Das Haus der Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main. Ein Sanierungsfall.
Liebe Capricciosi,
als Liebhaber der Frankfurter "Doppelanlage" am Willy-Brandt-Platz (bzw. "Dreifachanlage", falls man die Kammerspiele noch hinzuzählt) ist es mir ein Anliegen, die Entwicklungen rund um die Sanierung (oder was immer genau kommen mag) des mittlerweile maroden Hauses aus den 60er Jahren mit euch zusammenzutragen und weiter zu beobachten. Ausschlaggebend für die Eröffnung dieses Threads war für mich die gestrige Vorstellung des Gutachtens mit den sich daraus ergebenden Kostenschätzungen, die im Bereich von 800 Millionen Euro aufwärts liegen.
Ein kurzer Überblick zur Vorgeschichte des Hauses
Um die heutige Konstruktion nachzuvollziehen, muss vorangestellt werden, dass sich die Oper Frankfurt bereits seit Dezember 1951 am heutigen Standort (der bis 1902 den Namen Theaterplatz trug) im früheren Schauspielhaus befindet. Aus dieser Zeit stammen auch die beiden Drehbühnen, von denen die größere mit einem Durchmesser von 37,40 m zu den größten weltweit gehört.
Erst im Jahr 1960 wurde ein Anbau für das Schauspiel errichtet, der schließlich 1963 eingeweiht wurde. Die Jugendstilfassade wurde abgetragen und durch eine 120 m lange, durchgehende Glasfassade ersetzt, die das Erscheinungsbild des Platzes bis heute - direkt gegenüber der bekannten Euro-Skulptur - wesentlich prägt und von innen nicht nur einen wunderbaren Blick bietet, sondern nach außen zur Stadt hin auch Offenheit und Transparenz vermittelt. Ebenso auffällig sind vor allem abends im hellerleuchteten "Wolkenfoyer" die Goldwolken von Zoltán Kemény (nicht selten hörte ich schon davon, dass Besucher sie eher mit Münzrollen in Verbindung bringen - passend zu den umliegenden Banktürmen).
Im November 1987 brannte das Bühnenhaus der Oper bis auf die Grundmauern ab. Die Augenzeugenberichte der Feuerwehrleute beschreiben das drastische Ausmaß: "Vom Zuschauerraum bietet die Bühne ein gespenstisches Bild. Der 16 Tonnen schwere Eiserne Vorhang ist bereits rot glühend. Rechts und links des Vorhangs brennen die Beleuchterbühnen." (siehe auch Historie auf der Webseite der Oper Frankfurt).
Der Zuschauerraum blieb dabei fast nahezu intakt. Die Oper wich damals auf das anliegende Schauspiel aus; dieses wiederum kam vorübergehend im Bockenheimer Depot unter, einem früheren Straßenbahndepot mit einem gewissen Industriecharme, das sich damit zu einer beliebten Spielstätte entwickelte, die auch heute noch gern für einzelne Produktionen der Städtischen Bühnen genutzt wird. Im April 1991 war der Wiederaufbau des Bühnenhauses schließlich abgeschlossen.
Die heutige Situation
Der nach dem Wiederaufbau gerühmte Brandschutz des Opernhauses, der eine Wiederholung einer Katastrophe wie 1987 verhindern sollte, ist mittlerweile in die Jahre gekommen. Laut Zeitungsberichten entsprechen die Branschutzvorkehrungen nicht mehr den heutigen Standards und der Betrieb nach jetzigem Stand wird vorerst noch für etwa fünf Jahre geduldet.
Im Rückgriff auf die Vorgeschichte des Hauses muss dabei erwähnt werden, dass Teile des Fundaments noch aus dem alten Theater von 1902 stammen. Auf das gleiche Alter datieren auch einige Wasserrohre und vielleicht auch die ein oder andere Überraschung, die sich in dem Gemäuer noch verbergen mag. Dazu laufen Klima- und Kältetechnik nur noch mit halber Leistung, während die große Glasfassade das Foyer im Sommer aufheizt und im Winter die Wärme nicht hält. Die fensterlosen "Zellen" für Musiker und technisches Personal verdienen womöglich noch nicht einmal diesen Namen, wenn man unter "Zelle" einen Raum mit Fenster (ob vergittert oder nicht) versteht.
Das Frankfurter Haus ist unter den Nachkriegsbauten der 60er Jahre bei weitem nicht das einzige, das unter einem Renovierungsstau leidet. Ein vorläufiges Gutachten aus dem Jahr 2015 vom städtischen Hochbauamt ergab erst einen Investitionsbedarf für eine Renovierung von etwa 129 Millionen; ein Jahr später waren es schon 380 Millionen Euro. Bereits damals wurde neben der Renovierung auch über zwei andere Varianten diskutiert: Verlegung der Städtischen Bühnen, bzw. Neubau an gleicher Stelle. Ins Spiel dabei gebracht wurde auch, die beiden Sparten Oper und Schauspiel wieder in getrennten Häusern unterzubringen. Vor einigen Wochen war schließlich noch von Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro zu lesen.
Pro und Contra für einen neuen Standort
Befürworter für eine Verlegung brachten in der Vergangenheit oftmals das alte Polizeipräsidium in der Nähe des Hauptbahnhofs ins Spiel, aber auch das Gelände des im Entstehen begriffenen "Kulturcampus" auf dem Gelände der Universität. Dort soll auch der Neubau der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst entstehen. Das ehemalige Deutsche Bank-Areal in der Stadtmitte am Rossmarkt war ab und an ebenfalls als möglicher Standort (des Schauspiels?) zu hören.
Die Gegner einer Verlegung heben die historische Bedeutung in den 60er und 70er des Hauses hervor, in dem durch die Schauspielintendanten Harry Buckwitz und Peter Palitzsch auch ein Stück Theatergeschichte geschrieben wurde. Der Standort zwischen Bankentürmen, Drogenmilieu, Rotlichtviertel, Museumsufer und Konsumtempeln mag darüberhinaus schon per se zu Kunst und Kultur und zur Auseinandersetzung mit der Gegenwart animieren.
Gegen den Standort "Altes Polizeipräsidium" spricht zudem die denkmalgeschützte Fassade des wilhelminischen Baus und die - trotz der Lage in der Nähe zum Hauptbahnhof - eher unzureichende Verkehrsanbindung für ein öffentliches Gebäude dieser Größe (zwischen den U-Bahn-Stationen Hauptbahnhof und Messe).
Eine Bürgerinitiative hat sich zwischenzeitlich für eine Rekonstruktion der alten Gründerzeit-Fassade ausgesprochen und sieht den jetzigen Status als "schlimmste DDR-Architektur", vergleichbar mit dem Palast der Republik. In der breiten Öffentlichkeit wird die Architektur allerdings meist als gelungener Beispiel der Moderne dargestellt.
Sowohl die Intendanten als auch der Oberbürgermeister Peter Feldmann, die Kulturdezernentin Ina Hartwig und die "Römer-Koalition" (CDU-SPD-Grüne) haben sich für einen Verbleib der Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz ausgesprochen.
Anders gestalten dürfte sich die gesamte Standort-Diskussion möglicherweise, falls wirklich ein Neubau beschlossen würde. Der Betrieb könnte während Bauzeit wie gewohnt am Willy-Brandt-Platz weiterlaufen
Was sagen die Betroffenen ?
Der zur kommenden Saison nach Berlin wechselnde Schauspielintendant Oliver Reese äußerte sich vor kurzem noch in einem Interview zu seinem Abschied über die geplanten Maßnahmen und plädierte dort für einen Neubau der Städtischen Bühnen.
Der Opernintendant Bernd Loebe hat sich im vergangenen Sommer noch vehement gegen einen Neubau an anderer Stelle ausgesprochen.
Im Vorfeld der Machbarkeitsstudie wurde von den Bühnen ein zusätzlicher Bedarf für Räumlichkeiten in einer Größenordnung von 20 Tsd. Quadratmetern angegeben, die bei einer Sanierung zusammen mit einiger Technik in einem Turm untergebracht werden müssten. Für diese Maßnahme wäre eine Aufrüstung der Statik notwending. Bei einem Neubau ließen sich andere Lösungen finden. Allerdings habe sich wohl auch schon der Denkmalschutz bei der Diskussion um die Fassade aus den 60er Jahren eingeschaltet.
Machbarkeitsstudie
Die nun gestern, am 6.6.2017, vorgestellte 600-Seiten starke Machbarkeitsstudie untersuchte drei Varianten mit folgenden Ergebnissen:
- Die Sanierung im laufenden Betrieb würde etwa elf Jahre dauern und etwa 868 Millionen Euro kosten.
- Eine Sanierung mit vorübergehender Auslagerung des Schauspiels würde etwa acht Jahre dauern und 848 Millionen Euro kosten.
- Ein Neubau des Hauses am jetzigen Standort wurde mit etwa 889 Millionen Euro und sechs Jahre benötigen.
Allerdings wird auch angegeben (möglicherweise aufgrund von Erfahrungen aus Projekten der Gegenwart und nahen Vergangenheit?), das Kostensteigerungen bis zu 30 % aufgrund von Unwägbarkeiten möglich sind.
Eine Beschlussempfehlung für die Stadtverordneten gibt dieses Gutachten ausdrücklich nicht.
Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung der Studie wurde dieses Projekt mit der Elbphilharmonie in Verbindung gebracht, deren Kosten auf ähnliche Höhe beziffert werden; es war bereits von "Elbphilharmonie am Main" zu lesen. Ähnliche Projekte wie in Köln, Stuttgart oder auch in Berlin mit hohen Kostensteigerungen lassen zudem Befürchtungen aufkommen, dass auch dieses Großprojekt aus dem Ruder laufen könnte.
Unzweifelhaft wird die Entscheidung über die Zukunft des Hauses der Städtischen Bühnen richtungsweisend für die Kulturlandschaft in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet sein.
Einen vollständigen Überblick gibt diese Zusammenstellung sicherlich nicht und bestimmt wären noch viele andere Aspekte zu erwähnen; hoffentlich gibt dieser Beitrag und die vielen Meldungen, die zu diesem Thema bereits in den Medien erschienen und sicherlich auch noch erscheinen werden Anknüpfungspunkte für Meinungsaustausch und konstruktive Diskussionen.