Ludwig van Beethoven: Streichquartett op. 130

  • Zitat von Khampan

    Ich wage folgende These: hätte Beethoven das nachkomponierte Finale mit irgend einem griffigen Titel versehen, z.B. "ungarisches Finale" o.ä., dann würde es häufiger (und besser) gespielt werden.

    Das glaube ich auch angesichts unserer Metaphernhörigkeit,Titel- und Bebilderungssucht. :D

    Eigentlich ein peinliches Thema für Interpreten und Markt, dieses 130/133-Dilemma. Vielleicht ein wenig vergleichbar mit den peinlichen Tatsachen, dass die Bilder einer Ausstellung stets von Ravel stammen oder dass Mozart sein KV 467 Elvira Madigan genannt hat. Etcetera. =O

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Eigentlich ein peinliches Thema für Interpreten und Markt, dieses 130/133-Dilemma. Vielleicht ein wenig vergleichbar mit den peinlichen Tatsachen, dass die Bilder einer Ausstellung stets von Ravel stammen oder dass Mozart sein KV 467 Elvira Madigan genannt hat. Etcetera.

    jau. Hätte einen eigenen Thread verdient.
    "Für Elise" (gemeint war wohl Therese), um bei Beethoven zu bleiben.

  • Es ist aber doch auf Tonträgern eigentlich gar kein Dilemma mehr. Es passt alles leicht auf eine CD, man kann die programmieren, je nach Wunsch die Versionen herstellen. Während das im LP-Zeitalter vermutlich schwieriger war, da die Fassung mit Finale eine LP gebraucht hat und die Fuge eine zusätzliche Seite, oder?

    Bei Konzerten überzeugte mich die Aussage eines Quartettspielers, die ich vor Jahren mal in einem Interview gehört habe, als guter Kompromiss, dass sie bei Reihen mit allen Beethovenquartetten das alternative Finale spielen und bei Einzelkonzerten eher die Version Fuge.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Es ist aber doch auf Tonträgern eigentlich gar kein Dilemma mehr. Es passt alles leicht auf eine CD, man kann die programmieren, je nach Wunsch die Versionen herstellen. Während das im LP-Zeitalter vermutlich schwieriger war, da die Fassung mit Finale eine LP gebraucht hat und die Fuge eine zusätzliche Seite, oder?

    Das war schon möglich - wenn man beim Kopfsatz die Expo-Wdh. weggelassen hat, passten die Sätze bis einschl. der Cavatina in der Regel auf die A-Seite, nachkomponiertes Finale und Fuge auf die B-Seite. So war's z.B. beim Amadeus- und m.W. auch beim Juilliard-Quartett. Beim LaSalle-Quartett hätte es auch gepasst, aber die haben wohl mit voller Absicht das nachkomponierte Finale auf einer anderen LP veröffentlicht, zusammen mit op. 127 und 135. Walter Levin hat sich nach meiner Erinnerung in dem großen Interviewbuch sehr deutlich für die Große Fuge als Finale ausgesprochen und das nachkomponierte Finale abgewertet.

    Ich find's ja auch schade, dass das nachkomponierte Finale im Konzert nur noch sehr selten zu hören ist. Wie oben geschrieben, scheint es mir bemerkenswert, dass gewissermaßen zwei unterschiedliche Werke entstanden sind: ein monumentales Finalquartett und ein zwar auch umfangreiches, aber doch eher suitenartiges Quartettwerk. Heute entscheiden sich die Ensembles halt überwiegend für die monumentale, extreme, kompromisslose Variante - in einer Zeit, in der man alle 15 Schostakowitsch-Quartette an einem Tag spielt, liegt das in der Luft. Ich finde das legitim, und ich finde es dann auch legitim, dass man darauf verzichtet, das nachkomponierte Finale isoliert zu spielen - das bringt's dann auch nicht. Natürlich steht die als op. 130 veröffentlichte Fassung aus philologischer Sicht vorne, die Fassung mit der Fuge ist aber immerhin diejenige der von Beethoven legitimierten Uraufführung. Ich würde auch gerne öfter wieder auf der Bühne Mussorgskys Boris in der Fassung von 1872 erleben, aber heute wird doch zumindest auf deutschen Bühnen meist die noch rigidere Fassung von 1869 gespielt, die vor drei Jahrzehnten noch extrem selten war - eine philologisch und ästhetisch legitime Entscheidung, auch wenn ihre Häufung etwas herdentriebartig erscheint. Mit den Bildern einer Ausstellung oder KV 467/Elvira Madigan hat das alles gar nichts zu tun.

    Naja, und der Fetisch "Gesamteinspielung"... Dann sondert auch alle Gesamteinspielungen aus, bei denen die Quartettfassung von op. 14/1 nicht dabei ist. Und eine richtige Gesamteinspielung von Bruckners Sinfonien gäb's dann gar nicht.

    :wink:

    .

  • Die Urfassung von op.18/1 nicht zu vergessen. Also leuchtet mir nun nicht ein. Findest Du wirklich ein Weglassen des nachkomponierten Finales bei einer GA vergleichbar mit dem Weglassen von op.14/1?

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    (B. Pascal)

  • KV 467/Elvira Madigan

    Habe ich gerade erst bei Wikipedia nachgelesen, wusste ich vorher nicht. (Ich kenne den Film auch nicht.) Dabei gefällt mir KV 467 doch so gut.

    Das ganze Klavierkonzert nach dem Film zu benennen, ist natürlich wirklich großer Schwachsinn. Wo wird das denn explizit getan? Wäre ja so, als würde man das Klarinettenkonzert KV 622 "Tania Blixen" nennen. :neenee1:

    maticus

    P.S. Auf der Telarc CD mit Beethovens Klaviersonate Op. 26 trägt diese den Beinamen "Funeral March".

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
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  • Die Urfassung von op.18/1 nicht zu vergessen. Also leuchtet mir nun nicht ein. Findest Du wirklich ein Weglassen des nachkomponierten Finales bei einer GA vergleichbar mit dem Weglassen von op.14/1?

    14/1 ist immerhin ein vollständiges Werk. Das nachkomponierte Finale isoliert "funktioniert" m.E. nicht richtig gut. Hängt in der Luft, hat immer etwas von einer Pflichtübung.

    Und jetzt zum Argument: man kann dem Käufer der CD doch durch entsprechende Koppelung der beiden Finalsätze die Entscheidung selbst überlassen, welche Version er hört. Da verstehe ich jedes Ensemble, das sagt: Ich entscheide mich für eine Version (hier: die mit der Fuge) und damit entscheide ich mich auch explizit gegen die andere Version. Vielleicht ist die Interpretation der ersten fünf Sätze, in welcher Art auch immer, auf die Fuge abgestimmt. Wenn uns jemand mit dem Werk hören will, dann nur in der Version, die wir für die bessere/richtige/aufregendere halten.

    :wink:

    .

  • Zitat von Zwielicht

    Mit den Bildern einer Ausstellung oder KV 467/Elvira Madigan hat das alles gar nichts zu tun.

    Nur in einem sehr weiten Sinn, den Khampan dennoch erfasst hat. Insofern geb ich Dir Recht! Ich kann mich an bessere Analogien auf meinem Privatmist erinnern. :P

    Zitat von maticus

    Das ganze Klavierkonzert nach dem Film zu benennen, ist natürlich wirklich großer Schwachsinn. Wo wird das denn explizit getan?

    Ich nehme mal zwei von über fünf Amazon-Treffern, wenn man Mozart und Madigan eingibt. Da muss ich einfach den Kopf schütteln: :neenee1: ...

    und mit Sicherheit noch einige mehr ...

    Tanja Blixen hat sich wohl nicht durchgesetzt ...

    :cincinbier: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Da verstehe ich jedes Ensemble, das sagt: Ich entscheide mich für eine Version (hier: die mit der Fuge) und damit entscheide ich mich auch explizit gegen die andere Version. Vielleicht ist die Interpretation der ersten fünf Sätze, in welcher Art auch immer, auf die Fuge abgestimmt. Wenn uns jemand mit dem Werk hören will, dann nur in der Version, die wir für die bessere/richtige/aufregendere halten.

    soviel Freiheit der Interpreten soll wohl sein, das finde ich auch.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Und jetzt zum Argument: man kann dem Käufer der CD doch durch entsprechende Koppelung der beiden Finalsätze die Entscheidung selbst überlassen, welche Version er hört. Da verstehe ich jedes Ensemble, das sagt: Ich entscheide mich für eine Version (hier: die mit der Fuge) und damit entscheide ich mich auch explizit gegen die andere Version. Vielleicht ist die Interpretation der ersten fünf Sätze, in welcher Art auch immer, auf die Fuge abgestimmt.

    Dieser Sichtweise schließe ich mich an.

    Ob man die Fuge als Finale spielt oder den nachkomponierten Satz, kann in der Tat einen Einfluss auf die Planung der Wiedergabe der vorhergehenden Sätze haben. Z. B. eine andere Wahl der Gewichte der Einzelsätze. Die Dramaturgie des Gesamtwerkes ist jedenfalls je nach Wahl des Finales eine andere.

    Anders gesagt: Wenn ein Streichquartett beide Versionen hintereinander auf CD anbietet, dann geht das schon in die Richtung "kopierter" Wiederholungen. Ebenso wie eine Wiederholung eben nicht "einfach genau dasselbe" ist, sind auch die vorhergehenden Sätze je nach Wahl des Finales eben nicht dieselben.

    Konsequent wäre es, wenn ein Streichquartett-Ensemble das op. 130 zweimal einspielte, und zwar einmal mit der Fuge und einmal komplett mit dem nachkomponierten Finale. Man braucht halt zwei CD und entsprechend mehr Aufnahmesitzungen.

    Ebenso legitim wäre es m. E., op. 130 mit dem nachkomponierten Finale einzuspielen und die "Große Fuge" separat anzubieten - so, wie sie Beethoven separat als op. 133 herausgegeben hat.

    Nur das Einspielen von op. 130 mit der Fuge als Finale und dann einem beigegebenen nachkomponierten Finale, das erschlösse sich mir mit dieser Logik nicht.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Das sehe ich genau so wie Mauerblümchen. Mit der Planung, am Schluss das leichtere und kürzere Finale zu spielen, kann ich mir zum Beispiel durchaus vorstellen, den ersten Satz auch ohne Wiederholung und den langsamen Satz mit etwas weniger Inbrunst zu spielen. Somit ist eine gewisse Balance gewahrt, aber auch emotional dürfte dies etwas lässiger gespielt werden.

    Die Fuge im Finale macht dagegen m.E. eher eine Wiederholung im ersten Satz sowie eine mit mehr Ergriffenheit gespielte Cavantine notwendig.

    Das sind nach meinem Empfinden eigentlich zwei grundlegend unterschiedliche Werke. Das Anbieten von beiden Schlusssätzen auf einem Tonträger empfinde auch ich somit eher als einen Hinweis darauf, dass der Sinn für das Ganze in diesen Aufnahmen nicht unbedingt das interpretatorische Hauptanliegen gewesen sein mag...

    Uwe

    Wenn alle ein klein wenig verrückter wären, dann wäre die Welt nicht so durchgedreht.

  • Vor einiger Zeit meinte in einem englischsprachigen Forum auch mal jemand, die vorhergehenden Sätze müssten dann anders gespielt werden und wenn ich recht erinnere, fand die Person keine einzige Aufnahme einer der Varianten ganz zufriedenstellend (ich habe allerdings vergessen, welche Variante die niemals überzeugende war).
    Ehrlich bin ich da recht skeptisch. Es leuchtet im Prinzip "irgendwie" ein, aber wie genau sollte es sich in der Praxis äußern? Warum sollte die Wdh. im Kopfsatz etwas mit der Finalentscheidung zu tun haben? Wie anders soll man die Binnensätze spielen und warum genau?

    Und wenn das wirklich die Idee dahinter ist, nur eine Version aufzunehmen, dann wundert mich, warum es nicht, wie bei Bruckner oder Prokofieff es kaum vorkommt, dass ein Ensemble wirklich zwei Aufnahmen macht.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ob man die Fuge als Finale spielt oder den nachkomponierten Satz, kann in der Tat einen Einfluss auf die Planung der Wiedergabe der vorhergehenden Sätze haben. Z. B. eine andere Wahl der Gewichte der Einzelsätze. Die Dramaturgie des Gesamtwerkes ist jedenfalls je nach Wahl des Finales eine andere.

    Anders gesagt: Wenn ein Streichquartett beide Versionen hintereinander auf CD anbietet, dann geht das schon in die Richtung "kopierter" Wiederholungen. Ebenso wie eine Wiederholung eben nicht "einfach genau dasselbe" ist, sind auch die vorhergehenden Sätze je nach Wahl des Finales eben nicht dieselben.

    So ähnliche Gedanken habe ich mir auch gemacht und wieder verworfen.
    Wiederholung funktioniert anders. In erster Linie reagieren Musiker beim zweiten Durchlauf auf das was sie beim ersten Mal gespielt haben: was vielleicht nicht ganz so geklappt hat wie geplant, wird beim zweiten Mal mit besonderer Aufmerksamkeit angegangen etc. Jedenfalls ist dieser Effekt (Reaktion auf eben gespieltes) in weit höherem Maße zu erwarten als das Gegenteil, insbesondere eine gedankliche Vorbereitung auf nachfolgende Sätze.
    Im Fall von op 130: auch das Allegro-Finale (so nenne ich das nachkomponierte Finale jetzt mal) ist nach meiner Überzeugung stark genug, eine Reaktion auf eine intensiv gespielte Cavatina zu verkraften. Ich verstehe im Ernst nicht, was an dem Stück auszusetzen ist. Man muss es nur entsprechend gut spielen.

    Wenn man an die Aufnahmesituation denkt, wo größere Sätze wie die Große Fuge, aber auch das Allegro-Finale gerne eine ganze Session für sich beanspruchen, wird ein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen den Sätzen, der eventuell in einem Konzert spürbar wäre, kaum vermittelbar sein. Was auch häufig zu bemerken und bedauerlich ist.

    Konsequent wäre es, wenn ein Streichquartett-Ensemble das op. 130 zweimal einspielte, und zwar einmal mit der Fuge und einmal komplett mit dem nachkomponierten Finale. Man braucht halt zwei CD und entsprechend mehr Aufnahmesitzungen.

    Oben gesagtem zum Trotz würde ich solch eine Doppel-Aufnahme sehr begrüßen, und sei es auch nur mal als Experiment. Es erscheint mir aber kaum vorstellbar, dass sich jemand die Mehrarbeit machen und die Mehrkosten finanzieren will und dabei das Risiko einzugehen bereit ist, dass das Ergebnis dann eher belächelt wird.
    Das Problem der Aufteilung der späten Quartette auf drei CDs würde sich allerdings elegant lösen lassen, z.B.

    CD 1: op. 127 + 132
    CD 2: op. 130 (Allegro-Finale) + 131
    CD 3: op. 130 + 133 + 135

    :D Khampan

  • noch ein Gedanke zum Allegro-Finale...

    Ich verstehe im Ernst nicht, was an dem Stück auszusetzen ist. Man muss es nur entsprechend gut spielen.

    Wenn der Konzertmarkt aufgrund einer nun schon Jahrzehnte währenden Modeerscheinung (wie Bernd weiter oben aufgezählt hat) nach der Großen Fuge als Finale verlangt, fehlt für die Ensembles der Anreiz für die Erarbeitung einer adäquaten Interpretation des Allegro-Finale und v.a. die Erprobung in möglichst vielen Konzertsituationen, die einer Aufnahme vorausgehen sollte.
    Die "Minderwertigkeit" des Allegro-Finale droht so zur self-fulfilling prophecy zu werden, ist es vielleicht schon geworden. Wenn dann die Labels mitbekommen, dass man nur mit der Großen Fuge als Finale genauso viele CDs verkaufen kann... ich wage nicht weiterzudenken.

    Wehret den Anfängen...

  • Wenn der Konzertmarkt aufgrund einer nun schon Jahrzehnte währenden Modeerscheinung (wie Bernd weiter oben aufgezählt hat) nach der Großen Fuge als Finale verlangt

    Ich würde eher sagen: es ist sowohl künstlerisch begründete Entscheidung der Ensembles als auch das (an sich nicht verwerfliche) Zielen nach größerer Wirkung. Früher (bis ca. in die 80er) hat man sich vielleicht mehrheitlich gesagt: Wir wollen sowohl uns als Musiker wie auch das Publikum nicht überfordern, indem wir an das eh schon lange Quartett auch noch die schwer zu spielende und sperrige Fuge anhängen. Heute sagt man sich: a) die Fuge ist die radikalere und von Beethoven ursprünglich gewollte Finallösung, b) wir können unsere spieltechnischen und konditionellen Reserven zeigen (die heute in Spitze wie Breite vermutlich größer sind als früher), c) das Publikum will gefordert werden und bejubelt am Ende auch sein eigenes Durchhaltevermögen. Und zudem ist es so, dass gerade die letzten ca. 50 Takte der Fuge (also die Coda nach dem letzten Trillerstau) eine so ungeheuer befreiende und mitreißende Wirkung haben, dass man einfach jubeln muss (auch wenn's vielleicht vorher im Zusammenspiel und einzeln ein bisschen gequietscht hat...). Das Allegro-Finale wird bei aller Wertschätzung diese Wirkung nicht erzielen - vermute ich jedenfalls, denn im Konzert habe ich es (wenn mich meine Erinnerung nicht trügt) zum letztenmal in den 1980ern gehört, die Kombination 130/133 aber gleich dreimal in den letzten ca. zehn Jahren.

    Man muss die Lage aber nicht dramatisieren, meine ich. Es gibt zahlreiche gute Aufnahmen des Allegro-Finales. So schnell wird ein Teil des Beethoven'schen Spätwerks ohnehin nicht aus dem Gedächtnis getilgt. In der musikwissenschaftlichen Literatur, soweit ich das überblicke, erfährt der Satz durchaus Wertschätzung. Der Trend im Konzertleben kann sich auch wieder ändern. Und andere Musikstücke haben schon weit längere und drastischere Latenzphasen überlebt.

    :wink:

    .

  • Hallo Bernd,
    größtenteils d'accord. Insbesondere

    b) wir können unsere spieltechnischen und konditionellen Reserven zeigen (die heute in Spitze wie Breite vermutlich größer sind als früher),

    ganz sicherlich. Zum Glück.

    c) das Publikum will gefordert werden und bejubelt am Ende auch sein eigenes Durchhaltevermögen

    glaube ich weniger. Ich denke tatsächlich dass so ein griffiger Name wie Große Fuge die entscheidendere Rolle spielt. Zu gern würde ich die Häufigkeitsverteilung der beiden Versionen sehen, wenn Beethoven dem Allegro-Finale einen besonderen Namen gegeben hätte und für die Konzertveranstalter nun z.B. eine "Zweitfassung mit Finale Hungarico" zur Wahl stünde.
    Nun gut, hoffen wir lieber, dass dem Allegro-Finale nicht noch irgendein Filmtitel angehängt wird...

    Man muss die Lage aber nicht dramatisieren, meine ich. Es gibt zahlreiche gute Aufnahmen des Allegro-Finales.

    finde ich gar nicht. Mein Unmut hat sich gerade an dem halbgaren Spiel des Quartetto di Cremona entzündet, wie in #32 angedeutet. Endellion ist in der ersten halben Minute so häufig auseinander, dass ich mit dem Hörschnipsel schon genug habe.
    Der Satz ist sehr vom Rhythmus dominiert (ähnlich den Finale von Rasumowsky Nr. 2 oder Sinfonie Nr. 7), allgemein nicht die größte Stärke von Streichern. Die Akzentuierungen scheinen doch auch ein spieltechnisches Problem zu sein, zu häufig sind sie mir entschieden zu lasch, schon die Anfangstöne der Bratsche.
    Ketzerisch gefragt: Ist das Allegro-Finale gar schwerer gut zu spielen als die Große Fuge? Ähnlich wie man es den Werken von Mozart oder Haydn nachsagt, fällt hier jede ungenaue Phrasierung, falsche Betonung, ungenaues Zusammenspiel, Unsauberkeit sofort auf. Bei der Großen Fuge können die Spieler dagegen gewissermaßen die Sau rauslassen, es darf auch mal kratzen, Zusammenspiel ist nicht immer wichtig (Triolen gegen punktierte Achtel gehen sowieso nicht exakt zusammen), es darf nach harter Arbeit klingen, Ungenauigkeiten erhöhen u.U. sogar die Wirkung.
    ?(

    Ich höre mich gerade bei Youtube durch verschiedene Versionen des Allegro-Finale.
    Interessant, dass es die Aufnahme des Leipziger Streichquartetts mit Partitur zum Mitlesen gibt.

    Spieltechnisch ... geht so (wer mich kennt, weiß, das soll ein Lob sein...). Aus einem besonderen Grund bitte ich alle Interessenten mal reinzuhören:
    http://www.youtube.com/watch?v=f7jpSN8BDug
    Das Finale startet bei 30:14
    Wer findet den Fehler?

  • Spieltechnisch ... geht so (wer mich kennt, weiß, das soll ein Lob sein...). Aus einem besonderen Grund bitte ich alle Interessenten mal reinzuhören:
    http://youtube.com/watch?v=f7jpSN8BDug
    Das Finale startet bei 30:14
    Wer findet den Fehler?

    Ich hör und schau morgen mal rein (bin heute überwiegend im ICE, ohne Kopfhörer).

    Zu gern würde ich die Häufigkeitsverteilung der beiden Versionen sehen, wenn Beethoven dem Allegro-Finale einen besonderen Namen gegeben hätte und für die Konzertveranstalter nun z.B. eine "Zweitfassung mit Finale Hungarico" zur Wahl stünde.

    Die Namenshypothese erklärt aber nicht, warum die Fuge anscheinend erst seit ca. den 90ern so beliebt geworden ist. Werke mit Beinamen hatten ja schon vorher einen Popularitätsbonus.

    Wie dem auch sei - gestern habe ich bei Dussmann folgendes Buch gefunden:

    Im englischen Original 2016 erschienen. Dusinberre, erster Geiger des Takács-Quartetts seit 1993, verbindet Analytisches und Anekdotisches, Fragen der Spielpraxis und grundsätzliche Reflexionen. Es ist kein Buch über alle Beethoven-Quartette, sondern widmet sich ausgewählten Problemen bei sechs ausgewählten Quartetten. Ein Kapitel handelt von der Finalfrage bei op. 130.

    Dusinberre berichtet, dass das Takács-Quartett bei Konzertzyklen mit allen Beethovenquartetten op. 130 zweimal gespielt habe: einmal am Ende des ersten Abends mit dem Allegro-Finale, einmal am Ende des letzten Abends mit der Fuge. Er deutet zumindest an (ich habe gestern nicht alles durchgelesen), dass die jeweilige Version auch Konsequenzen auf die Interpretation der ersten fünf Sätze gehabt habe.

    Wenn das Takács-Quartett op. 130 als Einzelwerk, nicht im zyklischen Zusammenhang aller Beethovenquartette aufgeführt habe, dann in der Regel mit dem Allegro-Finale. Einmal, bei einem Konzert in Pittsburgh, sei eine Panne passiert: im Programmheft sei die Satzreihenfolge mit der Fuge abgedruckt gewesen, der Veranstalter musste dem Publikum ankündigen, dass op. 133 nicht gespielt werde. Von der Hinterbühne hörten die Musiker ein kollektives enttäuschtes Stöhnen des Publikums, eine Zuhörerin äußerte sogar lautstarken Protest.

    Dusinberre zeigt sich gespalten, weist auf Verbindungen beider Finali zu den vorhergehenden Sätzen hin, sieht die Zurücknahme der Fuge durchaus als Akt der Kompromissbereitschaft. Auf der anderen Seite setzt er sich für das Allegro-Finale ein, betont dessen Qualität und (und in Übereinstimmung mit Dir, Khampan) die durchaus hohen spieltechnischen Anforderungen. Er sieht einen engen Zusammenhang zum fast gleichzeitig komponierten Finale von op. 135 - es handele sich um einen neuen Finaltypus, bei dem das Konfliktuöse nur noch vermittelt, sozusagen als Zitat existiere und dann spielerisch aufgelöst werde.

    :wink:

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  • Aus einem besonderen Grund bitte ich alle Interessenten mal reinzuhören:
    http://youtube.com/watch?v=f7jpSN8BDug
    Das Finale startet bei 30:14
    Wer findet den Fehler?

    ich finde so auf Anhieb nur eine Wiederholungsvorschrift in der unterlegten Partitur nach T. 19, das eine unmittelbare Wiederholung von T. 3-19 fordert. Diese Vorschrift wird vom Quartett nicht befolgt, ich habe sie auch nicht in mehreren andern Ausgaben gefunden (Erstausg., Alte GA, Philharmonia TP, alles bei Petrucci). Wäre auch komisch genug.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • ich finde so auf Anhieb nur eine Wiederholungsvorschrift in der unterlegten Partitur nach T. 19, das eine unmittelbare Wiederholung von T. 3-19 fordert. Diese Vorschrift wird vom Quartett nicht befolgt, ich habe sie auch nicht in mehreren andern Ausgaben gefunden (Erstausg., Alte GA, Philharmonia TP, alles bei Petrucci). Wäre auch komisch genug.

    diese Wiederholungsvorschrift T. 19 ist natürlich ein Druckfehler. Das Wiederholungsbeginn-Zeichen im Takt 3 gilt für die Wiederholung der ganzen Exposition. Andere Ausgaben haben hier ein Segno-Zeichen (sorry für die Tautologie), um den Sprung von T. 98 zu T. 3 unmissverständlich anzuzeigen.

    Der Fehler, den ich meine, ist weder ein Druckfehler noch ein Spielfehler. Er passiert weiter hinten und ist ausgeprochen peinlich, wenn auch offensichtlich seit 10 Jahren von niemand bemerkt (sonst stünde die Aufnahme nicht so bei Youtube, denke ich).

  • Der Fehler, den ich meine, ist weder ein Druckfehler noch ein Spielfehler. Er passiert weiter hinten

    Hm, mir scheint zwischen T. 478 und 480 (39:45) in der verlinkten Ausgabe/Interpretation ein halber Takt zuviel hineingeraten zu sein - oder hör ich schon Gespenster?

    :wink:

    .

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