalitären Bewegung, die in eine optisch sehenswerte Bücherverbrennung mündete. Prachtvoll inszeniert, aber wer benötigt diesen Nachhilfeunterricht.

    Als Verbindung zum Folgenden war als Zwischenspiel eine zweite Komposition Manfred Trojans, „ Mendelssohns Möwen- ein Lied ohne Worte für Violoncello solo“, von Norbert Anger berührend gespielt und von den Tänzern Malwina Stepien sowie Briab Scalini angedeutet, dass da noch nichts entschieden ist.

    In der Folge zerfasert die so kompakt begonnene Inszenierung und verliert Struktur.

    Die Einbeziehung der Beziehungsgeschichte von Don Carlo und Elisabeth in die Handlung beschränkte sich folglich auf die Duette der Liebenden, die Intrigen bzw. die Läuterung der Prinzessin Eboli und die Auseinandersetzungen mit dem Großinquisitor. Die Umstände der gestohlenen Schmuck-Schatulle machen deutlich, dass nur noch die Geschichte einer zerrütteten Ehe erzählt wird, die im Finale für Elisabeth und Carlo in ein Happy End führt.

    Zumindest deutet das der dritte Auftritt der beiden Tanzenden

    Das rebellierende Volk überschwemmt nur kurz die Szene und verschwindet wieder. Sollte das eine Persiflage an die Wendedemonstrationen des Jahres 1989 sein?

    Alles zeichnet sich durch eine hervorragende Personenführung aus, lebt aber letztlich vom Gesang.

    Die Musiker der Staatskapelle sicherten mit dem Dirigenten Ivan Repušic die hohe musikalische Qualität des Abends. Der aus Kroatien stammende Musikalische Leiter hält eine phantastische Balance zwischen Kammerspiel und großer Oper. Von leidenschaftlichen Ausbrüchen bis zu leisen Passagen mit sprunghaftem Stimmungswechsel war alles dabei. Der weiche geschmeidige Klang des Orchesters beeindruckte im Besonderen in den Massenszenen des von André Kellinghaus blendend vorbebereiteten Chors, unterstützte aber ebenso einfühlsam die Gesangssolisten.

    Für den Abend stand eine opulente Riege der Singenden und Spielenden zur Verfügung.

    Die aserbaidschanische Sopranistin Dinara Alieva war für die Partie der Elisabetta di Valois nach Dresden gekommen, um mit souveränem Gesang und schauspielerischer Eleganz die Emotionen der zwischenmenschlichen Beziehungen beeindruckend darzustellen. Ihr tief getönter, voluminöser Sopran bot sowohl Durchschlagskraft in den Duetten als auch samtige Weichheit; alles im rechten Maß.

    Eine grandiose Besetzung der Prinzessin Eboli war der Einsatz der Moskauerin Anna Smirnova. Ein ungewöhnlich heller und brillant timbrierter Mezzosopran, leichtgängig oder fähig zu frontaler Attacke, eisig kalkulierend aber auch ungepanzerte Wärme offenbarend, war zu bewundern.

    Mit dem italienischem Tenor Riccardo Massi stand ein Darsteller mit einer relativ dunkel gefärbten in allen Lagen souverän geführten Stimme, der Gefühle ebenso wie Präsenz zeigen konnte.

    Die Sängerdarsteller der beiden Männer, König Philipp und Marquis Posa, sorgten für echte Glanzpunkte der Aufführung: Vitalij Kowaljow ließ seine sonore Bassstimme mit fabelhaft zwingender Autorität und Durchsetzungsfähigkeit strömen, akzeptierte zugleich die Verletzlichkeit des Königs mit dem “Ella giammai m´amò“auf feinfühlige Weise. Als das Geschehen mit diplomatischem Geschick vorantreibender Marquis de Posa verfügte Andrei Bondarenko über den eleganten, kraftvollen Ton mit klaren Akzentuierungen und über die notwendige Würde. Sein Duett mit Riccardo Massi wird in Erinnerung bleiben.

    Als weiterer Vertreter der politischen Klasse agierte Alexandros Stavrakakis in der Rolle des Großinquisitors. Mit seinem Bass schenkte er der massiven Figur mit schönem Legato und schwarzen Farben die notwendige Dämonisierung.

    Mit der leider kleinen Partie des Pagen Tebaldo erfreuten wir uns an der aufstrebenden Haus-Sopranistin Mariya Taniguchi.

    Fast Luxusbesetzungen waren auch der Graf von Lerma, dessen kleiner Part Joseph Dennis kaum Gelegenheit zur Präsentation seiner Möglichkeiten gab, der Mönch vom immer zuverlässigen Tilmann Rönnebeck und der Herold von Simon Esper.

    Ebenso kam makellos die berückend schöne warnende Stimme der Ophelya Pogosyan „von oben“.

    Beeindruckend auch der berührend und sauber intonierte Gesang der flandrischen Deputierten: Sebastian Wartig, Padraic Rowan, Mateusz Hoedt, Lawson Anderson, Rupert Grössinger und Martin-Jan Nijhof,

    Als die junge Elisabetha gefielen die Tänzerin Malwina Stepien und als der junge Don Carlo der Tänzer Brian Scaldini.

    Wir erlebten einen musikalisch opulenten Opernabend, der modern und schlüssig auch Probleme unserer Zeit auf die Opernbühne brachte, die gesungenen Texte nicht sonderlich achtete, aber ohne der Partitur Gewalt anzutun.

  • Lang Lang und Bachs "Goldberg-Variationen"

    Dass der 1727 in Danzig geborene Cembalist und Organist Johann Gottlieb Theophilus Goldberg zum Namenspatron des bedeutendsten Variationswerk der Musik „BWV 988“ wurde, verdankt er, wie so oft im Musikleben, dem Umstand, dass eine gut erfundene Anekdote den Weg in die Konzertprogramme findet und in der Folge nicht mehr zu tilgen ist.

    Das Talent des Sohnes eines Lauten- und Streichinstrumentenbauers wurde vom damaligen russischen Botschafter in Sachsen, dem Reichsgrafen Hermann Carl von Keyserlingk (1696-1764) entdeckt, der den etwa Zehnjährigen nach Leipzig zu Johann Sebastian Bach (1685-1750) brachte. Bach betreute ihn fast zehn Jahre gemeinsam mit dem älteren Bach-Sohn Wilhelm Friedemann (710-1784). Wegen Goldbergs Gabe, schwierigste Partituren vom Blatt zu spielen, seiner spielerischen Präzision und seines hohen Improvisationsvermögens, erachtete ihn Bach als seinen begabtesten Schüler.

    Der als Begründer der historischen Musikwissenschaften geltende Johann Nikolaus Forkel (1749-1818) und Verfasser der ersten Bach-Biografie (1802) hat es in die Welt gesetzt: die berühmten dreißig Variationen seien 1741 auf Bitten Keyserlinks für Goldberg geschrieben worden, damit dieser die schlaflosen Nächte des Botschafters ein wenig aufheitern könne. Goldberg hat tatsächlich des Nachts in einem Vorzimmer Keyserlingk vorgespielt. Aber was er spielte, und ob die Variationen der „Aria“ dabei waren, ist nicht belegt. Später haben Spötter aus dem Vorspielen das Einschlafmittel des Reichsgrafen gemacht.

    Johann Gottlieb Goldberg war indes bereits an Tuberkulose erkrankt und 1756 im Alter von 29 Jahren in Dresden verstorben.

    Über das „was“, „wann“, „wo“ der dreißig Variationen bleiben für die Musikwissenschaft noch viele offene Fragen. Bis zur Vermutung, dass Johann Sebastian Bach nicht der Urheber der einleitenden langsam schreitenden „Aria“ sei, scheint alles erlaubt.

    Eventuell stimmt doch, dass das gewaltige „BWV 988“ im Ursprung eine „Clavier Übung bestehend aus einer ARIA mitverschiedenen Veränderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen“, war, die Bach selbst im Jahre 1741 drucken ließ, deren Urschrift aber noch immer verschollen bleibt.

    Aber ist das Alles wichtig?

    Der Titel „Goldberg-Variationen“ für „das gewaltigste Variationswerk“ hat sich erst seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts auf Forkels Initiative hin eingeprägt.

    Als 2004 Christoph Eschenbach den chinesischen Pianisten Lang Lang (*1982) zum ersten Mal nach Bad Kissingen brachte, war er in Deutschland noch kaum bekannt. Die umtriebige damalige Intendantin des „Kissinger Sommers“ Kari Kahl-Wolfsjäger organisierte, zumindest in unserer verklärten Erinnerung, an jedem Abend, dass Mitwirkende der Konzerte mit Mitgliedern des Fördervereins zum Gedankenaustausch zusammen kamen. Bei dieser Gelegenheit konnten wir nach seinem tollen Einstandskonzert mit dem etwas unsicheren jungen Mann ob des beiderseitig schlechten Englisch gut kommunizieren.

    Dank einer fast familiären Beziehung zur Frau Kahl-Wolfsjäger ist der Pianist bis zum Ende der außergewöhnlichen Intendanz der Musikmanagerin 2016 trotz seiner Weltkarriere in jedem Jahr in Bad Kissingen zu Gast gewesen.

    Inzwischen polarisiert er auch die Klassikwelt, vermutlich ohne es zu wollen. Viele sehen in ihm den Pop-Star, den Showman, der die europäische Musik nur oberflächlich verinnerlicht habe. Da hilft auch seine Plattenfirma DG ordentlich nach, wenn sie ihn zum Überpianisten und Tasten-Titanen stilisiert. Wir attestieren ihm aber unbedingt, dass er neben seiner nie umstrittenen technischen Brillanz inzwischen einen von echter Empathie geprägten Zugang zur westlichen Musik vom Barock bis zur Klassik gefunden hat.

    Das Notenmaterial der Goldberg-Variationen habe Lang Lang jahrelang studiert und sich viele Gedanken über eine eigene Herangehensweise zu den Tempi, Modulationen, zum Pedalgebrauch und zu den Lautstärken gemacht, ehe er im Alter von 38 Jahren zwei zum Teil eigenwillige Einspielungen vorlegte, einmal im Studio aufgenommen und das andere Mal als Liveaufzeichnung eines Konzertes in der Thomaskirche zu Leipzig.

    In einem Konzert am 3. November 2021 stellte Lang Lang „seine Goldberg-Variationen“ im großen Auditorium des Konzertsaales im Kulturpalast dem Dresdner Konzertpublikum vor.

    Nachdem der Pianist sein Publikum mit Robert Schumanns Arabeske op. 18 unspektakulär, fast beiläufig, auf das Hören eingestimmt und sich selbst für das Spielen aufgewärmt hatte, legte er mit der Aria los.

    Auffallend war vom ersten Anschlag die fröhliche Grundstimmung der Darbietung dieses anspruchsvollsten Schlüsselwerkes des 18. Jahrhunderts. Lang Lang nahm uns in Johann Sebastian Bachs Räume mit, in denen wir uns mal flott schreitend, mal gemächlich verharrend, aber immer staunend umsehen durften.

    Für viele Kritiker sind Lang Langs Goldberg-Variationen mit seinen äußerst subjektiv artikulierten, zum Teil extrem langsam und den zum Teil sehr schnell gespielten Stücken, Anlass zum Verriss. Seine oft schroffen Tempi-Wechsel machten den Vortrag indes richtig lebendig, haben zumindest mir zugesagt. Doch ich möchte mich dem Vorwurf, Lang Langs Demut vor dem Werk sei gespielt, nicht anschließen.

    Ich möchte nicht behaupten, dass sich mir mit dem Abend der hochkomplexe Aufbau Bachs freier Phantasie- und Gedankenwelten bis ins Letzte erschlossen habe. Dazu fehlt mir die Kompetenz. Aber wie der Pianist die im Stück verborgenen Möglichkeiten farbenreich-differenziert auffächerte, auch immer eine hohe Spannung sicherte, war erkennbar. Da war nicht der geringste Anklang an „Keyserlinks Schlafmittel“ zu spüren.

    Wer Show erwartet hatte, blieb enttäuscht.

    Spontan stehender Applaus der 2400 Hörer löste nach knapp neunzig Minuten die Anspannung.

    Seit den „Gurre-Liedern“ im März 2020 war dieser 3G-Abend unser erster Konzertbesuch in einem vollständig besetzten Saal.

  • Christian Thielemann ehrt einen großen Vorgänger

    Zum 175. Geburtstag des Ernst von Schuch


    Als im Jahre 1872 der umtriebige Sänger und Impresario Bernhard Pollini mit einer hervorragenden italienischen Operntruppe von Lemberg kommend in Dresden gastierte, brachte er als Dirigenten den 1846 in Graz geborenen Ernst Schuch mit. Der noch unbekannte Kapellmeister löste beim Publikum, aber vor allem bei den Musikern der Königlichen Hofkapelle, Enthusiasmus und Begeisterung aus, als er „ohne jede Probe“ eine Aufführung wagte und mit offenbar schlechtem Notenmaterial das recht differenziert aufgestellte Orchester zu anspruchsvollen Leistungen führte. Vor allem begeisterte der 26-Jährige den damaligen Direktor der Dresdner (italienischen) Hofoper, den Grafen Julius von Platen-Hallermund (1816-1889), der Schuch am 1. August 1872 als Musikdirektor des Königlichen Hoftheaters engagierte. Recht rasch wurde er zum Kapellmeister, 1882 zum Musikdirektor und schließlich 1889 zum Generalmusikdirektor befördert.

    Schuch formte das Haus zu einer der führenden Musikbühnen, erweiterte die Hofkapelle zur berühmten Klangkultur und schuf mithin ein Ensemble von Weltruf. Mit diesem pflegte er das Repertoire seines Amtsvorgänger Richard Wagner, den er verehrte. Dem Dresdner Publikum erschloss er dessen spätere Kompositionen und präsentierte das Wirken der zeitgenössischen italienischen und slawischen Opernkomponisten.

    Die Arbeitsbeziehung und spätere Freundschaft Ernst von Schuchs mit dem achtzehn Jahre jüngeren Richard Strauss (1864-1949) verdanken wir Bolko von Hochberg, dem Intendanten der Berliner Lindenoper. Im Verbund mit preußischen Zensoren verhinderte er aus moralischen Gründen eine dortige Uraufführung der Oper „Feuersnot“ des jungen Hofkapellmeisters Strauss. So kam es 1901 „trotz mancher sittlicher Bedenken“ zur Aufführung dieser Kritik an kleinbürgerlicher Doppelmoral in Dresden und vor allem zur intensiven und langandauernden Schuch-Strauss’schen-Partnerschaft.

    Schuch verstand, so Strauss, jede meiner Bitten. Ein Blick, ein Kopfnicken- ich oder er-, und das Verstehen war da.

    Der „Feuersnot“-Uraufführung folgte 1905 die Erstaufführung der „Salome“ nach Oskar Wilde, 1909 der „Elektra“ und 1911 mit Hugo von Hofmannsthals Libretto und Max Reinhardts Regie „Der Rosenkavalier“. Mit Sonderzügen wurden Opernfreunde nach Dresden gebracht, um Strauss-Schuch Reinhardts-Arbeit zu erleben.

    Außer der Musik verband die Beiden gutes Essen und das Skatspielen jedoch so manche Unstimmigkeit zwischen ihnen musste die Freundschaft überdauern, zumal der Komponist den Sängerinnen und Sängern nicht nur beim Singen, sondern auch mit den erotisch aufgeheizten Stoffen der Opern einiges flaue Unbehagen bescherte.

    Obwohl Strauss dem Freund mitteilte, „wenn Sie (!!!) nicht wären, könnte mir das gesamte Dräsden gestohlen bleiben“, überlebte auch der Tod Ernst von Schuchs die Verbindungen des Richard Strauss zur Staatskapelle und brachte mit „Intermezzo“ (1924), „Die ägyptische Helena“ (1928), trotz politischer Einflussnahme 1933 „die schweigsame Frau“ und mit 1938 „Daphne“ insgesamt neun Opernuraufführungen des Komponisten nach Dresden.

    Auch als Konzertdirigent setzte sich Schuch für Werke von Felix Dräseke, Gustav Mahler und Richard Strauss ein und brachte gleichfalls Erstaufführungen nach Dresden.

    In den zweiundvierzig Jahren der Schuch-Ära kamen insgesamt 51 Ur- und 120 Erstaufführungen zustande.

    Schuchs Persönlichkeit wird als faszinierend beschrieben: überlegen in der Führung des musikalischen Apparats, dynamisch in seinem Wesen, unerbittlich in seinen Forderungen, aber menschlich im persönlichen Umgang.

    Tagsüber übertrug der Generalmusikdirektor die „Schuchsche Hetz und Hast“ auf seine Mitarbeiter, strahlte dagegen am Abend während der Vorstellung eine stoische Ruhe und Sicherheit aus.

    Die Schuchs führten in Radebeul-Niederlößnitz ein ruhiges Landleben mit österreichischer Gastfreundschaft und einer Köchin, die von Johann Strauß „ab-engagiert“ war. Wohl alle namhaften Musiker und Theaterleute der Zeit waren dort ohne Förmlichkeiten zu Gast gewesen. Einer der Nachbarn war die Familie von Karl May, mit der mäßiger Umgang gepflegt wurde.

    Die kunstsinnige Familie fühlte ich in Sachsen einfach wohl. Hatte der Geheime Hofrat Schuch Probleme mit der Intendanz, so ging er zum König. So erreichte Schuch beim König den Rückbau einer 1910 vom Grafen von Seebach (1854-1930) im Orchestergraben der Oper veranlasste bauliche Veränderung.

    Für die Fahrten des Maestro in den Semperbau war zur Probenzeit ein Eisenbahn-Sonderzug, genannt der „Schuch-Zug“, von der Station „Weintraube“ eingerichtet.

    Den Verlockungen von Berufungen an die Wiener Oper lehnte er zumindest zweimal ab. Da half auch die Verleihung des Titels eines „Edler von Schuch“ im Jahre 1898 durch Kaiser Franz Joseph nicht.

    Nur wenige Gastdirigate führten Ernst von Schuch nach Berlin, München, Wien, Paris und Bayreuth.

    Am 10. Mai 1914 endete wenige Tage nach der Dresdner Erstaufführung des Parsifal die Ära Schuch mit dem Versterben des großen Musikers.

    Zum Anlass des 175. Geburtstags ehrte die Sächsische Staatskapelle Dresden am 6. November 2021 den prägendsten Generalmusikdirektor ihrer Orchestergeschichte mit einem Konzert unter der Leitung eines der profiliertesten Nachfolger Schuchs Christian Thielemann und erinnerte an die fruchtbare Partnerschaft Ernst von Schuchs mit Richard Strauss.

    Mit der Vertonung eines Gedichts von Joseph von Eichendorf „Im Abendrot“ versuchte der Vierundachtzigjährige die schwierigen Lebensumstände der Nachkriegszeit zu bewältigen. Strauss lebte ohne festen Wohnsitzin der Schweiz, war wegen seines Verhältnisses zum Nationalsozialismus umstritten. Die zitterige Handschrift des Autographs deutet, welchen Ursprung diese Musik hat. Nur als persönliches Bekenntnis, dem nahen Tod entgegenzugehen, ist das im Mai 1948 komponierte „Im Abendrot“ zu begreifen.

    Die drei Lieder nach Hermann Hesse sind später entstanden, nachdem die Familie zufällig in einem Schweizer Hotel mit dem Lyriker zusammengetroffen war. Bei Hesse fand Strauss den Weg zu überzeitlichen, humanistischen, ein Menschenleben überdauernde Werte. Da war noch einmal der Versuch einer optimistischen Grundstimmung zu spüren.

    Entsprechend differenziert interpretierte die Wahl-Dresdnerin Camilla Nylund im Gedenkkonzert den für mich nicht unproblematischen eigentlich „Nicht-Zyklus“ der vier Letzten Lieder: die Hesse-Lieder stimmbetont mit ihrem enormen wunderbaren Sopran und das abschließende „Im Abendrot“ entsprechend gefühlsbetonter.

    Mit warmem Grundton ließ Christian Thielemann die Musik fließen, das Orchester licht und bei aller Transparenz zwar melancholisch, aber auch versöhnlich spielen.

    Im zweiten Konzertteil wurde Richard Strauss „Ein Heldenleben“ intoniert.

    In München wollte man dem selbstbewussten noch nicht fünfunddreißigjährigen Richard Strauss den 1897 vakanten Posten des Generalmusikdirektors nicht geben, weil er den Verantwortlichen noch zu unerfahren galt. Dabei waren seine Erfolge als Opern- und Konzertdirigenten in Meiningen, Weimar nebst München gefestigt und sein Kompositions-Werkverzeichnis bis zur Ziffer vierzig vorgedrungen. In Berlin fand er 1898 als„Erster königlich –preußischer Hofkapellmeister“ beste Arbeitsbedingungen vor.

    Noch vor seinen Opernerfolgen arbeitete er, fast trotzig, an zwei symphonischen Tondichtungen: dem Satyrspiel „Don Quichote“ mit der literarischen Figur im Zentrum und einem Stoff „eines nicht näher bezeichneten anonymen Helden, der sich ebenso gegen echte oder eingebildete Widersacher auflehnt, liebt, kämpft und schließlich der Welt entsagt“.

    Während die Don-Quichote-Tondichtung bereits 1897 fertig gestellt war, arbeitete er bis zum März 1899 am „Heldenleben-Opus 40“. Der Verdacht, mit dem Helden habe sich Strauss selbst verewigt, lag und liegt nahe. Er hat auch nie bestritten, dass er „autobiographische Mitteilungen“ durchaus verarbeitet habe. So wurde seinen Kritikern mit dem zweiten Teil der Komposition ein Denkmal als „Herde blökender Hammel“ gesetzt. Auch porträtierte er mit dem dritten Satz seine kapriziös-impulsiveEhefrau Pauline, im Konzert von Matthias Wollongs mit einem wundervollen Violin-Solo mit sinnlichem Flair ausgestaltet.

    Dem Werk dürfte aber gerecht werden, wenn man den Unterschied zwischen autobiographischer, subjektiver Wahrheit und der historischen, objektiven Wahrheit berücksichtigt. Die vom Komponisten ursprünglich den Partitur-Teilen „zum besseren Verständnis vorangestellten Zwischenüberschriften“ hat Strauss zwar später streichen lassen, geben aber dem Interpreten die Möglichkeit, die eigene Individualität in sein Dirigat einzubringen, so dass wir in der Aufführung eine Verschmelzung von drei Persönlichkeiten erlebt haben könnten.

    Zumindest erlebten wir eine Darbietung des Heldenlebens wie aus einem Guss.

    Die bestens aufgelegte Staatskapelle überzeugte mit ihrem breiten, opulenten Streicherklang und der homogenen Bläsergruppe sowohl in der epischen Breite, als auch in den subtilen Pianissimo. Da stimmte eigentlich Alles.

  • Bartók, Kodály, Poulenc und Ravel im 3. Symphoniekonzert der Saison 2021/22 mit Viotti und Tamestit

    Datum und Ort des Konzertes:14. November 2021 Semperoper Dresden


    Mit dem Dirigenten-Namen„Viotti“ verbinden wir in Dresden, intensiver noch in Leipzig beim MDR –Rundfunksymphonieorchester, die Persönlichkeit des immer freundlichen, zugänglichen sorgfältigen Arbeiters Marcello Viotti (1954-2005), dessen 2005 mit der Staatskapelle geplante Tournee seinem Schlaganfall-Tod zum Opfer fiel.

    Marcellos Sohn Lorenzo Viotti war mit Musikern der Staatskapelle bisher lediglich im Orchestergraben der Semperoper bei der musikalischen Leitung von Aufführungen des „Rigoletto“ und der „Madam Butterfly“ sowie im ZDF-Adventskonzert in Erscheinung getreten. Mit dem 3. Symphoniekonzert der Saison 2021/22 reiht sich der 1990 geboren in die Kategorie der hochkarätigen Gastdirigenten der Sächsischen Staatskapelle ein.

    Vier Konzertstücke mit interessanten Werkgeschichten standen auf dem Programm:

    Für Béla Bartóks „Konzert für Viola und Orchester“, im Index von Andras Szöllösy (1921-2007) das Werk Sz 120, sowie zum Auftakt seiner Tätigkeit als „Capell-Virtuos“ der Saison 2021/22 war Antoine Tamestit mit der Stradivari-Viola von 1672, der sogenannten „Mahler“, in den Semperbau gekommen.

    Béla Bartók, 1881 im Königreich Ungarn der Österreich-Ungarischen Monarchie geboren, gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Moderne in der Musik. Im Jahre 1940 in die USA emigriert, höhlten gesundheitliche Probleme, existenzielle Sorgen und fehlende Resonanz seine schöpferische Kraft aus.

    Der schottische, seit den 1930er Jahren in den USA lebende Bratschist William Primrose (1904-1982) war ungeachtet der misslichen Situation Bartóks der Auffassung, dass nur dieser ihm ein Stück schreiben könne, welches die Möglichkeiten seiner Amati-Viola ausreizen könne. Deshalb bat er im Winter 1944 Béla Bartók, ihm ein Konzert zu schreiben, bei dem er sich „in keiner Weise durch scheinbare Grenzen des Instruments eingeschränkt fühlen sollte“. Die Leukämieerkrankung des Komponisten war zu dieser Zeit bereits fortgeschritten, so dass er ständig unter Fieber litt. Er ahnte offenbar seinen Zustand, obwohl man ihm die Dramatik seiner Situation verheimlichte. Am 8. September 1945 signalisierte er zwar dem Auftraggeber, dass Konzert sei fast fertig. Er arbeite nur noch an der Orchestrierung. Als Bartók aber am 26. September 1945 verstorben war, existierten lediglich ein Partitur Entwurf des ersten Satzes und Gerüste mit Skizzen, die den Formenaufbau des zweiten und dritten Satzes nur erahnen ließen.

    Der Komponist, Schüler und enger Freund Bartóks, Tibor Serly (1901-1978) hat die Komposition 1949 fertiggestellt, so dass am 2. Dezember 1949 die Uraufführung vom Minneapolis Symphony Orchestra mit dem Solisten Primrose erfolgen konnte.

    Kaum verwunderlich, dass im Jahre 1994 der Komponist André Kasparov (*1966 in Baku) begann, mit Bartóks Sohn Peter und Nelson Dellamaggiore die Bratschen-Relikte auf Schnittmengen mit Bartóks 3. Klavierkonzert zu untersuchen und Serlys Arbeit einer Revision zu unterziehen. Gemeinsam mit dem US-amerikanische Bratschisten Paul Neubauer (*1962), einem Schüler Pimroses, entstand daraus eine neue, möglicherweise den Intensionen Bartók nähere, Fassung des Sz 120.

    Der sich als Weltbürger verstehende, mit Staatsbürgerschaften Ungarns, Großbritanniens und der USA ausgestattete, Solo-Bratscher Csaba Erdélyi (*1972) hatte sich schon früher, und zwar über zwanzig Jahre mit dem Originalmanuskripten Bartóks beschäftigt. Umfangreiche Abstimmungen mit den Bartók-Forschern Elliott Antokoletz und László Somfai sowie den ungarischen Komponisten Péter Eötvös und György Kurtág führten zu einer weiteren Restaurierung und Orchestrierung des „Konzertes für Viola und Orchester in a-Moll, Sz 120.

    Zu allem Überfluss verarbeitete Tibor Serly die Bartók-Entwürfe noch zu einem Cellokonzert.

    Im dritten Symphoniekonzert kam die Fassung des Bartók Bratschenkonzertes von Dellamagiore und Neubauer zur Aufführung.

    Antoine Tamestit und die Stradivari-Viola mit ihren dunkelfarbigen Tönen sind zweifelsfrei die ideale Kombination für eine Darbietung der Bartók-Intuitionen. Nur mit ihnen können wir uns eine mit derartiger Energie so hinreißend hingebungsvolle Vermittlung von Bartóks Klangwelten vorstellen. Im Zusammenwirken mit dem Orchester zeichnete er mit dem Instrument die aufeinanderfolgenden Form- und Satzteile als faszinierende Klangbilder und Stimmungen, verleiht damit seinem Vortrag eine enorme Spannung. Das Orchester unter Lorenzo Viotti erwies sich als kongenialer Partner des Solisten. Im Finale des Allegro moderato begeisternden die triumphierenden Blechbläser, während im zweiten Satz „Lento“ die Solo-Viola Tamestits über den delikat hauchenden Orchester-Streichern spielend, eine regelrechte Spiritualität erzeugte.

    Wie eine Erlösung wirkte, als gegen Ende des dritten Satzes folkloristisch Inspiriertes in einen furiosen Reigen des Wechsels zwischen dem tänzerischen Solisten und dem Orchester zur Schluss-Ekstase führte.

    Eingeleitet worden war das Konzert mit den „Tänzen aus Galanta“ von ZoltánKodály (1882-1967). Das Leben und Schaffen Kodályswar mit Bela Bartók vor allem bei der Ungarischen Volksliedforschung vor dem ersten Weltkrieg und der gemeinsamen Tätigkeit bei der Sammlung von Soldatenliedern im Budapester K.u.K.-Kriegspressequartier während des ersten Weltkriegs verwoben.

    Zur echten Volksmusik fanden Bartók und Kodály erst später, als sie ungarische, rumänische und slowakische Folklore nach musikethnologischen Kriterien sammelten und editierten.

    Die 1933 entstandene Partitur der „Tänze aus Galanta“ gilt als hervorragendes Beispiel der Integration volksmusikalischen Materials in eine formal kombinierte Komposition.

    Mit der kompletten Solo-Virtuosität, die von den Musikern der Staatskapelle aufgeboten werden konnte, wurden die Tänze mit ihren folkloristischen Motiven und den raschen Tempi Wechseln scheinbar schwerelos gespielt.

    Zunächst erfreute uns im zweiten Teil Francis Poulenc (1899-1963) mit seiner Suite für Orchester FP 111 „Les animaux modèles“ frei übersetzt: die „Mustertiere“ aus den Jahren 1940 bis 1942.

    Von der Persönlichkeit Poulencs wurde berichtet, es wohnten in ihm zwei Seelen: die eines Mönchs und eines Lausbuben. Neben seiner tiefen Religiosität war er auch ein hochpolitischer Mensch. Er unterstützte die Résistance, den Kampf gegen die deutschen Besatzer und wollte mit seinen Kompositionen in den dunkelsten Tagen seinen französischen Mitbürgern Optimismus und Hoffnung geben. Was eignete sich da besser, als die Fabeln seines Landsmanns Jean de La Fontaines zur Vorlage zu nehmen?

    Die so selten französisch- typische Partitur dirigierte Viotti mit offener Kraft und prägnanter Weichheit. Eine charmante, von Melancholie durchzogene, belebende Musik, voller kommunikativer Lebensfreude und purem Elan durften wir erleben. Für viele eine Neuentdeckung der selten gespielten sechsteiligen Suite. Warum diese Musik nicht öfter zu hören ist, bleibt ein Rätsel.

    Als einer der wichtigsten Vertreter der Impressionisten der Musik war Maurice Ravel (1875-1937) unter den großen Musikern der neueren Zeit einer der seltsamsten Charaktere. Als Sohn eines Schweizer Ingenieurs und eines baskischen Mannequins, kleinwüchsig mit großem Kopf, blieb er lebenslang gefühlsscheu, distanziert, mit einem eigentümlichen Zug zur Kindlichkeit. Dabei war er dandyhaft-elegant und immer ironisch, was zu scheinbar leidenschaftslos strukturierten Kompositionen mit einem dämonisch hintergründigen Klang führte.

    Die Vertonung eines spätantiken Liebesromans des Longos von Lesbos (2./3. Jahrhundert) für die legendären „Ballets russes“ in Paris brachte Ravel wegen Auseinandersetzungen mit den Auftraggebern vor allem nur Ärger ein. Der Choreograph Michael Fokine wollte den Stoff archaisch, in traditionell-klassischer Darstellung, wie auf Vasen und Fresken der Antike dargestellt, interpretiert haben, während Ravels Vision vom alten Hellas, völlig gelöst von der historisch-geografischen Wirklichkeit, eher romantisierend-phantastischem Charakter entsprach.

    Mehrfach wurde die Uraufführung verschoben; auch drohte das Projekt zu platzen.

    Nachdem trotz der zum Teil handfesten Querelen das Ballett im Juni 1912, drei Jahre nach Beginn der Arbeit, zur Aufführung kam, blieb der Erfolg zunächst verhalten. Die fließende, improvisatorisch anmutende Rhythmik und die opulente Instrumentation der Komposition gingen fast unter, auch weil die vertrackte Musik den Tänzern arg zu schaffen machte.

    Mit zwei „Auskoppellungen“, den beiden Suiten „Daphnis et Chloé“ konnte der zunächst verärgerte Ravel über die Konzertpodien seiner individuellen Meisterschaft zur Rehabilitierung verhelfen.

    Im Konzert dirigierte Lorenzo Viotti die Suite Nummer zwei, den letzten Teil der „ choreografischen Symphonie“ Ballettmusik „Daphnis und Chloé“ ohne Chor in der reinen Orchesterfassung.

    Mit Eleganz und Raffinesse schuf er mit dem Orchester eine im Licht der aufgehenden Sonne prachtvolle Morgenlandschaft. Das Flötensolo der Nymphe bilde eine faszinierende Überleitung zur pantomimischen Vereinigung des Daphnis mit der Chloé bevor die Handlung vom Dirigat in einen orgiastischen Schlusstaumelgeführt wurde.

    Zu unserer Freude erlebten wir Tibor Gyenge als den Konzertmeister des 3. Symphoniekonzerts am ersten Pult und, gemeinsam mit Antoine Tamastit, in einer tollen Zugabe für Violine und Viola.

    Außerdem waren zahlreiche „Aufrückungen“ im Orchester von geschätzten und uns vertrauten Leistungsträgern der Staatskapelle zu konstatieren.

  • Datum und Ort des Konzertes: 16. Januar 2022 Semperoper Dresden

    Britten, Walton und Elgar im fünften Symphoniekonzert

    Daniel Harding und Antoine Tamestit musizieren mit der Staatskapelle Dresden nach Beendigung der Corona-Schließung.

    Nach dem Ableben von Henry Purcell (1659-1695) hatte England keine bemerkenswerte Komposition hervorgebracht, bis am 19. Juni 1899 Hans Richter (843-1916), damals Leiter des Hallé-Orchesters Manchester, in einem Konzert in der Londoner St. James´s Hall Edward Elgars „Variationen über ein eigenes Thema für Orchester op. 36“, denen man später den Beinamen „Enigma= Rätsel“ beifügte, uraufführte.

    Der Musiker Edward Elgar (1857-1934) hatte als Autodidakt-Komponist neben seinem Tanzmusik-Broterwerb mit Kantaten und Oratorien zwar Achtungserfolge erzielt. Aber sein 1898 komponierte „Land of Hope and Glory“, inzwischen die heimliche Nationalhymne der Briten, war unbeachtet geblieben. Mit dem Erfolg „Enigma“ erreichte er nicht nur einen Erfolg, sondern letztlich seinen Durchbruch zum viktorianischen Nationalkomponisten.

    Zur Entstehung der Komposition wurde berichtet, dass Elgar im Oktober 1898, heimgekehrt nach einem langen und ermüdenden Unterrichtstag, unterstützt von einer Zigarre, am Klavier ein Thema improvisierte, was ihm auf dem Heimweg eingefallen sei. Anerkennend fragte die spätere Lady Caroline Alice Elgar (1848—1920), „was das sei“. „Nichts“, kam als Antwort, „aber es könne etwas daraus werden“.

    Elgar spielte einige weitere Variationen des Themas und fragte, „wer ist das?“ Worauf die Lady meinte, „so ungefähr verlasse WMB, (der Schwager und Gastwirt William Meath Baker), einen Raum.“

    In der Folge entstanden Variationen des Thema-Zufalls, die Persönlichkeitsmerkmale einer eher ungleichen Gruppe enger oder zufälliger Bekannter erfassten.

    Elgars Ehefrau, die Schriftstellerin, Sekretärin und Managerin ihres Gatten Caroline Alice „CAE“ erkannte die Bedeutung der Spielerei. Sie ermunterte Elgar, „dass er etwas schaffe, was zuvor noch nie getan worden sei“. Was da so humorvoll begonnen war, wurde in der Folge mit tiefem Ernst zu einem geschlossenen Werk entwickelt.

    Was sich eher dem Stile der Portraitierten, als deren Charakterisierung entsprach, wurde entsorgt. So wurden die Variationen zu den Komponisten Arthur Sullivan (1842-1900) und Charles Parry (1848-1918) nicht aufgenommen.

    So blieben vierzehn Variationen des Themas, denen irgendwann die Initialen der Portraitierten vorangestellt worden sind. Für dreizehn der Charakterisierten gelten die Zuordnungen zu Personen als gesichert. Lediglich für die Variante XIII „Romanza“ hatte Elgar zwar die wohlhabende Aristokratin und Sponsorin Lady Mary Lygon ins Gespräch gebracht. Es wird aber vermutet, dass die Bezugsperson der Variation die Jugendliebe Elgars Helen Weaver sei, mit der er verlobt gewesen war. 1884 hatte sie ihn verlassen und bei Elgar eine bleibende Verletzung verursacht.

    Offenbar wollte sich Elgar mit Johann Sebastian Bach messen, als er seine Enigma mit vierzehn Variationen, wie Bach die Kunst der Fuge mit vierzehn Fugen und die Goldberg-Variationen mit vierzehn Kanons, begrenzt ließ.

    Die Lösung des eigentlichen Rätsels der „Enigma-Variationen“ hat der in Chiffren und Kryptogrammen verliebte Elgar mit ins Grab genommen: es „gehe durch und über die gesamte Komposition ein anderes und größeres Thema, das aber nicht gespielt werde“, so Elgar. Das Hauptthema erscheine nie, „der wichtigste Charakter trete nie auf“.

    An dieser teuflischen Äußerung Elgars arbeiteten und arbeiten sich noch immer Musikwissenschaftler ab, liefern unzählige Deutungsversuche, ohne eine gültig-schlüssige Lösung zu bieten. Auch wenn findige Experten in der Sprachmelodie des Namens des Komponisten die Lösung gefunden glauben.

    Diese Unklarheit hielt aber die Staatskapelle nicht ab, sich Elgars Variationen mit Freude zu widmen.

    Daniel Harding leitete das Orchester als leidenschaftlicher Verfechter der Musik seines Heimatlandes mit Spontanität und ohne philosophische Grübeleien. Vom Beginn an präsentierte er das Thema mit exquisit geformten Streicherklängen, um dann in der Variation III-RBT mit den Bläsern voran zu stürmen. Mit subtilen Tempovariationen und gekonnten Balancen führte er die Musiker von einer Variation zur anderen. Dabei betonte Harding die Soli in den Variationen VI-Ysobel (Andantino) für eine Bratscherin sowie XII-BGN (Andante) für einen Cellisten und entwickelte leichtere, schöne, fast schüchterne Akzente in den Allegretto-Variationen VIII-WN-und X-Intermezzo-Dorabella. Dazwischen war der Adagio-Ohrwurm der Komposition (IX-Nimrod), einer Hommage Elgars an seinen engsten Freund August Johannes Jaeger, eingeordnet. Bei dieser mehrfach auch als Filmmusik eingesetzten Variation entging Harding dank eigener fantasievoller, prägnanter Akzente der Gefahr eines Verkitschens.

    Nach den etwas hektischen Stimmungswechseln zwischen den dreizehn kurzen Variationen brachte das etwas längere Elgar-Selbstportrait (XIV-Finale: EDU) etwas Ruhe in die Darbietung, aber auch etwas Verhaltung in den Konzertschluss.

    Begonnen hatte das Konzert mit Benjamin Brittens düsteren vier Meeresbildern „four Sea Interludes“, einer Suite der Bearbeitungen der Zwischenspiele der Oper „Peter Grimes“ von 1944. Dabei bilden die vier Sätze der Suite nicht nur die harte, raue Lebenswelt der Küste und des Meeres ab. Sie übernehmen auch das Grundthema der Oper: das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, die Akzeptanz abweichender Lebensweisen in der Gesellschaft.

    Daniel Harding war bei seiner Auslegung der Britten-Komposition bemüht, die Stimmung der Konzertbesucher eher etwas aufzuhellen und griff jedes der Zwischenspiele mit besonderer Lebendigkeit an. Mit schönen Streicherpassagen zeichnete er regelrechte Postkartenmotive der britischen Küsten. Dabei vernachlässigte er keineswegs die vom Komponisten angestrebte Dramatik, als im „Sturm“ die beunruhigten Gedanken des Peter Grimes am Rande des Abgrunds abzugleiten drohen und ein packendes Finale bildeten.

    Aber im Zentrum des Konzertes stand die Darbietung des Violakonzertes von William Walton (1902-1983) mit dem Solisten Antoine Tamestit.

    Für viele Musikfreunde ist die Viola im Orchester für die Übergangsbereiche zwischen Violinen und Celli eingesetzt und hat vor allem in der Kammermusik ihre Bedeutung.

    Wir sind deshalb regelrecht begeistert, dass uns Antoine Tamestit mit seiner wunderbaren Mahler Stradivari als Capell-Virtuos der Saison die Möglichkeiten und Schönheiten seines Instruments in einem breiteren Umfang vermitteln kann. Die 1672 in Cremona von der Werkstatt Antonio Stradivaris (um 1644-1737) gebaute Viola,, gehört zu den klangschönsten Instrumenten seiner Gattung und wurde 2008 von der Stiftung Habisreutingen dem Solisten zur Verfügung gestellt.

    In dem vom Dezember 1928 bis zum Frühjahr 1929 entstandenen „Violakonzert“ sind bereits die neoromantischen Einflüsse in der modernen Tonsprache Waltons zu spüren. Im Jahre 1961 verdünnte der Komponist die Bläserbesetzung des Orchesterparts und fügte eine Harfe hinzu.

    Antoine Tamestit spielte das Konzert in einer sympathischen Mischung aus Lyrischem, Kontrastierten und Dissonantem mit einer nahezu unwirklichen Fülle unterschiedlicher Stimmen. Es hatte den Anschein, als schwebe der Solist und sein Instrument über dem Orchester.

    Neben dem vertrauten rauchigen Sound der Viola überraschte das Soloinstrument mit tonalen Höhenflügen und fast jazzigen Aspekten. Diese grandiosen Darbietungen unterstützte das Dirigat Daniel Hardings mit ungewöhnlichen Orchesterkombinationen, ohne dabei das Soloinstrument zuzudecken.

    Der zweite Satz wirkte dabei dank des stärkeren Blechbläsereinsatzes besonders lebendig, während der Finalsatz eher nachdenklich zu einer in sich gekehrten Schluss-Stimmung geführt war.

    Als faszinierende Zugabe spielte Antoine Tamestid mit der Harfenistin der Staatskapelle Johanna Schellenberger ein Stück nach einem Lied von John Dowland (1563-1626).

    Mit diesem Programm hat die Sächsische Staatskapelle für den 21. Januar 2022 ein Gastkonzert in Wien geplant.

    Der Mitschnitt des Konzertes wird am 18. Januar 2022 ab 20 Uhr 05 von MDR-Klassik und MDR-Kultur ausgestrahlt.

    Einmal editiert, zuletzt von thomathi (17. Januar 2022 um 10:42)

  • Die kahle Sängerin

    Deutsche Erstaufführung der Kammeroper Luciano Chaillys nach Eugène Ionesco

    Als der aus Rumänien stammende Dramatiker Eugène Ionesco (1909-1994), in den 1950-er Jahren in Paris lebend, bemüht war, mit Hilfe der Assimil-Methode die englische Sprache zu erlernen, fand er im Lehrbuch „L´anglais sans peine“ (Englisch ohne Mühe) groteske Unterhaltungen eines Mr. Smith mit einer Mrs. Smith. Gegenseitig belehrten sich die Ehepartner, dass die Woche sieben Tage habe, der Fußboden unten und die Raumdecke oben seien. Irgendwann informierte sich gegenseitig, wie lange sie miteinander verheiratet seien, wo sie wohnten und wieviel Kinder sie haben.

    Als noch ein Dienstmädchen Mary, ein befreundetes Ehepaar und ein Feuerwehrmann in den wiedersinnigen Dialogen auftauchten, war er von der Absurdität der Umstände derart fasziniert, dass er unter Nutzung der Personen des Lehrbuchs eine Folge von Gemeinplätzen und Klischees parodistisch zu einem „Anti-Theaterstück“ gestaltete.

    Den Buchtitel als Namensgeber des Stückes zu nutzen, hätte möglicherweise zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt, so dass Ionesco dankbar den Proben-Versprecher des Feuerwehrmannes aufnahm, als dieser statt institutrice blonde (blonde Dozentin) versehentlich cantatrice chauve (kahle Sängerin) deklamiert hatte.

    Der Komponist Luciano Chailly (1920-2002), hatte bereits zahlreiche literarische Vorlagen unter anderem von Tschechow, Stevenson, Dostojewski vertont, als ihn seine im internationalem Kulturbetrieb bestens bekannten Kinder, die Harfenistin Cecilia, der Dirigent Riccardo und die Regisseurin Floriana, aufgefordert hätten, wieder eine komische Oper zu schreiben. Dabei wäre er auch auf Ionescos Einakter aufmerksam gemacht worden und sei von den Dialogen derart begeistert gewesen, dass er den Vorschlag aufgegriffen habe. So zumindest hat es der Komponist berichtet.

    Am Text des großartigen Autors habe er bei der Erarbeitung des Opernlibrettos nicht ein einziges Wort geändert, aber nur das unbedingt für den Opernzweck Notwendige übernommen.

    Jeder Figur hatte der Komponist ein rhythmisches und melodisches Muster zugeordnet, so dass jeder Agierende auf eigene Art und Weise dem Gesang und der Sprache Ausdruck verleihen konnte. Mit der Orchestrierung erreichte Chailly besondere Wechselbeziehungen zwischen den Klangfarben der Instrumente und den Charakteren der Personen.

    Die Inszenierung der deutschen Erstaufführung in „Semper zwei“ der Sächsischen Staatsoper in Dresden hatte die mit ihrer Arbeit „der himmlische Drache“ von Peter Eötvös im Haus bestens eingeführte Barbora Horáková übernommen. Befreit von den Regeln des realistischen „gut gemachten Stückes“, füllte sie die Bühne mit grotesken und monströsen Charakteren und Symbolen.

    Auf den Auftritt der Titelheldin wartet das Publikum vergebens, während sich die agierenden Personen mit hohlen Textschablonen attackieren, die Handlung und Wirklichkeit in einem schwindelerregenden Tempo zerfasern. Die Darsteller agierten entweder vollkommen aneinander vorbei oder vervollständigten ihre sinnlosen Aktionen gegenseitig.

    Unterstützt vom Zupfinstrumenten-Quintett konnten die türkische Mezzo-Sopranistin Dilara Bastar als Mrs. Smith und der amerikanische Tenor Peter Tantsits als Mr. Smith ihrer Spielfreude ordentlichem Lauf lassen. Um ihre symbolische Bedeutung zu betonen, verzichteten beide auf eine Charakterisierung ihrer Personen und konzentrierten sich auf die Bewältigung des exzentrischen Tonmaterials. Zum Gegensatz zu ihrem eintönig-stereotypen Leben wurde mit dem Gesang das von den Widersprüchlichkeiten geprägte Gefühlsleben des Paares betont.

    Das Benehmen des Ehepaares Martin, von den Ensemble-Mitgliedern Anna Kudriashova-Stepanets und Doğukan Kuran betont dröge und grotesk verkörpert, wurde von den Streichern des Ensembles unterstützt. Ohne Individualität, verstrickt in Konventionen vertuschte das Paar seine Langweile mit Freundlichkeiten sowie Höflichkeit, und versuchte vergeblich das Bild traditionellen Glücks zu bieten.

    Wie Martin-Jan Nijhof an den Schwierigkeiten eines kommunikativen Verhaltens in einer komplexen Welt zu scheitern drohte, konnte er als Feuerwehrmann nicht zuletzt dank seiner prachtvollen Bassbaritonstimme darstellen. Sein Job ist sein Leben und er treibt seine berufliche Tätigkeit bis ins Absurde: ohne Feuer kann er nicht existieren.

    Dabei war für die Darsteller nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, die einfallsreichen Bühnenbauten von Annett Hunger sowie die Requisiten mitspielen zu lassen und durchaus mit Symbolen die Nicht-Handlung voranzutreiben zu lassen. Als passend erwiesen sich auch die fantasievollen Kostüme von Benjamin Burgunder. Das komplexe Geschehen auf der zum Greifen nahen Szene lässt die ausdrucksvollen Video-Installationen von Sergio Verde leider fast unbeachtet.

    Mit schrillen Koloraturen bewältigte Jennifer Riedel die Charakterisierung der Mary als eifrig-höhnisch dienendeZofe, oder als selbstbewusst, auftrumpfende Persönlichkeit. Sie klärte Missverständnisse auf, markierte, wie sich das Schicksal über die Menschen lustig macht, und scheint beauftragt, eine, nämlich ihre Wahrheit zu enthüllen.

    Mary übernahm gleichermaßen die Aufgabe des Chores der antiken Tragödie als auch die Rolle der Ermittlerin.

    Im Verlaufe der Aufführung schien eine gewisse Ratlosigkeit der Zuschauer deutlich. Aber spätestens Marys „Wahrheiten“ sollten in den Zuschauern eine gewisse Nachdenklichkeit wecken, inwieweit in den Absurditäten des Bühnengeschehens Reflexionen des eigenen „Ichs“ und Elemente unseres gesellschaftlichen Umfelds enthalten sind.

    Die Musikalische Leitung der Aufführung war dem Leiter des Jungen Ensembles der Semperoper Thomas Leo Cadenbach übertragen worden, der für sein Kammerorchester überwiegend freischaffende Musiker und Musikerinnen verpflichtete.

    Zum guten Schluss ließ sich dann doch noch die kahle Sängerin mit der Stimme von Mariya Taniguchi aus dem Olymp mit einer bezaubernden Wortmeldung vernehmen.

    Mit einem kraftvollen Beifall bringt das stark ausgedünnte Publikum der allgemeinen Begeisterung Ausdruck.

  • Die Semperoper bringt die Uraufführung der Kammeroper „Die andere Frau“ von Torsten Rasch und Helmut Krausser

    Die Pandemie hat uns Opernbesuchern bereits manche Flexibilität abgefordert. Deshalb waren wir auch nicht sonderlich verwundert, als wir zur Erstaufführung der Kammeroper „Die andere Frau“ von Torsten Rasch gebeten wurden, auf die Bühne der Semperoper zu klettern.

    Auf der Hinterbühne war eine Tribüne mit etwas über 300 Sitzplätzen errichtet, auf der gemäß der in Sachsen gültigen Pandemieregeln 85 Besucher mit der Blickrichtung zum leeren Zuschauerraum Platz nahmen.

    Zwischen uns und dem im Graben warteten Orchester hatte der Bühnenbildner Arne Walter als Szene einen mit unzähligen verlorenen Fußbekleidungen bedeckten Fluchtweg, irgendwo zwischen Ägypten und dem „Gelobten Land“ Kanaan aufgebaut.

    Das Parkett im Zuschauerraum war unbeleuchtet, während die Ränge mit von László Zsolt Bordes gestalteten Lichteffekten, die auf das Hervorragendste mit den Tücken der dreidimensionalen Flächenausleuchtung zurechtkamen, angeleuchtet waren.

    Das Auftragswerk des Hauses hatte Torsten Rasch (*1965 in Dresden) gemeinsam mit dem Schriftsteller und Komponisten Helmut Krausser (*1964) aus der biblischen Dreiecksgeschichte von Abram, seiner Frau Sarai und der Sklavin-Leihmutter Hagar, einer Geschichte von Flucht, Vertreibung, Liebe und Hass, entwickelt:

    Abram, mit dem vermeintlich-göttlichen Auftrag eine Dynastie zu begründen, war mit Sarai ins „gelobte Land“ Kanaan geflohen. Aber Sarai, nach dem Missbrauch durch ägyptische Männer sowie ob ihres fortgeschrittenen Alters unfruchtbar, konnte Abram den zur Dynastie-Gründung erforderlichen männlichen Nachkommen nicht schenken. Deshalb schlug sie Abram vor, mit der jungen Sklavin Hagar einen Nachkommen zu zeugen. Abram, stolz, ein Ausgewählter Gottes zu sein, zwang die Sklavin, sich ihm hinzugeben und seinen Nachkommen auszutragen. Hagars Schwangerschaft führte aber bei Sarai zu einer Eifersucht, die Hagar um ihr Leben fürchten lässt. Sie flieht in die Wüste, wird jedoch von einem Engel zur Rückkehr bewegt.

    Sarai, in ihrer Stellung als Ehefrau bedroht, plant, die Nebenfrau Hagar, sobald ihre Aufgabe als Leihmutter und Amme von Abrams Erstgeborenen „Ismael“ erfüllt sei, weg zu jagen.

    Drei Engel, als zufällige Gäste in Abrams Haus, verheißen Sarai eine baldige Schwangerschaft. In diesem Zusammenhang erfolgt erstmals die Erhöhung Abrams zum Abraham= Vater der Vielen [Völker]. Als Saras Schwangerschaft tatsächlich eintritt, fordert sie von Abraham, Hagar umzubringen.

    Abram, nicht in der Lage, den Konflikt zwischen den beiden Frauen zu lösen, schenkt der Sklavin die Freiheit und schickt sie mit Ismael regelrecht in das Ungewisse. Hagar erkennt Abrahams feige Entscheidung und geht mit ihrem Sohn in die Wüste.

    Von Abraham aber forderte Gott, dass er ihm den von Sarai geborenen Sohn Isaak opfern solle. Als Abraham dem Befehl folgen wollte, beendete Gott das grausame Spiel und machte beide Söhne Abrahams zu Gründungsfiguren zweier Weltreligionen: über die Nachfahren Isaaks definiert das Judentum Abraham zum Stammvater ihres Glaubens. Das Christentum reklamiert seinen Anteil an der biblischen Überlieferung, indem es im Neuen Testament den Stammbaum Jesu von Nazareth über Isaak auf Abraham zurückführt. Im Koran gilt der Sohn Hagars Ismael als der Gesandte Gottes, als Religionsstifter der Araber. Ein Stiefbruder-Verhältnis, das bis in unsere Zeit nachwirkt. Die Konkurrenz der beiden Frauen symbolisiert über ihre Söhne die Differenzen der Weltreligionen, obwohl alle drei Religionen in Abraham ihren gemeinsamen Ursprung sehen.

    Das Libretto Helmut Kraussers legt für uns die menschlichen Verwerfungen hinter der biblischen Geschichte frei, indem er die Agierenden wie heutige Menschen denken lässt. Damit machen Torsten Rasch und Helmut Krausser das Unmenschliche der Geschichte erfahrbar, ohne ihren Sinn infrage zu stellen.

    In der Musik Torsten Raschs begleiten Motive bestimmte Ereignisse und werden die Charaktere der Hauptfiguren betont. So wurden Abram und Sarai ständig wechselnde Taktarten, die dem Sprach-rhythmus folgen, zugeordnet. Sarais Wechsel zwischen Wut und Reue wird durch die Instrumentierung zum Ausdruck gebracht. Hagars Musik ist lyrischer, fließender, Streicher-betont und bestimmte so deren Gefühlswelt.

    Die Musiker der Sächsischen Staatskapelle bewältigen mit der Musikalischen Leitung des Chefdirigenten der Oper Halle Michael Wendeberg die anspruchsvolle Partitur mit der gewohnten Präzision und Klangfülle.

    Johannes Wulff-Woesten hatte sich am Rande des Bühnenaufbaus aufgebaut und sicherte von dort dank einer optischen Verbindung zum Graben die Einsätze auf der Szene.

    Der Rhythmus, der Wechsel der Farben der Rang-Anstrahlungen war der Musik zugeordnet und ergänzten das akustische Erleben durch zusätzliche optische Eindrücke.

    Die Inszenierung hatte Immo Karaman gemeinsam mit Teresa Reiber spannend, abwechslungsreich und minimalistisch gestaltet. Beklemmend schleppten sich mehrfach wechselnde Flüchtlingsgruppen über die Bühne. Die wenigen Requisiten wurden von den Vertriebenen mit auf den Schauplatz gebracht, abgelegt und, wenn nicht mehr benötigt, auch von einer folgenden Gruppe aufgenommen. So konnten sich die Agierenden auf ihr Singen und ihre Körpersprache konzentrieren.

    Die durchaus zwielichtige Rolle des Abram (später: Abraham= Vater der Vielen [Völker]) hatte Marko Marquardt übernommen. Er repräsentierte zwar den Stammvater der Dynastie, hatte aber seine junge Frau ägyptischen Männern preisgegeben, um sein Leben zu retten. Auch zeugte sein Verhalten im Konflikt zwischen den Müttern seiner Söhne nicht unbedingt von Souveränität.

    Von der Last einer religiösen Bedeutung befreit, war schon beklemmend, wie Abram mit der archaischen Sprache der Bibel über Sarais Kinderlosigkeit spricht und wie er Hagar mit der Brutalität der biblischen Zeit als Objekt behandelte. Dabei versteckt er sich bei Bedarf immer wieder, wenn auch etwas unsicher, hinter seinem vorgeblichen „göttlichen Auftrag“. Mit welcher Nonchalance er seine Nebenfrau Hagar und seinen Erstgeborenen mit „Alles ist gut. Alles ist gut“ in die Wüste entsorgte, dem Verderben preisgab, war schon bemerkenswert.

    Markus Marquardt (*1960), seit der Saison 2000 dem Ensemble der Semperoper verbunden, setzte in der Inszenierung seinen reifen Bassbariton und seine darstellerischen Fähigkeiten für diese fordernde Charakterstudie auf das Erstaunlichste ein.

    Für die Sarai (später: Sara= Erzmutter) war, nachdem bereits seit dem Frühjahr 2020 an der Inszenierung gearbeitet wurde, die polnisch-österreichische Sopranistin Magdalena Anna Hofmann erst recht spät nach Dresden gekommen. Mit perfektem Gesang und intensivem Spiel verstand sie es, die differente Gefühlswelt, die aufkommende Eifersucht und die emotionalen Mängel ihrer Bühnenfigur glaubhaft zu machen. Als die Nachricht von der Zerstörung von Sodom und Gomorra mit den Nöten der Neffen-Familie Lots ins Geschehen einfloss, unterdrückte sie jede Reaktion der Betroffenheit.

    Auch die Mezzosopranistin Stephanie Atanasov (*1983 in Wien) ist erst spät in die Vorbereitungen der Uraufführung einbezogen worden. Stimmlich hervorragend, gestaltete sie eindrucksvoll die Entwicklung der Hagar von der unterwürfigen Sklavin zur Leihmutter und Abrams Geliebten. Ihre Darstellung der Wandlung Hagars nach der aufgrund einer Intervention eines Engels abgebrochenen Flucht zur selbstbewussten Beschützerin ihres Sohnes Ismael und Verteidigerin der eigenen Person, war schon bewegend.

    Der Einsatz des Countertenors Philipp Mathmann, des aus Tirol stammenden Tenors Philipp Meraner und des aus Russland ins Junge Semperoper-Ensembles gekommenen Ilya Silchuk als die Gäste des Hause Abrams kann nur als Luxusbesetzungen dieser kleinen Szenen bezeichnet werden. Ob der mit ihrem grandiosen Gesang ausgesprochenen Verheißung einer baldigen Mutterschaft Saras, erschien aber die Körpersprache der auftretenden Engel etwas befremdlich.

    Zu einer Besonderheit der Inszenierung wurden die aufwühlenden Auftritte der „Augenzeugin“ Sussan Deyhim. Die 1958 in Teheran geborene Sängerin, Komponistin und Performancekünstlerin sang aus der Mitte des leeren Parketts Texte der über viertausend Jahre alten sumerischen „Klagen über die Zerstörung der Stadt Ur“ in der Originalsprache und erreichte mit ihrer dunklen Stimme sowie einer Chor- und Hallunterstützung frappierende Wirkungen.

    Die Statisterie und die von André Kellinghaus überragend sorgfältig vorbereiteten Chöre von Laiensängern des Sinfoniechores Dresden und des Extrachores der Semperoper, waren wesentlich am Gesamteindruck der Aufführung beteiligt.

    Der recht klägliche Schluss-Applaus der fünfundachtzig Besucher im nahezu schalltoten Raum der Hinterbühne, war nach der Dramatik des Erlebten eigentlich deplatziert. Die Bravo-Rufe waren von den Masken ohnehin verschluckt und zum „Stehenden Applaus“ konnte sich gerade die Hälfte der Begeisterten aufraffen.

    Auch wenn ich mich wiederhole: in der Entwicklungsrichtung dieser erlebten Aufführung sehe ich eine Zukunft für das von uns so geliebte Opernleben.

  • Der Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle der Saison 2021/2022 stellte sich vor

    Matthias Pintscher dirigierte am 3. Februar 2022 bei der Staatskapelle Anton Webern; Mattias Pintscher und Sergej Rachmaninow.

    Der Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle Dresden der Saison 2021/22 Matthias Pintscher, geboren im Jahre 1971, war im Semperbau bereits vor dieser Verpflichtung kein Unbekannter. Seinen nach dem Drama Hans Henny Jahnns gestalteten hochemotionalen Opern-Erstling „Thomas Chatterton“ hatte er als 27-Jähriger 1998 im Hause mit großem Erfolg zur Uraufführung gebracht.

    Bedingt durch die Pandemie-Umstände bedurfte es der Zeit bis zum Februar 2022, dass sich der inzwischen Einundfünfzigjährige in einem Sonderkonzert als Komponist und Dirigent dem Dresdner Publikum vorstellen konnte.

    Für seinen Dresdner Neuanfang brachte Matthias Pintscher sein neuestes Orchesterwerk „Neharot“ für die Deutsche Erstaufführung zur Staatskapelle mit. Neharot, steht im Hebräischen für Flüsse, aber auch für Tränen.

    Das Orchesterwerk ist im Frühjahr des Jahres 2020 in New York unter dem Eindruck der ersten Welle der Corona-Pandemie als „ musikalische Reflexion der Verwüstung und Angst, aber auch der Hoffnung auf Licht, die diese Zeit unseres Lebens so emotional geprägt hat“ entstanden.

    Unter dem Eindruck des Eingesperrtseins im März 2020 und als Hommage an die Opfer des Covid war ein Totengebet, ein „Kaddisch“, mit weichen Fragmentierungen musikalischer Elemente entstanden.

    Der unmittelbare Anlass für die Komposition führte folgerichtig auch zu einem für Matthias Pintscher nicht unbedingt typischen Werk.

    Die Musik entwickelte sich fast zögerlich in auf- und abschwellenden Wellen der Blechbläser und Perkussionen, in die fast vorsichtig die Streicher, vor allem die tieferen Instrumente Celli und Kontrabass, eingreifen. Bis sich dann mit einem Hornruf explosionsartig eine wütende Energie des Orchesterklangs entwickelte, um nach einem Trompetensolo mit den Bassinstrumenten auszuklingen.

    Faszinierend, wie sich da Klangwellen regelrecht durch das Orchester bewegten, interessante neue Tonstrukturen entstanden und beeindruckende Halleffekte zu hören waren.

    Das Dirigat des eigenen Werkes für ein Publikum, das die Zeit der ersten Pandemie-Welle in Sachsen noch relativ entspannt erlebte, dann aber von der Pandemie massiv belastet war, von einem gleichsam gebeutelten Orchester dargeboten, brachte die deutsche Uraufführung der Totenklage für alle Beteiligten schon eine emotionale Herausforderung.

    Eingerahmt war das zentrale Werk des Capell-Compositeurs mit Kompositionen von Anton Webern (1883-1945) und Sergej Rachmaninow (1873-1943).

    Anton Webern, in Wien als Anton Friedrich Wilhelm von Webern geboren, ist von den Großen der so genannten Zweiten Wiener Schule derjenige, der ab der 1920-Jahre aus der Zwölftontechnik seines Lehrers Arnold Schönberg mit seiner äußersten Komprimierung der musikalischen Strukturen die radikalsten Konsequenzen gezogen hatte.

    Die Idylle für großes Orchester „Im Sommerwind“ war aber bereits 1904 nach der gleichnamigen Dichtung von Bruno Wille (1860-1928) entstanden. Wille hatte das Gedicht einem Band seines „Offenbarung eines Wacholderbaums-Roman eines Allsehers“ vorangestellt, in dem Kontraste des Lebens in der Natur thematisiert waren.

    Der junge Komponist sparte nicht mit musikalischen Einfällen und Gestaltungsreichtum. Aber es gibt lange Generalpausen und exzessiv ausgedehnte Einzeltöne, die die Spannung der späteren Werke des Komponisten vermissen lassen.

    Matthias Pintscher ließ die Musik regelrecht aus dem Nichts entstehen, bevor er den brillanten Streichern im Wechsel mit den hervorragenden Bläsern des Orchesters breiten Raum für das zwölf-Minuten-Werk gab, so dass die ungestümen Taktwechsel ordentlich zur Wirkung kamen.


    Nach dem publikumswirksamen, unfertigen Frühwerk Weberns und der emotionalen anlassbezogenen Komposition Mattias Pintschers schloss das Konzert mit einem reifen Spätwerk Rachmaninows „Symphonische Tänze“ op. 45.

    Sergej Rachmaninow, auf einem Landgut im Gouvernement Nowgorod geboren und in Russland ausgebildet, war eigentlich weltläufig unterwegs gewesen. Mit seiner Familie wohnte er 1906 längere Zeit in Dresden, erfreute sich an den barocken Schönheiten und nahm am vielfältigen gesellschaftlich-kulturellen Leben der Stadt, aber auch Leipzigs, teil. Für den Komponisten war das Pflaster der Stadt fruchtbar, denn hier entstanden unter anderem seine zweite Symphonie, eine Klaviersonate d-mol und die symphonische Dichtung „Die Toteninsel“.

    Ein Kuriosum: der Hausbesitz eines „Eigentümers Sergej Rachmaninow mit Wohnsitz New York“ wurde erst 1990 aus dem Grundbuch der Stadt getilgt.

    Im Dezember 1917 brach er von Moskau aus zu einer Konzertreise nach Schweden auf, kehrte aber nie in sein Heimatland zurück.

    Als Rachmaninow 1940 in den Vereinigten Staaten auf Long Island lebte, war er bereits krank und schöpferisch ausgelaugt. Trotzdem hoffte er die frühere Partnerschaft mit dem Ballettmeister Michael Fokin (1880-1942) weiterführen zu können. Deshalb griff er auf eigenes Material, eine 1915 unvollendete Ballettmusik „Die Skythen„ zurück, um mit den Erfahrungen von 25 Jahren Kompositions-Handwerk aus den Entwürfen als sein letztes vollendetes Werk eine Bilanz seines Lebens zu schaffen.

    Rachmaninows Erwartung, seine „Symphonischen Tänze“ auf der Ballettbühne erleben zu können, erfüllten sich wegen Fokins Versterben nicht.

    Die Partitur des Opus 45 sieht eine außergewöhnlich große Orchesterbesetzung und als Besonderheit ein Altsaxophon vor. Dabei war weder eine Ballettmusik noch eine Symphonie entstanden. Die drei Sätze hatten ursprünglich die Bezeichnungen „Mittag“, „Abenddämmerung“ und „Mitternacht“.

    Es wird berichtet, dass der Komponist selbst während der Proben zu einer Aufführung des Minneapolis Symphony Orchestra die Satzbezeichnung des „Non Allegro“ als Druckfehler definiert habe und das „Non“ ausstreichen ließ. Deshalb findet sich in den Konzertprogrammen die Satzbezeichnung häufig mit „(Non) Allegro“.


    Matthias Pintscher ließ das Orchester das Werk keinesfalls tänzerisch spielen. Der erste Satz wies eher Anklänge an eine Marschmusik auf, während sich beim Hören des Andante con moto, des 2. Satzes, Bilder aufdrängten.

    Im dritten Satz orientiert sich die Komposition fast ausschließlich auf den Gregorianischen Hymnus „Dies irae“, dem Tag des Zorns, gestaltet das „Lento assai“ wenn nicht das gesamte Werk zur Totenklage.

    Matthias Pintscher baute mit der Sächsischen Staatskapelle eine faszinierende Spannung zwischen einer wilden Orgie, Bildern russischer Weiten und niederdrückender Todessehnsucht auf.

    Irritierend am Konzert war das mäßige Interesse der Dresdner Musikfreunde an der Vorstellung des Capell Compositeurs der Sächsischen Staatskapelle. War das Konzert mit Werken unterschiedlicher Stilrichtungen doch eine Demonstration der Fülle der Möglichkeiten des Orchesters, seinen prachtvollen Klang und die exzellenten Leistungen seiner Solisten im Zusammenwirken mit dem Gastdirigenten Mattias Pintscher zu erleben.

  • Aufwühlender Bruckner im Gedenkkonzert am 13. Februar 2022

    Christian Thielemann ehrt mit der Sächsischen Staatskapelle die Opfer des Bombenterrors vom 13. Und 14. Februar 1945.

    Als die Marianne und ich uns 1960 als Studenten in Dresden kennen lernten, uns ineinander verliebten und bald auch heirateten, standen Studium, Familiengründung mit dem ersten Sohn im Mittelpunkt, so dass die Erinnerung an die Bombennacht vom 13. zum 14. Februar 1945 die Dresdnerin noch nicht erkennbar belasteten.

    Nach Jahrzehnte langem Wohnen in Leipzig und in einem nordhessischen Dorf nach Dresden zurück gekommen, meldeten sich bei der inzwischen Verrenteten die Erinnerungen an jene Nacht, als die Sechsjährige aus dem Keller des zerstörten Hauses in der Bergmannstraße befreit, zwischen ihrer Großmutter und der Mutter mit dem Kinderwagen der jüngeren Schwester durch das brennende Dresden irren musste. Befeuert war das, weil unser Erscheinungsbild, aus der ländlichen Idylle Nordhessens gekommen, des Dresdens der Anfangsjahre des Jahrtausends offenbar von der NPD nicht unwesentlich geprägt wurde.

    Das hatte bei uns zunächst die Frage aufgeworfen, ob wir hier richtig sind? Dann siegte aber der Kulturhunger, das verlangen nach Staatskapelle, Semperoper, Gemäldegalerien und das kulturvolle Loschwitz. Aber vor allem die Initiativen unserer damaligen Nachbarin, der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz, eine Therapie, kulturelle Erlebnisse und neues, gewissermaßen überbordendes Leid, glätteten die Situation.

    Gelegentlich wird gefragt, warum ausgerechnet in Dresden die Erinnerung an den Februar 1945 so wach gehalten ist, obwohl doch viele Städte Deutschlands ähnlich intensiv zerstört waren?

    Da ist zu wissen, dass die Stadt Dresden bis zum Februar 1945 kaum Bombenangriffe erlebt hatte und nur das Vorrücken der Truppen der „Roten Armee“ als der Auslöser des totalen Terrors anzunehmen ist. Dabei ist in der Bevölkerung auch der von einem Historiker geäußerte Verdacht lebendig, dass die Alliierten die unzerstörte Barockstadt, wie in Japan die Stadt Hiroshima, als Demonstrationsobjekt der Möglichkeiten ihres Zerstörungspotentials zurück gestellt hatten, um dann umso brutaler zuzuschlagen.

    Mit würdigen Konzerten gedenkt die Sächsische Staatskapelle seit 1951 am 13. Februar der Opfer und der Zerstörung der Stadt als Mahnung, Zeichen der Versöhnung mit der Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben in der gesamten Welt.

    In diesem Jahr gehörte das Konzertprogramm Anton Bruckner (1824-1896).

    Nachdem gegen Ende der 1880-er Jahre in Wien bei Anton Bruckner eine Herzschwäche und Diabetes diagnostiziert worden waren, zog er sich zunehmend aus seinen Ämtern an der Universität, dem Konservatorium sowie der Hofkapelle zurück, um eine Abrundung seines symphonischen Schaffen zum Lebensinhalt zu gestalten.

    Die ersten Skizzen zu seiner neunten Symphonie hat der 62-jährige Anton Bruckner unmittelbar nach Abschluss der Komposition seiner achten Symphonie 1887 entworfen. Die Arbeit am ersten Satz wurde aber unterbrochen, weil Bruckner zunächst Revisionen seiner achten und seiner dritten Symphonien vornahm. Hinzu kamen in der Folge Überarbeitungen an den Symphonien Nummer zwei, Nummer eins und Nummer vier sowie der f-Moll-Messe.

    Der erste Satz der neunten Symphonie, Feierlich, misterioso, war dann im Dezember 1893 fertig gestellt. Der zweiten Satz, Scherzo, bewegt, lebhaft-Trio, mit Entwürfen von 1889 fanden im November 1894, allerdings mit drei unterschiedlichen Ausführungen des Trios, ihre Vollendung. Die wahrscheinlich etwas kompaktere Arbeit am dritten Satz, Adagio, langsam, feierlich, war im Mai 1895 abgeschlossen.

    Von dem von Bruckner geplanten vierten Finalsatz sind nach seinem Tode mehr als 500 Takte in Skizzen und Entwürfen aufgefunden worden, von denen 172 Takte vollständig bzw. 200 Takte zum Teil orchestriert sind. Der Schluss des Finales, bei Bruckner üblicherweise Ziel und Höhepunkt des Gesamtwerkes, fehlt allerdings vollständig.

    Nicht verwunderlich, dass es zahlreiche Versuche gibt, mit Hilfe der hinterlassenen Relikte einen Bruckner-adäquaten Finalsatz seiner neunten Symphonie zu schaffen.

    Wir besitzen eine Einspielung von Bruckners Neunter der Berliner Philharmoniker mit Simon Rattle aus dem Jahre 2012 mit einer von dem italienischen Komponisten Nicola Samale (*1941) unter Beteiligung drei weiterer Musikwissenschaftler fertig gestellten Rekonstruktion des Finalsatzes. Auch wenn Teile von authentischen Skizzen gekommen sein mögen, ist es günstigstenfalls eine Illusion von „Bruckner“, bleibt ein schwacher Abklatsch.

    Die Erkenntnis des Schwerkranken, dass er die Kraft zur Vollendung des Finales seiner Neunten nicht aufbringe könne, beschäftigten Bruckner, so dass er den Vorschlag enger Vertrauter aufnahm, die Symphonie statt mit einem vierten Satz mit seinem Te Deum abzuschließen. Er hatte allerdings Bedenken, die Symphonie, die in d-Moll steht, in C-Dur des „Te Deum“ enden zu lassen. Er habe auch den Vertrauten eine Überleitungsmusik die vom E-Dur der Schichtung des Adagios zum C-Dur führte, vor gespielt. Bruckners Schüler August Stradal (1860-1930) habe die Überleitungsmusik zwar nach dem Gedächtnis notiert, noch bleibt sie aber verschollen.

    Im Gedenkkonzert wurden von der Sächsischen Staatskapelle mit dem Dirigat seines Chefdirigenten Christian Thielemann die drei Sätze der Symphonie mit dem Te Deum kraftvoll und zugleich sensibel hintereinander dargeboten.

    Das Te Deum Bruckners reicht mit seiner formalen und ästhetischen Konzeption weit über die Grenzen reiner Kirchenmusik hinaus und gilt als zentrales Dokument seiner Frömmigkeit. Komponiert im Jahre 1881 überarbeitete Bruckner das Chorwerk in der Zeit von 1883 bis 1884 wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Arbeit an seiner siebten Symphonie.

    Dem Anlass der Aufführung entsprechend, verzichtete Christian Thielemann auf eine effektvolle Interpretation der Symphonie. Mysteriöser lassen sich die Eröffnungen der Blechbläser kaum denken, wie im Konzert gespielt. Präzise, fast schroff wurde dann das wuchtige Hauptthema des ersten Satzes in einer Art herausgearbeitet, wie es nur Klangkörper vom Range der Dresdner Staatskapelle können. Mit wohlüberlegter Disposition staffelte der Dirigent die Höhepunkte und spart das Maximum für den Schluss auf. Gekonnt glättete er formale Brüche mit organischen Tempofreiheiten und ließ sich von seinem intuitiven Formgespür leiten.

    In der Folge entstand bei mir der Eindruck, dass der Dirigent Ansätzen nachgespürt habe, was Bruckner an der Komposition bei längerer Lebenszeit noch geglättet hätte.

    Das Scherzo mit dem markanten Paukenmotiv ließ Christian Thielemann drängend, mit straffen Tempi spielen, so dass der Eindruck eines Totentanzes entstand. So ist die Interpretation nicht so sehr als eine Verklärung, als vielmehr ein Auflehnen, ein Ankämpfen gegen den Tod zu empfinden. Besonders fulminant empfand ich die Betonung der von Bruckner in die Partitur regelrecht eingeschmuggelten Bauerntänze.

    Umso exzellenter traten dann im Adagio die Möglichkeiten der Klangschönheiten des Orchesters hervor. Die Verbindungen zu den Tristan- und Parsifal-Motiven des ersten Themas weckten eine unendliche Sehnsucht nach Ruhe und einem Abschluss gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Aber auch hier schlichen sich Momente der Niedergeschlagenheit und der Verzweiflung in die Darbietung ein. Die Angst des Menschen vor dem Tode meldet sich

    Christian Thielemann gestaltet in diesem Pseudo-Finalsatz Klangdispositionen, Übergänge und Stimmenbalancen von geradezu überirdischer Schönheit und Homogenität. Sein Gespür für die Dramatik der doch heiklen Partitur Bruckners ist einfach einzigartig und dürfte gegenwärtig kaum zu überbieten sein.

    Das „Te Deum“ entwickelte Christian Thielemann mit den Musikern der Staatskapelle auf das feinste ausbalanciert und mit einer mitreißenden Dynamik, die von verzagtem Piano bis zum gewaltigen Fortissimo reichte. Die Streicher schufen für die Bläser und vor allem für den Sächsischen Staatsopernchor Dresden mit großartigen Klangfarben einen stabilen Klangteppich. Gefreut haben uns die Horn-Soli von Robert Langbein und die Vorstellung des rumänischen Gast-Konzertmeisters Dragos Manza am Ersten Pult.

    Dem Chor kam ohnehin eine außergewöhnliche Bedeutung zu, hatte ihm doch Bruckner mit breiten Forte-Passagen und Dissonanzen komplexe Aufgaben zugeschrieben, die vom Sächsischen Staatsopernchor mit Klangkraft und präziser Dynamik überzeugend gelöst wurden. Nie war in einer mittleren Lautstärke gesungen worden, stets blieben Kontrast und Intimität zutreffend ausgebildet. Wenn Kraft entfaltet wurde, geschah das immer mit Formgefühl und stimmlicher Konzentration, so dass auch die Soprane nicht in problematische Randlagen gerieten. Der Chor war von André Kellinghaus auf das bewundernswerteste auf diese anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet gewesen.

    Die Stimmen der Solisten waren glänzend aufeinander abgestimmt und für die nachklassische Schlichtheit ihrer Passagen hervorragend geeignet. Die Sopranistin Camilla Nylund faszinierte mit ihrem weichen, leuchtenden Timbre, ihren klaren Spitzentönen und ihrem starken Ausdruck. Dazu passte hervorragend der klangsatte, samtige Mezzosopran von Elena Zhidkova, der gravitätische Bass von Franz-Josef Selig und der höhensichere sensible Tenor von Benjamin Bruns, der vor allem mit dem souverän dargebotene Tenor-Solo im „Te ergo quaesumus“ imponierte. Gleichwie, ob die Solisten zu zweit, zu dritt oder als Quartett sangen, bestach die Konvergenz der Klänge.


    Mit einer Minute des Gedenkens an die Opfer der Terrorangriffe wurde das würdige und berührende Konzert abgeschlossen.

    Einmal editiert, zuletzt von thomathi (15. Februar 2022 um 09:27)

  • Aida-Neuinszenierung von Katharina Thalbach

    Die Semperoper erhält eine publikumswirksame Erweiterung des Repertoires.


    Zu den Bestrebungen des Vizekönigs der osmanischen Provinz Ägypten Ismail Pascha (1830-1895) gehörte eine Vereinigung der Kunst und Kultur Europas mit dem Land der Pharaonen. Deshalb ließ er zu Beginn seiner Regentschaft noch als Gouverneur das Khedival-Opernhaus als erstes Opernhaus auf afrikanischen Boden bauen. Eröffnet werden sollte der Musentempel am 1. November 1869, also sechzehn Tage vor der Inbetriebnahme des Suez-Kanals. Der Vizekönig wollte dazu eine Repräsentations- und Prunkoper, die Macht und Bedeutung Ägyptens verherrlichte, aufführen lassen. Guiseppe Verdi (1813-1901) sollte die Oper nach einem Szenario des Ägyptologen Auguste Mariette (1821-1881) komponieren. Verdi wollte allerdings keine Gelegenheitskompositionen schaffen, erlag dann trotzdem 1870 der Überzeugungskraft des in Frankreich ausgebildeten „Khedive“ Ismail Pascha und akzeptierte den Vertrag. Allerdings erst, als angedeutet wurde, dass die Aufgabe ansonsten an Herrn Wagner oder Herrn Gounod gehen könnte und als ihm das Honorar in der zu dieser Zeit schwindelerregenden Höhe von 150.000 Goldfranken zugesichert worden war. Da waren der Kanal und das Opernhaus längst eingeweiht.

    Im Spannungsfeld der Wünsche des Auftraggebers und Verdis Befindlichkeiten begann er im Juli 1870 mit der Arbeit.

    Nach Verdis Anforderungen schrieb Antonio Ghislanzoni (1824-1893) das Libretto. Für den Triumph-Marsch baute Adolphe Sax (1814-1894) spezielle Fanfarentrompeten. Auch fertigten für die Kairoer Uraufführung die Werkstätten der Pariser Oper die Kulissen und Kostüme.

    Unterdessen hatte Frankreich Preußen den Krieg erklärt. Die siegreichen Preußen beschlagnahmten in Paris die Ausstattung, so dass die Oper erst am 24. Dezember 1871 in Kairo zum ersten Mal auf die Bühne kommen konnte.

    In seiner Oper ließ Verdi im extremen Kontrast monströse Prunkszenen auf intime Innerlichkeit aufschlagen, die den Inszenierungen die Voraussetzungen schaffen, mit einer einfach zu erfassenden Handlung, je nach Gemütslage, ein filmreifes Spektakel oder eine Studie menschlicher Gefühle unter gesellschaftlichen Zwängen zu bieten.

    Die großartigen Bühnenbauten und die Kostüme Ezio Toffoluttis der Dresdner Inszenierung von 2022 deuten zunächst auf eine pompöse Variante. Hohe gold-bronzierte Wände bildeten beeindruckende Klangräume. Aber eine überlebensgroße Katharina am rechten Bühnenrand im dritten Akt deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger, worum es gehen wird.

    Mit ihrer Inszenierung erteilte Katharina Thalbach dem Verherrlichungs-Anliegen des Ismael Pascha eine Abfuhr, versuchte dabei die Autokraten unserer Zeit zu treffen. Und so gestaltete sich die Aufführung der Nationalhymne der Ukraine, nicht nur als Solidaritätsbekundung, zu einer Einheit mit Katharina Thalbachs Verdi-Deutung.

    Statt Triumphmarsch–Pomp wurde die Grand Opera zum Kammerspiel eingedampft Die Dreiecksgeschichte erzählte Katharina Thalbach schlicht und geradlinig. Die individuellen Dramen stehen im Mittelpunkt ihrer Inszenierung. Die Figuren und Situationen waren konsequent und sinnlich aus dem Geist der Musik heraus gestaltet.

    Aida als Schwächste im Trio erweist sich als die Stärkste des Bühnengeschehens. Trotzdem gehört das besondere Mitgefühl der Regie der verschmähten Amneris.

    Die Massenszenen hatte die erfahrene Schauspielregisseurin so gestaltet, wie sie zum Fortgang der Handlung notwendig waren. Erfreulich gut eingebunden erwiesen sich die Choreografien von Christopher Tölle, der die Tänzerinnen und Tänzern fast etwas ironisch agieren ließ.

    Die Mitglieder des Sinfoniechores Dresden, des Extrachores der Semperoper und des Sächsischen Staatsopernchores Dresden erfreuten mit eindrucksvoller Intensität, bemerkenswerter Klangwucht und Profilschärfe in den dramatischen Phasen. Mit diesem hervorragend klug von André Kellinghaus koordinierten Klang-Raum-Erlebnis kam damit auch die Monumentalität in der Thalbach-Arbeit nicht zu kurz.

    Mit seinem Dirigat orientierte sich Christian Thielemann am Inszenierungskonzept, zeigte den Schulterschluss des musikdramatischen Anliegens, immer spannungsgeladen, mit der unter die Haut gehenden Intensität der Inszenierung. Mit feinstem orchestralem Gewebe betonte er die intimen Momente und die kammermusikalische Struktur.

    Mit den Erkennungsmotiven, die sich wie ein roter Faden durch den Orchesterpart der Sächsischen Staatskapelle ziehen, verband der Dirigent das Ganze geschickt zu einer großen musikalischen Einheit. Damit verhinderte er, dass die Oper zur Aneinanderreihung von beliebigen Gesangs- und Instrumentalstücken ohne erkennbaren Zusammenhang verfällt, auch wenn Zwischenbeifall den musikalischen Fluss gelegentlich gefährdete.

    Die Sächsische Staatskapelle erwies sich an diesem Abend für Verdis Orchestrierung, als die höchste Errungenschaft der italienischen Oper, wie gemacht. Die Instrumente wurden zu musikalischen Seelenpartnern für die Liebenden, Eifersüchtigen oder Schmerzgeplagten.

    Immer wieder begeisternd, wie Christian Thielemann die Koordinierung zwischen dem Orchester, den Solisten und dem Chor sicherte, vor allem auch Sänger-freundlich agierte und den Solisten viel Raum gab.

    Als Aida beeindruckte Krassimira Stoyanova nicht nur mit ihrem wohlklingenden, bezaubernden Sopran, mit dem sie mühelos die vokalen Feinheiten meisterte. Auch die differenzierte Darstellung der rechtlosen Sklavin einerseits und der selbstbewussten liebenden Frau andererseits gelang ihr überzeugend. Beeindruckend, wie Frau Stoyanova die Achterbahn der Gefühle in den Auseinandersetzungen mit ihrem Vater Amonasro und ihrer Konkurrentin Amneris bewältigte. Stimmliche Ausdruckskräfte mit berührenden Pianissimo bestimmten die Darstellung der Emotionen ihrer Aida. Ihre Gestik, ihre Körpersprache waren immer Spiegel ihrer Interpretation, selbst wenn sie nichts zu singen hatte.

    Die Amneris von Oksana Volkova brillierte mit Kraft in den unteren Registern und edler Schönheit in den Höhen ihres technisch einwandfrei geführten, wohltuend kontrollierten Mezzosoprans. Differenziert bot sie mit grandioser Mezzowucht die giftige von Eifersucht geprägte Haltung der rachsüchtigen Frau und die verschmähte Liebende mit dramatischer Ausdruckskraft als voluminöser Mezzosopran.Dazu spielte sie auch die Dramaturgie ihrer ägyptischen Prinzessin ordentlich aus.

    Neben den beiden starken Frauen hatten es die Männer etwas schwerer:

    Einen beeindruckenden Radamès kreierte Francesco Meli mit leicht eingedunkelten Tenor. Sehr präsent in der Mittellage, trifft er mit hervorragender Stimmkultur und mit darstellerischen Mitteln die Ausweglosigkeit der Situation des Radamès. Fast unverschuldet gerät er in den bitterernsten „Zickenkrieg“. Mit seinem widersprüchlichen Charakter geht er im Hoffen auf Treue und sinnhafte Bindung, als schmerzlich hoffnungsloser Romantiker, von Ängsten gepeinigt, als verträumter Idealist mit wehenden Fahnen unter. Da nützten ihm weder kriegerischen Erfolge, noch seine Glaubwürdigkeit und Menschlichkeit.

    Einen starken König von Äthiopien Amonasro, der trotz Gefangenschaft stolzer Anführer bleibt, konnte der Bariton Quinn Kelsey darbieten. Die Höhepunkte seiner Darstellung fand er im Duett mit Aida und seinem emotionalen Ausbruch im dritten Akt.

    Der Priester Ramfis, mit schwarz-markanter Kraft von Georg Zeppenfeld raumfüllend gesungen und dargestellt, repräsentierte eindrucksvoll die Macht der ägyptischen Priesterschaft.

    Wenige Möglichkeiten seinen etwas spröden sonoren Bass zu präsentieren, blieben für Andreas Bauer Kanabas mit der Rolle des Königs von Ägypten. Simon Esper hatte als Bote einen frischen Auftritt.

    Als Tempelsängerin bestach Ofeliya Pogesyan vom Jungen Ensemble mit ihrer Aufweitung der Weihe des Radamès zum Feldherrn. Überhaupt gehörte diese Präsentation einer Nebenfigur zu den Glanzpunkten der vielen Regieeinfälle der Inszenierung.

    Mit stehenden rhythmischen Ovationen dankte das Premierenpublikum für die brillanten Leistungen und diese populär-schlüssige Deutung der Verdi-Oper, die bereits im Juli 2022 ihren Weg in das Repertoire der Semperoper nehmen wird.

  • Die weiße Rose

    Udo Zimmermanns Kammeroper auf der Studiobühne der Semperoper

    (Premiere vom 11. März 2022)

    Zwei junge Menschen im Wissen, dass in kurzer Zeit ihr Leben enden wird und ihre Persönlichkeit ausgelöscht werde, befanden sich in der extremsten Situation, die man sich als Nichtbetroffener kaum zu denken wagt.

    Sophie und Hans Scholl erleiden ihre letzte Lebenszeit in getrennten Haftzellen, waren sich aber über ihre Lebensauffassungen, ihrem Glauben und ihrer Geschwisterliebe aus innigste verbunden, so dass auf der Spielfläche der Studiobühne „Semper zwei“ der Sächsischen Staatstheater die getrennten Räume von Lichtkegeln symbolisiert werden konnten. Ansonsten befanden sich neben zwei Stühlen nur ein angedeuteter Hügel, ein Mauerabschluss im Hintergrund und etwas symbolische Erde auf der kahlen Spielfläche.

    Als Ouvertüre erklingt das metallische Knallen des Fallbeils bei der Hinrichtung des dritten Verurteilten, ihres Freundes Christoph Probst, erzeugt mit der besonderen Tonkälte des Nachbaus eines Stahl-Kontrabasses.

    Noch das Gekeife des Richters des „VolksgerichtshofsRoland Freisler im Ohr, Original-Tondokumente wurden in der Aufführung eingespielt, sangen und spielten die Sopranistin Elisabeth Dopheide und der Bariton Franz Xaver Schlecht in einem beklemmenden Auf und Ab von Emotionen, Texte, die sie vor ihrer Verhaftung gemeinsam gelesen und besprochen haben könnten. Die wechselvollen Gefühle, Poesie, Halbtraum, Utopie, sowie die fließenden Grenzen zwischen Realität und Irrealität wurden dramatisch, fern von jeder Opernkonvention, in einem Schwebezustand zwischen Realismus und Abstraktion, bestechend glaubhaft, bis zur Grenze des Erträglichen dargestellt.

    Am Anfang agierten die Geschwister scheinbar noch aneinander vorbei, boten eigene Sichtweisen. Je beängstigter sich die Musik entwickelte, finden Beide den anderen zunehmend als Teil der eigenen Geschichte.

    Die Sopranistin Elisabeth Dopheide (*1996), die mit dem überwiegend extrem hoch gesetztem Gesang ihrer radikal dramatischen Rolle stimmlich besonders gefordert war, meisterte die Sophie auch darstellerisch überwältigend. Ihre Panik bei der vermeintlichen Abholung zur Hinrichtung und ihr verzweifeltes „nur einmal noch….“ waren grandios.

    Franz Xaver Schlecht vom Ensemble der Oper Leipzig singt und spielt den Hans Scholl mit einem dunklen, kraftvoll-fokussiertem Bariton und ungebrochenem Stimmfluss. Mit seiner Darstellung versuchte er sich zunächst, natürlich vergeblich, aus der Situation herauszudenken, wird dann zunehmend verzweifelter.

    Letztlich waren sämtliche der sechszehn Szenen eindringlich, ausdrucksstark und beschwörend, aber nie opernhaft.

    Um das Publikum zur Konzentration auf die besondere Dramatik der Situation regelrecht in Haft zu nehmen, war das Orchester hinter der Besucher-Tribüne angeordnet. Der musikalische Leiter der Aufführung Johannes Wulff-Woesten hatte mit seiner Bearbeitung die Zahl der Instrumentalisten der Guiseppe-Sinopoli-Akademie, Corona-bedingt, mit neun begrenzt. Ein faszinierend, wandlungsfähiges Ensemble ließ Holzbläser über wütendem Blech schrillen, Oboen und Geigen weinten. Dazu mischten sich Klavier- und Schlagzeug-Deklamationen sowie bestechende Gitarren und Bassgitarrenklänge; alles mit präziser Intonation geboten.

    Die Lichtgestaltung Marco Dietzels war imponierend und die Kostümgestaltung von Véronique Seymat passte.

    Für den Regisseur und Bühnenbildner Stephan Grögler war dieses gelungene Dresdner Hausdebüt seine siebte Inszenierung des Opernstoffes Udo Zimmermanns.

    Hans und Sophie Scholl waren als Mitglieder der studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ am 18. Februar 1943 bei einer Flugblattaktion in der Münchner Universität von einem Hausmeister entdeckt und der GESTAPO übergeben worden. In einem Prozess am 22. Februar 1943 werden sie mit ihrem Kommilitonen Christoph Probst zum Tode verurteilt und die Vollstreckung für den gleichen Tag angeordnet.

    Als der ostdeutschen Nachkriegsgeneration war in unserem Bewusstsein das Schicksal der Geschwister Scholl besonders verankert, eigentlich ständig präsent. Dabei war regelrecht ausgeblendet, dass es sich bei den Widerstandskämpfern der „Weißen Rose“ nicht um in der Wolle gefärbte, gar kommunistisch orientierte Antifaschisten gehandelt hatte. Uns war nicht bewusst, dass der heranwachsende Hans begeistertes Mitglied der Hitlerjugend mit Führungspositionen im „Deutschen Jungvolk“ und Sophie eine straffe Scharführerin des Bundes Deutscher Mädel gewesen waren. Und dass sich erst dank der Kontakte mit Universitätskreisen, die regimekritische und christlich-ethische Positionen besetzten, sowie des Kriegseinsatzes des Hans ihre weltanschauliche Haltung in den 1940-er Jahren entwickelt hatte, war nie thematisiert worden.

    Dass die Flugblattaktion im Lichthof der Universität, die letztlich zur Verhaftung der „Weißen Rose“ führte, ein übermütiger Leichtsinn junger, unkonventionell-lebensfroher Menschen gewesen war, bei dem auch Opiate eine Rolle gespielt haben sollen, war und ist weitgehend unbekannt.

    Der Dresdner Komponist Udo Zimmermann (1943-2021) ist vermutlich mit einem vergleichbaren „Geschwister-Scholl-Bild“ aufgewachsen. Während unserer Loschwitzer Zeit haben wir nur reichlich einhundert Meter von Zimmermanns Neubau gewohnt und ihn gelegentlich im Fitness-Studio getroffen. Leider hatte es dabei kaum Kommunikationen gegeben.

    Udo Zimmermann begann im Alter von 22 Jahren, sich mit dem Schicksal der Geschwister Scholl musikalisch zu beschäftigen. Mit einem Libretto seines Bruders Ingo Zimmermann (*1940) schuf Udo „ein Stück für Musiktheater in acht Bildern“ für eine Studentenproduktion des Opernstudios der Hochschule für Musik Dresden, die 1967 im kleinen Haus der Staatstheater zur Aufführung kam.

    In eine Rahmenhandlung der Geschwister, mit der Erwartung ihrer Hinrichtungen, waren sechs Zwischenspiele mit Reflexionen, wie die Protagonisten zur Widerstandsbewegung gefunden hätten, eingebunden.

    Zimmermanns Opern-Erstling erforderte ein mittelgroßes Orchester und etwa 80 Mitwirkende auf der Bühne. Trotz mehrfacher Überarbeitungen blieben auch die Neufassungen flach, konstruiert sowie belehrend, waren von den Gesetzen der Oper nicht zu erfassen und ähnelten eher einer Kantate. Nach neun Inszenierungen und einer Rundfunkfassung im Jahre 1972 verschwand das Werk aus dem Repertoire.

    Der Versuch, in den Jahren 1984 und 1985 die Oper noch einmal zu überarbeiten, führte zur Erkenntnis, besser auf die dokumentarisch-erzählende Handlung zur Geschichte der Widerstandsgruppe völlig zu verzichten und die Komposition auf die Grenzsituation der letzten Lebensstunde von Hans und Sophie zu konzentrieren.

    Der Dramaturg Wolfgang Willaschek stellte 1986 aus Briefen, Tagebuchaufzeichnungen der Geschwister, sowie Texten von Dietrich Bonhoeffer, Franz Fühmann, Reinhold Schneider, Tadeusz Różewicz und Psalmworte des Alten Testaments das Libretto der Kammeroper „Szenen für zwei Sänger und 15 Instrumentalisten“ zusammen.

    Auf der Dresdner Studio-Bühne erlebten wir mit der faszinierend geradlinigen Inszenierung Stephan Gröglers einen beklemmend hochemotionalen Abend.

    Ich hatte mit den, für manche Besucher eventuell erlösenden Ovationen, einige Probleme. Bevorzugt wäre ich nach den deklamatorischen Schlussworten still nach Hause gegangen.

    Für mich hat sich ob der eigentlich nicht zu überbietenden Situation der Protagonisten jeder Versuch eines aktuellen Bezuges des Lebens und Sterbens der Geschwister Scholl schwierig gestaltet, zumal es gefährliche Nutzungen des Sinnbildes der „Weißen Rose“ für Querdenker, Impfgegner und Rechtspopulisten gibt. Und wenn Björn Höcke 2018 in Chemnitz vor allen Augen mit einer weißen Rose einen „Trauermarsch der Neonazis“ anführte, dann ist doch jedes Maß überzogen.

  • Madam Butterfly mit fernöstlicher Deutung.

    Amon Miyamoto inszenierte- Omer Meir Wellber dirigierte.

    Das Schicksal des Teehaus-Mädchens Cho-san im japanischen Nagasaki der 1890-er Jahre hatte die Missionarin Sarah Jane Correll (1835-1932) sehr berührt, so dass sie die Geschichte ihrem Bruder, dem US-amerikanischen Schriftsteller John Luther Long (1861-1927) erst in einem Brief, dann persönlich davon berichtete. Aus seiner Niederschrift der Begebenheit gestaltete er mit dem Dramatiker und Theaterunternehmer David Bellasco (1853-1931) für dessen Theater die einaktige Tragödie „Madam Butterfly“. Giacomo Puccini (1858-1924) lernte das Stück im Juni 1900 im Londoner „Duke of York´s Theatre“ kennen und war von dem Aufeinanderprallen der fernöstlichen und amerikanischen Lebensauffassungen fasziniert. Die Rechte des Stoffes wurden gekauft und Luigi Illica mit der Abfassung eines Librettos beauftragt. Guiseppe Giacosa wurde für die Abfassung der Verse verpflichtet.

    Um eine „glaubhafte japanische Färbung seiner Komposition“ zu erreichen, nutzte Puccini als Inspirationsquellen alles was japanische oder chinesische Klangfarben aufweisen konnte. Mit diesen Inspirationen schuf ereine von herrlichen Momenten erfüllte, hemmungslos romantische Musik, die in der Oper mit ihrer Schönheit auf die Brutalität der Handlung trifft. Eine aus heutiger Sicht ist das eine erstaunliche Kombination.

    Deshalb sei die Frage erlaubt, ob man in der #MeToo-Ära diese Oper dem Publikum noch zumuten darf.

    Man darf, wenn die Regie sich ihrer Verantwortung der unangenehmen Gegensätze, so wie der japanische Gast Amon Miyamoto, Jahrgang 1958, gewachsen zeigt.

    Miyamoto belässt die Handlung im Jahre 1894, als der US-amerikanische Offizier Pinkerton, damals 25-jährig, nach Nagasaki kam, um als Beobachter den japanisch-chinesischen Krieg zu begleiten. Zu Beginn der Opernhandlung kennen sich Cio-Cio-San und Pinkerton bereits; möglicherweise von ihrer Arbeit im Teehaus. Die Emotionalität des Liebesduetts zum Schluss des ersten Aktes weist zumindest auf eine außergewöhnliche Leidenschaft, eine schicksalhafte Begegnung voller transzendenter Kraft der Beiden.

    Pinkerton hatte eine solche Frau noch nie getroffen, so dass nur noch der Moment zählt. Er musste diese Frau heiraten, egal was passiert, auch wenn in Amerika die Verlobte wartet.

    Im Kriegseinsatz schwer verletzt, heiratet Pinkerton in den Staaten die Verlobte Kate und beide holen den Sohn aus der japanisch-amerikanischen Beziehung samt der Kinderfrau Suzuki nach Amerika. Den Suizid der Butterfly motivierte bei Miyamoto nicht ihre Verzweiflung, sondern ist Folge der Erkenntnis der jungen Japanerin, dass ihre Situation nie wieder besser werden könne. Deshalb blieb das Endziel ihres Lebens, ihrem Sohn die Chance zu erhalten, Amerikaner zu werden. Ihm drückte sie zum Abschied symbolisch ein US-Fähnchen in die Hand und ging hinter den Wandschirm und man hört den Fall des Dolches…

    Doch der Pinkerton-Sohn, inzwischen erwachsen, wird in Amerika nicht glücklich. Er tut sich schwer mit seiner Identität und leidet unter der Fremdenfeindlichkeit, bis er in den 1920-er Jahren einen Abschiedsbrief seines Vaters erhält, der ihm die Geschichte der Beziehung zwischen seinen leiblichen Eltern eröffnet.

    Diesen Aspekt, der über die Sichtweise der Puccini-Oper hinaus führte, stellte Amon Miyamoto in einer Rahmenhandlung zur Oper und erzählte uns seine Interpretation des Puccini-Werkes mit dem Inhalt des Briefes eines ob seiner Gewissensnot schwer depressiven Menschen. Der erwachsene Sohn Cio-Cio-Sans und Pinkertons begleitete das Operngeschehen als Betrachtender und durch Körpersprache Kommentierender.

    Das Schlussbild war für mich problematisch, als die suizidierte Butterfly und der ob der Aufregungen des dritten Aktes offenbar verstorbene Anti-Held Hand in Hand „ins Licht „ gehen, so als ob die eigentlich Unmöglichkeit der Geschichte eine Verklärung ermögliche. Das mag allenthalben für den Gemütszustand des nach Hause entlassenen Besuchers tunlich sein, aber entspricht nicht unseren gesellschaftlichen Moralansprüchen.

    Die eindrucksvolle Bühne war von Boris Kudlička so gestaltet worden, wie man sich die Wohnverhältnisse in Nagasaki um 1900 vorstellen könnte. Das Spiel mit gewaltigen Vorhängen prägte über weite Strecken das Geschehen auf der Bühne. Phantastische Lichteffekte, einfallsreiche Videoeffekte mit überraschenden Allegorien und fast unbemerkte kleine symbolische Randhandlungen zeigten das Können der Gestalter.

    Die fantasievollen Kostüme stammten noch vom im Oktober 2020 verstorbenem Altmeister Kenzo Takada und entsprechen gleichsam unseren Vorstellungen japanischer Kleidung der Handlungszeiten.

    Garanten für einen glänzenden musikalischen Abend waren die Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die mit dem „noch –Ersten Gastdirigenten“ Omer Meir Wellber Puccinis Partitur mit zauberhaften Farben beleuchteten und den Singenden eine stabile Stütze sichern. Wellber nutzte seine Fähigkeit, melodische Linien zu entwickeln sowie mühelos zwischen Poesie und Spannung zu wechseln. Da war auch nicht eine Spur der Gefahr einer Verkitschung des Klangbildes zu erkennen.

    Die Cio-Cio-San von Kristine Opolais war keine zerbrechliche Fünfzehnjährige, sondern eine wissende, starke Frau, die sich die Liebe zu Pinkerton als Schicksal erwählt hat. Sie erahnte vom Beginn, dass der Traum vom amerikanischen Eheglück fragil ist, so dass ihr Suizid die Entscheidung bleibt, ihrem Sohn die Chance auf ein Leben in Amerika zu erhalten. Mit angenehm rund geführtem Sopran entfaltete sie Kraft in der Höhe, einen unbändigen Gestaltungswillen und durchaus demonstrative Gesten.

    Der warme Mezzosopran Christa Mayers, als die besorgte Suzuki, harmonierte auf das Wunderbarste mit dem Sopran der Titelheldin. Mit ihrer Zerrissenheit zwischen Treue zur Untergehenden, sowie die Erkenntnis der Ausweglosigkeit der Situation der Cio-Cio-San, trug sie wesentlich zur Verdeutlichung der Gemüts- und Stimmungslage ihrer Herrin bei. Neu, die sanfte Frau Mayer kann auch aggressiv werden!

    Den B.F. Pinkerton musste und konnte Freddie De Tomaso bei Miyamotos Ausdeutung seiner Beziehung zur Cio-Cio-San sensibler darbieten, als ihm in anderen Inszenierungen möglich gewesen wäre. Ihm kam zu pass, dass seine Tenorstimme doch in den mittleren Lagen hörbar wohler und weicher aufwarten kann, als in der Höhe, so dass er sympathischer wirkte.

    In der väterlich angelegten Partie des amerikanische Konsuls Sharpless war der Bariton Gabriele Viviani mit seiner Sorge um die jungen Leute und mit seinem Unbehagen stimmlich und darstellerisch hervorragend aufgehoben.

    Der Heiratsvermittler Goro von Aaron Pegram war mit seinem weltmännischen Auftreten, obwohl doch letztlich nur ein Zuhälter, eine gute Besetzung.

    Die übrigen Rollen waren ordentlich besetzt, blieben allerdings weitgehend unauffällig.

    Den Chor, von Jonathan Becker einfallsreich, präzise vorbereitet, ließ Wellber recht ungezwungen frei singen und erreichte so gute Wirkungen.

    Reichliche Ovationen für alle Beteiligten einer Inszenierung , die mit hoher Sicherheit ihren Weg im „Touristen-Repertoire“ der Semperoper finden wird.


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