Label des Jazz: ACT
Die Geschichte des Labels ACT ähnelt ein wenig der erfolgreichen Firmenhistorie von Manfred Eichers ECM. Siegfried Loch war bis Anfang der neunziger Jahre ein erfolgreicher Major-Produzent im Pop und Rock. Dann aber entschloss er sich, seiner eigentlichen Leidenschaft eine angemessene Plattform zu bieten und gründete mit ACT ein Jazzlabel. Anders als Eicher verfolgte er kein so stringentes ästhetisches Konzept, konzentrierte sich aber ebenfalls auf europäische, später dann noch stärker auf deutsche Künstler. Ein besonderes Augenmerk liegt bis heute auf skandinavischen Musikern. Ein Gespür für Talente und ein ausgereiftes Knowhow in Sachen Marketing machten das Label rasch populär und erfolgreich. In den Plattenläden funktionierte beispielsweise die günstige Sampler-Reihe "Magic Moments" blendend: Diese Reihe stellte einmal pro Jahr Neuheiten aus dem ACT-Katalog zum Reinschnuppern bereit und verkaufte sich - für Jazz-Verhältnisse - wie geschnitten Brot.
Siegfried Lochs Händchen für aufstrebende Newcomer und interessante Projekte war extrem gut. Anders als Manfred Eicher hatte er allerdings auch nie die großen Berührungsängste vor Trivialem, machmal etwas Seichtem. Das finde ich nicht weiter schlimm, denn im Windschatten der kommerziell erfolgreichen Produktionen (von denen viele dennoch großartig sind!) hatten abseitigere Projekte die Chance auf Realisierung und flächendeckenden Vertrieb.
Hier nun ein paar der wichtigsten Hausmusiker des Labels:
Zugferd Nr. 1 und seit den ACT-Frühzeiten beim Label ist der schwedische Posaunist Nils Landgren. Mit seiner Band Funk Unit huldigt er - man ahnt es - dem Jazz-Funk, etwa im Stile Maceo Parkers. Allerdings spielte er auch CDs mit schwedischem Folk ein und frönte der Kunst der Ballade. In einer Zeit, als der skandinavische Jazz zu boomen begann, war er auch künstlerischer Leiter des Jazzfest Berlin. Mi seiner CD Funky Abba bugsierte er ein U-Boot in den Plattenmarkt: Überaus erfolgreich im Verkauf, findet sich die CD mittlerweile in unzähligen Haushalten, die dem Jazz sonst eher fern sind (analog zu Jarretts Köln Concert). Um die zwei Seiten Landgrens kennen zu lernen, empfehle ich einerseits eine Funk-CD, nämlich Live in Montreux (1998 ) und die ruhige folkloristische Duo-CD Layers of Light (1999)
Womit wir beim zweiten Aushängeschild wären, nämlich dem Pianisten Esbjörn Svensson. Dieser hat sowohl in Landgrens Funk Unit die Tasten gedrückt, als auch die kammermusikalischen Aufnahmen mit dem Posaunisten verwirklicht. Mit Dan Berglund und Magnus Öström gründete er schließlich ein Trio, dessen überwältigender Erfolg einerseits und künstlerische Integrität andererseits nahezu märchenhaft anmutete. Diese Gruppe lotete die Form des Spiels im Klaviertrio neu aus, wandte sich teilweise von den tradierten Jazzformen ab, experimentierte mit elektronischen Verfremdungen, verarbeitete Einflüsse von Thelonious Monk bis Bill Evans, von Bach bis Radiohead in eine eigene Sprache und agierte live wie eine Pop-Band (allerdings nicht im Habitus!). Dies führte zu dem selten erlebten Phänomen, immense Zuhörerschaften zu fesseln, die anspruchsvolleren unter ihnen aber dennoch vollauf befriedigen zu können. Svenssons tragischer Tod bei einem Tauchunfall im letzten Jahr beendete die kometenhafte Karriere jäh. Empfehlen möchte ich hier die vierte CD des Trios Strange Place For Snow (2001), die "klassisch-jazzige" Aufnahme E.S.T. Plays Monk (2000) und - als Summe einer Dekade - die Doppel-CD Live in Hamburg (2006).
Als dritten nennen möchte ich den in Frankreich lebenden vietnamesischen Gitarristen Nguyen Le. Auch er ist seit Anbeginn ein ACT-Mitglied, zunächst in Projekten wie Jazzpaña, dann auch mit eigenen Veröffentlichungen. Sein Gitarrenspiel verbindet die Traditionen seiner ostasiatischen Heimat mit dem Vokabular des Jazz und der Fusion-Musik. Neben Aufnahmen mit der vietnamesischen Sängerin Huong Thanh überzeugt er auch in Trio-Besetzungen oder größeren Formationen. Meine liebsten CDs sind (neben denen mit der Vokalistin) Bakida (2000) sowie 3 Trios, auf der er in drei unterschiedlichen Trio-Besetzungen spielt.
Der phänomenale deutsche Saxophonist Christof Lauer hat ebenfalls bei ACT produziert. Höchst ambitionierte Projekte mit amerikanischen Musikern hat er ebenso bei ACT veröffentlicht, wie Duo-Aufnahmen mit dem Pianisten Jens Thomas. Erstere möchte mittels der CD Fragile Network (1999) ans Herz legen, zum Kennenlernen des Duos empfehle ich Shadows in the Rain (2001) mit Bearbeitungen von Songs aus der Feder von Sting.
Eine Fortsetzung über die singenden Damen aus dem Norden und die swingenden Youngsters aus Deutschland folgt...
LG
C.