Kadenzen - Länge ? Inhalt ?

  • Kadenzen - Länge ? Inhalt ?

    Hallo liebe Musik-Profis und - Kenner,

    dieser Tage hat mich eine aktuelle Aufführung des hr-Sinfonieorchesters von Beethovens 4. Klavierkonzert mit Javier Perianes als Solist doch etwas verblüfft und ziemlich ratlos zurückgelassen, als nämlich die Kadenz im 1. Satz einfach kein Ende nehmen wollte .... an mindestens vier Stellen dachte man, sie wäre nun zu Ende ... aber falsch geraten ..... sie hat geschlagene vier Minuten ! gedauert :huh: - und das bei einem Satz, der ohne Kadenz nur gute 15 - 16 Minuten dauert ?( ....

    So eine lange Kadenz ist mir vorher noch nie bewusst begegnet .... und ich empfand das als deutlich zu langatmig und habe am Ende nur noch darauf gewartet, wann sie "endlich" zu Ende ist (obwohl mir Javier Perianes` Spiel insgesamt sehr gut gefallen hat) :schaem1: ... und so frage ich mich:
    - Kommt so etwas öfters vor ?
    - Wie empfindet Ihr solch eine sehr lange Kadenz ?
    - Gibt es für Kadenzen irgendwelche allgemeingültige, wenn auch wahrscheinlich ungeschriebene "Regeln" oder übliche Ausführungsweisen ?

    Denn noch dazu habe ich bei bei der einen oder anderen Passage darin auch nicht unbedingt den Bezug zu Beethovens Musik gefunden ... oder "braucht" es das nicht unbedingt ?

    Hier geht es zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=CMtpLLR72xg
    Die Kadenz im 1. Satz beginnt etwa bei Minute 14.15 ...

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Ich habe es nicht im Blick bei Beethovens 4. Konzert, aber zum 1. gibt es eine des Komponisten, die 4-5 Minuten dauert, ebenso lang ist die für die Klavierfassung des Violinkonzerts.
    D.h. der Umfang als solcher ist im Rahmen dessen, was der Komponist selbst gemacht hat. Kann man natürlich immer noch zu lang finden und im Falle des 1. Konzerts gibt es auch eine deutlich kürzere Variante, ebenfalls von Beethoven, soweit ich erinnere.
    Was das stilistische Passen betrifft, kann man erst recht geteilter Meinung sein. Beethoven hat für das von ihm hochgeschätzte d-moll-Konzert Mozarts Kadenzen geschrieben, die häufig gespielt werden, aber manchen auch zu lang und zu "romantisch" sind. Beethoven hat für sein eigenes 2. Konzert eine Kadenz über 10 Jahre später komponiert, die stilistisch auch nicht richtig passt und eigentlich "zu lang" für den Rest des Satzes ist. Entsprechend haben sich spätere Pianisten/Komponisten bei ihren Kadenzen für Konzerte der Klassiker auch von ganz unterschiedlichen Vorstellungen leiten lassen.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Denn noch dazu habe ich bei bei der einen oder anderen Passage darin auch nicht unbedingt den Bezug zu Beethovens Musik gefunden ... oder "braucht" es das nicht unbedingt ?

    Der wichtigste Bezug zu Beethoven ist in dieser Kadenz, dass sie von ihm stammt :) .

    Christian

  • mit demselben Orchester gibts auch ne ziemlich ungewöhnliche Kadenz von einer barfüßigen Geigerin zum Violinkonzert von Beethoven ...

    Mir gefällts.

    Was allerdings der Herr Perianes zum 4.Klavierkonzert spielt, ist haargenau die Kadenz von Beethoven himself .. (Laut Plattentext der alten Aufnahme mit Barenboim und Klemperer)
    Ich mag es eigentlich schon sehr gerne, wenn der ursprüngliche Sinn der Kadenz, daß der Solist sowohl instrumentale als auch improvisatorische Fähigkeiten zeigt, ausgespielt wird.
    Wenn dabei ungewöhnliches passiert, schön!

    Schön fand ich auch die Kadenz zum C-Dur-Konzert (Nr.21) mit Fezil Say. (auch im hr-channel auf youtube zu sehen /hören)

    Aber daß so eine live gespielte Kadenz nicht für die Ewigkeit gedacht ist, sollte man auch nicht vergessen.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Der wichtigste Bezug zu Beethoven ist in dieser Kadenz, dass sie von ihm stammt .

    Und woher soll der unbedarfte Hörer das wissen ? :versteck1:

    Ich danke Euch für die Info.
    In den Noten, die ich auf imslp fand, war keine Kadenz ausgeschrieben (es ist allerdings auch die Partitur und nicht die Klavierstimme alleine) .
    Gehört hatte ich diese Kadenz aber in der Tat vorher noch nie; ich kenne das Konzert bisher nur mit kürzeren Varianten.

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Ui - geich drei Stück 8) ... hättest Du (oder irgendwer anderes) mal Hörbeispiele für die anderen beiden Varianten ?

    Viele Grüße - Allegro

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  • In den Noten, die ich auf imslp fand, war keine Kadenz ausgeschrieben


    die sind in einem Supplementband, an den man über "Collections" kommt:

    http://imslp.org/wiki/Cadenzas_…%2C_Ludwig_van)

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Schön fand ich auch die Kadenz zum C-Dur-Konzert (Nr.21) mit Fezil Say. (auch im hr-channel auf youtube zu sehen /hören)

    Philmus, ich suche mir gerade die Finger wund und finde die Aufnahme nicht :schaem1:
    Kannst Du mal bitte den link posten ? Danke 8o

    Viele Grüße - Allegro

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  • Danke schön ... ich suchte natürlich unter Beethoven ^^ ... auch wenn ich etwas irritiert war ob Deiner Nummernangabe ....


    ... nun ist der erste Satz angehört und die Kadenz gefällt mir ebenfalls sehr 8)
    Das ist mal was ganz anderes als sonst ... zu Beginn sehr witzig, dann gehaltvoll und immer deutlich mozärtlich ... auch die Länge ist genau richtig ...

    Viele Grüße - Allegro

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  • Danke schön ... ich suchte natürlich unter Beethoven ... auch wenn ich etwas irritiert war ob Deiner Nummernangabe ....

    oh, sorry, den Namen des Komponisten zu vergessen war natürlich ein kompletter Blackout...
    Die Komposition von Fezil Say, die im selben Konzert gespielt wurde, war auch sehr schön - die Erinnerung daran, wie ich den live-stream genossen hatte, hat mich wohl vergessen lassen, etwas gewissenhafter in den Angaben zu sein... das sind die Dinge, für die ich gerne Rundfunkgebühr bezahle.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
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  • Auch die Kadenz im letzten Satz ist klasse :verbeugung2:
    Diese Aufnahme kommt auf meine Wieder-hören-Liste 8)

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  • - Gibt es für Kadenzen irgendwelche allgemeingültige, wenn auch wahrscheinlich ungeschriebene "Regeln" oder übliche Ausführungsweisen ?

    Ungeschrieben (außer jetzt): Bei Mozart kann man sich, wenn man möchte, auch eigene Kadenzen ausdenke, ab Beethoven wird meistens die Originalversion des Komponisten gespielt. Es käme mir jetzt auch etwas seltsam vor, wenn jemand beim Tschaikowsky b-moll eine eigene Kadenz spielen würde - die müsste dann wirklich sehr gut sein...

    Dabei kann man mal überlegen, wo die Kadenz herkommt: Zur Zeit der Wiener Klassik wurde sie ursprünglich mal live improvisiert. Damals war das Improvisieren noch als hohe Kunst angesehen. Heute zwar auch noch, aber sie beschränkt sich hauptsächlich auf den Jazz und manche Neue Musik, sowie einige Spezialpianisten wie Gabriela Montero.
    Mozart hat seine Kadenzen beim Selbstspielen vermutlich immer improvisiert, vielleicht hatte er vorher ein paar Grundpfeiler als Ideen, vielleicht nicht... Deshalb gibt es zu manchen Konzerten auch Kadenzen von ihm, zu anderen nicht. Es war nicht zwingend notwendig, welche zu hinterlassen. Die die es gibt sind (Lehr- / Ideal- ) Beispiele.

    Im Laufe der Zeit hat sich die Kadenz zum festen Bestandteil des Konzertes entwickelt. Zwar gibt es auch da manchmal noch mehrere Versionen des eigenen Komponisten (z.B. Rachmaninov Nr. 3), aber es würde einem Pianisten selten einfallen, sie zu ersetzen. Könnte daran liegen, dass sich so eine Mozart-Kadenz auch einfacher komponiert, weil die Motive "einfacher" bzw. klarer sind und sich der Klaviersatz und die harmonische Ausdehnung in überschaubaren Grenzen hält (wobei auch hier manche gern extra ausbrechen und in der Kadenz in eine spätere Stilistik abbiegen). Die Kadenzen in romantischen Konzerten sind oft technisch ziemlich anspruchsvoll, haben einen raffinierten Klaviersatz, bewegen sich quer durch den Quintenzirkel.
    Manche Konzerte kommen sogar ganz ohne Kadenz aus, z.B. bei Chopin. Allerdings muss man einräumen, dass dabei jeweils das ganze Konzert eigentlich eine einzige begleitete Kadenz ist, denn viel hat das Orchester nicht zu sagen... :)

  • Ich finde, so wie philmus, dass das improvisatorische Element in Kadenzen eine gute Sache ist in einer Musikrichtung, in welcher sonst fast ausschließlich nach Noten gespielt wird. Allerdings sind solche Kadenzen vielleicht eher besser in Konzerten aufgehoben als auf CD.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Zitat von El Duderino

    Spontan würde ich vermuten: weil Pianisten es auch nicht mehr können.


    Weiß nicht, ob das stimmt. Viele Pianisten sind auch Komponisten, auch wenn sie mit ihren Kompositionen nicht immer an die Öffentlichkeit gehen. Ich gehe davon aus, dass fast jeder Konzertpianist eine Kadenz schreiben oder improvisieren kann.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Weiß nicht, ob das stimmt. Viele Pianisten sind auch Komponisten, auch wenn sie mit ihren Kompositionen nicht immer an die Öffentlichkeit gehen. Ich gehe davon aus, dass fast jeder Konzertpianist eine Kadenz schreiben oder improvisieren kann.

    Die, die ich kenne, können es nicht. Man würde dann ja auch erwarten, dass der ein oder andere doch mal mit einer eigenen Kadenz an die Öffentlichkeit geht, das erlebe ich aber sehr selten. Wo soll es auch herkommen? Komposition ist kein Bestandteil des modernen Instrumentalstudiums (es gibt Tonsatz und Gehörbildung, aber eben kein kreatives Komponieren).

  • Spontan würde ich vermuten: weil Pianisten es auch nicht mehr können.

    Also ohne jetzt nachzudenken, fallen mir Gould, Gulda, Brendel, Hough und Rosen ein. Wahrscheinlich sind es aber viele, viele mehr. Eine Kadenz für ein romantisches Konzert zu schreiben, traue ich , wie gesagt, jedem Konzertpianisten zu. Dafür braucht man kein Studium. Das ganze Leben an einem Orchestersimulator wie dem Klavier reicht.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Also ohne jetzt nachzudenken, fallen mir Gould, Gulda, Brendel, Hough und Rosen ein. Wahrscheinlich sind es aber viele, viele mehr.

    Ausnahmen bestätigen die Regel. Gould und Gulda sind tot und galten zu Lebzeiten, gerade wegen ihren originellen Ideen, als Exzentriker (weswegen ich sie auch sehr mag). Rosen (ebenfalls leider schon tot) war auch Musikwissenschaftler, hier könnte auch noch der sehr bewanderte Robert Levin genannt werden (zum Glück noch unter den Lebenden). Brendel und Hough sind mir neu, aber google sagt, da gab's mal was (wenn ja auch nicht als Regelfall). Da reden wir vermutlich nicht von spontanen Improvisationen, aber wohl immerhin von einer selbstständig ausnotierten Kadenz. Aber Argerich, Barenboim, Kissin, Volodos, Lang, Wang, Zimerman usw. spielen doch in Konzerten nie eine spontane Kadenz und nur höchst selten mal eine vorher erarbeitete eigene Kadenz. Oder war ich in den falschen Konzerten?

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