Vom Konzertleben in Dresden

  • Gergiev brachte Skrjabin und Tschaikowski zu den Musikfestspielen 2019

    In der klassisch orientierten Musikwelt gilt der russische Komponist Alexander Skrjabin (1871-1915) für viele als ein Verrückter, als ein Egomane mit allerlei mystischen Vorstellungen. Wer sich aber näher mit ihm beschäftigt, erkennt ihn als genialen stilprägenden Komponisten des beginnenden 20. Jahrhunderts. Leider bereits im Alter von 43 Jahren verstorben, hat er sein Schaffen nicht in Ansätzen vollenden können. Dazu kommt, dass Skrjabin ob seiner Freundschaft mit Georgi Plechanow (1856-1918) immer mit einem gewissen Misstrauen gesehen wurde, obwohl er sich in die Auseinandersetzungen der zwischen-revolutionären Bewegung des zaristischen Russlands nicht eingebracht hatte. Seine Philosophie bleibt ungreifbar. Okkultismus, Theosophie, indische Philosophie, Nietzsche, Fichte, Schopenhauer, Symbolismus und Marxismusbaut er zu einem eigenen Denkgebäude, ohne sich einer Tradition verpflichtet zu fühlen. Mit seinen Kompositionen wollte er seine ästhetischen und weltanschaulichen Vorstellungen gestalten. Dabei genügten ihm die herkömmlichen Möglichkeiten nicht. Neben Orchester, Chor und Soloinstrumenten bezog er Farben und Bewegungen in seine Kompositionen ein. Zunehmend schafft er sich eine eigene Tonsprache, deren Vollendung sein früher Tod verhindert.

    Zu den Dresdner Musikfestspielen kam Valery Gergiev mit dem Orchester des Mariinski-Theaters und brachte neben Tschaikowskis vierter Sinfonie die einsätzigen „La Poème“ op. 54 und op.60 von Alexander Skrjabin mit. Das „Poème de l´extase“ op. 54 hatte Skrjabin 1905 in Genf begonnen, als ihn die Nachrichten von den revolutionären Ereignissen in Russland erreichten. Ektase bedeutete dabei SkrjabinHandlungsbereitschaft und gleichermaßen Schaffensrausch. Er schließt das einsätzige Werk als sinfonische Dichtung und nicht als 4.Sinfonie an seine Dreier-Serie an. Stattdessen wählt er die Form des einsätzigen Poems. Die Orchestersprache ist erweitert und eine differenziertere Klangfärbung soll „die göttliche Kraft des freien Willens in seiner Selbstverwirklichung durch die aktive Tat“ und deren Entwicklung zu diesem Ziel zum Ausdruck bringen.

    Diesem Grundkonzept ordnete auch Valery Gergiev sein Dirigat unter, indem er zunächst ziemlich verhalten seine gewaltige Orchesterbesetzung beginnen ließ. Mit für Gergiev ungewöhnlichemKörpereinsatztrieb er in der Folge seine Musiker in Skrjabins Mythologie und zu dessen Ekstase Begriff.Skrjabin hatte 1908 die Komposition noch mit einem Gedicht regelrecht erläutert: „Der Geist, /vom Lebensdurstbeflügelt, /schwingt sich auf zum/kühnen Flug“. Er hatte aber untersagt, dass die 369 Verse in die Partitur aufgenommen werden, weil sich die Dirigenten „auf die reine Musik beziehen sollten“.

    Das „Proéthée.Le poème du feu“ op. 60 hatte Skrjabin für ein überbordeten Orchesterapparat, ein Soloklavier, einen vierstimmig gemischten Chor und ein „Farbenklavier“ komponiert. Mit dieser multimedialen Konstruktion aus Musik und Lichtinstallation wollte er ein Gesamtkunstwerk für Auge und Ohr, ein Ansprechen mehrere Sinne erreichen. Er dachte sogar über die Einbeziehung von Gerüchen nach.

    Skrjabin hatte die „synästhetische Fähigkeit“, dass er beim Hören von Musik Farben sah. Derartige Erfahrungen wollte er mit dem Farbenklavier seinem Publikum gleichfalls vermitteln. Oberhalb der üblichen Instrumentalstimmen enthält die Partitur des „Prometheus-Poems“ eine als „Tasteria per luce“ bezeichnete Doppel-Stimme in traditioneller Notenschrift, wobei jedem Ton der Oktave eine Farbe zugeordnet ist. Die Zweistimmigkeit ermöglicht, dass Farben gemischt werden können.

    Im Konzert mit dem Orchester des Mariinski-Theaters hatte der Lichtdesigner Sebastian Marschner vorbereitet, dass Orchester und wechselnd die Saal-Rückwand mit sattem Licht unterschiedlicher Farben angestrahlt wurde. Die Pianistin Danae Dörken (geboren 1991) hatte übernommen, die Farbenauswahl den Klängen zuzuordnen und den Rhythmus des Wechsels der eigentlich der Musik zuzuordnenden Farbkombination zu bestimmen. Eigentlich war schon im Vorfeld klar, dass die von Skrjabin angestrebte Wirkung beim erstmaligen Erleben nur begrenzt erreicht werden könnte. Es lenkte zunächst die Lichtwirkung den ungeübten Besucher von der „Harmonik der wechselnden Klangzentren“ und dem wundervollen Klavierspiel des Solisten Ilya Rashkovskij ab. Dabei sind die sechstönigen „Klangzentren“ von 1908 eine Vorstufe der erst ein Jahrzehnt später entwickelten Zwölfton-Musik. Eine Wirkung des sogenannten „Mystischen Akkords“ dürfte dem übergroßen Teil der Hörer ohnehin verloren gewesen sein. Eventuell müssen wir am 19. September nach Magdeburg fahren, wo die neue Generalmusikdirektorin Anna Skryleva das Werk als Einstand ihrem neuen Publikum bieten möchte, um den Eindruck zu festigen.

    Im zweiten Konzert-Teil bot Valery Gergiev mit den Mariinsky-Musikern eine vollendet ausgereifte vierte Sinfonie von Peter Tschaikowski und enttäuschte ob der bekannten sparsamen Dirigierweise nicht.

    Nach der Zugabe erlebten die, Musiker auch wenn etwas zögerlich, stehende Ovationen für dieses außergewöhnliche Konzerterlebnis.

  • Drei russische Skandalstücke im 11. Symphoniekonzert der Staatskapelle

    Modest Mussorgski (1839-1881) gehört zu den faszinierenden musikalischen Außenseitern des 19. Jahrhunderts. Als autodidaktisches Genie hat er wie kaum ein anderer Komponist die Musik Russlands erneuert und andererseits derart viele unvollendete Werke hinterlassen.

    Die symphonische Dichtung „Johannisnacht auf dem Kahlen Berge“ entstand im Juni 1867 innerhalb weniger Tage und bezieht sich auf die Sage, dassin der Nacht zum Johannistag die Hexen auf dem Kahlen Berg bei Kiew den Teufel treffen.

    Zunächst wollte Mussorgski die Komposition für ein Opernprojekt „Mlada“ als Ballett verwenden. Als die Arbeit stockte und unvollendet blieb, sollte die Skizze in die Oper „ Der Jahrmarkt von Sorotschinzy“ als eine Traumsequenz eingebaut werden. Nach seinem frühen Tod nahm sich sein Freund Rimskij-Korsakow die „Johannisnacht auf dem Kahlen Berge „ vor und glättete das Geschehen von der größtmöglichen Schroffheit und Wildheit, dämpfte die starke Chromatik und die Dissonanzen der beiden Opernentwürfe. Vor allem verfeinerte er die Instrumentierung und versah diese Fassung mit einem versöhnlichen Schluss.

    Nach einem fulminanten Auftakt lässt Andrés Orozco-Estrada die Staatskapelle rhythmisch und flexibel eher tänzerisch spielen. Die Phrasierungen erscheinenmusikalisch sinnvoll, so dass noch die angedachte Ballett Verwendung durchscheint.

    Sergej Prokofjews Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 g-Moll op. 16 gehört zu den schwierigsten Klavierkonzerten des Repertoires. Die 1912 bis 1913 entstandene Erstfassung war dem Freund des Komponisten Maximilian Schmidthof gewidmet, der sich im April 1913 das Leben genommen hatte. Während des ersten Weltkrieges war die Partitur verloren gegangen, so dass Prokofjew eine Rekonstruktion des Werkes vornehmen musste.

    Für die Interpretation im 11. Symphoniekonzertwar die russische Pianistin Anna Vinnitskaya für ihr Debüt bei der Sächsischen Staatskapelle gewonnen worden. Bereits im ersten Satz zeigt sie im gedämpften Streicherbeginn ihre melodische Linie und verschärfte im Verlaufe des ersten Satzes ihre intensive Interpretation. Selbst mit ihrer Kadenz entwickelt sie Prokofjews Harmonien zu gleißenden Farben. Die langsamen Passagen werden zu regelrechten Treibern. Dass unerbittlich dahinrasende Scherzo verhindert beim Zuhörer jede Beschaulichkeit. Zwischen Traumverlorenheit und Bedrohlichkeit ist auch ihr dritter Satz Allegro moderato, von Orozco-Estrade mit dem Orchester auf das feinste verzahnt, angesiedelt. Fast spukhaft ihr mehrfaches Hakenschlagen zu Beginn des Finales, das auch kaum Gelegenheit zu lyrischen Augenblicken gewährt. Bei ihr vergisst man das Technische und ist hingerissen von der empfindsamen Gestaltung und der Kraft ihres Spiels.

    Diese Diktion wäre ohne den Maestro am Pult kaum möglich geworden, der die Musiker der Staatskapelle regelrecht symbiotisch mitgezogen hat. Immer wieder finden die Solistin und das Orchester lyrische Inseln, von denen aus die gewaltige Steigerung zum erhitzten Finale entwickelt werden konnte.

    Bleibt die Hoffnung, dass wir die noch junge Sibirerin noch häufig im Hause erleben dürfen.

    Igor Strawinskys Ballettmusik „Le sacre du printemps“ (Das Frühlingsopfer)- Bilder aus dem heimischen Russland, 1913 vom damals 31-jährigen komponiert und aufgeführt, gilt wegen seiner die Elementarkräfte des Rhythmus entfesselnden maßlosen Musik für Viele heute als der „Urknall“ der Moderne“ in der Musik. Enthält die Musik doch gleichsam hypnotische, hysterische, brutale, panische und manische Elemente. Führte die Uraufführung am 29. Mai 1913 mit der Djagilews-Ballett-Truppe in Paris noch zu einem handfesten Skandal, so hatte das Werk, wie kaum ein anderes der musikalischen Moderne, so schnell ein breiteres Publikum erreicht und sich weltweit im Konzertleben durchgesetzt. Passiert es doch selten, dass der ästhetische Rang und die historische Bedeutung eines Kunstwerkes zeitlich in Übereinstimmung sind. Andrés Orozco-Estrada, mit den Musikern der Staatskapelle aus den Vorjahren bestens bekannt, trieb das Orchester mit viel Körpereinsatz und sichtlicher Musizierfreude in etwa vierzig Minuten durch die Partitur. Es war nicht zu übersehen, dass diese Komposition zu den Lieblingswerken des Kolumbianers gehört. Die Schwierigkeiten, aus der musikalischen Struktur des Stückes das Intelligente, Logische sowie Intensive zu erkennen und mit dem Orchester umzusetzen, war ihm auf das Eindrucksvollste gelungen. Den Konflikt, dass hier ein Ballett als ein reines Orchesterstück geboten wurde, löste der Dirigent mit dem Orchester, so dass eine regelrechte Orchesterchoreographie die Tanzpartien ersetzte. Die hohe Qualität der Staatskapelle war für Orozco-Estrada ein sicherer Garant für ein wunderbares Konzert.

    Beglückend für den aufgeschlossenen Teil der Konzertbesucher, diese drei Meilensteine der russischen Musik so komprimiert an einem Abend erleben zu dürfen.

  • Danke für die Schilderung! Welche Nacht-auf-dem-kahlen-Berge-Fassung wurde denn gespielt? Du hast ja die Entstehungsgeschichte erwähnt, aber welche Fassung gegeben wurde, kommt nicht wirklich heraus aus Deinem Text :D

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Danke für die Schilderung! Welche Nacht-auf-dem-kahlen-Berge-Fassung wurde denn gespielt? Du hast ja die Entstehungsgeschichte erwähnt, aber welche Fassung gegeben wurde, kommt nicht wirklich heraus aus Deinem Text :D

    Gespielt wurde die Fassung von Rimski-Korsakow, also jene mit dem versöhnlichen Schluss des angefügten Tagesanbruchs.

  • Alles klar, danke! In Wien habe ich vor einem knappen Monat die Urfassung gehört

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Plácido Domingo und Böschs Nabucco

    Plácido Domingo singt „Nabucco“ in Dresden

    Sehr viel ist zu David Böschs Nabucco-Inszenierung an der Semperoper Dresden nicht zusagen. So wie die Soldaten des babylonischen Herrschers Nabü-kudurrï-ușur II. ( um 640 v. Chr. Bis 562 v. Chr. ) im Jahre 595 v. Chr. Jerusalem nach langer Belagerung eroberten, werden ideologische oder religiöse Unterschiede noch immer als Vorwände für kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Volksgruppen oder für Bürgerkriege genutzt. Sinddoch offenbar große Teile der Menschheit im Verlaufe der letzten zweieinhalb Jahrtausende kaum klüger geworden. Deshalb war es für Bösch einfach, den Hebräern und Babyloniern Verdis Uniformen und zeitgenössische Kleidung anziehen (Kostüme: Meentje Nielsen) und sie in einer Ruinenstadt unserer Zeit agieren zu lassen. Damit dürfte die Inszenierung deutlich näher am biblisch überlieferten Geschehen bleiben, als das Libretto von Temistocle Solera. Patrick Bannwart stellte eine an den Turmbau von Babel erinnernde Stahlbau-Ruine auf die Bühne und konfrontiert uns mit Fernsehbildern unserer Tage aus Syrien, dem Irak, der Ost-Ukraine oder Jemen. Der Turm, vertikal geteilt und an die Bühnenränder verschoben, bildete für die weitere Vorstellung die Spielfläche.

    Bleibt damit nur, die leider nicht durchgängig handwerklich gute Personenführung Böschs zu loben und über die musikalischen Aspekte des Opernabends zu schreiben:

    Da wäre unbedingt der von Jörn Hinnerk Andresen hervorragend vorbereitete Staatsopernchor, der gemeinsam mit dem Sinfoniechor Dresden und der Komparserie das Rückgrat der Vorstellung bildete. Dazu die Musiker der Staatskapelle, wieder unter der sorgsamen Leitung des „gesundeten“ Omer Meir Wellber, der seine Intensität hervorragend den Möglichkeiten und Erfordernisse der Bühne anpasste.

    Zur Besprechung der Eindrücke der Gesangs- und Schauspielerleistungen der Solisten erfordert es in Böschs Auslegung der Verdischen Komposition schon ein gehöriges Abstraktionsvermögen. So sehr ich ansonsten Szenenapplaus als störend empfinde, hier war er angebracht, weil doch das Gehörte und das Gesehene keinen gemeinsamen Fluss bildeten. Da war die „Beifalls-Pause“ sogar hilfreich.

    Die Titelrolle hatte der zu seinen Bariton-Anfängen zurück gefundene PlácidoDomingo mit der gesamten Bühnenpräsenz seiner Persönlichkeit übernommen. Er musste die Rolle komplett in einer Felduniform unserer Tage singen und spielen. Mit einem stimmlichen Spektrum von Donner und Demut tritt er gewaltig bis geschmeidig auf. Nachhaltige Eindrücke hinterlassen vor allem seine ruhigeren Darstellungen im Wahnsinns-Monolog im 4. Akt.

    Die Spanierin Saioa Hernándes bot in ihrem Rollen- und Deutschlanddebüt als Spinto-Sopranistin alles, was zur Gestaltung der Figur der Abiggaille zur Verkörperung ihres Machthungers und ihrer Brutalität benötigt wurde: Die Höhen und Tiefen, die Attacke und das Lyrische für die wenigen psychologischen Momente. Ob ihre Zornausbrüche im ersten Akt oder ihr Duett mit Plácido Domingo im 3. Akt, immer war sie richtig dominierend.

    Kaum weniger Beeindruckend die zurückhaltendegehaltene Gestaltung ihrer Halbschwester Fenena durch die Mezzosopranistin Christa Mayer. Ihr Geliebter Ismaele, vom italienischen Tenor Massimo Giordano dargestellt, bot eher Schöngesang als Leidenschaft oder gar Kampfesmut.

    Den Oberpriester des Baals zelebrierte der aus Korea stammende Bassist Sejong Chang stimmgewaltig als blutrünstiger Rächer. Für den emotionalenHöhepunkt und für einen musikalischen Glanzpunkt der Aufführung sorgten der Chor und der Bassist Vitalij Kowaljow mit dem letztlich eigenständig in das „Geschehen“ eingebaute „Flieg Gedanke auf goldenen Schwingen“.

    Den frenetischen Schluss-Beifall, der sich dann zum Stakkato und stehend entwickelte, verdanken die Mitwirkenden zweifelsfrei der Person des Plácido Domingo. Verdient hat es das gesamte Ensemble.

  • Die Premiere "Les Huguenots" in der Semperoper am 29.06.2019

    Seit der deutschen Erstaufführung der Oper „Die Hugenotten“ 1837 in Leipzig ist das Erfolgswerk des Giacomo Meyerbeer (geboren als Jakob Meyer Beer in Berlin) am 29. Juni 2019 zum vierten Mal auf die Bühne der Semperoper gebracht worden. Für die Inszenierung war Peter Konwitschny gewonnen worden, nachdem er seit seiner Csardasfürstin vom Silvester 1999 die Elbestadt gemieden hatte. Oder hatte sich das Haus nach dem verlorenen Rechtsstreit derart verschreckt? Dem damaligen Intendanten war sogar vom Gericht Haft angedroht worden, wenn er die Urheberrechte Konwitschnys an der Operetten-Inszenierung nicht achte und Handlungen in einem Schützengraben des Uraufführungsjahres der Komposition 1915 nicht wiederherstellen lasse.

    Eigentlich hatte Peter Konwitschny „Le Huguenots“ 2017 der Pariser Opéra Bastille inszenieren sollen, war aber ausgeladen worden. Er konnte sich mit dem Dirigenten Michele Mariotti nicht über Streichungen einigen. Und für seine Kompromissunfähigkeit in Fragen der Werkauffassung ist der „Regisseur des Jahres“ nun mal bekannt.

    Wesentlich zurückhaltender hatte ich Peter Konwitschny im Jahre 1951 kennen gelernt. Zu den Dienstobliegenheiten meines Vaters als Stadtteil-Verwaltungsleiter von Leipzig-Schleußig gehörte, dem frischen Nationalpreisträger und damaligen Gewandhauskapellmeister Franz Konwitschny zu gratulieren. Aus irgendeinem Grunde begleitete ich meinen Vater und uns wurde dabei auch das im Garten spielende 6-jährige Bürschlein vorgestellt.

    Der Fließband-Schreiber Eugène Scribe(1791-1861) fertigte 1832 für Meyerbeer ein Libretto mit einer fiktiven Handlung um das Geschehen des „Massacrede laSaint-Bartthélemy“, der Bartolomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572. Er nutzte dabei die Auseinandersetzungen zwischen den vom spanischen Königshaus unterstützten Katholiken mit den calvinistischenHugenotten. Katharina von Medici, die Mutter des schwachen Königs, wollte den fragilen Frieden von 1570 stabilisieren und arrangierte am 18. August1572 eine Hochzeit ihrer katholischen Tochter Marguerite mit dem protestantischen Heinrich von Navarra, dem späteren Henri Quatre. Zu den vier Tage dauernden Hochzeitsfeierlichkeiten waren mit etwa 3000 Hugenotten auch deren sämtliche Führer nach Paris gekommen. Ein allerdings missglücktes Attentat auf deren Repräsentant Admiral de Coligny verunsicherte die Hugenotten und sie forderten Rache. Vermutlich sah die Katharina von Medici ihre Versöhnungsversuche gescheitert und nutzte die Gelegenheit, dass alle Hugenottenführer an einem Ort versammelt waren. In der Nacht zum 24. August ließ sie alle Hugenottenführer umbringen. In dessen Folge begann in den Morgenstunden ein bis Dato nicht vollständig aufgeklärtes pogromartiges Gemetzel an den Hugenotten, derer man habhaft werden konnte.

    Giacomo Meyerbeer war mit der Arbeit Scribes nicht zufrieden und zog den Schriftsteller ÉmileDeschampsin (1791-1871) zur Anpassung des Textes an seine Erfordernisseheran. Auch Verse des Gaetano Rossi (1747-1855) wurden im Libretto verwendet.

    Die Librettisten folgten bei der Entwicklung der Handlung den historischen Abläufen, die zur Erkenntnis führen, dass gesellschaftliche Konflikte nur durch gesellschaftliche Entwicklungen und nicht mit individuellen Aktivitäten gelöst werden können. Denn erst nach 26 Jahren harter Verhandlungen vor allen von Heinrich IV. wurde mit dem Edikt von Nantes für 87 Jahre ein relativer Religionsfrieden in Frankreich ermöglicht.

    Peter Konwitschny hatte seine Inszenierung in der Zeit belassen und die Geschehnisse um die Bartolomäusnacht recht konsequent, soweit ihm das Libretto Spielraum gab mit brillant inszenierten Massenszenen sichtbar gemacht. Wer mit einigem Wissenüber die historischen Ereignisse ins Haus gekommen war, dem wurde begreiflich gemacht, wie sich eine Situation, hier als religiöser Konflikt dargestellt, aufschaukeln kann und zur Katastrophe führen muss.

    Gelungen fand ich die Verlegung des ersten Teils im des zweiten Aktes in eine Badestube, in dessen Verlauf der calvinistische Edelmann Raoul de Nangis von der Königin von Navarra in einer Badewanne verführt wurde. Als glänzenden Regieeinfall fanden wir, dass das bei Meyerbeer in der Mitte des Gemetzels im fünften Akt angeordnete fragende Bassklarinetten-Solo erst am Ende des Geschehens erklingt; mit dem Tod verklingt auch die Musik.

    Die Bühnenbild Gestaltung von Johannes Leacker half der Regie, indem das gesamte Spiel in einer Halle verortet war. Deren Wand-Täfelung wurde mit hellen Bereichen den Protestanten und mit dunklen Vertäfelungen den Katholiken zugewiesen. Gut organisierte Statisten bauten mit wenigen Räumungen die Szene um. Das war handwerklich gekonnt.

    Die Dresdner Malerwerkstatt hatte für die Inszenierung einen wunderbar gelungenen Zwischenvorhang mit einer Kopie da Vincis Abendmahl gefertigt, der zwischen den Akten den Parteien vor Augen führte, was sie eigentlich einen sollte: die gemeinsame Herkunftvon der Lehre Jesus.

    Die musikalische Wirkung kam vor allem von den hervorragenden Chorszenen und vom Orchester unter der Leitung des Österreichers mit ungarischen Wurzeln Stefan Soltés. Gesungen wurde recht differenziert: Makellos die Marguerite de Valois der russischen Koloratur-Sopranistin Venera Gimadieva. Jenniver Rowley gab der Valentine den vollen Glanz ihrer Stimme eigentlich erst ab dem vierten Bild in der Szene mit dem Raoul von John Osborn. Von seinem Einsatz hatte ich letztlich mehr Glanz erwartet.

    Hervorragend war das Kabinett-Stück des Ensemblemitglieds Stepanka Pucalkovain der Rolle des Pagen. Gute Leistungen, oft an den Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten sind Tilmann Rönnebeck als Graf de St. Bris, John Relyea als Marcel, ChristophPohl als Graf de Nevers und Magnus Piontek als Méru. Sabine Brohm durfte sogar direkt in das Auditorium singen.

    Die Reaktion des Premierenpublikums blieb differenziert. Die beiden Pausen hatten bereits Lücken in den Sitzreihen verursacht. Ich konnte von meinem Platz um sechs Sitze bis zum MittelplatzPlatz der Reihe sechs rücken. Aber bei den wenigen, offensichtlich unvermeidlichen Buh-Rufen für das Inszenierungs-Kollektiv, gab es herzlichen und begrenzt auch stehenden Beifall. Für mich denke ich, dass bei einem von Wagner, Mahler, Schostakowitsch und Bruckner verwöhntem Publikum die Musik Meyerbeers doch etwas aus der Zeit gefallen ist.

    Für mich war auch der gehäufte Szenen-Beifall schlimm, der das musikalische Geschehen zusätzlich zerhackte und wenig Fluss aufkommen lies.

  • Danke thomathi für deine Berichte!
    „Nabucco“ und „Les Huguenots“ – zwei wahre Meisterwerke, die ich mir einfach nicht entgehen lassen konnte. Ich sah nur eine nicht ganz so prominente Besetzung: Die Titelrolle im Nabucco sang in „meiner“ Vorstellung (28.5.2019) nicht Plácido Domingo, sondern Andrzej Dobber.
    Der Qualität der Aufführung tat das keinen Abbruch. Zwei fantastische Inszenierungen, die Musik sowieso einsame Spitze – der perfekte Saisonabschluss!
    Den größtenteils lobenden Worten kann ich mich nur anschließen, aber nicht weiter ins Detail gehen. Ich habe einfach die wunderschöne Musik in vollen Zügen genossen.

    Viele Grüße aus Sachsen
    Andrea

  • Martinu´s 2. Violinkonzert und "Wiener Schmäh"

    Der noch-amtierende „Capell-Virtuos“ Frank Peter Zimmermann und seine Lady Inchiquin verabschiedeten sich im letzten Saisonkonzert von der Staatskapelle und deren Stammpublikum mit Bohuslav Martinů´s „Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 H 293“. Das Orchester wurde von Manfred Honeck dirigiert.

    Bohuslav Martinů, 1890 in Böhmen geboren, ging 1923 nach Paris um seinen bei Josef Suk begonnenen Kompositionsuntericht bei Albert Roussel zu komplettieren, aber auch um dem Prager „Smetana-Kult“ zu entkommen und sich anderen Einflüssen zu öffnen. Der Impressionismus, der Neoklassizismus Strawinskys sowie der Jazz, aber auch Honegger und Milhaud beeinflussten sein Schaffen. Häufig stellte er die Stilistik seiner Arbeiten um.In den 1930er Jahren widmete er sich dem Irrationalen und einer von Fantasien bestimmten Traumlogik. Zunehmend bekommen Elemente des Fantastischen Platz in seinen Arbeiten. In seinen letzten Schaffensjahren, Martinů starb nach jahrelangem USA-Aufenthalt 1959 in der Schweiz, öffnete er sich philosophischen Gedankengängen und kehrte zu den Impressionistischen Harmonien zurück. Nie verblasste aber seine Verbundenheit zur Musik seiner böhmischen Heimat.

    Für seine geringe Präsenz in den Konzertsälen dürfte der eigenwillige Formenbau seiner Musik, ihre Beweglichkeit, ihr Mangel an festen Themengebilden und wohlvertrauten Anhaltspunkten verantwortlich sein. Das stellt die Interpreten vor Schwierigkeiten, die sie bei dieser anscheinend so milden Tonsprache kaum vermuten. Die Avantgardisten wenden sich ab, selbst Neo-Barock und Folklorismus werden ihm angehängt.

    Frank Peter Zimmermann ist es zu verdanken, dass Martinůs Violinkonzerte in der letzten Zeit häufiger in den Konzertprogrammen auftauchen.

    Natürlich gibt es auch eine Anekdote zur Entstehung des Violinkonzerts Nr. 2: der ukrainische Geigenvirtuose Mikhail Elman (1891-1967) wollte sich im Januar 1943 in der Carnegie Hall Schostakowitsch-Musik mit dem Boston Symphonie Orchestra anhören, hatte aber das Datum verwechselt und war in ein Konzert mit Martinůs erster Symphonie geraten. Mischa Elman war von der Musik so begeistert, dass er den Komponisten am folgenden Tag aufsuchte, um von Martinů ein auf ihn abgestimmtes Violinkonzert zu erbitten. Erst als Elman für Martinů ein Konzertprogramm improvisierte, um seinen charakteristischen lyrischen und durchsetzungsfähigen Stil zu demonstrieren, änderte der Komponist seine barsche Ablehnung in Schweigen. Nachdem der verunsicherte Geiger längere Zeit von Martinů nichts hörte, überraschte ihn der Komponist eines Tages mit der fertigen Partitur. Noch am 31. Dezember 1943 wurde das Werk mit dem Solisten Elman in Boston aufgeführt.

    Das von mir besuchte Konzert begann mit der pointierten Andante-Einleitung durch das von Manfred Honeck geleite Orchester, der sich Zimmermann betont und ruhig mit einem Solo entgegen stellte. Den Hauptteil des ersten Satzes bildete eine lyrisch-musikalische Kommunikation bis der Solist mit einer Kadenz das Orchester moderater zum Andante des Satzbeginns zurückführte. Den Mittelsatz spielten Solist und Orchester sanft, einer schönen Kadenz und mit einem ruhigen Zusammenspiel, bevor Manfred Honeck die Darbietung in das Poco Allegro überleitete. Zimmermann spielte schnell, lebhaft und dramatisch. Er und Honeck erhöhten gegen das Satzende weiter das Tempo, um den Abschluss als furioses Finale zu erreichen. Klaus Peter Zimmermann hatte mit seiner Interpretation mit Elan die süffigen Lyrismen der Komposition ausgeschöpft und mit schlanken, klaren Ton ein fulminantes Plädoyer für diese gewaltige Musik geboten. Er hat offenbar viel Arbeit in die Verdaulichkeit des Stückes investiert. Seine Bogenarbeit ist charakteristisch durchdacht, insbesondere seine Liebe zum Detail. Andererseits schlich sich der Eindruck ein, dass Orchester und Solist kaum miteinander und eigentlich ob der Schwierigkeiten der Komposition mehr nebeneinander gespielt hätten. Das mag aber auch an der mangelnden Klarheit des Klangspektrums gelegen haben. Der Orchesterklang wirkte stellenweise matschig, expressionistisch und gelegentlich atonal.

    Dementsprechend war auch der Beifall, gemessen an der Leistung der Agierenden, recht matt.

    Eingerahmt war das Violinkonzert von Antonin Dvořáks „Karneval-Ouvertüre op. 92“ von 1891 und einer Zusammenstellung Wiener Musik.

    Dvořák komponierte am Beginn der 1890er Jahre drei Konzertouvertüren unter dem Titel „Natur, Leben und Liebe“. Später erst wies er jedem der Teile einen Titel zu, offenbar um ihnen einen leichteren Zugang zu den Konzertsälen zu ermöglichen. Der erste Teil wurde „In der Natur“, der zweite „Karneval“ und der dritte „Othello“ benannt. Das karnevalistische Treiben steht für rauschhafte Feste und Partys, alle Lust und Schönheit des Lebens, und für den Komponisten als offenen Raum für unsere Inspiration. Mit vollem Orchestereinsatz und vielen Beckenschlägen ließ Manfred Honeck die Ouvertüre beginnen. Ausgelassen und nahezu unkontrolliert hielt das Leben Einzug. Bis dann die Streicher den Genuss des Lebens mit viel Romantik kontrastierten. Die Solo-Klarinette übernahm ein Motiv aus der „Natur“ und veranlasste ein Nachdenken. Immerhin ist irgendwann Aschemittwoch. Mit differenziert instrumentiertem Tschingderassabum klang die Ouvertüre aus und bereitete so die Stimmung für das Violinkonzert.

    Wer das Haus auf die Idee brachte, die Konzertsaison mit Wienerischem von Franz von Suppé und den Strauß-Brüdern abzuschließen, ist auf jeden Fall einer Überlegung wert. Zumal die Freunde der Staatskapelle derzeit nicht gut auf die Donau-Metropole zu sprechen sind. War es der Wunsch von Franz Welser-Möst, der ursprünglich das Konzert dirigieren sollte, oder war es dem Umstand geschuldet, dass Orchester und Dirigent am Abend der Generalprobe das open air „Klassik Picknickt“ zu bestreiten hatten.

    Jedenfalls entwickelte sich der zweite Teil des Konzertes nach der Pause eher zu einem Gaudi, als zu einem ernst zunehmendem Symphoniekonzert. Die Musiker hatten offensichtlich Freude und Spaß am Programm. Auch das Publikum war nach dem schwer verdaulichen ersten Konzert-Teil in der Mehrzahl von der leichten Muse angetan.

    Mit dem gebürtigen Österreicher Honeck war auch ein Fachmann, der die „Wiener Musik“ mit ihrem raffinierten Schmäh mit der Muttermilch aufgesogen hat, am Pult tätig.

    Die Schluss-Ovationen waren entsprechend intensiv und genügten für das gesamte Konzert.

  • Hallo, danke für die Schilderung!

    Für seine geringe Präsenz in den Konzertsälen dürfte der eigenwillige Formenbau seiner Musik, ihre Beweglichkeit, ihr Mangel an festen Themengebilden und wohlvertrauten Anhaltspunkten verantwortlich sein. Das stellt die Interpreten vor Schwierigkeiten, die sie bei dieser anscheinend so milden Tonsprache kaum vermuten.

    Das trifft ziemlich gut, was Martinůs Musik interessant und auf den ersten Blick schwer zugänglich macht. Ich liebe Martinů, er sollte viel öfter gespielt werden!!

    Zumal die Freunde der Staatskapelle derzeit nicht gut auf die Donau-Metropole zu sprechen sind.

    Wieso? Was ist denn los?

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Wieso? Was ist denn los?

    Die Wiener Symphoniker haben den erfolgreichen Orchester-Direktor Jan Nast abgeworben. Und bei drei Monaten Kündigungsfrist ist eine vernünftige Nachfolge ab Oktober 2019 nicht einfach zu händeln.

  • Danke für die Information! Das war mir unbekannt.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Ein Höllenritt mit Yuja Wang und dem "Ersten Gastdirigenten"

    Sergej Rachmaninows 3. Klavierkonzert d-Moll op. 30 gehört zu den Rekordhaltern berüchtigter Musikstücke. Unspielbar und Elefantenkonzert sind die häufigsten dem Werk angehängten Bezeichnungen. Mit dem Konzert wird ein Niveau der erforderlichen pianistischen Virtuosität erreicht, das in der Folge sinnvoll kaum steigerungsfähig ist. Im Klavierpart hat das Rach. 3 von den großen Klavierkonzerten stellenweise die meisten Noten pro Sekunde. Unter dem Druck des technisch hochkomplizierten Werkes soll der durch eine schizoaffektive Störung vorgeschädigte australische Pianist David Helfgott 1970 sogar den Verstand verloren haben. Inzwischen spielt er zwar das Konzert wieder. Mit einem über Helfgotts Comeback gedrehtem Film:„Shine-Der Weg ins Licht“ gelangte das 3. Klavierkonzert in die Lichtspielhäuser der Welt und damit auch zu breiter Popularität.

    Der sechsunddreißig jährige Pianist Rachmaninow war 1909 zu einer Tournee in die Vereinigten Staaten eingeladen worden. Da sein 2. Klavierkonzert in den USA nur verhalten aufgenommen worden war, er aber auf einen finanziellen Erfolg des Gastspiels angewiesen war, beschloss er, mit einem neuen Konzert anzureisen. Im April 1909 verließ die Familie Dresden und zog sich auf das Familiengut der Rachmaninows Iwanowka zurück. Unter extremen Zeitdruck komponierte er sein d-Moll-Konzert, weil bereits im November Tourneebeginn vertraglich vereinbart war. Am 23. September war die Komposition soweit fertig, so dass der Komponist die Überfahrt nutzen konnte, auf einem stummen Klavier den Solopart des „Konzertes für einen Elefanten“ zu üben. Am 28. November 1909 fand dann in der Carnegie Hall die Uraufführung mit dem Solisten Rachmaninow und dem New York Symphony Orchestra unter Walter Damrosch statt. Die Kritik bemängelte etwas ratlos, dass dem Konzert Rhythmus und harmonische Kontraste fehle. Erst die Aufführung des Konzertes mit dem „New York Philharmonic“ unter Gustav Mahleram 16. Januar 1910 brachte, allerdings nach intensiver Probenarbeit des Pianisten Rachmaninow, den Erfolg.

    Im ersten Symphoniekonzert der Saison 2019/20bot Yuja Wang das Konzert mit der Staatskapelle und deren ersten GastdirigentenMyung-Whun Chung. Die Pianistin haben wir inzwischen mehrfach als technisch auf höchstem Niveau agierende Virtuosin kennen gelernt. Aber mit philosophischem Tiefgang war sie zumindest mir bisher nicht aufgefallen. Mithin war sie mit ihrer extremen Leichtigkeit des Spieles und ihrer Intensität bei der Bewältigung des oft halsbrecherischen Tempos der Partitur die ideale Interpretin des Virtuosen-Stückes. Auch wenn sich gelegentlich der Eindruck einstellte, dass es sich beim Konzert um Kampfsport handele. Mit ihrer unwahrscheinlichen Technik jagte sie durch die schnellen Passagen des Konzerts und trieb das Orchester vor sich her.

    Myung-Whun Chung begleitete das ungestüme Klavierspiel mit den Musikern der Staatskapelle nuanciert, pünktlich und lebendig. Er rundete so die Interpretation in vollkommener Form ab und verschaffte uns damit einen lebendigen Saisonauftakt.

    Im zweiten Konzert-Teil der Saisoneröffnung brachte Myung-Whun Chung mit der Staatskapelle die zweite Sinfonie von Johannes Brahms zu Gehör.

    Während sich Johannes Brahms mit seiner ersten Symphonie von, der ersten Planung 1854 bis zur Uraufführung im November 1876, regelrecht herumgeplagt hatte, konzentriert sich, (zumindest nach unserem Wissen über die Arbeit an der zweiten Symphonie), die Entstehung auf das Jahr 1877. Weil Brahms keine Kompositionsskizzen hinterließ, ist die Entstehungsgeschichte nur von Briefen und Äußerungen des Komponisten abzuleiten. Danach entstand die Symphonie vor allem während eines Sommer-Aufenthalts im Juni 1877 in Pörtschach am Wörthersee. Im September begab sich Brahms anschließend, wie seit1865 in jedem Jahr, nach Lichtenthal bei Baden –Baden.

    Dort hatte 1862 Clara Schumann ein Haus gekauft, um sich zwischen ihren anstrengenden Konzert-Tourneen, die üblicherweise vom Oktober bis zum Mai dauerten, zu erholen und sich mit ihrer Familie sowie Freunden zu treffen. Für Brahms war im Haus unter dem Dach eine Wohnung mit zwei Zimmern eingerichtet. Nach Berichten der Schumann-Töchter sei Brahms 1877 recht mürrisch gewesen, was auf seine unglückliche Situation in der Hausgemeinschaft zurückgeführt werden könnte. Er gehörte zwar wie selbstverständlich zur Familie, nahm aber keine eindeutige Stellung, weder als Ehemann noch als Sohn, ein. „Wir Kinder hatten Brahms alle sehr gern, aber wir behandelten ihn wie einen, der eben da ist“, erinnert sich die Tochter Eugenie. Clara und Johannes musizieren zusammen, gehen spazieren und essen gemeinsam, fanden aber nicht mehr zueinander, nach dem sie beide bereits 1856 beschlossen hatten, getrennte Wege zu gehen.

    Am 24. September berichtet Clara Schumann, Brahms habe eine neue Symphonie fertig. Die Uraufführung des Werkes fand am 30. Dezember 1877 in Wien unter der Leitung von Hans Richter statt. Ab dem 10. Januar 1878 ging Brahms mit seiner Schöpfung von Leipzig auf eine erfolgreiche Tournee.

    Die Symphonie D-Dur op. 73 wird häufig als heiter, natürlich und pastoral charakterisiert. Tiefere Analysen unterstellen aber Johannes Brahms eine ambivalente Haltung zur Naturpoesie. Er selbst berichtete von melancholischen Stimmungen, so dass der Begriff der „gebrochenen Idylle“ das Werk besser beschreibt. Auch zweifelt man inzwischen an, dass Brahms zunächst die Ecksätze und erst zum Schluss die Mittelsätze komponiert habe.

    Intensiv führte Chung die Musiker im gesamten ersten Satz in einem großen Spannungsbogen durch die Partitur. Dabei entstand die Spannung vor allem durch ein ungewöhnlich strikt gleichmäßiges Tempo, ohne die kraftvolle Steigerung in der Durchführung des zweiten Themas zu vernachlässigen. Das Adagio non Troppo begann mit einer wehmütigen klangvollen Kantilene der wunderbaren Violoncelli-Gruppe der Staatskapelle. Chung formte in der Folge die brahmssche Sehnsucht nach etwas Unerreichbaren als eine Naturidylle und bringt dabei die dunklen Farben und grüblerischen Momente auf das Eindrucksvollste zur Geltung.

    Mit demdritten Satz „Allegro grazioso“ lockert Myung-Whun Chungdie Bedeutungsschwere der beiden ersten Sätze behutsam auf. Mit dem Finale betonte er aber wieder das brahmssche Grübeln und die Tiefsinnigkeit. Der Schluss wurde damit nicht zum Jubel, sondern eher zu einem fiebrigen Ausklang.

    Wie schon so oft, begeisterte Myung-Whun Chungs Dirigat mit seiner Detailgenauigkeit, der Präzision und seiner Energie. Er hatte aber offenbar begriffen, dass nach dem Rachmaninow-Feuerwerk die Besucher eher etwas gedämpft waren und schickte sein Publikum mit einem fulminant vorgetragenen„Ungarischen Tanz“ nach Hause.

  • Junge Talente treffen Jahrzehnte Pulterfahrung: Das Mahler Jugendorchester mit Herbert Blomstedt

    Nachdem 1976 das Jugendorchester der Europäischen Union seine Tätigkeit aufgenommen hatte, bemühte sich eine Gruppe um Claudio Abbado (1933-2014), das gemeinsame Musizieren auch jungen österreichischen Musikern mit Kollegen aus der Tschechoslowakei und Ungarn zu ermöglichen. Im Jahre 1978 wurde deshalbdas „European Community Youth Orchestra“ gegründet, um freie Probespiele in Ländern des Ostblocks zu ermöglichen. 1986 formte Abbado aus der zunächst lockeren Vereinigung das „Gustav Mahler Jugendorchester“, das seit 1992 für junge Musiker bis zum 26. Lebensjahr aus ganz Europa zugänglich wurde. Damit war das einzige internationale Jugendorchester, das künstlerisch und organisatorisch unabhängig von öffentlichen, institutionellen sowie privatwirtschaftlichen Trägern tätig ist, entstanden. Seine Tätigkeit ist nicht gewinnorientiert und gilt heute als die Talentschmiede für europäische Orchestermusiker.

    Alljährlich bewerben sich über 2000 Musiker, von denen die talentiertesten in die Orchesterprojekte, den Auftritten in renommierten Konzertsälen und führenden Festivals, einbezogen werden. Dann arbeiten sie mit den bedeutendsten Dirigenten und Solisten unserer Zeit zusammen und sammeln so Erfahrungen, die für ihre künftige Laufbahn als Profi-Musiker entscheidend werden können. Musiker der sächsischen Staatskapelle, so der 1. Konzertmeister Matthias Wollong, die Solooboistin Céline Moinet, der Solokontrabassist Petr Popelka und zwölf weitere jetzige Mitglieder sind über das Jugendorchester nach Dresden gekommen. Auch in der Dresdner Philharmonie sind acht „Ehemalige“ tätig.

    Im sächsischen Konzertleben hat das Gustav-Mahler-Jugendorchester inzwischen einen festen Platz. Mit der „Sächsischen Staatskapelle“ verbindet das Orchesterein Kooperationsvertrag.

    Das Konzert am 1. Semper 2019 im Semperbau war eine Hommage an ein Konzert vom 8. September 2010 mit dem gleichen Dirigenten Herbert Blomstedt, dem identischen Solisten Christian Gerhaher und einem vergleichbaren Programm: „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler und der 9. Symphonie von Anton Bruckner.

    Nun traf wieder die jahrzehntelange Pulterfahrung auf den jungen Künstlernachwuchs. Auch einer der profiliertesten Lied- und Konzertsänger Christian Gerherhar gestaltete wieder einen Teil des Konzerts, diesmal am Beginn des Abends mit den „Rückert-Liedern“ von Gustav Mahler.

    Friedrich Rückert (1788-1866) war als Sprachgelehrter, der sich mit über 40 Sprachen beschäftigt hatte, einer der Begründer der deutschen Orientalistik und ein unwahrscheinlich kreativer Dichter. Mit seinen Gedichten kompensierte er seine Gefühlswelt. Nach dem Scharlach-Tode zweier seiner Kinder zum Jahreswechsel 1833 zu 1834 hat er allein zur Bewältigung seines Schmerzes 426 Gedichte geschrieben, von den einige Gustav Mahler für seine „Kindertotenlieder“ auswählte. Für seine „Rückert-Lieder“ wählte Mahler fünf selbstständige Einzelwerke Rückerts, die Mahler offenbar besonders berührten. Neben „Blicke mir nicht in die Lieder“, „Ich atme einen Linden Duft“, „Um Mitternacht“ und „Liebst du um Schönheit“ beeindruckte ihn besonders „Ich bin der Welt abhanden gekommen“.

    Christian Gerhaher sang mit klarem schlanken Bariton und vorbildlicher Textverständlichkeit in ruhigem Erzählton. Er konnte den jeweiligen Charakter der Lieder eindringlich verdeutlichen, auch mit zärtlicher Süße, wo es angebracht war. Dabei begeisterte vor allem seine natürliche Tongebung. Kein Forcieren, stattdessen Strahlkraft und subtile Schattierungen sowie Intellekt. Grandios seine Interpretation der Rückert´schen „Mitternacht“. Das erzeugte schon Schauer beim Hörenden.

    Herbert Blomstedt begleitete mit dem Orchester zurückhaltend ohne Kontraste in idealer über die Jahre herausgebildeter Partnerschaft.

    Anton Bruckner komponierte seine sechste Symphonie A-Dur (WAB 106) nach einer schöpferischen Pause von fünf Jahren 1879 bis 1881 unbeschwerter und weltlicher als die vorherigen. Der Komponist bezeichnete sie launig als seine „keckeste“ und war vom Ergebnis so befriedigt, dass er das Gefühl hatte, das Werk sei vollkommen. Er beließ seine Arbeit in der ursprünglichen Form, so dass erstmals von einer Bruckner-Symphonie keine Zweit- oder gar Drittfassung existiert. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass die Sechste sich erst spät im Konzertbetrieb etablieren konnte. Im Februar 1883 brachten die Wiener Philharmoniker nur die beiden Mittelsätze zur Aufführung. Auch Gustav Mahler hatte für die Gesamt-Erstaufführung 1899 die Instrumentierung stark verändert und das Werk gekürzt. Erst 1935 erklang unter Paul van Kempen die Komposition nach der von Robert Haas wieder rekonstruierten Original-Partitur. Aber erst durch die Aufnahme in Gesamteinspielungen und Bruckner-Zyklen hat sich die Sechste im Konzertbetrieb gleichberechtigt eingeführt.

    Im zweiten Teil des Konzertes traf eine .jahrzehntelange Pulterfahrung auf den jungen Künstlernachwuchs. Bruckner-Dirigate mit Herbert Blomstedt haben wir mehrfach in den vergangenen Jahrzenten sowohl mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden, als auch mit dem Gewandhausorchester Leipzig erleben dürfen. Da war der Vergleich seiner Dirigate der Spitzenorchester mit der Führung des Jugendorchesters durchaus aufschlussreich. Während Blomstedt die Profi-Klangkörper mit Gelassenheit führt und der Musik einen breiten Klang-Raum eröffnet, gab er dem Jugendorchester stärkere Impulse. Mit präziser, effektiver Zeichengebung hielt er die Fäden der musikalischen Entwicklung fest in der Hand und ließ seine Führung in den reichliche sechzig Minuten nicht für einen Augenblick schleifen.

    Dies war auch bei den noch jungen Musikern notwendig. Denn während die Streicher auf hohem Niveau, mit Begeisterung und innerer Beteiligung musizierten, fehlte es bei den Bläsern an solistischen Initiativen. Insbesondere beim Adagio kamen die stark geforderten Hörner und Tuben an ihre technischen Grenzen. Dabei fing Blomstedt einiges dank seines gestalterischen Überblicks und seiner Präsenz als Interpret ab. Über Strecken wirkte dabei der greise Dirigent jugendlicher als eine Reihe der Orchestermusiker.

    Bereits mit dem ersten Satz spürte man, wohin Blomstedt seine Musiker führen wollte. Ruhig lässt er Themen und Motivgruppen vorüberziehen. Auch mit der Durchführung spürt man, da dirigiert einer, der in der Tiefe seiner Seele Ruhe und Überblick schätzt. Sachlich bleibt auch der Satzschluss. Mit sachlicher Innigkeit wurden auch im Adagio die Bruckner-Themen miteinander verflochten. Nichts erhält den Eindruck von Sentimentalität oder gar Kitsch. Auch das Scherzo machte dem Dirigenten und den Musikern richtig Spaß, so dass Blomstedt das Orchester mit Freude in das Finale mit seinen Verzögerungen, Anspannungen sowie Entfesselungen regelrecht hineindrängen konnte.

    Erwartungsgemäß wurde vor allem der in Dresden hochbeliebte und geschätzte Dirigent mit stehendem Applaus gefeiert. Aber auch das mit über einhundert Musikern stark besetzte Orchester konnte sich über mangelnden Zuspruch nicht beklagen.

  • Laura Aikin singt Enescus "Sept Chansons de Clément Marot"

    Die Staatskapelle Dresden ist für den 9. September 2019 mit einem Konzert unter der Leitung seines „Ersten Gastdirigenten“ Myung-Whun Chung zum Enescu-Festival in Bukarest eingeladen. Die amerikanische Sopranistin Laura Aikin wird im Festival in einem der Konzerte Georges Enescus „Sept Chansons de Clément Marot“ op. 15 für Singstimme und Kammerensemble“ vortragen. Gewissermaßen als Generalprobe für das Rumänische Gastspiel hat man im zweiten Abendkonzert der Saisoneröffnung das Rachmaninow-Klavierkonzert durch den Enescu-Liederzyklus und die Ouvertüre zum „Freischütz“ ersetzt.

    Für viele Musikinteressierte gilt George Enescu (1881-1955) als der bedeutendste rumänische Komponist. Er war aber vor allem ein gefragter Geiger und Dirigent. Sein eher kleines kompositorisches Schaffen ist vor allem einem impressionistischen und folkloristisch geprägten Neoklassizismus zuzuordnen, nachdem seine frühen Kompositionen von Richard Wagner und Franzosen seiner Zeit beeinflusst waren.

    Aus dem reichen Schaffen des französischen Lyrikers Clément Marot (1496-1544) wählte Enescu 1908 sieben Gedichte in altfranzösischer Sprache aus, die das Liebesverlangen und die unerfüllte Liebe thematisierten. Der vom reformistischen Gedankengut Martin Luthers beeinflusste Marot lebte über längere Zeit am französischenHofe, war aber ob seiner spöttischen Zunge und einem recht lockeren Lebenswandel mehrfach in die Mühlen der Justiz geraten. Das offenbar 1526 entstandene „Ein Geschenk für Anne“ bezieht sich auf seine Verliebtheit in Anne d´Alenҫon, einer Nichte des damals bereits verstorbenen Herzogs von Alenҫon. Im zweiten Chanson „Du machst mich weg“ singt er: „mehr zu sterben als mein Denken zu ändern“. Das dritte Chanson „An die Damen, die zu faul sind an ihre Freier zu schreiben“ zitiert: „wenn du so rebellisch bist, Viel Glück, gute Nacht“. Die weiteren ausgewählten Dichtungen „Das Geschenk der Rose“, „Ein weißes Geschenk“, „Wechseln wir das Thema, es ist genug Liebesgesang“ und zur siebten „Der Mann des Leidens“.

    Enescu fühlte sich Marot geistesverwandt, weil beide von unterschiedlichen Kulturen beeinflusst waren. Während Enescu von Einflüssen seiner Heimat Rumänien, von Wien und Paris geprägt war, inspirierten Marot italienische und französische Dichtungen seiner Zeit

    Die musikalischen Umsetzungen der Gedichte reichen vom einfachen bis zum aufrichtig impressionistischen Stil. Sie präsentieren die Entwicklung der Geschmacks- und Stilvaribilität Enescus in seinen späten Jugendjahren. Es wird vermutet, dass Enescu jede der Vertonungen einem Künstler oder einer Künstlerin seines Umgangs gewidmet habe. So sei „Ein weißes Geschenk“ der Sängerin Maggie Teyte von der Opera Comique, mit der Enescu 1906 eine Affäre hatte, zugedacht. Der mit einigem hintergründigen Humor bepackte Liederzyklus wurde 1908 in Paris uraufgeführt.

    Mit ihrer anmutigen und beweglichen Sopranstimme bewegte sich Laura Aikin sicher durch die vielfältig strukturierten Texturen der doch unterschiedlichen Chanson-Vertonungen. Von rein und luftig reichten ihre Modulationen zu hart und kantig, aber immer mit klarem hellen Timbre. Fast mühelos meisterte Sie die Probleme des schwierigen Alt-Französisch. Ihre Interpretationen vereinigten Spritzigkeit mit Schwere und Reife. Sensibel und Eindrucksvoll wird der Gesang der Frau Aikin von einem Kammerensemble der Staatskapelle Dresden unter dem engagiert dirigierenden Myung-Whun Chung begleitet und unterstützt.

    Die nicht häufig im Konzertsaal zu hörenden Chansons wurden trotz der hervorragenden Leistungen der Interpreten vom Abonnenten-Publikum nur mit freundlichem Beifall bedacht. Offenbar war das Werk nur wenigen Besuchern bekannt gewesen.

    Auch waren im Saal eine Reihe der Plätze frei geblieben

    Eingerahmt wurden die sieben Chansons nach Clément Marot von Carl Maria von Webers Ouvertüre zur Oper „Der Freischütz“ und der zweiten Symphonie D-Dur op. 13 von Johannes Brahms.

    Auch der Brahms-Symphonie folgte nur ein begrenzter Applaus. Rechte Begeisterung regte bei den Konzertbesuchern erst ein „Ungarischer Tanz“ als Zugabe des Orchesters.

  • Fast mühelos meisterte Sie die Probleme des schwierigen Alt-Französisch.

    Die Gedichte Marots sind nicht in "Alt-Französisch". Er hat sie nur mit der damaligen Rechtschreibung (die nicht mal richtig kodifiziert war) niedergeschrieben.
    In den modernen Ausgaben wird die Orthographie angepaßt.

    Es gibt zwar ein paar archaische Redewendungen, aber sie sind minimal und der Text ist echt unproblematisch. Étrennes z.B. sagt man heutzutage nur für Neujahrsgeschenke, damals war's einfach ein Geschenk.

    Enescu hat wohl Marots Rechtschreibung beibehalten. Heute gibt es Interpreten, die mit unterschiedlichem Erfolg versuchen, für Vertonungen der damaligen Zeit eine hypothetische 16tes Jht-Aussprache zu rekonstruieren. Enescu/Enesco hat aber die Texte anfangs des 20sten Jht vertont. Deshalb braucht man nur, die Gedichte zu transkribieren, oder sie in einer modernen Ausgabe zu suchen. Da bekommt man Texte in "Neu-Französisch". Es ist überhaupt nichts Schwieriges dabei.

    Die Titel sind übrigens (in Klammern die moderne Transkribierung, wenn sie vom Original abweicht)

    Estreines à Anne (Étrennes à Anne): Geschenk für Anne
    Languir me fais: Du läßt mich schmachten
    Aux damoyselles paresseuses d'escrire a leurs amys (Aux damoiselles paresseuses d'écrire à leurs amis): Den jungen Damen, die zu faul sind, um an ihre Liebhaber zu schreiben
    Estrene de la rose (Étrenne de la rose): Das Geschenk der Rose
    Present de couleur blanche: Weißes Geschenk
    Changeons (de) propos, c'est trop chanté d'amours: Lassen uns da Thema wechseln, es wurde zu viel von der Liebe gesungen
    Du conflict en douleur (conflit): Zerrissenheit im Schmerz

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Danke für die Ergänzungen.
    Die Probleme der Frau Aikin waren aber entstanden, dass eigentlich Kristine Opolais nach Bukarest fahren sollte, aber sehr kurzfristig absagte. Das Haus war aber froh, dass Laur Aikin die Festival-Teilnahme es aufsich genommen hatte und innerhalb von zwei Tagen die Texte gelernt hat.

  • Ich würde sagen, es war ein Glücksfall. Die paar Male, als ich Kristine Opolais gehört habe, wünschte ich mir, jemand anders würde singen.
    In Rumänien läuft zur Zeit das George Enescu Festival.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Sol Gabetta, Daniele Gatti sowie die Staatskapelle begeistern mit Saint Saens und Mahler im 2. Saisonkonzert

    Dem Komponisten Charles-Camille Saint-Saëns (1835-1921) sagten Zeitgenossen nach, dass er von keiner Leidenschaft geplagt gewesen sei. Nichts habe die Klarheit seines Verstandes getrübt. Er wäre von Anfällen krankhafter Müdigkeit geplagt gewesen, verfügte aber andererseits über einen wunderlichen Humor und einen kapriziösen Geschmack für Parodien, Burlesken, Possenhaftem. Zugleich trieb ihn eine ruhelose erregte Laune durch die Welt, was ihn zu vielfältigen, zum Teil exotischen Kompositionen anregte, die sein vagabundierendes Denken über Epochen und Landschaften widerspiegelten. Seine Musikzeichnet sich besonders durch handwerkliche Meisterschaft, formale Strenge und Eleganz des Klanglichen aus.

    Sein Violoncello-Konzert a-Moll op. 33 von 1872 ist für jeden Solisten ein Paradestück und sehr beliebt. Statt der üblichen dreisätzigen Konzertform strukturierte Saint-Saëns seine Arbeit in einem Satz, der allerdings drei eng verbundene Ideen enthält. Im 2. Symphoniekonzert der neuen Saison spielte die Capell-Virtuosin der laufenden Saison Sol Gabetta das Konzert mit der Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Daniele Gatti. Beide haben als Gastmusiker schon des Öfteren im Semperbau mit großem Erfolg musiziert, so dass es keine Berührungsprobleme zu überwinden gab. Auch gehört Frau Gabetta inzwischen mit ihrem virtuosen kraftvollen Spiel und ihrer enormen Bühnenpräsenz zu den eindrucksvollsten Musikerinnen unserer Zeit. Mit einem Lächeln im Gesicht meisterte sie die enorm anspruchsvollen Schwierigkeitendes Soloparts, insbesondere im letzten Abschnitt des Konzerts. Berückend bot sie auch die Kadenz im Menuett-Mittelteil. Dazu kam der warme Klang ihres Instruments, das 1730 in der Werkstatt des Cello-Spezialisten Matteo Goffriller in Venedig gebaut worden ist.

    Daniele Gatti begnügte sich mit einer dienenden Rolle und ließ die Solistin überwiegend im dramatischen und musikalischen Vordergrund. Er führte die Musiker der Staatskapelle einfühlsam und flexibel, bot so die Gegenmelodien zurückhaltend.

    Besondere Begeisterung entfachte die Zugabe der Solistin und des Orchesters mit Gabriel Faurés „Elegie“.

    Nach der Pause folgte dann Gustav Mahlers fünfte Symphonie. Mit keiner seiner Kompositionen plagte sich Mahler mit der Instrumentierung so, wie bei diesem Werk. Nach den Symphonien zwei, bis vier war das nächste Werk dieser Gattung das erste ohne Einbeziehung der menschlichen Stimme. In den Sommerferien 1901 und 1902 konzipiert, 1903 erstmals instrumentiert, fand die Uraufführung 1904 statt. Die heute dargebotene Instrumentierung ist allerdings eine Mahler-Überarbeitung aus seinem Sterbejahr 1911.

    Die Verwendung des Adagietto als Filmmusik in Viscontis „“Tod in Venedig“ hat massiv zur Popularität der Komposition beigetragen, so dass sie heute eine der beliebtesten und am häufigsten aufgeführte Symphonie Mahlers ist. Das Werk ist voll von Themen, Gegenthemen, schnellen Stimmungswechseln und hat einen gewaltigen Dynamikumfang. Gatti gelingt mit den Musikern aber auch ein Spiel mit Weichheit und Transparenz. Hervorragend werden die langen Passagen von den Blechbläsern der Kapelle freigelegt. Bei der Häufigkeit der unterschiedlichen Interpretationen war es für Gatti schwierig, Besonderheiten, die auch seinem Stil entsprechen, in der Darbietung unterzubringen. Die Anklänge an Bachs Polyphonie waren beeindruckend. Der erste Satz wurde an der Grenze des von Mahler gewünschten gemessenen Schrittes gespielt, bevor sein Dirigat Fahrt aufnahm. Der Wirkung des zweiten Satzes bekam, zumindest nach meinem Empfinden, die von Gatti vorgegeben Tempo- und Intensitätswechsel recht gut.

    Das Scherzo, nach des Komponisten Einteilung bereits der II. Abteilung zugehörig, bot Daniele Gatti mit den verblassenden Erinnerungen des Lebens als den Abschluss einer Entwicklung. Denn fast plötzlich ist das Adagietto als das Markenzeichen jeder Interpretation und als Ruhebereich von Mahlers fünfter da. Gatti versuchte mit seinem Dirigat die Hörerwartungen gerade zu rücken, um beim Publikum die Kino-Assoziationen aus dem Kopf zu bekommen und so ein Abgleiten in die Liebeserklärung an Alma Schindler zu vermeiden. Dazu nutzte er die melodischen Wendungen an das Rückert-Lied „ Ich bin der Welt abhandengekommen“. Letztlich gestaltete Gatti, von den flexiblen Streichern des Orchesters unterstützt, ein Atemholen vor dem unmittelbar angeschlossenen Finale.

    Zunächst finden Dirigent und Staatskapelle fast zögerlich den Bewegungsrhythmus mit seinen rudimentären Motiven. Dann aber ließ Gatti die Musik Mahlers für sich sprechen und führte zum jubelnden Finale.

    Frenetischer Beifall des doch recht erschöpften Publikums für das Gebotene.

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